...Sebastian Kehl: „Wo will ich denn von Dortmund noch hin wechseln?“
Vor dem Pokalfinale traf sich schwatzgelb.de mit Sebastian Kehl zum großen Interview zum Karriereende. Einen kleinen Appetizer haben wir bereits kurzfristig veröffentlicht, jetzt folgt der große Rest. Der Capitano äußert sich zu seiner langen Karriere bei Borussia und alten Weggefährten wie Matthias Sammer und Christoph Metzelder, zur Entwicklung des Fußballs im Laufe seiner Karriere und zu seinen Plänen für die Zukunft. Farewell Sebastian, hoffentlich sieht man Dich bald wieder beim BVB!
schwatzgelb.de: Deine Karriere beim BVB begann mit den Streitereien zwischen Dortmund und Bayern. Was glaubst Du: Wie wäre Deine Karriere verlaufen, wenn Du nicht zum BVB gekommen wärst?
Sebastian Kehl: Ich habe mit meinem Wechsel zu Borussia Dortmund die richtige Entscheidung getroffen. Die letzten 13 Jahre mit diesem Verein zu durchlaufen, hat mir in meiner Karriere wahnsinnig viel gegeben. Wir haben Höhen und Tiefen zusammen erlebt. Für einen Spieler ist es einmalig, diesen Verlauf so aktiv mitzugestalten – von der Meisterschaft hin zur Fast-Insolvenz und am Ende dann zum Double und zum Champions-League-Finale. Ich glaube, in dieser Form ist es noch keinem Verein oder anderen Spieler geglückt. Das ist eine Erfahrung, die ich super gerne mit dem BVB zusammen gemacht habe
Mit welchen Erwartungen bist Du damals nach Dortmund gekommen? Viele haben ja nur Kohle, Bier und Stahl im Hinterkopf, wenn sie an die Stadt denken. Und wie hast Du es dann in den letzten 13 Jahren kennengelernt?
Sebastian Kehl: Dadurch, dass der Wechsel relativ abrupt kam, konnte ich die Stadt im Vorfeld nicht erkunden. Aber das war in dem Moment auch nicht wichtig für mich. Da hat eher die sportliche Perspektive gezählt. Ich hatte vom ersten Tag an das Gefühl, dass Borussia Dortmund mich wirklich verpflichten möchte und in mir eine Person sieht, die in eine verantwortungsvolle Position wachsen kann. Sportlich war Borussia Dortmund sowieso immer eine große Nummer. Das wusste ich durch die Spiele gegen den BVB mit meinen alten Vereinen und von den Europapokalspielen der Borussia, die ich im Fernsehen gesehen hatte.
Aber mit der Stadt beschäftigt man sich als 21-Jähriger nicht wirklich. Damals hatte ich zwar schon eine Freundin, aber noch keine Kinder. Als junger Mensch braucht man auch nicht so wahnsinnig viel. Deswegen habe ich das alles einfach so aufgenommen. Aber natürlich hatte ich Vorurteile. Man erwartet einen grauen Schleier in der Luft, wenn man ins Ruhrgebiet kommt. Das ist aber überhaupt nicht so. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren auch extrem gewandelt und ich denke, dass Dortmund eine der schönsten Städte im Ruhrgebiet ist. Meine Familie und ich haben uns an die Menschen gewöhnt und Dortmund mit all seinen Vor- und Nachteilen auch lieben gelernt. Natürlich gibt es Dinge, die man in anderen Städten hat und hier nicht, aber auch das ist für mich nicht entscheidend. Für mich ist entscheidend, dass man Menschen um sich herum hat, mit denen man sehr gerne zusammen ist und mit denen man sich wohlfühlt und das hatte ich in dieser Stadt und in diesem Verein immer.
War Dir diese enge Verbindung zwischen Verein und Stadt vorher klar? Das dürfte in Hannover und Freiburg ja etwas anders gewesen sein.
