Der Fußball muss politischer werden!
Vor etwa fünf Jahren gab Sepp Blatter in der für ihn typischen Demut zu Protokoll, es gäbe „Initiativen, die jetzt an mich herangetragen werden, von links und von rechts, wir unterstützen dich für einen Nobelpreis.“ Und das aus gutem Grund, schließlich ist es laut Fifa-Statut nicht nur Zweck der Fußballweltorganisation, „Integrität, Ethik und Fairplay“ zu fördern. Artikel 3 des recht umfangreichen Statuts stellt auch klar: „Jegliche Diskriminierung eines Landes, einer Einzelperson oder von Personengruppen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand, sexueller Orientierung oder aus einem anderen Grund ist unter Androhung der Suspension und des Ausschlusses verboten.“ Darüber hinaus fördert die Fifa – laut Artikel 4 – die „freundschaftlichen Beziehungen in der Gesellschaft zu humanitären Zwecken“.
Nun gut, das ein oder andere ist in der Fifa zuletzt nicht ganz in diesem Sinne gelaufen. Bei der WM 2014 in Brasilien waren die Beziehungen zur breiteren brasilianischen Gesellschaft nicht immer freundschaftlich, weil das Geld für die modernen Fußballarenen, die heute oftmals nur eine unzureichende Auslastung haben, bei den drängenden sozialen Probleme des Landes fehlten – von den weitreichenden Enteignungen auf dem neubebauten Land ganz abgesehen. Massenproteste, die teilweise gewaltsam niedergeschlagen wurden, waren die Folge. Und die WM in Katar 2022 hat bislang den einzigen Vorzug, dass sie die Probleme der WM 2018 in Russland überdeckt. Aber immerhin hat Blatter die WM 2010 nach Afrika gebracht, was für den gebeutelten Kontinent von hohem symbolischen Wert war.
Das Potential des Fußballs bleibt ungenutzt
Leider eignet sich die Idee eines Nobelpreises für Sepp Blatter nur für einen satirischen Einstieg in diesen Artikel, denn der Fußball vergibt allzu viele großartige Chancen, die er hat, um diese Welt ein wenig besser zu machen. Kein anderer Sport auf dieser Welt bringt so viele Menschen zusammen. Dies gilt sowohl für die Sportler als auch für die Zuschauer. Obwohl gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Fans ein stetiges Problem sind, bleiben diese in aller Regel auf eine Minderheit beschränkt. Der ganz große Teil der Fußballanhänger liebt das Spiel und diese Liebe verbindet sie über Vereinsgrenzen hinweg. Internationale Turniere, seien es Wettbewerbe für Nationalmannschaften oder für Vereinsmannschaften, fördern den kulturellen Austausch. Dass dieses Potential viel zu wenig genutzt wird, ist nicht nur die Schuld von korrupten Spitzenfunktionären an der Spitze des Weltverbandes, sondern das Problem zieht sich von der Spitze bis zur Basis und erstreckt sich von Funktionären über Fußballer hin zu uns Fans.
Ein großes Thema ist natürlich das Geld. Geld schießt keine Tore, aber trotzdem war am Ende der vergangenen Saison Paderborn Letzter und die Bayern Meister. Also muss Geld her, und die Vereine holen es sich, wo sie es bekommen können. Ein Clemens Tönnies zelebriert seine guten Beziehungen zu Putin, der bodenständige Sauerländer Kalle Rummenigge schmuggelt eine Uhr aus Katar heraus, Franz Beckenbauer sieht auf den WM-Baustellen in Katar keine Sklaven – und der BVB fliegt zum Freundschaftsspiel nach Malaysia, wo nicht nur Menschenrechtsverletzungen alltäglich sind, sondern gerade jetzt die politische Opposition mit polizeilichen Mitteln zerschlagen wird.
Ein anderes Problem ist die Gleichgültigkeit. Keiner geht zum Fußball, weil er politische Debatten liebt. Man möchte das Spiel sehen, die eigene Mannschaft anfeuern, sich vom Alltag ablenken. Man geht zum Fußball, weil Borussia spielt. Leider ist das Leben nicht immer so einfach, denn diese Haltung hat dazu beigetragen, dass Rassismus, Homophobie oder auch Frauenfeindlichkeit in manchen Fankreisen noch immer kultiviert werden. Von vielen Vereinen wird dies noch dadurch unterstützt, dass ihnen relativ egal ist, wer bei ihnen Eintritt zahlt und die Merchandisingprodukte kauft.
