Die falsche Toleranzdebatte
Toleranz – ein momentan vielfach, häufig auch falsch benutztes Wort. Für die ARD ist Toleranz derzeit sogar das Leitmotto einer Themenwoche. Und natürlich macht dieses Thema auch nicht vor dem Fußball halt. Rassismus, Homophobie, Sexismus. Niemand würde ernsthaft leugnen, dass das reale Probleme in deutschen Fußballstadien sind, gegen die man vorgehen muss. Was dabei aber völlig unter den Tisch fällt ist eins: Es wird bereits etwas getan. In fast allen Vereinen engagiert sich mittlerweile eine große Zahl von Fans, um in ihren Kurven für ein Klima frei von menschenverachtenden Inhalten zu arbeiten.
Das Interesse, dieses Themenfeld mit positiven Inhalten zu besetzen, scheint allerdings gering. Dabei gibt es mehr als genug Ansatzpunkte. Wenn man auf der einen Seite darüber berichtet, dass in Aachen, in Braunschweig oder in Duisburg die Rechten wieder die Oberhand gewinnen, dann unterschlägt man dabei auf der anderen Seite auch, dass sie noch in den 90ern niemanden von der Tribüne hätten prügeln müssen, weil sich keiner an den Affenlauten gestört hat. Wenn mahnend eingeworfen wird, dass sich immer noch kein homosexueller Fußballer aus Angst vor Fanreaktionen geoutet hat, dann wird völlig übersehen, dass heute keiner mehr auf die Idee käme, den noch vor einigen Jahren völlig gängigen „Ihr seid die Hauptstadt der Schwulen“-Gesang im Kölner Gästeblock anzustimmen.
Niemand will die Situation beschönigen. Den Stammtischrassisten gibt es auf der Tribüne ebenso noch viel zu häufig wie den „Schwuchtel“-Schreier. Aber die Akzeptanz dieser Leute nimmt ab – auch wenn andere, markante Bilder aus den Stadien vielleicht das Gegenteil vermuten lassen. Das ist das Ergebnis der Arbeit vieler Fans, die allerdings kaum beachtet wird und die damit häufig im Regen stehen gelassen werden. Wo sind denn die Leute, die in ihrem redaktionellen Elfenbeinturm mahnend den Zeigefinger heben, dass „man“ unbedingt für Toleranz sorgen müsse und von einer gesellschaftlichen Verantwortung schwafeln, während Fans wirklich das „man“ auf sich beziehen und aktiv werden?
Sie sind mit ihren Kamerateams vor Ort in Hannover, wenn ein Gemisch aus Hools und Nazis unter dem Label „HoGeSa“ aufläuft und Randalebilder verspricht. HoGeSa – dieses Suchwort liefert bei Google 1.120.000 Treffer. Auf der ersten Seite findet man Links zu Medien wie der Zeit, der Welt oder den NDR. Das Suchwort "Julius-Hirsch-Preis" liefert dagegen im Vergleich fast eine Million Treffer weniger. Die Links zu den Seiten von Spiegel-Online, der TZ und dem Tagesspiegel, die die diesjährige Preisverleihung erwähnen, zielen auf teilweise nicht einmal mit eigenen Inhalten aufgearbeitete Meldungen von der dpa und dem sid. Wenn sogar der DFB das Engagement der Münchener Ultragruppierung Schickeria honorieren kann, warum wird diese Preisverleihung dann von den Leitmedien nahezu ignoriert? Sie präsentieren hochauflösende Großaufnahmen, wenn im Block ein Bengalo brennt und ignorieren Transparente gegen Nazis und gegen Homophobie. Ist das der Weg zur häufig propagierten Toleranz? Den Vorwurf müssen sich auch Politik und Polizei gefallen lassen, die nicht müde werden zu betonen, dass „der Fan“ oder generell „der Bürger“ sich von solchen Leuten deutlich distanzieren müsse, weil man nur so das Problem lösen könne. Und die genau dann dem Bürger die Unterstützung versagen, wenn er es tut. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn der Mut fehlt, sich einem Gegner entgegen zu stellen, zu dem augenscheinlich auch der Staat und seine Organe ängstliche Distanz wahren.
Was für einen Sinn hat es, sich einerseits für mehr Toleranz auszusprechen und andererseits all diejenigen, die sich menschenverachtend verhalten oder auch nur äußern, zu einem beinahe übermächtigen Gegner zu stilisieren? Nur um dann anschließend wieder zu erklären, dass doch irgendjemand gegen diesen Gegner bitte zu Felde ziehen möge. Wäre es nicht viel zielführender, den Fokus auf die positiven Ansätze zu lenken und die Leute auf einen Schild zu heben, die sich bereits jetzt gegen diese Gegner positionieren? Sie zu stärken und zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, andere auf ihre Projekte aufmerksam zu machen und zur Teilnahme zu animieren. Letztendlich heißt das allerdings auch, sich aus der eigenen, bequemen Ecke des Empörten aufzuraffen und selber aktiv zu werden. Wer dazu allerdings nicht bereit ist, dem steht auch die Rolle des Mahners nicht zu.
Es ist beileibe nicht alles gut, aber vieles bereits besser. Weil sich Leute einsetzen und voran gehen. Folgen wir ihnen doch einfach.