Sebastian Kehl: Dieses Herzblut gibt es auch bei anderen Vereinen. Auch in Freiburg hängen die Leute am Verein, genauso in Hannover. Hannover ist auch ein Traditionsverein. Wenn es da gut lief, war das Stadion auch voll. Da gab es in den letzten Wochen auch immer mal wieder Theater um die Fans. Aber da ist auch eine riesige Begeisterung. Selbst in der zweiten Liga haben wir damals in Hannover teilweise über 40.000 Leute dort gehabt. Auch das sind große Vereine.
Aber Borussia Dortmund war immer noch eine Liga darüber. So habe ich es erwartet und das hat sich auch bewahrheitet. Das ist etwas ganz Besonderes mit den 25.000 auf der Südtribüne im Rücken. Früher in Freiburg waren im ganzen Stadion so viele Leute wie bei uns auf der Süd. Trotzdem war die Stimmung in Freiburg auf eine andere Art und Weise auch gut. Aber es ist natürlich etwas anderes, für Borussia Dortmund zu spielen. Das liegt auch daran, dass der Verein besonders stark mit der Stadt verbunden ist. Hier gibt es nicht viel mehr als Fußball, nachdem Bier und Kohle weggebrochen sind. Deswegen ist Dortmund für mich Borussia Dortmund, auch wenn der Bürgermeister das jetzt vielleicht nicht so gerne hört (lacht). Der Verein steht für die meisten Leute hier eben an erster Stelle. Wenn man im Ausland Dortmund hört, dann denkt jeder an Borussia Dortmund.
Was unterscheidet die Borussia heute von dem Verein, zu dem Du damals gekommen bist?
Sebastian Kehl: Der Verein ist natürlich extrem gewachsen. Wir waren mit den Champions League-Triumphen in den 90ern damals schon ein riesiger Verein. Aber seitdem hat sich viel entwickelt: Wenn man von damals zu heute die Zahl der Angestellten vergleicht, sich die Vereinsstrukturen anguckt oder sieht, wie sich das Stadion noch einmal verändert hat. Der Verein ist mit diesen ganzen Veränderungen sehr gut umgegangen und hat auch aus den negativen Jahren die richtigen Schlüsse gezogen. Der BVB steht inzwischen deutlich stabiler da.
Auch das Trainingsgelände hat sich ja sehr verändert. Da hast Du noch ganz andere Bedingungen kennengelernt, als Du hier angefangen hast.
Sebastian Kehl: Ich fand die Atmosphäre am alten Trainingsgelände auch nicht schlecht, weil das in der Nähe des Stadions lag. Aber natürlich sind die Anforderungen gestiegen. Wir brauchten bessere Trainingsbedingungen und die Jugendabteilung und das Internat sind dazu gekommen. Wenn man das alte Trainingsgelände am Rabenloh mit dem Areal in Brackel vergleicht, sieht man, wie der Verein sich entwickelt hat. Wir leben auch ein Stück weit von der Jugend, müssen da weiter daran arbeiten, regelmäßig den ein oder anderen jungen Spieler an den Profikader heranzuführen. Dafür hat der BVB perfekte Bedingungen geschaffen.
Du bist nach Deinem Wechsel zum BVB direkt deutscher Meister geworden, dann ging es im Laufe der Zeit langsam bergab – sowohl sportlich als auch finanziell. Hast Du Dir zu dieser Zeit über einen Wechsel Gedanken gemacht?
Sebastian Kehl: Es gab immer wieder Anfragen, aber in der Liga hat mich nichts gereizt. Wenn man bei Borussia Dortmund spielt, gibt es nicht mehr viele Vereine, die einen reizen.
Warum nicht? Was unterscheidet die Borussia in Deinen Augen von den anderen Vereinen?
Sebastian Kehl: Es ist einfach die Strahlkraft und die Größe des Vereins. Es ist die Tradition, es sind die Fans und es ist das Stadion. Wo will ich denn von Borussia Dortmund noch hin wechseln? Gut, objektiv betrachtet, könnte man sagen: Sicherlich ist Bayern München auch eine Top-Adresse. Die haben wahnsinnig erfolgreiche Zeiten hinter sich und sich einen Vorsprung erarbeitet. Aber ansonsten? Klar, wenn man weiter objektiv ist, kann man auch sagen: Die Blauen haben auch irgendwie eine Fankultur – anders als wir, aber da ist auch viel Emotionalität dabei. Die haben jetzt ewig keine Schale geholt, aber die leben auch für den Fußball.
