Helden in schwatzgelb

"Borussia ist mein Leben." BVB-Legende Aki Schmidt feiert seinen 80. Geburtstag

05.09.2015, 15:05 Uhr von:  Lionard Michi Nina Schnutz

BVB-Legende Aki Schmidt feiert seinen 80. Geburtstag. Mit uns sprach er über seine Zeit als BVB-Spieler, den Gewinn des Europapokals 1966 und warum der BVB sein Leben ist.

schwatzgelb.de: Wir durften eben an Deiner Stadionführung teilnehmen. Wie oft machst Du das und aus welchen Motiven?

Aki Schmidt: In erster Linie freue ich mich, dass ich jeden Tag in mein „Wohnzimmer“ kann. Ich mache das momentan drei Mal in der Woche. Ich mache aber auch
andere Dinge für Fanklubs, von denen ich eingeladen werde und wenn Fanklubturniere sind, dann besuche ich die zum Beispiel auch. Und dann bin ich natürlich im Ältestenrat, wo auch Siggi Held, Wolfgang Paul, Hoppy Kurrat und Theo Redder drin sind. Ich bin der Fünfte. Alle sind damals Europapokalsieger geworden. Wir treffen uns dort und auch bei jedem Heimspiel. Das ist immer ganz schön, wenn man sich mal wieder etwas austauschen kann. Aus welchen Motiven mache ich das? Ich mache das deshalb, weil Borussia mein Leben ist. Ich bin in Dortmund-Berghofen geboren und dort in der Kindheit und Jugendzeit aufgewachsen. Und dann hat mich Borussia geholt und nach einem halben Jahr war ich schon Nationalspieler. Dann kam die Weltmeisterschaft 1958, bei der ich mitgespielt habe, die zwei deutschen Meisterschaften und der erste deutsche Pokalsieg in der Vereinsgeschichte 1965, dann der Europacup-Sieg als erste deutsche Mannschaft überhaupt und dann wurde ich Trainer.

Aki Schmidt bei seiner Stadionführung

schwatzgelb.de: In wenigen Tagen hast Du Geburtstag und wirst 80 Jahre alt. Wird sich auf der Party auch der eine oder andere Borusse einfinden und schwelgt Ihr oft in Erinnerungen an die gemeinsame Zeit?

Aki Schmidt: Zu meinem Geburtstag kommen natürlich meine Freunde, die mit mir das Endspiel in Glasgow gegen Liverpool gewonnen haben. Diejenigen, die noch leben, kommen alle. Der Vorstand von Borussia kommt auch und gute Freunde, die man mit der Zeit bekommen hat, nicht nur aus dem Fußballleben. Ich habe sehr viele Freunde, deshalb freue ich mich auch auf meinen Geburtstag. Ich wollte ihn erst gar nicht feiern, weil das alles ein großes Theater ist. Da kommen hundert Leute. Das ist alles nicht so einfach zu organisieren, aber ich mache das trotzdem.

schwatzgelb.de: Kommen wir zu Deiner Zeit als Spieler. Was verbindest Du mit der Roten Erde und wie war die Stimmung im Stadion? Kannst Du das vielleicht mit der Stimmung im Westfalenstadion vergleichen?

Aki Schmidt: Die Stimmung war natürlich bei weitem nicht so wie im Westfalenstadion. Heute ist die gewaltiger. Aber herzlich war sie in der Roten Erde genauso wie heute. Da drin ist die Basis gelegt worden für unser Temperament und für unsere ganze Liebe zu Borussia. Deshalb sind die Leute ja auch teilweise mit hinübergegangen. Die haben uns ja auch nicht im Stich gelassen, als es uns nicht gut ging.

schwatzgelb.de: Wie waren die Leute, die ins Stadion gekommen sind? Heute sehen Fans vielleicht etwas anders aus als früher. Waren das hauptsächlich Männer mit langen Mänteln, Hüten und Anzügen, wie man das von alten Aufnahmen kennt?

