Borussia in den USA: Warum nur, warum?
Die amerikanische Liebesbeziehung mit dem „round football“ hat schwindelerregende Höhen erreicht. Die Weltmeisterschaft hat die Augen geöffnet, dass die Welt des Fußballs mehr als nur England oder die MLS zu bieten hat. Ich werde öfter auf meine BVB-Trikots, T-Shirts und Berichte angesprochen, als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der vergangenen vier Jahre. Dabei geht es nicht unbedingt um Experten-Wissen, sondern meistens um Dinge wie „Warum habt ihr Lewandowski verkauft?“ oder „Wie kann man nur Götze ziehen lassen?“. Dann werden mir die immer gleichen Fragen gestellt: „Wie verfolgst du die Bundesliga, ohne Deutsch zu können?“ und, mit Abstand am häufigsten, „Warum Dortmund?“
Deutschland – und vor allem die Bundesliga – ist für Amerikaner nicht leicht zu verstehen. Abgesehen von Oktoberfest, Austauschschülern, Veteranen/US Army Verbindungen und dem kulturellen Bindeglied David Hasselhoff hat der amerikanische Mainstream nur wenig Zugang zur deutschen Kultur – auch wenn vielleicht hinzu kommt, dass Fußball nach Umsatz der Liga und TV-Marktanteilen an fünfter Stelle der beliebtesten Sportarten steht. Also setze ich mich mit der Frage auseinander, die sich hinter dem Status Quo verbirgt, und möchte sie nachvollziehbar wie verständlich beantworten: „Jetzt mal ganz im Ernst – warum?!“
Gewiss: Ich war verwundbar. Ich habe als Kind Fußball gespielt – und das sogar ziemlich gut. Leider gab es in den USA keine Ligen, die über die Altersklasse von 12 Jahren hinausgingen, und ich zog weiter zum Basketball. Auf die Gefahr hin, dass ich mich anhöre wie ein abgehalftertes Talent vergangener Tage (wie etwa Marlon Brando in „Die Faust im Nacken“: „Du verstehst das nicht! Ich hätte was werden können, zumindest ein klasse Boxer. Und was bin ich geworden? Ein gemeiner Lump!“): Fußball war in den USA weder beliebt noch einfach, als ich jung war. Unsere größte Leistung war es Gastgeber einer Weltmeisterschaft zu sein und diese in grässlichen Trikots im Jeans-Imitat zu spielen. Der Sieg über Kolumbien 1994 wiegt heute viel schwerer als damals, da niemand (mich eingeschlossen) wirklich verstehen konnte, wie unglaublich er eigentlich gewesen war. Obwohl es für mich also keinen Anlass gab irgendeinem Verein anzuhängen, verfolgte ich den Sport weiter regelmäßig (wenn auch nicht exzessiv) und interessierte mich für die Spiele (wann immer ich sie sehen konnte).
Gewiss: Amerikanischer Profisport ist eine entzauberte, traurige Welt. Als ich ein Kind war, zog unser Eishockeyteam aus Minnesota (wahrscheinlich DIE Hockey-Region der USA) nach Texas. Es gab keinen Schnee in Texas. Es gab nicht einmal Feld-Hockey in Texas. Es ergab schlichtweg KEINEN SINN! Ich habe erlebt, wie Milliardäre regional verwurzelte Teams mit apathischem Desinteresse in den Ruin getrieben und Kommunen später zu horrenden Investitionen in Stadien und Arenen gezwungen haben, nur um sämtliche Einnahmen für die Clubs einzubehalten. Ich musste einem Mann vertrauen, der einen Haufen erwachsener Söldner beschäftigte, sich aber keinen Rattenarsch für mich oder meine Leidenschaft interessierte, wenn es nicht gerade ums BEZAHLEN oder EINKAUFEN ging.
Die Frage nach dem Wo?
Mein Leben hat mich ins Ruhrgebiet geführt und für einen Ausländer habe ich die Gegend rund um Rhein und Ruhr erstaunlich oft besucht. Weder habe ich familiäre Bindungen in die Region, noch lag meine erste Erfahrung darin mich als undankbares College-Kid durch Europa zu flirten und die Ersparnisse meiner Eltern durchzubringen. Ich war mit meiner Band auf Tour und mein erster Europabesuch führte mich ins Touristenzentrum im malerischen Essen. Es folgten Shows in Düsseldorf, Bochum und Dortmund, ständig auf Durchreise von einer schäbigen Absteige zur nächsten. Als mein Job mich später für einige Wochen nach Dortmund geführt hatte, ich mit den Menschen in Kontakt gekommen war und regnerische Dienstage oder Samstage hier verbracht hatte, gab es dann keinen Weg mehr zurück.
Die Frage nach dem Wer?