Du hast die Blauen angesprochen: Du hast Dich früher immer sehr gut mit Christoph Metzelder verstanden, der über den Umweg Real Madrid zum Reviernachbarn gewechselt ist. Wie hast Du das erlebt? Seine Popularität hier ist ja dadurch total weggebrochen.
Sebastian Kehl: Für Christoph war das nach Madrid nicht einfach. Er hat sehr an Dortmund gehangen, obwohl er auch eine blaue Vergangenheit hat. Er hat dort ja in der Jugend gespielt und Haltern ist auch eher ein Einzugsgebiet der Blauen. Als Christoph das Angebot aus Gelsenkirchen bekommen hat, sind ihm auch Zweifel gekommen und er hat sich gut überlegt, ob er das machen soll. Er hat das dort einfach für sich zu dem Zeitpunkt die beste sportliche Perspektive gesehen.
Meine Freundschaft mit ihm hat darunter nicht gelitten. Wir haben sehr viel zusammen durchgemacht und sind enge Freunde geworden. Dann steht man auch in schlechten Zeiten zusammen. Wir haben immer noch einen sehr guten Draht zueinander. Auch, wenn man als BVB-Spieler bei den Blauen eigentlich nicht so viele Freunde hat. Christoph und ich konnten die Freundschaft sehr gut von der sportlichen Rivalität trennen.
Er hat uns ja auch im Derby als Blauer mit einem Fast-Eigentor mal ganz gute Dienste geleistet.
Sebastian Kehl: Er hat aber auch für uns im Derby mit einer sensationellen Hereingabe die Schalker Meisterschaft kaputt gemacht!
Das Jahrhundertderby bleibt natürlich auf ewig unvergessen.
Sebastian Kehl: Viele Leute haben es dann doch wieder vergessen, weil er irgendwann das blaue Trikot anhatte.
Mit Metzelder teilst Du auch das Schicksal von langwierigen Verletzungen. Angefangen hat das mit dem Foul von Salihamidzic nach der WM 2006. War das rückblickend der bitterste Moment Deiner Profilaufbahn?
Sebastian Kehl: Natürlich war dieses Foul eine Situation die mich stark belastet hat. Das war ein großer Einschnitt. Ich habe auch ein bisschen gebraucht, um damit umzugehen, weil sich sowohl körperlich als auch gedanklich ein paar Sachen verändert haben nach dieser WM, die für mich persönlich ein tolles Turnier war. Das hat mich eine ganze Zeit lang zurückgeworfen und es war der Anfang von einigen Verletzungen, die darauf basierten.
Heute rede ich da mit einer größeren Gelassenheit drüber, weil ich gelernt habe, es als Teil meiner Karriere zu akzeptieren. Verletzungen gehören dazu, auch als Profi und man muss lernen, damit umzugehen. Man muss diese Verletzungen auch als das begreifen, was sie sind: Eine Chance, in anderen Bereichen dazu zu lernen und die Zeit zu nutzen, um an sich und seinen Schwachstellen zu arbeiten. Deswegen bin ich auch dankbar, dass ich das ein oder andere durch diese Verletzung erfahren durfte. Man lernt sein Umfeld, die Mannschaft und den Verein besser kennen. Man bekommt mit, wie schnelllebig dieses Geschäft ist. Wenn Du zweimal nicht spielst oder fünf Wochen weg bist, dann bist Du nicht mehr wirklich präsent und nochmal zwei Wochen später weiß schon gar keiner mehr, dass Du da bist. Das war eine lehrreiche Erfahrung, die mich hat reifen lassen.
Aber ich bin froh, dass ich den Dreh noch einmal bekommen habe und darauf kann ich stolz sein. Ich habe es geschafft, nach diesen Verletzungen immer wieder zurück zu kommen und meine Wertschätzung innerhalb der Mannschaft und des Vereins zu untermauern. Und ich konnte sogar noch einmal so erfolgreich werden. Deswegen bin ich dankbar und demütig.
Denkst Du vielleicht sogar, dass Du diese großen Erfolge in der späten Phase Deiner Karriere durch diese Tiefpunkte noch besser zu schätzen wusstest?
