Das hässliche Entlein
Genau 349 Tage ist es her, dass uns Robert Lewandowski dank einer historischen Weltklasse-Leistung quasi im Alleingang ins Endspiel der Champions League 2013 schoss. Der Pole erzielte im Halbfinal-Hinspiel im heimischen Westfalenstadion vier Tore gegen Real Madrid und ließ das blütenweiße Schwanenballett rund um Ober-Entenvogel Christiano Ronaldo mit hängenden Köpfen auf dem Platz zurück. Warum mir gerade jetzt wieder einfällt, dass Schwäne (wissenschaftlicher Name: Cygnini) eitle Einzelgänger sind und ihr Revier bis in den Tod verteidigen, wenn ein anderer Schwan ihr Territorium verletzt... komisch.Die Stimmung auf der Tribüne an diesem 24. April 2013 war unbeschreiblich. Gekommen mit der Hoffnung, vielleicht einen Punkt zu Hause zu erreichen und schließlich im Rückspiel vielleicht ein, zwei wichtige Auswärtstore zu schießen, stand das Stadion Kopf. Vier Tore gegen Real Madrid! VIER! REAL! Es hätte nicht viel gefehlt und betrunken vor Glückseligkeit hätte das ganze Stadion "Einer geht noch, einer geht noch rein" angestimmt. Gegen REAL MADRID!
Mit welchem Gefühl sollen wir also morgen in unseren Tempel fahren? "Tschüss, Champions League Halbfinale. Schön wär's gewesen. Aber hey, war doch wieder eine tolle internationale Vorstellung", klingt es mir seit Tagen von rechts und links in den Ohren. Ob man denn überhaupt noch zum Spiel fahren soll? Was soll man denn erwarten? Und Real habe man ja schließlich schon oft genug spielen sehen. Und wenn es dann auch noch regnet... och nööö. Ich geh' auf's Sofa. Klar, mit dieser Einstellung kann man direkt zu Hause bleiben. Und wenn wir mal realistisch sind, ist ein Weiterkommen gegen die Königlichen so wahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass Papst Franziskus Kindergeld bekommt. Zumal sich Real Madrid schon warm geschossen hat. Die Königlichen gewannen ohne Christiano Ronaldo 4:0 in San Sebastián. Und dass wir im Bundesliga-Heimspiel gegen Wolfsburg gewonnen haben, lässt ja bekanntlich nichts gutes für die Champions League erahnen.
Ich muss zugeben, ich bin kein Hans-guck-in-die-Luft, kein Träumer, ich bin Realist. Aber nicht beim Fußball und erst recht nicht im Viertelfinalrückspiel. Ich will an ein Märchen glauben. Und ich stelle es mir ungefähr so vor wie in dem Märchen "Das hässliche Entlein" von Hans Christian Andersen:
- "Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln!", sagte das plumpe, schwarze, hässliche Entlein. Von seiner Familie war das kleine Entlein verstoßen worden. Denn es war nicht süß und flauschig wie seine Geschwister und die anderen Enten ärgerten das Entlein unermüdlich. Doch das Entlein hatte furchtbare Angst vor den großen majestätischen Vögeln. "Und sie werden mich totschlagen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage", schnatterte es.
Schon bei einer früheren Begegnung mit den weißen Vögeln war es hart attackiert worden. Das Entlein wusste sich im Teich der weißen Vögel nicht zu verteidigen, machte viele Fehler in der Deckung und musste drei harte Schnabelschläge einstecken. Selber konnte das Entlein nicht austeilen und das, obwohl die Abwehr der weißen Vögel auch nicht immer zu hundert Prozent stand. Doch das Entlein konnte seine Chancen nicht nutzen.
Aber ohne Furcht flog das Entlein nun hinaus in das heimische Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen. Diese erblickten es und schossen mit gesträubtem Gefieder auf das Entlein los. Besonders ein Schwan tat sich dabei hervor. Er schwang immer wieder seine Schwingen, plusterte sich auf und versuchte alle Blicke auf sich zu lenken. "Seht her, ich bin der Schönste, ich fahre den Sieg gegen das hässliche Entlein alleine ein", schien er zu schnattern, während er eitel den Kopf hin und her drehte. "Tötet mich nur!" sagte das arme Entlein, neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, es war kein plumper, schwarzer Vogel mehr, häßlich und garstig, sondern selbst ein Schwan. Das hässliche Entlein war auf einmal voller Selbstvertrauen, reckte den Kopf in die Höhe, streckte die Brust heraus. Es erinnerte sich an alte Zeiten, die geprägt waren von Leichtigkeit und Freude, Witz und Erfolgen. Was hatte es denn gegen diese königlichen Vögel zu verlieren? Nun erkannte es erst recht seine Chance, denn sonst glaubte niemand an das kleine Entlein.
Rund um das Gewässer hatten sich viele Leute versammelt. Sie wollten sehen, ob das hässliche Entlein es diesmal mit den weißen Vögeln aufnehmen konnte. Und wirklich gelang es dem Entlein, die Deckung der königlichen Schwäne zu durchbrechen und ihnen mit dem Schnabel viermal schmerzhafte Bisse zu verpassen. Die königlichen Vögel schnatterten wild durcheinander, strampelten kopflos durch das Wasser. Wie konnte das sein? Was war mit dem hässlichen Entlein seit dem letzten Aufeinandertreffen geschehen? Sie hatten dem nichts entgegenzusetzen. Und die Menschen jubelten, als sie sahen, welche Verwandlung das Entlein seit der letzten Begegnung durchlaufen hatte. Und sie klatschten mit den Händen und tanzten umher und sie sagten alle: "Jetzt ist das Entlein der Schönste: So jung und so prächtig!"
Und die alten Schwäne verneigten sich vor ihm. -
Ich glaube an Märchen.
Leonie, 07.04.2014
Und hier nochmal zur Erinnerung daran wie es im letzten Jahr war: