15 Jahre schwatzgelb.de - Größer, teurer, protziger – Borussias neuer Größenwahn
In diesem Juli jährt sich der Tag, an dem zwei Borussen bei einem Testspiel auf die Idee kamen, aktuelle BVB-Berichterstattung von Fans für Fans im Internet anzubieten: schwatzgelb.de wird 15 Jahre alt. Wir nehmen das als Anlass, euch jeden Tag eine Perle aus der Geschichte unseres Fanzines zu präsentieren und so auf kleine Highlights unserer Geschichte zurückzublicken. Heute: Unser Artikel aus dem Jahr 2000 zu den Umbauplänen des Westfalenstadion.
Fan von Borussia zu sein, das ist manchmal nicht ganz einfach. Besonders in den letzten 3 Jahren überwogen die vielen Enttäuschungen allzu oft die wenigen freudigen Momente. Und damit sind nicht nur diese unnötigen Niederlagen, Derby-Klatschen oder die drohende Abstiegsgefahr in der letzten Saison gemeint. Nein, es ist leider auch noch eine mindestens ebenso schmerzvolle Entfremdung des Vereins... – oh Verzeihung, natürlich der KgaA – von den eigenen Fans festzustellen.
Am Mittwoch erlebten mehrere tausend BVB-Fans eine erneute, bittere Niederlage gegen den Erzrivalen aus Gels*nk*rchen, in der die Mannschaft keine der in sie gestellten Erwartungen auch nur ansatzweise erfüllen konnte. Spielerisch wie auch einstellungsmäßig war man dem „Lieblingsfeind“ in sämtlichen Bereichen unterlegen.
Einen Tag später erschien das BVB-Propagandaorgan „Borussia live“ in den deutschen Zeitungsläden. Normalerweise lege ich mein Geld sinnvoller an, als daß ich diese Hofberichterstattung auch noch mit 4,50 DM subventioniere. Dieses Mal kam ich jedoch nicht umhin, mir diese „Krone der deutschen Presse“ zu Gemüte zu führen.
„DORTMUNDS MEGA-TEMPEL
Sensationelle Pläne, geheime Details, neue Bilder“
So stand es auf der Titelseite und meine Neugier war geweckt. Ich wollte wissen, was da in der Schaltzentrale der Macht geplant wurde, wollte alle geheimen Details erfahren (an dieser Stelle möchte ich dem Leser die Denkaufgabe aufbürden, inwieweit ein Geheimnis noch als solches bezeichnet werden darf, wenn dieses gezielt in der verein... äh konzerneigenen Zeitschrift veröffentlicht wird) und es interessierte mich schlichtweg, wie der BVB seinem vielbeschworenen Weg des „Kommerz mit Herz“ auch beim erneuten Stadionausbau folgen würde.
Sollte tatsächlich das alte Versprechen des Vorstands eingelöst werden, hinter der Südtribüne einen (Zelt-)Bereich für den harten Kern der Fans zu errichten? Würden Stammtische für die Fans entstehen, an denen man sich vor und nach den Spielen treffen könnte? Sollte gar Ersatz für die altehrwürdige Stadiongaststätte geschaffen werden?
Zugegeben, ich hätte es besser wissen müssen. Derartige Hoffnung zu hegen, gar an Ehrlichkeit im heutigen Profifußball zu glauben, das war im Prinzip mehr als nur fahrlässig und so wurde ich – völlig zurecht – bereits durch die Überschrift des Artikels von den Redakteuren der Zeitschrift wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt:
„Vom Westfalenstadion zum ‚Champions Dome‘:
Wir bauen Euch ein Schloß...“
Schon mit diesen ersten einleitenden Worten waren meine blauäugigen Visionen eines fannahen Stadions, das nach den Interessen und Wünschen der Anhängerschaft erweitert wird, also zerstört. Zelte, Stammtische und Gaststätten wollten mir als Assoziation zu einem Schloß irgendwie rein gar nicht einfallen. Auf der anderen Seite irritierte mich jedoch ebenso das Wort „Champions Dome“. Sollte es am Ende etwa doch nicht um den Ausbau des Westfalenstadions gehen? Wer könnte schon so vermessen sein, nach den drei vergangenen Jahren und dem bisherigen Saisonverlauf – Chancenlosigkeit gegen Leverkusen, Bayern und zweimal gegen Schlacke – den BVB in einem Atemzug mit dem Wort Champion zu nennen?