Sebastian Kehl: Absolut. Diese negativen Erlebnisse lassen einen noch ein bisschen demütiger mit manchen Situationen umgehen. Dann lernt man eben auch, den Erfolg mehr zu genießen. Und die Erfolge, die wir insbesondere 2011 und 2012 noch einmal hatten, waren natürlich großartig. Nicht nur für mich, sondern für uns alle.
Hast Du denn danach eigentlich nochmal mit Salihamidizic gesprochen?
Sebastian Kehl: Ich hab ihn irgendwann nochmal gesehen. Ich würde ihm heute mal unterstellen wollen, dass er das nicht mit Absicht gemacht hat. Da gibt es zwar auch immer wieder andere Stimmen, aber das ist abgehakt.
Marco Reus hat beim BVB verlängert, obwohl er noch keinen einzigen Titel gewonnen und woanders sicher größere Chancen darauf hat. Etliche andere Spieler wechseln deswegen zu Vereinen wie den Bayern. Was ist Deiner Meinung nach das, was wirklich im Profifußball zählt: Titel, Gehalt oder etwas ganz anderes?
Sebastian Kehl: Diese Frage muss jeder Spieler für sich selbst beantworten. Ich glaube, viele Spieler haben den Wunsch, einmal im Ausland zu spielen, vielleicht auch bei einem speziellen Verein. Anderen Spielern reicht es, in der Bundesliga zu spielen. Sie brauchen das internationale Geschäft nicht, sind auch vielleicht wirtschaftlich nicht so orientiert, dass sie sagen, sie müssten jetzt auf jeden Euro schauen. Oder sagen: Dass was ich verdiene, damit bin ich zufrieden. Ich glaube, diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Da hat jeder seine eigene Perspektive. Je älter man wird, desto wichtiger werden andere Dinge, als zum Beispiel der zusätzliche Euro oder ein verlockender Verein. Man lernt auch andere Dinge zu schätzen.
Und trotzdem sage ich: Jeder, der auch noch mal den Wunsch hat zu wechseln oder dieses Geschäft als das begreift, was es ist – nämlich zehn oder mehr Jahre Fußball spielen, Emotionen aufsaugen und am Ende natürlich auch wirtschaftlich –, dem bin ich wirklich nicht böse. Denn es ist ein Teil des Business, es gehört dazu. Spieler werden gekauft, Spieler werden verkauft, die Fans sind dann mal glücklich, mal hauen sie auf die Pauke.
Aber ist das nicht normal? Fans sind doch logischerweise sauer, wenn ein guter Spieler den eigenen Verein verlässt.
Sebastian Kehl: Ja, aber was sollten denn die Gladbacher sagen, als der Reus nach Dortmund gegangen ist? Es ist das Geschäft. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass manche Spieler spezielle Wünsche haben, vielleicht auch aufgrund ihrer Herkunft. Das ist ja auch ein Unterschied: Ein Brasilianer geht vielleicht anders damit um als ein Deutscher, der in der Region fest verwurzelt ist. Dass zu verallgemeinern, wäre nicht fair und diese Kulanz sollte man auch allen Spielern gegenüber haben. Deshalb fand ich es auch gut, dass man jetzt sagt: „Wenn Ilkay gehen möchte, dann kann er das machen. Es gehört dazu.“ Ich kann verstehen, dass er nochmal wechseln will. Dann muss er aber auch jetzt gehen, denn dann hat der Verein am Ende genug Geld, um wieder einen neuen Spieler zu kaufen.
Hat sich Deine Perspektive im Laufe der Zeit verändert? Hast Du vor zehn Jahren persönlich vielleicht noch auf andere Dinge geachtet als heute?