Die Eigentümerstruktur in Deutschland ist beispiellos. Deutschland stemmt sich gegen milliardenschwere Playboys und Konzerne aus dem In- und Ausland, die in überwältigender Manier in die Märkte drängen und sich Teams als Spielzeuge halten. Gerade als Amerikaner verabscheue ich diese Eingriffe in den Sport und liebe es, wie hartnäckig sich die deutsche Fanbasis diesen Entwicklungen im eigenen Land entgegenstellt. Zugegeben, deutsche Clubs weisen unterschiedliche Niveaus unternehmerischer Beteiligung auf, haben wie Borussia Dortmund frei handelbare Aktien emittiert und können sich dem Milliardengeschäft nicht vollständig entziehen, wenn sie wirtschaftlich überleben wollen. Doch die 50+1-Regel ist in meinen Augen das beste Beispiel für alles, was in der Bundesliga richtig läuft. Jeder Amerikaner, dem ich von ihr erzähle (diesbezüglich bin ich eine Art Hobby-Evangelist der Bundesliga), findet sie sinnvoll, richtig und gut. Denn niemand in den USA mag blutleere Typen wie Frank McCourt, Donald Sterling oder Jerry Jones (Google!), wenn man einmal absieht vom großen Boulevard-Tam-Tam, das ihnen regelmäßig folgt.
Andererseits ist auch die Verbindung zwischen Gazprom und Sch**ke nicht ganz unproblematisch und wissen wir um RasenBallsport Leipzig und den Hoffenheimer Boom aus dem Nirgendwo. Lassen wir diese randständigen Fälle beiseite, gibt es aber eine Regel, die externe Einflüsse begrenzt und Leute wie Vincent Tan, Roman Abramovich oder die Glazer-Familie davon abhält in einen Verein einzusteigen, dessen Geschichte umzukrempeln und das Herz einer Stadt und ihrer Kultur wie Panini-Aufkleber oder ein entbehrlich gewordenes Videospiel zu behandeln. Vor diesem Hintergrund empfinde ich RasenBullshit Leipzig als Schlag ins Gesicht – auch wenn ich nicht in Deutschland aufgewachsen bin, widerspricht das dortige Vorgehen all jenem, was mich am deutschen Modell so begeistert. Denn näher wird man einer demokratischen Kontrolle der Geschäftsbeziehungen von Milliardären nicht kommen – und es ist beruhigend, dass wenigstens dieser Umstand noch verteidigt werden kann.
Der immaterielle und spürbare Einfluss einer Vereinsmitgliedschaft verstärkt mein Interesse um ein Vielfaches. Jeder Fan kann mit Recht von seinem Team sprechen! Denn obwohl es nicht gerade nahe liegt Profisport als eine Quelle individuellen (und, im weiteren Sinne, gesellschaftlichen) Stolzes zu sehen, ist es in Deutschland möglich geblieben, Pronomen wie „wir“ oder „uns“ in Bezug auf ein Team zu verwenden, ohne sich gleich wie ein Verlierer anzuhören. Klar, es gibt ausreichend viele Marketingabteilungen und Menschen, die mir mit aller Kraft so viel Geld wie möglich aus der Tasche ziehen wollen. Aber ich weiß, dass diese Ausgaben mehr bewirken, als es in Amerika jemals der Fall sein könnte. Weil eben kein ausländischer Öl-Milliardär ankommen, mein Team kaufen und seine Farben in ein „glücksbringendes hellgrün“ ändern kann.
Die Frage nach dem Was?
Deutscher Sport ist in den USA nicht gerade bekannt, ihn zu verfolgen kostet einiges an Anstrengung und man muss sich hineinbeißen. Während englische und spanische Medien leicht zugänglich sind und bei Bedarf auch übersetzt werden, ist das bei deutschen Medien einfach nicht der Fall. Ohne das Internet wäre ich angesichts der Entfernung aufgeschmissen, aber damit muss ich eben klarkommen.