Hoffnung keimte in mir auf, daß der BVB mit seinem Know-how in Sachen Stadionausbau möglicherweise lediglich einem europäischen Spitzenverein bei dessen Stadionbau behilflich sein wolle, doch leider erwies sich auch dies einmal mehr als Trugschluß.
„Zusammen mit den Verantwortlichen von Borussia Dortmund entstanden Visionen, die das Westfalenstadion pünktlich zur WM 2006 in einen ‚Champions Dome‘ verwandeln sollen. In diesem wird der Fußball zwar keineswegs in den Hintergrund treten, doch die Spiele des BVB werden demnächst Veranstaltungen unter vielen anderen sein.“
Schreckliche Vorstellung: Die Spiele des BVB sind also nur noch eine Veranstaltung unter vielen anderen? Wolle Petry, Pur, Schwimmweltmeisterschaft Rassehunde-Zuchtschau oder Jahresversammlung der Philatelisten-Vereinigung mit dem gleichen Stellenwert wie die Spiele der Borussia? Zur Erinnerung: Auch das Derby am vergangenen Mittwoch war nur eines, „wie jedes andere auch“ – quasi eines unter vielen anderen. Das Ergebnis ist bekannt und es sollte zu denken geben.
Von Kommerz mit Herz möchte ich in diesem Zusammenhang nicht mehr sprechen, eher von Kommerz um jeden Preis. Sämtliche Register werden gezogen, nur um weiteres Geld in die Kassen zu holen – ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf die Fans und deren Gefühle. Für Emotionen ist beim BVB kein Platz mehr und die Aussagen des Architekten Ralf Petersen stehen in dem Bericht sinnbildlich für diese Entwicklung:
„Wir wollen aus dem Fußballstadion eine ‚Entertainment-Halle‘ machen.“
Entertainment statt Fußball, Unterhaltung statt Herzblut, lachen statt leiden? Ist das wirklich die Zukunft des BVB? Verkommt der Fußball auch in Dortmund endgültig zur Nebensache? Zum schmückenden Beiwerk einer perfekt durchgeplanten Show, die einzig die Befriedigung der Spaßgesellschaft zum Ziel hat? Werden die Fans nun endgültig zu reinen Konsumenten dieses Produkts?
Einen kleinen Hoffungsschimmer stellten die weiteren geplanten Einrichtungen dar: In dem Artikel war nämlich von Tiefgaragen, Parkhäusern, einer neuen Geschäftsstelle oder aber einem Internat für Jugend-Fußballer die Rede, die allesamt in den vier Ecken des Westfalenstadions und hinter der Westtribüne entstehen sollen.
All dies sind durchaus sinnvolle Ergänzungen. Wer die Parksituation um das Westfalenstadion herum kennt, kann dies bestätigen. Ebenso ist es durchaus verständlich, daß Jugendzentrum und Geschäftsstelle endlich wieder am Westfalenstadion (oder wird das in Zukunft tatsächlich in „Champions Dome“ umbenannt – zutrauen würde ich den Offiziellen alles) angesiedelt werden sollen, anstatt auf das gesamte Stadtgebiet verteilt zu sein.
Auch das Hochziehen der Spielfläche ist im Hinblick auf den Zustand des Rasens bei häufiger Beanspruchung durchaus positiv zu bewerten. Andere schieben ihrer Rasen raus, wir ziehen ihn hoch, quasi dasselbe in grün.