Sebastian Kehl: Natürlich will jeder Spieler erfolgreich sein. Wenn er das nicht wollte, hätte er seinen Beruf verfehlt. Mitläufer werden sich bei großen Vereinen nie durchsetzen. Du musst ein bisschen verrückt sein, ehrgeizig sein und Willen mitbringen, um erfolgreich zu sein. Die Luft oben wird einfach dünner. Und deshalb ist ein Schritt zu Borussia Dortmund - auch mit der Drucksituation, die in diesem Umfeld, dem Stadion und bei der Größe des Vereines entsteht – etwas, auf das man sich einlassen muss. Man muss sich bewusst sein, dass man dann auch um Titel spielt. Man kann am Ende nicht so einfach sagen: „Ach, Platz 12 ist auch ok.“
Der Wunsch nach Titeln ist immer da. Es ist nur die Frage, ob man sich am Ende nur davon abhängig machen will. Ich weiß nicht, ob jemand, der 15 Titel irgendwo errungen hat, glücklicher ist als jemand, der mit Borussia Dortmund drei erreicht hat. Weil diese Drei vielleicht doch in einer anderen Situation, in einem anderen Umfeld entstanden sind, mit einer ganz anderen Emotionalität. Ich möchte meine Titel und die Runde um den Borsigplatz nicht gegen 15 andere eintauschen.
Welche diese drei Meisterschaften war denn die schönste für Dich?
Sebastian Kehl: Die erste war natürlich sensationell, weil wir schon nicht mehr richtig dran geglaubt haben. 2002 war ja ein turbulentes Jahr, als wir Leverkusen noch kurz vor der Zielgeraden abgefangen haben. Das letzte Spiel gegen Bremen war Wahnsinn! Das werde ich nie vergessen. Wir lagen ja schon 0:1 zurück! Die zweite Meisterschaft war für mich natürlich geprägt durch Verletzungen. Ich hatte dadurch wenig gespielt, deshalb hat sie für mich nicht so einen hohen Stellenwert wie die anderen. Aber beim Double im Jahr darauf habe ich volle Pulle gespielt und war Kapitän. Besser geht es natürlich kaum. Demnach hat jeder Titel seine eigene Geschichte.
Jürgen Klopp hat die letzten sieben Jahre sehr geprägt und den Verein eine neue Philosophie gegeben. Woran habt ihr das als Spieler am deutlichsten gemerkt?
Sebastian Kehl: Das hat man vom ersten Tag an gemerkt: Mit welchen Worten er uns begrüßt hat, mit welcher Leidenschaft und Inbrunst er uns klargemacht hat, welche Art von Fußball er spielen lassen möchte. Für was er steht und was er glaubt, was diese Mannschaft und diesen Verein wieder nach vorne bringen würde. Er hat das dann gemeinsam mit Aki Watzke und Michael Zorc umgesetzt und die Mannschaft genau in diesen Punkten ergänzt und aufgebaut – mit vielen Akteuren, die ja damals noch kaum einer kannte. Und das alles mit dem richtigen Händchen.
Das hat den Erfolg für Borussia Dortmund zurückgebracht. Deshalb hat Jürgen Klopp natürlich einen sehr, sehr großen Anteil an dem, wie sich der Verein nach außen präsentiert hat, genauso wie auf dem Platz. Nun gut, jetzt geht diese Zeit zu Ende – aber es wird weiter gehen!
Welche anderen Trainer aus Deiner Zeit bei Borussia Dortmund haben Dich als Spieler geprägt?
Sebastian Kehl: Jeder Trainer prägt einen Spieler, manchmal etwas mehr und manchmal etwas weniger. Manche Dinge sind auch negativ, die nimmt man dann mit und sagt sich: „Ok, so willst Du es nicht mehr machen.“ Aber es hat alles was mit Prägung zu tun und wir hatten ja viele unterschiedliche Trainer. Ich hatte mit Matthias Sammer einen sehr, sehr ehrgeizigen Trainer, der unheimlich verbissen war. Trotzdem haben seine Leidenschaft und seine Art mich gepackt, als ich die Gespräche mit ihm geführt habe. Und Matthias Sammer war bei Borussia Dortmund eine große Nummer. Dann kamen Trainer dazu, die schon etwas mehr Erfahrung hatten, die auch schon etwas älter waren. Bert van Marwijk zum Beispiel, der dann noch Nationaltrainer wurde. Jeder hat seine eigene Philosophie, jeder lässt sein eigenes Training durchlaufen, jeder hat seine eigene Ansprache. Es ist nicht fair, Trainer miteinander zu vergleichen.