Aki Schmidt: Die hatten natürlich die langen Mäntel an, das war die Mode damals und deshalb sahen die auch so aus. Die waren alle sportlich und die BVB-Fans ziehen sich gerne locker an. Die saßen auf der Laufbahn, auf der standen lauter Bänke. Das hat dazu geführt, dass hinterher knapp 50.000 hinein gepasst haben. Die Zuschauer waren nicht wie verschiedene Gruppierungen, die ich nicht mag. Das gab es nicht. Die waren alle nett und lieb. Das war wirklich absolute Klasse. Die haben uns alle herzlich gemocht, weil wir alle aus der Ecke hier kamen. Ich aus Dortmund-Berghofen, Hoppy vom Borsigplatz, Emma aus Dorstfeld. Siggi kam erst später, Theo Redder aus Werl, Hans Tilkowski aus Dortmund-Husen, Cyliax aus Mengede. Wir kamen hierher. Das war das Wahnsinnige dabei, dass wir eine Mannschaft waren. Sicher waren einzelne gute Spieler dabei, Nationalspieler und sowas. Aber wir waren insgesamt eine Einheit, ein Team und das hat uns dann auch die Meisterschaft und den Europapokal gebracht. Damals hatten Atlético Madrid und West Ham United schon Uruguayer, Argentinier und Brasilianer – wir nicht. Wir hatten damals 1966 nur Siggi Held, der kam aus Offenbach, Siggi war unser Ausländer. Das war so ein bisschen anders, aber die Fans haben wie eine Eins hinter uns gestanden, aber das wussten wir auch. Wenn wir vor diesen tollen Spielen, zum Beispiel gegen Inter Mailand, im Trainingslager waren, dann wussten wir das. Wir haben auf das Spiel gefiebert, weil wir wussten, die Fans, das sind unsere Freunde.

schwatzgelb.de: Heutzutage kommt die Stimmung im Stadion vor allem über die Gesänge. Gab es so etwas früher auch?

Aki Schmidt: Die haben vielleicht „Der BVB wird niemals untergehen“ oder das Vereinslied gesungen, aber es gab nicht so ein Drumherum.

schwatzgelb.de: Kannst Du Dich erinnern, wie viele Leute früher zu Auswärtsspielen mitgekommen sind?

Aki Schmidt: Beim Endspiel gegen Köln in Stuttgart waren mehr. Aber in der Bundesliga, da fuhren wir mal zurück von Stuttgart mit dem Zug. Auf dem Bahnsteig waren vielleicht zehn Dortmunder, mit denen haben wir uns dann noch unterhalten. Die hatten ja auch früher alle keine Autos, Flugzeug sowieso nicht, das hat ja alles zu viel gekostet und dann sind die mit dem Zug gefahren.

schwatzgelb.de: Und wenn es hier in die Nähe ging?

Aki Schmidt: Wenn es in die Nähe ging, waren es natürlich mehr. Auch in Schalke war das immer was Besonderes oder gegen Gladbach. Ansonsten waren es aber nicht so viele Zuschauer, die mitfuhren.

schwatzgelb.de: Bedeutete früher Vereinsliebe etwas anderes? Es sind ja auch immer einige Spieler wegen des Geldes da...

Aki Schmidt: Das war etwas ganz anderes. Die [Spieler der nächsten Generation, die Red.] sind ja alle nicht mehr da, kommen ja alle von irgendwo her, deswegen bekommst du ja auch keine richtige Traditionsmannschaft mehr zusammen. Die haben hier gutes Geld verdient und dann sind die weg. Die bleiben dann nicht hier. Wenn du hier geboren bist so wie ich, dann bist du hier verwurzelt, dann weißt du: „Hier hast du dein Herzblut gegeben, hier hast du alles getan, hier hast du alles gemacht, du bist hier geboren.“ Ich habe so viele Angebote aus dem Ausland und der Bundesliga gehabt. Die letzten waren noch dabei, da war ich 32, nach dem Europacup-Sieg. Da hatte ich noch ein Angebot von Hertha BSC Berlin. Berlin hätte mich immer gereizt. Dann hatte ich mal ein Angebot von Bayern München, das war kurz vor der WM, ich habe das aber nicht gemacht, obwohl ich dort sehr viel Geld verdient hätte. Dann hatte ich vom FC Sevilla ein Angebot. Das war auch kurz vor dem Abschluss, aber da wäre es mir zu heiß gewesen.

schwatzgelb.de: Wie sind früher die Angebote zu Dir gekommen?

Aki Schmidt: Wir haben da gespielt und dann war da jemand vom Vorstand, der direkt nach dem Spiel mit mir sprechen wollte. Ich habe das aber grundsätzlich nicht gemacht, weil ich zu sehr mit Dortmund verwurzelt bin.

schwatzgelb.de: Du hast vorhin in Deiner Führung schon das Spiel gegen Lissabon angesprochen. Glaubst Du, dass es das beste Spiel des BVB in Deiner aktiven Zeit war?