Und dann gibt es auch noch die völlig missratene Regel, wonach im Stadion keine politischen Statements erlaubt sind. Natürlich möchte niemand beim Torjubel auf ein T-Shirt mit Wahlwerbung für Parteien sehen. Aber absurd wird es, wenn Didier Drogba untersagt wird, anlässlich des Todes von Nelson Mandela ein Shirt mit einem einfachen „Thank You, Madiba“ zu tragen. Oder wenn der DFB zwar Aktionen gegen Rassismus betreibt, aber bei einem Training der Nationalmannschaft den Slogan „Kein Fußball den Faschisten“ verhüllt.
Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte
Fußball ist von Politik nicht zu trennen, an dem Umstand kommt man gar nicht vorbei. Ich wünsche mir einen Fußball, der sich dieses Umstandes nicht nur bewusst ist, sondern sich zugleich den in den Statuten der Fifa festgelegten Grundwerten tatsächlich verpflichtet fühlt. Ansatzpunkte gibt es genügend. Es fängt bei der Vergabe von internationalen Turnieren an, bei denen dann eben Staaten als potentielle Ausrichter ausfallen, in denen Homosexuelle verfolgt werden – ein Problem sowohl in Russland als auch in Katar. Es geht weiter bei der Wahl von Sponsoren. Hier ist nicht nur Gazprom bei Schalke zu nennen, mehr noch trifft das Vereine wie den FC Barcelona (Qatar Foundations) oder Atlético Madrid (macht Werbung für das diktatorische Regime in Aserbaidschan). Wenn der BVB mit den Johor Southern Tigers in Malaysia eine Nachwuchskoordination plant, dann sollte zum Ausbildungskanon auch die Vermittlung von demokratischen Werten gehören, vor allem aber Respekt vor anderen Nationen, Geschlechtern oder Religionen, Respekt vor alternativen Lebensentwürfen. Ist dies aus politischen Gründen in einem Land nicht möglich, dann sollte dort auch keine Kooperation stattfinden. (Disclaimer: Wie der BVB dies im konkreten Fall handhabt, wurde nicht kommuniziert.)
Fußball kann ein Türöffner sein, um demokratische Überzeugungen zu verankern. Zugleich sollte eine solche Kooperation auch über den Fußballplatz hinaus genutzt werden, damit sich zwei Gesellschaften besser kennen-, sich verstehen lernen. Im deutsch-französischen Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg haben zivilgesellschaftliche Kooperationen viel zur freundschaftlichen Annäherung beigetragen. Ich würde mir solche Projekte allerdings nicht nur mit wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wünschen, wo der Profitgedanke im Vordergrund steht. Der BVB hat mit Neven Subotic zum Beispiel einen wunderbaren Menschen im Kader, der in seinem Sommerurlaub in Äthiopien Brunnen baut. Hier könnte ein Verein wie der BVB begleitend tätig werden, bspw. durch Freundschaftsspiele gegen eine Mannschaft aus Äthiopien (vielleicht zahlt sich eine Präsenz in Afrika ja auch einmal finanziell aus, wenn dieses Argument unbedingt nötig ist). Auch ohne diesen konkreten Anlass ließe sich die Freundschaftsspielstrategie von Vereinen und Nationalmannschaften ohne großen Aufwand stärker nach politischen und sozialen Gesichtspunkten organisieren. Und überhaupt: Bei den Summen, die mittlerweile im Profifußball zusammenkommen, sollte es den Vereinen nicht schwerfallen, soziale Projekte zu fördern, die sich gegen Diskriminierung aller Art wenden. Vor allem im regionalen Umfeld könnten die Vereine mit ihrer ganz eigenen Strahlkraft schon mit geringen Mitteln viel bewegen.
Aber auch wir Fans können einiges dazu beitragen, dass die offiziellen Werte der Fifa mehr zur Geltung kommen. Es kann gar nicht genug Aktionen gegen Rassismus und Homophobie geben, sowohl im Stadion als auch abseits des Platzes. Der gerne von Rechten oder Reaktionären vorgetragene Slogan „Politik habe im Fußball nichts zu suchen“ ist nichts anderes als der zunehmend verzweifelte Versuch, sich die Nischen für bestenfalls hinterwäldlerisches Denken zu bewahren. Der Fußball soll aber keine Nische für menschenverachtende Haltung sein. Der Fußball soll die „freundschaftlichen Beziehungen in der Gesellschaft zu humanitären Zwecken“ fördern, um noch einmal die Fifa zu zitieren. Die aktuelle Entwicklung in der Dortmunder Fanszene und auch bei vielen anderen Vereinen macht mir diesbezüglich Mut. Und wenn Sepp Blatter schon keinen Friedensnobelpreis bekommt, dann können wir Fans uns ja mal einen verdienen.
PatBorm, 07.07.2015
Das Blatter-Zitat wurde entnommen aus dem Stern.
Das FIFA-Statut findet sich unter FIFA.com.
Einen aktuellen Artikel über die Situation in Malaysia findet ihr in der Neuen Zürcher Zeitung.