Doch der Preis, den wir Fans dafür zu zahlen haben, erscheint mir um ein Vielfaches zu hoch. Mit unnachgiebiger Härte versetzt der Artikel meinem Borussenherz einen Stich nach dem anderen:
„Und im Glasturm der Nord-Ost-Ecke soll es demnächst kulturell hoch her gehen. In dem transparenten Gebäude wird ein Klangkörper schweben, in dem ein 600 bis 700 Zuschauer fassendes Theater, die ‚Fußball-Bühne‘ entsteht.“
Zudem ist von weiteren Gastronomieebenen, TV-Studios, Pressezentrum und VIP-Logen die Rede. Ja genau, VIP-Logen (nicht Stammtische, die ja ursprünglich den Fan-Clubs für die Südtribüne in Aussicht gestellt waren!), die von den Herren Meier und Niebaum noch vor nicht allzu langer Zeit vehement verteufelt wurden. So etwas werde es in Dortmund nie geben, hier bleibe alles rustikal, aber gemütlich, hieß es. Woanders baue man VIP-Logen, bei Borussia lediglich Stammtischbereiche. In Anbetracht dieses Berichts jedoch wird man irgendwie an das berühmte Fähnchen im Winde erinnert.
Theater, Kultur, VIP-Logen... ist das alles noch unser BVB? „Hier fragt man nicht nach arm oder reich, wir Fans auf der Tribüne, wir sind alle gleich“ singt Bruno Knust in seinem Lied „Borussia“, das auch immer wieder im Westfalenstadion gespielt wird. Aber läßt sich dies aufrechterhalten in Zeiten, in denen bestimmte Stadionbesucher „very important“ sind? Wofür braucht die Borussia denn ein Theater? Mit dieser Maßnahme werden mit Sicherheit auch nicht die „normalen“ Fans angesprochen, sondern allenfalls eine kleine, elitäre Gesellschaft, zumal diese fixe „Niebaum-Idee“ (kurioserweise mit Ex-Stadionsprecher und Theaterbetreiber Bruno Knust als Betreiber!) schon seit Jahren auf Wiedervorlage liegt! Ich jedenfalls ziehe 90 Minuten spannenden Fußball in schwatzgelb jederzeit einem Theaterstück vor. Wozu brauchen wir Hamlet im Stadion? „Sein oder nicht sein“ entscheidet sich im Fußball einzig und allein auf dem grünen Rasen und nicht in irgendeinem Schauspielhaus. Vom Zustand „der Rest ist Schweigen“ dagegen war man leider schon gegen Wolfsburg nicht allzu weit entfernt.
Den traurigen Höhepunkt der „Champions Dome“-Planungen stellt jedoch der Turm im Südwesten dar:
„In einem Dreier-Block soll [...] ein Nobel Hotel nebst Sky-Floor-Diskothek mit Blick über das Ardeytal entstehen. Das Hotel wird in offener Galeriebauweise über 152 Zimmer verfügen, zudem ist eine Dachterrasse mit Swimmingpool geplant.“
Nobel-Hotel, Edeldisco und Swimmingpool... wofür das alles? Ist es denn zuviel verlangt, den Fußball in den Mittelpunkt des Ganzen zu stellen? Erneut wird nur die reiche Kundschaft bedient: Mit dem Auto bis zum Stadion vorfahren, dort im Parkhaus parken, trockenen Fußes in die Gute Stube gelangen, sich in aller Seelenruhe das Spiel ansehen, danach abends „trocken und satt“ noch ein bißchen in der Disko abzappeln und dann im Luxus-Hotel übernachten... welcher Prozentsatz der BVB-Klientel kann sich diesen Spaß leisten? Befriedigt man dadurch nicht ausschließlich den Drang nach Kommerz und läßt das Herz, nämlich die wahren Fans, „das Kapital des Vereins“ (Orig.-Zitat Niebaum) links liegen?
Bisherige Ausbaustufen haben der Vergrößerung der Stadionkapazität gedient, doch was ist jetzt? Diese Ausbaustufe kommt fast ausschließlich den Sponsoren und „Edelfans“ zu gute. Schöne neue Borussenwelt?
„In der neuen 70.000 Zuschauer fassenden Riesenhalle, damit der größten Europas, soll praktisch alles nur Erdenkliche möglich sein.“
Der Dortmunder Größenwahn greift einmal mehr um sich. Nicht „höher, schneller, weiter“, wie sonst im Sport zu vermuten, sondern „größer, teurer, protziger“ muß alles sein. Schon die Südtribüne wurde zur „größten Stehplatztribüne Europas“ ausgebaut, jetzt folgt eben die größte Halle Europas.