Aki Schmidt: Das sagt man. Ich sage immer, das erfolgreichste Spiel war das in Glasgow gegen Liverpool. Das Beste war das aber bestimmt nicht. Ich denke, das Beste war wirklich das gegen Benfica Lissabon.

schwatzgelb.de: Das ist die perfekte Überleitung auf 1966. Vielleicht hast Du schon davon gehört, dass wir von schwatzgelb.de bei Twitter unter dem Account „Helden von 1966“ Eure internationalen Spiele in Echtzeit nachtwittern. Zum Endspiel gegen Liverpool findet man natürlich jede Menge Zeitungsartikel, aber zu den Spielen davor nicht so viel. Erinnerst Du Dich noch an das erste Spiel gegen den Floriana FC La Valetta?

Damals und heute

Aki Schmidt: Da kann ich mich noch erinnern. Es war einfach, für uns zu leicht. Wir haben das Spiel mit links gemacht, da haben wir uns über La Valetta keine großen Gedanken gemacht. Wir wussten gar nicht, wer das ist. Das haben wir locker hinbekommen.

schwatzgelb.de: Im Gegensatz zu den Spielern von La Valetta seid Ihr Profis gewesen. Was hat es damals bedeutet, Profi zu sein?

Aki Schmidt: Das war etwas ganz anderes. Damals hatten wir so eine Art Zwitter-Stellung in den Oberligen: Halb Amateur, halb Profi. Mit Einführung der Bundesliga wurde das richtig professionell. Man hat gegen die besten Vereine Deutschlands gespielt und dann natürlich auch mehr Geld bekommen. Der normale Bundesligaspieler bekam dann nicht mehr 400 Mark, sondern 1200 Mark im Monat. Weil ich 25 Länderspiele hatte, habe ich noch wesentlich mehr bekommen. Du wurdest nach Länderspielen bezahlt und die Prämien waren auch höher. Das war natürlich schon ein Unterschied. Da spieltest du dann samstags gegen die Besten von Deutschland. Das war eine ganz andere Einstellung, die du haben musstest und die hattest du auch, die war schöner, die war profihafter. Die Bundesliga ist von zwei Mann gegründet worden, insbesondere der eine war für die wirtschaftlichen Dinge zuständig, wusste sehr gut Bescheid und war immer der Antreiber. Das war Franz Kremer, der Präsident von Köln. Für die fachliche Seite war es Herberger. Er hat in den Lehrgängen immer zu mir gesagt: „Aki, wir müssen die Bundesliga gründen. Wir kommen nicht mehr mit den Oberligen aus. Wir müssen profihafter werden. Die sind alle schon über Jahre in England oder in Spanien profihafter.“ Und das kam dann auch so, dass die Bundesliga in der Dortmunder Westfalenhalle verabschiedet wurde.

schwatzgelb.de: Haben denn viele Spieler nebenbei noch gearbeitet?

Aki Schmidt: Du musstest vorher als Vertragsspieler eine Arbeit nachweisen. Die erste Steuerkarte war bei der Arbeit – bei mir war das Hoesch – und die zweite war bei Borussia. Als 1963 die Bundesliga gegründet wurde, durftest du arbeiten. Dann war die erste Steuerkarte bei Borussia mit den 1200 Mark für die normalen Bundesligaspieler und die zweite Steuerkarte bei dem Arbeitgeber, wenn Du gearbeitet hast. Emma, Libuda oder Siggi zum Beispiel haben nicht mehr gearbeitet, die haben nur noch Fußball gespielt. Ich konnte aber nicht, weil ich als erster schon ein Haus gebaut hatte und da hatte ich eine Hypothek drauf. Wenn mir was passiert wäre… Ich war nicht abgesichert. Damals gab es keine Versicherungen, von denen du noch eine schöne Stange Geld bekommen hättest, wenn du was gehabt hättest. Nein, das hätte ich nicht. Und deshalb konntest du arbeiten, brauchtest aber nicht. So war das.

schwatzgelb.de: Du hast schon einige Deiner Kollegen genannt, an die man sich noch viel erinnert, wie zum Beispiel Held, Libuda, Emma. Ein paar andere aus der Mannschaft von 1965/66 sind in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent. Kannst Du uns zum Beispiel etwas über Gerhard Cyliax erzählen, der mit Theo Redder damals in der Verteidigung gespielt hat?