Es ist wie in meiner Kindheit, als ich die Underground-Musik für mich entdeckt hatte. Ich war darauf angewiesen Platten bei Versandhäusern zu bestellen und mit einigem Aufwand die Musik zu finden, die mir gefiel. Ich hatte noch Glück, weil der beste Plattenladen für Independent Music (klar: ehrenamtlich und nicht-gewinnorientiert) gerade einmal 20 Kilometer von meinem Elternhaus entfernt lag. Aber wenn ich etwas entdeckt hatte, was mir aus tiefster Überzeugung wichtig und in meiner Umgebung kaum verbreitet war, fühlte es sich besonders und einzigartig an. Einzigartig nicht im Hipster-Sinn „Ich bin so cool, weil mir gefällt was dir nicht gefällt und ich will, dass es so bleibt“, sondern dass ich allen meinen Freunden davon erzählen wollte: „Ich hab da was gefunden, was dir den Verstand rauben wird! So einzigartig, dass es das wohl nie wieder geben wird. Zieh dir das mal rein!“
Trotz des wachsenden Fußballinteresses in den USA ist es heute noch genauso anstrengend wie damals, wenn man sich konkret für Borussia Dortmund oder die Bundesliga im Allgemeinen (inklusive des FC Bayern) interessiert. Es fällt nicht gerade leicht das einem Deutschen verständlich zu machen, der überall von diesem Sport umgeben ist, die Geschichte der deutschen Ligen in- und auswendig kennt, die Entwicklungen aus dem Amateurbereich verfolgt, den Aufstieg und Fall einstmals großer Vereine begleitet und mithin die Heldengeschichten früherer Tage wie ein Schwamm in sich aufgesogen hat. Als Amerikaner zieht mich diese Geschichte aber geradezu an. Sie hat mit Blick auf die Green Bay Packers, das einzige Team im US-Profisport in Fanbesitz, und das Milliardengeschäft um die NCAA mit dem Amateurstatus der College-Sportler nichts an Bedeutung und Aktualität verloren.
Die Frage nach dem Warum und Wie?
Je mehr Zeit ich in Dortmund verbracht hatte, desto wohler fühlte ich mich dort. Die Stadt wurde mir vertraut, ich verstand die Sprache besser und es fiel mir leichter, mich zurechtzufinden. Bei jedem Besuch lernte ich weitere Dortmunder kennen und über meinen BVB-Bezug begannen sie zu verstehen, dass ich nicht aus kultureller Neugier, aufgrund von Fußballtourismus oder gar als einsamer Geschäftsreisender leidend unter dem Stockholm Syndrom meinen Weg hierher gefunden hatte. Und doch waren sie zunächst verwirrt. „Wie und warum kann ein Amerikaner Dortmund lieben?“ Als sie (und vielleicht auch die Leser dieser Zeilen) dann erfahren hatten, dass mein Wecker samstags um 6:30 Uhr klingelte, um nur ja kein Spiel zu verpassen, ich meinen Kindern das Frühstück in der Halbzeitpause zubereitete und mein Leben im Wesentlichen um den Spielplan herum plante, akzeptierten und behandelten sie mich wie einen von ihnen.
Zugegeben, ich war einer von ihnen, der kein verdammtes Wort deutsch sprechen konnte, aber das hatte ich ja durchaus mit einigen Spielern gemeinsam. Und so wuchs meine Begeisterung immer weiter über die aufrichtige Gastfreundschaft und die Einladungen, die ich eigentlich nicht verdient hatte, aber doch sehr zu schätzen wusste. Ich ging zu den Spielen und saß weit entfernt vom ganzen Wahnsinn, stand, sang und schrie inmitten einer Bierdusche auf der Südtribüne und hätte mich auch in die letzte Ecke des Stadions gestellt, glücklich, ein Bier anstelle eines Kaffees zum Spiel trinken zu können. In meiner skurrilen Leidenschaft wurde ich mit offenen Armen aufgenommen und es war immer gut zu wissen, 15.000 Kilometer von zuhause entfernt nicht allein sein zu müssen.
Zu guter Letzt: Die Frage nach dem Wann?
Meine regelmäßigen Besuche begannen 2010, die richtige Leidenschaft folgte 2011. Ich hätte jederzeit in Hamburg, Stuttgart, Bochum, München oder einer anderen Stadt mit ihrem Team landen können, doch brachte mich meine Arbeit just in dem Moment nach Dortmund, als die junge Mannschaft mit ihrer einzigartigen Spielweise so richtig durchstartete. Die Saison 2010/2011 überraschte die wenigen Leute, die ich kannte, und ich konnte es damals nicht in der gleichen Weise verstehen, wie es später der Fall war. Die Mannschaft, über die ich nur wenig wusste und zu der es einen persönlichen Bezug erst noch zu entwickeln galt, hatte mal eben die Meisterschaft gewonnen – das erschien mir ein bisschen zu einfach zu sein. Doch wenn man das ganze Drumherum hinzunahm, wirkte das auf mich wie ein Magnet. Heute, fast fünf Jahre später, freue ich mich wie ein kleines Kind auf den kommenden April, wenn ich meinen Töchtern und meiner Frau bei ihrem ersten Spiel im Westfalenstadion endlich zeigen kann, wovon ihr Vater immer redet.
Und das, liebe Freunde, ist die Kurzfassung, warum ich hier bin. Ihr könnt das nun ein bisschen besser verstehen – und wie der große Philosoph GI Joe bereits zu sagen pflegte: „Wissen ist die halbe Schlacht!“. In diesem Sinn: Danke fürs Lesen!
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Der Text erscheint zeitgleich in englischer Sprache auf www.schwatzgelb.com.
Karl (schwatzgelb.com) und
ssc (deutsche Übersetzung), 9.10.2014