Du hast Matthias Sammer angesprochen. Wir finden es etwas schade, dass es bei ihm gar nicht mehr so rüberkommt, dass er mal eine große Vergangenheit bei Dortmund hatte. Wie beurteilst Du das aus der Ferne und hast Du noch Kontakt zu ihm?
Sebastian Kehl: Ich habe mit ihm immer mal wieder Kontakt gehabt. Und dieser war stets von Respekt geprägt. Aber er vertritt nun mal jetzt die Farben eines anderen Vereins und das macht er genauso leidenschaftlich, wie er es früher hier gemacht hat.
Kommen wir zum Ende noch mal auf Deine Zukunft zu sprechen: Ein neuer Lebensabschnitt steht Dir bevor. Wie bewertest Du aktuell Deine Entscheidung, aufzuhören? Meinst Du, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist?
Sebastian Kehl: Als ich im April letzten Jahres die Entscheidung getroffen habe, nur noch ein Jahr zu verlängern und dann aufzuhören, wusste ich vielleicht noch nicht so richtig, was ich da gerade gemacht hatte. Aber über diesen langen Zeitraum hinweg bin ich mir mit dieser Entscheidung immer sicherer und fühle mich damit absolut wohl. Auf dem sehr guten Niveau aufzuhören, auf dem ich mich momentan befinde, ist wesentlich schöner, als im nächsten Jahr vielleicht das Gefühl zu haben, nicht mehr in dem Maße gebraucht zu werden und vielleicht sogar körperlich hinterher zu hinken. Das wollte ich mir nicht antun. Das ist etwas, was ich mir selbst wert bin.
Gab es in Dir denn die Überlegung, doch noch einmal zu verlängern?
Sebastian Kehl: Viele haben natürlich gesagt: „Komm, häng nochmal ein Jahr dran, Du bist grad so gut drauf.“ Aber wie gesagt: Mir war es wichtig, auf einem hohen Niveau aufzuhören und am Ende mit all diesen positiven Dingen, die ich erlebt habe, in die Zeit danach zu gehen. Und wer hätte dieses Drehbuch schöner schreiben können, als die Karriere mit einem DFB-Pokalfinale für Dortmund in Berlin enden zu lassen? Das ist ja ein Wahnsinn! Auch für mich persönlich ist dieses Drehbuch fast perfekt geschrieben, auch wenn wir es leider am Ende nicht geschafft haben, den Pott nach Dortmund zu holen.
Verspürst Du eher Wehmut oder freust Du Dich auf das Neue, was kommt?
Sebastian Kehl: Ich freu mich auf das, was kommt. Das ist jetzt mehr und mehr in mir gereift in den letzten Wochen. Wir werden erst einmal ein bisschen reisen und etwas Abstand gewinnen. Ich werde dem Fußball – und Borussia Dortmund – natürlich verbunden bleiben. Wir sind in Gesprächen und da wird sich vielleicht auch was ergeben.
Mit dem Ende Deiner Spielerkarriere wirst Du sicher auch in einen ganz anderen Lebensrhythmus eintreten. Auf welche Veränderung freust Du Dich am meisten?
Sebastian Kehl: Also, es wird sicherlich körperliche Veränderungen geben… (lacht) …auf die freue ich mich nicht! Ich werde mich mit Arne [Pressesprecher Arne Niehörster, Anm. d. Red.] zweimal die Woche treffen. Und zwar nicht nur zum Motoradfahren, sondern zum Laufen.
Arne Niehörster (entsetzt): „WAS?“
Sebastian Kehl: Also: Natürlich freue ich mich auf mehr Zeit mit meiner Familie. Und mit meinen Kindern, die in den letzten Jahren - zum Glück - das ganze Thema BVB und meine Karriere sehr, sehr positiv und bewusst mit verfolgen konnten. Mein Sohn ist jetzt acht Jahre, der war gegen Hoffenheim im Stadion, als ich die Bude gemacht habe und beim Finale in Berlin war er auch dabei. Ich bin einfach dankbar, dass er das miterleben darf. Auch meine Tochter, die selbst mit Fußball nicht viel am Hut hat. Aber es ist doch schön, wenn die Kinder und die Familie dies noch mit begleiten und wir uns trotzdem auf das freuen können, was danach kommt: mehr Zeit gemeinsam zu verbringen, etwas zu reisen und den Tagesablauf so zu gestalten, wie man es selber möchte. Ich kann den ganzen Verzicht, den ich mein Leben über als Profi hatte, jetzt etwas zurückstellen und mir das ein oder andere Mal etwas gönnen. Diese Unabhängigkeit habe ich mir erarbeitet und darauf freue ich mich.