Aki Schmidt: Gerd Cyliax war auch einige Jahre bei uns, er war zuerst Außenstürmer. Einer unserer schnellsten, ich glaube, nur Siggi war schneller. Und was soll ich erzählen? Cyliax war später ein sehr erfahrener Verteidiger in den Europacup-Spielen. Der hatte sich das von den Gegnern angeeignet, die ihn beschattet haben. Er hat ebenso wie Redder gegen die weltbesten Außenstürmer gespielt. Das Spiel wurde bei den Engländern zum Beispiel über die Außen getragen und das waren alles Granaten, alles Weltklassespieler. Cyliax war ein sehr bescheidener Mensch, einfach ein klasse Verteidiger, weil er so schnell war.

schwatzgelb.de: An welches Spiel in der Saison 1965/66 erinnerst Du Dich abgesehen vom Finale gegen Liverpool besonders?

Aki Schmidt: Da waren natürlich ein paar ganz schwere Spiele dabei. Der amtierende Europacup-Sieger war West Ham mit Bobby Moore und Martin Peters. Die Jungs sind damals mit England Weltmeister geworden. Das war ganz schwer. Da haben wir auch erst in den letzten Minuten durch Emma die Siegtore geschossen. Und Atlético Madrid war schwer. In Madrid, kaum zu gewinnen, da hat auch jahrelang keiner gewonnen, die haben ein Unentschieden geholt und haben dann hier nur 1:0 gewonnen. Schwer, riesig schwer. Und dann war da noch Sofia, da wären wir bald weggewesen. Die haben uns ohne Ende getreten, die waren so unfair zu uns. Der Schiedsrichter hat auch gar nicht reagiert. Da haben wir 4:2 verloren und hier hatten wir 3:0 gewonnen. Wir wussten, wenn die noch ein Tor schießen, sind wir weg.

schwatzgelb.de: In dem Spiel gab es auch einen Platzverweis für Hoppy Kurrat, kannst Du Dich an die Szene noch erinnern?

Aki Schmidt: Nein. Ich weiß nur, dass der vom Platz geflogen ist und das war ganz schlimm, weil der Hoppy niemandem was getan hat. Der konnte nicht einmal Foul spielen. Der hat Weltklasseleute kalt gestellt, Suarez, Eusebio, Pelé, wenn wir gegen die gespielt haben. Oder Uwe Seeler. Die haben alle keinen Stich gegen Hoppy gemacht, aber er hat nicht unfair gespielt. Und ich hatte immer beim Training mit ihm zu tun. Ich habe gesagt, ich kann nach Hause gehen. Ich kann nach Hause gehen, wenn ich gegen den spielen muss. Der hat dir nichts getan, aber der war immer da. Wie groß war er denn, 1,50 m? Ja, der kleinste Bundesligaspieler, aber er konnte niemandem wehtun. Wenn Uwe Seeler und ich vom Länderspiel kamen, sagte der Uwe zu mir „Ah, jetzt wieder gegen den Hoppy, aaah.“

schwatzgelb.de: Wo Du gerade so ins Schwärmen gerätst: Wer ist für Dich der beste Spieler, mit dem Du zusammengespielt hast?

Aki Schmidt: Mehrere. Es gab neben mir noch ein paar, die waren älter, das war zum Beispiel ein Max Michallek. Und ein Adi Preißler. Das waren meine Jungs, von denen ich nachts geträumt habe, als ich noch in Berghofen gespielt habe. Später habe ich noch zwei Jahre mit ihnen zusammen gespielt. Da wird viel zu wenig darüber gesprochen, Max Michallek wird viel zu wenig genannt. Nur war er nicht so schnell, aber er hat eine andere Ausstrahlung gehabt. Max Michallek war für mich der absolut beste Spieler, mit dem ich zusammen gespielt habe.

schwatzgelb.de: Erstaunlich wenig wird auch über Euren damaligen Kapitän von 1966 gesprochen, Wolfgang Paul. In zeitgenössischen Spielberichten wird seine Leistung vor allem gegen West Ham United sehr gelobt.