Die BVB-Verantwortlichen werfen mit Superlativen um sich, nur auf dem Rasen will es nicht so richtig funktionieren. Lieber würde ich großartige Stürmer, überragende Spielmacher und unüberwindbare Verteidiger im schwatzgelben Trikot bewundern, als die Gewißheit zu haben, in der größten Halle Europas zu stehen.
So aber erscheint es nicht nur mir immer häufiger, als würde man beim BVB an allen Fronten gleichzeitig kämpfen, den Fußball dabei aber völlig aus den Augen verlieren. Die Mannschaft zeigt allwöchentlich eklatante Schwächen im Angriffsbereich, doch statt im Sturm zu investieren, wird ein Turm gebaut.
Hansen: „Hier können Sinfoniekonzerte, Schwimm-Meisterschaften, Indoor-Surfing, Eislaufrevuen, Motocross-Rennen, Reitmeisterschaften ... einfach alles stattfinden.“
Und wieder wird der Fußball mit nicht einer einzigen Silbe erwähnt. Wen bitte schön interessieren denn Indoor-Surfing, Motocross-Rennen oder Reitmeisterschaften? Die schönste Sinfonie im Westfalenstadion ist und bleibt für mich immer noch der Torjubel und schwimmen soll, wenn es nach mir geht, dort allenfalls die Abwehr des Gegners.
„In dieser Halle soll viel mehr möglich sein, als zum Beispiel im neuen Stadion der Schlacker, in der Arena Oberhausen oder der Köln Arena“
Und genau hier liegt ein weiterer Kritikpunkt. In Nordrhein-Westfalen existiert mit den oben genannten Einrichtungen und einigen weiteren (man denke nur einmal an die benachbarte, konkurrierende Westfalenhalle) bereits jetzt ein enorm hohes Angebot an Veranstaltungsorten – vermutlich herrscht mittlerweile sogar ein Überangebot an diesen Multifunktionshallen. Und genau in dieses „Haifischbecken“ will jetzt auch noch der BVB eindringen und die Konkurrenz noch einmal verstärken.
Da braucht man keine Betriebswirtschaft studiert zu haben, um zu realisieren, daß einige Hallen in diesem Verdrängungswettbewerb auf der Strecke bleiben werden. Zwar wäre man im Besitz der „größten Halle Europas“, aber die Veranstaltungen, die eine Kapazität von über 50.000 Plätzen erfordern, sind äußerst dünn gesät. Superstars wie Michael Jackson oder die Rolling Stones geben sich schließlich nicht jeden Monat ein Stelldichein in Deutschland und für Indoor-Surfing oder Eislaufrevuen erscheint mir das Ganze ein klein wenig überdimensioniert.
Vielmehr erscheinen mir diese Planungen wie eine „Revanche am FC Meineid“. Kaum wird dort eine Arena fertiggestellt, die vermeintlich schöner und moderner ist als das Westfalenstadion, schon holen die BVB-Offiziellen Pläne aus der Schublade, um ihr eigenes Stadion wieder an diesen Standard anzugleichen oder ihn gar zu übertreffen. Ein Vergleich mit dem Wettrüsten während des Kalten Krieges erscheint mir an dieser Stelle äußerst treffend: Größer, teurer, protziger muß das neue Stadion werden (siehe auch die Bezeichnung als „Champions Dome“) und da müssen natürlich auch unbedingt mehr Superlative her als beim alten „Klassenfeind“ aus Herne-West.
Nein, der BVB hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur immer mehr von der Basis entfernt. Vielmehr droht er sich mit dieser Ausbaustufe endgültig von den Fans loszusagen. Aktionäre, Teilhaber und Anteilseigner bestimmen die Politik im Verein – nicht direkt, aber versteckt.
„Die da oben“ müssen endlich lernen, daß WIR der Verein sind und es unsere Interessen sind, die es zu verfolgen gilt. Denn ohne Fans kein Merchandising, ohne Fans kein Geld für Übertragungsrechte, ohne Fans kein Sponsoreninteresse, ohne Fans keine Eintrittsgelder, ohne Fans kein BVB.
Denn WIR sind der BVB – Immer noch !
geschrieben von Stadionhase, 03.12.2000