Was wirst Du aus Deiner aktiven Zeit vermissen?
Sebastian Kehl: Ach, es gibt ganz viele Dinge, die ich vermissen werde. Unter anderem, alle zwei Wochen da in diesen Kessel einzulaufen (grinst). Adrenalinschübe, Emotionen, gerade nach den Spielen, nach den Erfolgen, die werde ich in dem Maße nicht mehr bekommen. Das ist mir bewusst.
Dann geh doch mal mit uns auf die Süd!
Sebastian Kehl: Ja, ich habe auch mal auf der Süd gestanden. Aber diese wöchentliche Bestätigung zu haben, das wird etwas sein, was mir fehlt. Aktuell ist die ganze Woche auf den Samstag ausgerichtet und da habe ich dann mit einem Mal kein Ziel mehr.
Natürlich werden mir auch viele tolle Momente mit der Mannschaft fehlen: Sich zusammen etwas zu erarbeiten zum Beispiel. Erst einmal auf mich allein gestellt zu sein, wird mir sicherlich auch schwerfallen, weil ich ein Teamplayer bin. Aber auch das wird ja nur ein kurzfristiger Moment sein. Irgendwann wird dann wieder eine Perspektive für mich kommen, in der ich an oder in einem Team arbeite, in anderer Funktion, in einem anderen Bereich. Und dann kann man sich auch wieder neue Ziele setzen und ehrgeizig sein. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf das Treibenlassen, auf etwas Langsamkeit in meinem Leben.
Wahrscheinlich wirst Du jetzt noch nicht sonderlich konkret werden wollen, was Deine berufliche Perspektive angeht, aber vielleicht kannst Du uns ja sagen, ob Du Deine Zukunft eher im Fußball oder in einem ganz anderen Bereich siehst?
Abschließend noch ein kleines Resümee: Du hast uns vor zwölf Jahren mal ein Interview gegeben, in dem Du sagtest, dass Du gar nicht so genau weißt, welchen Stand Du bei den Fans hast. Das war kurz nach der Partie im Ligapokal, als Du Schiedsrichter Jürgen Aust geschubst und die Rote Karte gesehen hast. Wie denkst Du denn heute über Dein Standing? Hast Du weniger Zweifel?
Sebastian Kehl: Damals war ich ja noch neu in Dortmund und ich denke, dass diese roten Karten, die mir kurz hintereinander passiert sind, nicht unbedingt bei allen gut ankamen. Deswegen ist man als Spieler in so einem Moment natürlich verunsichert. Man gibt immer sein Bestes, aber weiß natürlich nicht, wie es am Ende bei den Leuten ankommt. Es haben sicher nicht alle auf der Südtribüne oder im Stadion ein Kehl-Trikot an und es wird auch welche geben, die sagen: „Es wird Zeit, dass er aufhört.“ Aber ich glaube, den Großteil der Menschen konnte ich mit meiner Art und Weise, wie ich Fußball spiele und als Mensch auftrete, erreichen. Ich habe immer versucht, diesen Verein zu verkörpern und mich mit ihm identifiziert. Und wenn die Leute am Ende nur Respekt haben vor dem, was ich geleistet habe und wie ich immer wieder zurückgekommen bin, dann ist es auch gut. Alle werden einen nie lieben. Aber wenn man - wie ich - versucht, authentisch zu bleiben und seinen Weg zu gehen, dann hoffe ich, dass die Menschen hier in Dortmund, ganz besonders die Fans, verstanden haben, wofür Sebastian Kehl stand.
Und vielleicht gibt‘s ja eine Zeit danach…
Das würde uns freuen. Vielen Dank, dass Du Dir so kurz vor dem Karriereende die Zeit genommen hast!