Aki Schmidt: Ja, das lag am System. Unsere Stärke war der Abwehrblock. Da war er der größte, er war ein Riese. Gerade in den Spielen gegen Madrid oder gegen West Ham sind viele hohe Bälle gespielt worden. Oder damals im Endspiel gegen Liverpool haben deren Außenspieler hoch rein geflankt und da hat der lange Paul, der größer war als wir alle, die Dinger hinten mit dem Kopf rausgeballert. Er war kein Filigranspieler, sondern er war ein Stopper, der hinten drin blieb und der sehr diszipliniert spielte.

schwatzgelb.de: Gab es in der Mannschaft denn Hierarchien und wie sahen die aus?

Aki Schmidt: Die Hierarchien waren natürlich auch da, die sind in einer guten Mannschaft immer da. Aber soll ich denn jetzt selbst darüber sprechen? Das mache ich nicht gerne, weil ich wohl einer war, der ganz vorne mit dabei war.

schwatzgelb.de: Wie hast Du den Moment im Kopf, als Libuda das Ding gegen Liverpool reingehauen hat? Weißt Du noch, was Du gefühlt hast?

Aki Schmidt: Und ob! Ich habe zum Libuda nach dem Spiel in der Kabine sofort gesagt: „Wenn Du den nicht reingehauen hättest, dann hätte ich Dich umgebracht.“ Und warum? Er hätte noch mit dem Ball laufen müssen. Die Entstehung kam aus unserer Abwehr, der Assauer, der fummelte da mit dem Ball rum und ich sah, dass der Siggi frei war. Das waren aber 50 Meter. 50, 60 Meter waren das, so weit weg. So lange Bälle habe ich nie gespielt. Dann war der Boden auch hart, ich war kaputt, weil schon die Verlängerung lief. Und der Ball war auch schwer. Und ich sage zum Assi: „Assi, gib den Ball her.“ Der wollte nämlich den Ball spielen. „Gib den Ball.“ Da hat er ihn mir sofort gegeben. Und dann habe ich den Schiedsrichter beobachtet. Der hatte noch nicht gepfiffen. Ich sah aber, dass er die Pfeife ansetzte. Da hatte ich aber schon den Ball gespielt und er hat nicht zurückgepfiffen. Dann habe ich auf den Siggi gespielt. Der Siggi hatte schon die Chance, mit dem Ball vor den Torwart zu kommen. Der Torwart kam raus, etwa vielleicht bis zur 16 Meter-Marke oder so, und der schoss den an. Der Siggi hätte den Ball schon unterbringen müssen. Da hat der Libuda den sofort genommen, und der macht dann dieses Dingen. Da haben wir geguckt: Wie lange dauert das denn, ehe der drin ist? Ich weiß es jetzt nicht, ob der Ball drin gewesen wäre, wenn der lange Yeats nicht mit dem Ball reingeflogen wäre. Ich weiß es nicht, ob der drin gewesen wäre.

Jedenfalls habe ich vorher gedacht: „Das schaffen wir nie mehr“, weil wir dieses blöde Tor zum Unentschieden bekommen haben. Der Ball war einen halben Meter im Aus. Dann hat er ihn reingeflankt, Ausgleich. Da dachte ich, jetzt sind wir wahrscheinlich fertig, es ist aus. Die Kraft haben wir nicht mehr. Dann kam unser Tor. Und dann die letzten Minuten. Das waren, glaube ich, nur sechs Minuten. Da habe ich gedacht, jetzt wirfst du dich in alles rein, was kommt. Das muss nach Hause gebracht werden. So war es zum Schluss dann auch. Tilkowski war derjenige, der ruhig und sicher die Dinger weggefangen hat. Die haben einen Mordsbetrieb auf unser Tor gemacht und Hannes hat die alle weggefangen.

schwatzgelb.de: Wann hast Du denn richtig realisiert, dass Ihr so grandios gewonnen habt?

Aki Schmidt: Wir waren alle ganz happy. Wir hatten ja auch gedacht, dass wir das nicht schaffen. Und diese Einstellung war immer ganz gut für uns, wenn wir nicht Favorit waren. Der Trainervon Liverpool, Bill Shankly, hatte in den Zeitungen auf die Frage, ob er die Dortmunder schon gesehen habe, getönt: „Die brauche ich nicht sehen. Meine erste Mannschaft ist die beste Mannschaft der Welt und die zweite kommt sofort hinterher.“ Die besten der Welt, seine beiden Mannschaften (lacht). Da habe ich mir gedacht, was ist das denn für ein Spinner? Dann kam die grandiose Sitzung, die Willi Multhaup, unser Trainer, gehalten hat. Er sagte da einen Satz, der für alle maßgebend war: „Wir spielen zehnmal gegen die. Neunmal verlieren wir und einmal gewinnen wir und das ist heute.“ Und das haben wir geglaubt. Wir haben sowieso geglaubt, dass wir eine Chance haben. Aber es war natürlich sehr schwer, gegen den englischen Meister zu spielen und dann noch fast bei sich zu Hause. Das ist ja da oben, Glasgow, alles Engländer und Schotten, eben Briten. Wenn du ein bisschen Angst hast, dann bist du im Leben vor allem mehr gefeit, dann siehst du mehr, als wenn du mit der breiten Brust daher kommst und sagst: „Ich bin der Große“. So geht das nicht. Das ist auch hier immer die Gefahr bei den Spielen, wenn eine Mannschaft 5:0 oder 6:0 gewinnt. Das birgt eine große Gefahr in sich, weil sie gedanklich noch bei dem 5:0 oder 6:0 sind, dann aber schon das nächste Spiel kommt, das wieder das schwerste ist.

schwatzgelb.de: Stimmen denn eigentlich die Legenden, die man in Zeitungsartikeln liest, dass Ihr am Abend vor einem Spiel noch einen trinken gewesen seid? Oder sind das tatsächlich Legenden?

Aki Schmidt während des Interviews

Aki Schmidt: Das ist der größte Blödsinn, den ich jemals gehört habe. Das macht man nicht. Du arbeitest die ganze Woche, dass du da alles bringst und am besten drauf bist, da kannst du nichts trinken. Jetzt gehe ich noch weiter. Ihr seid ja alle 21 [Gelächter auf schwatzgelb.de-Seite], auch hier mit Sex und so, das kannst du vergessen. Das ist tabu. Das darfst du nicht machen, du brauchst ja die Kraft auf dem Platz.

schwatzgelb.de: Wir kommen auf die Frage nur, weil in einem Artikel stand, Multhaup hätte Euch beim Skat spielen erwischt.

Aki Schmidt: Ja, und?! Das ist doch lächerlich, wenn er einen beim Skatspielen erwischt. Da hat er ein bisschen Theater gemacht, weil er das einfach nicht wollte. Da gab es noch mehr Sachen, die er verboten hatte. Klar, du musst einfach verbieten, was abträglich für die 90 Minuten ist. Ist doch klar, so was geht nicht.

schwatzgelb.de: Seid Ihr denn damals schon von den Mädels so umschwärmt gewesen wie heute oder lief das alles ruhiger ab?

Aki Schmidt: Nicht so viel. Du musst dir vorstellen, dass die heute im Fernsehen zu sehen sind, Millionen verdienen und du kannst mir nicht erzählen, dass ein Mädchen, eine gut aussehende Frau nicht hinter so einem Spieler hinterher ist.

schwatzgelb.de: Eine Frage noch zum Jahr 1966: Wäre es ohne den Weggang von Multhaup nach der Saison damals besser gelaufen? Und wie hast Du ihn als Trainer erlebt?

Aki Schmidt: Mir hat er das damals brühwarm im Flugzeug auf dem Rückflug von Berlin erzählt. Wir waren bei Rosenthal in der Sendung „Gut gefragt ist halb gewonnen“, Merkel war dabei, und ich glaube, noch ein Spieler. Anschließend waren wir im Lokal von Rolf Eden. Und dann haben wir da noch ein bisschen gesessen und dann sind wir schlafen gegangen. Multhaup und ich sind zurück nach Dortmund geflogen und der Max Merkel mit dem anderen nach München. Da sagte der Multhaup zu mir: „Aki, ich muss Dir jetzt mal was sagen, das habe ich noch niemandem gesagt.“ Ich denke mir, was kommt denn jetzt? Da sagt er: „Wir müssen uns ab morgen trennen, ich habe in Köln unterschrieben.“ Um Gottes Willen, was passiert jetzt? Und dann habe ich mir gedacht, der wird schon seine Gründe haben. Unsere Mannschaft war alt und ich sage Euch mal, was der Herberger zu mir gesagt hat, als er mich zur Seite genommen hat: „Aki, Ihr seid der Zeit 15 Jahre voraus, diese Mannschaft, die da Europacupsieger geworden ist. Ihr seid eine tolle Mannschaft.“ Da habe ich ihm gesagt „Unsere Mannschaft ist alt. Vergessen Sie das bitte nicht. Ich habe mein Ziel erreicht, ich laufe jetzt nur noch nebenher, für mich reicht das jetzt.“ Er sagte: „Du kannst doch jetzt nicht aufhören?“ „Nein, nein. Das will ich nicht. Aber ich lasse es ruhiger angehen.“

Dann drehte sich das Trainerkarussell und dann haben wir uns so einen Vogel geholt aus Kaiserau, den Murach, das war ein Amateurtrainer. So was beklopptes, was die damals gemacht haben. Ich habe immer davor gewarnt, holt euch einen Trainer, der hier hin passt, der das Niveau hat. Dann haben sie den Murach geholt und alles ging bergab. Die Spieler haben gemacht, was sie wollten, Emma und andere. Er hatte nicht viel zu sagen und hatte dann auch keine Erfolge. Und dann hatte ich das nächste Jahr schon vor, abzuhauen, hatte den Trainerschein schon gemacht, ich habe aber noch ein Jahr gewartet und bin dann abgehauen. Das war nicht Multhaup. Wir hatten auch zu wenig gute Spieler geholt. Die hätten für mich auch einen holen müssen, weil ich das Spiel gemacht habe und das haben sie nicht gemacht, weil sie dachten, das wird schon so weitergehen. Dann war es schlimm, dann kam die Zeit des schleichenden Abstiegs. Multhaup war das nicht, ein Trainer reibt sich ja auch ab mit der Zeit.

schwatzgelb.de: Manch einer hat das auch von Jürgen Klopp gesagt. Was glaubst Du, zu welchem Verein er als Typ passen würde?

Aki Schmidt: Überall hin. Der kann sich anpassen, der ist gut. Als das bekannt wurde, hat mir das schon ein bisschen wehgetan, weil ich ihn sehr gemocht habe. Einfach die Art. Wir haben uns nie über Fußball unterhalten, immer nur geflachst. Wir haben beide gesagt, wir brauchen uns doch nicht über Fußball zu unterhalten, du nicht und ich nicht. Wichtig ist – und darüber freue ich mich –, dass Thomas Tuchel, den ich mit Mainz nicht einschätzen konnte, so einen Einstieg gehabt hat. Das ist schon mal gut, das freut mich und das ist die Basis für weitere Geschichten. Er ist ein sehr kluger Mensch und hat auch ähnlich studiert wie Jürgen Klopp, Sportwissenschaften, habe ich mir erzählen lassen. Ich weiß noch nicht genug über ihn, aber er ist ein sehr ehrgeiziger Mann, das lässt einiges hoffen. Ich glaube, die haben einen richtigen Griff gemacht.

schwatzgelb.de: Was unterscheidet Dich von ihm als Trainer?

Aki Schmidt


Aki Schmidt: Sehr viel. Die Art und Weise, wie ich trainiert habe – ich war sehr streng, bin ja auch mit Offenbach deutscher Pokalsieger geworden. Als Kind war es immer schon meine Geschichte, strategisch zu sein, alles zu überblicken, den Gegner zu studieren und die Taktik entsprechend zu entwerfen. Das hat mich am meisten interessiert und das habe ich dann auch mit Offenbach gegen Köln im Endspiel gespielt. Die waren fix und fertig, der Overath und die ganzen Jungs dort, wir waren die Aufsteiger in die erste Liga. Ich habe auch damals schon ähnlich gespielt, nur das auf den Mann gehen von heutzutage nicht. Dafür aber das Räume eng machen und da kamen die nicht mit zurecht. Ich will nicht sagen, dass ich ein Trainer des alten Schlages war, das war ich mit Sicherheit nicht. Ich habe auch immer neue Dinge, die ich mir erarbeitet habe, durch meine Erfahrung als Kind schon, miteingebracht. Ich habe immer über den Zaun geschaut und geguckt, was man machen kann. Aber ich war auch sehr streng und habe sehr hart trainiert.

schwatzgelb.de: Mit welchem Spieler aus der heutigen Mannschaft würdest Du Dich am ehesten vergleichen?

Aki Schmidt: Hier? In Dortmund aktuell? Was hat man Euch denn erzählt? War ich eher der Techniker oder ein Treter?

schwatzgelb.de: Du hast ja schon erzählt, dass Du das Spiel gelenkt hast.

Aki Schmidt: So richtige Spielmacher sind ja heute gar nicht mehr gefragt, das ist alles mehr auf alle verteilt. Ich wollte immer dirigieren, deswegen ist das eigentlich schwer zu vergleichen. Ich habe immer dirigiert und die Bälle weitergeleitet, das war ja auch gut und erfolgreich. Ich habe unter anderem noch gegen Franz Beckenbauer gespielt und immer gewonnen. Immer. Ob das gegen Gladbach, gegen Köln oder Bayern war. Netzer und Beckenbauer kamen erst 1965, da waren die schon gut. In der heutigen Zeit sind die Aufgaben, die ich gemacht habe, auf mehreren Schultern verteilt. Wir hatten früher einen Abwehrblock, die blieben hinten und haben abgewehrt. Dann hatte ich natürlich einen Mordssturm vor mir, Libuda, Held, Emmerich. Die habe ich immer gefüttert, das war schon sensationell und so war unsere Mannschaft auch damals. Wenn wir nicht so viel gefeiert hätten nach dem Europacup-Sieg… Die Bude war bei mir immer voll. Da war eine Kneipe bei mir gegenüber. Ich hatte dort neu gebaut, dann kamen die aus der Kneipe und riefen „Akiiiii!!!“ und „Aaaah“. Und meine Frau war Wirtstochter, die hat aufgemacht. Dann haben die bei uns noch getrunken, Alkohol haben wir immer im Keller. Und dann habe ich gesagt: „Schmeiß die jetzt raus! Ist aber Schluss hier.“ Dann kam das Spiel gegen 1860 München, was wir 2:0 verloren haben und ich habe vorher noch gesagt: „Lasst uns ins Trainingslager, das ist der Wahnsinn.“ Jung und Alt standen am Zaun und riefen „Aki, Autogramm!“ Das war der helle Wahnsinn. Und du kamst nicht zum Schlafen. Ich kam nicht zum Schlafen. Und dann warst du natürlich auch noch am Spinnen von dem Sieg. Dann hat uns vor dem Spiel noch der Bundeskanzler Erhard den Silberlorbeer auf dem Platz überreicht und der Konietzka, der spielte doch bei 1860, der kam zu mir und sagte: „Komm, wir machen uns ein bisschen zusammen warm.“ Und dann sagt er zu mir: „Heute bekommt ihr einen auf den Arsch.“ Ich sagte: „Das wollen wir erst mal sehen.“ Aber der wusste ganz genau, die haben gefeiert, die sind noch in der Birne nicht ganz sauber. Ja, so war das. Verlieren wir hier! Die ganze Saison haben wir die Bundesliga angeführt, aber nur knapp vor 1860. Mit einem Punkt. Aber wir waren immer vorn und dann kommt das Spiel und das verlieren wir dann auch noch.

schwatzgelb.de: Weißt Du denn noch, ob Du vor dem Spiel ein schlechtes Gefühl hattest?

Aki Schmidt: Ja, klar! Und der Timo hat mir beim Warmmachen noch ein schlechteres gemacht. Ja, ja, so ist das halt. Diese Sache, die vergisst du nicht so schnell. Wenn ich manchmal unsere Mannschaft sehe, wenn sie 4:0 gegen Ingolstadt gewonnen haben, dann denke ich: „Lasst den Ball flach“. Du kannst nicht mit der breiten Brust Hosianna machen.

schwatzgelb.de: Glaubst Du, dass es heute durch den ganzen medialen Druck auch allgemein schwieriger ist, Fußballprofi zu sein?

Aki Schmidt: Es ist anders. Diesen ganzen Druck, den du bekommst, darfst du auch nie vergessen.

schwatzgelb.de: Der BVB steht momentan auf Platz 1. Was denkst Du, wo sie am Ende der Saison landen werden?

Aki Schmidt: Unter den ersten drei. Nicht unbedingt an Platz drei, es kann auch zwei sein und ich sag mal, wenn es ganz dumm läuft da unten mit den Seppels, dann wünsche ich mir, dass wir sogar Erster werden. Aber es ist natürlich schwer. Die frischen ja immer wieder auf, die holen sich immer wieder die besten überall her. Wer kann das schon? Jetzt die Engländer. Aber ich weiß es nicht. Es ist ja auch schön, das noch nicht zu wissen, was sich bei uns abspielt und wie sich das weiter entwickelt. Und die Mannschaft entwickelt sich weiter, hundert Prozent. Was die gegen Gladbach und gegen Ingolstadt gespielt haben, das war schon gut. Das lässt hoffen.

schwatzgelb.de: Danke, Aki. Dir weiterhin alles Gute und einen schönen Geburtstag.

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