Widerstand in der Brausestadt
„Wir befinden uns im Jahre 09 nach Mateschitz. Ganz Salzburg ist von den Bullen besetzt. Ganz Salzburg? Nein! Ein von unbeugsamen Violen bevölkerter Dorfplatz hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“
So oder so ähnlich könnte die Geschichte von Austria Salzburg klingen, wenn man sie aus der Ferne erzählt. Doch diese unsägliche Länderspielpause sollte sinnvoll genutzt werden und so fuhren wir nach Salzburg, um die romantische Geschichte in Echt zu sehen. Und - so viel sei vorweggenommen - ganz so romantisch ist sie nicht…
Wenn man nach Salzburg hineinfährt, so kommt man gleich zu Beginn kaum umhin, Feindesland zu betreten. Das Stadion des Getränkeherstellers ist von der Autobahn aus gut sichtbar und glänzt mit einer hübschen Holzvertäfelung und einem grässlichen Wellblechdach. Die Autobahnausfahrt dagegen gibt ein bescheidenes „Stadion“ wieder - kein Wort zu wenig. In der Stadt angekommen fallen einem zwei Dinge ins Auge. Einerseits, dass Fußball sozusagen inexistent ist in Salzburg und andererseits, dass die Brause das hundertfach kompensiert.
Salzburg ist eine kulturelle Stadt in einem Land, in dem der Fußball eine eher geringe Rolle spielt. Wie bereits in unserer Serie über die Sicherheit bei Fußballspielen im Ausland (hier nachzulesen) festgestellt, hält sich die Fußballbegeisterung bei unseren Nachbarn in bescheidenen Grenzen. Knapp über 6.000 Zuschauer zählte die Österreichische Bundesliga im letzten Jahr im Schnitt pro Spiel (im Vergleich zu gut 43.000 in Deutschland). So ist es sicherlich nicht den Gummibärchensaftproduzenten anzurechnen, dass in ganz Salzburg kein Trikot, kein Fanartikel, kein Ball zu sehen ist.
Mozart und Brause
Das berühmteste Kind der Stadt, Wolfgang Amadeus Mozart, dominiert die Szenerie und seine leckeren Kugeln sind die einzigen Bälle, die einem begegnen. Selbst in der RB-World, einem riesigen Fanshop mitten auf der wichtigsten Einkaufsstraße, sind auch beim zweiten Blick (und zu einem dritten konnte ich mich einfach nicht mehr durchringen) keine Fußballartikel irgendwelcher Art zu erkennen.
Was einen dagegen fast erschlägt, ist die Brause selbst. Nebst dem bereits erwähnten Fanshop fällt einem beim Öffnen der Minibar im Hotel das gesamte Sortiment entgegen. Die Restaurants werben mit einer gratis Dose zum Mittagssnack. Die Kneipen haben (natürlich angeschriebene) Kühlschränke voll hinter der Bar stehen und Leuchtreklame in den Fenstern, auf die das Rotlichtviertel in Amsterdam stolz wäre. Und bei Burger King läuft 24 Stunden am Tag ein Zusammenschnitt der besten Szenen von Formel 1, Bungeejumping und Spaßrennen (natürlich keines ohne einen Helm oder eine Bande mit den Stieren drauf) – nur kein Fußball.
Abgesehen davon ist Salzburg aber wirklich hübsch! Und so nahmen wir zwangsläufig die kulturelle Seite mit, ehe wir gegen Nachmittag in den Bus der Linie 10 in Richtung Himmelreich (kein Scherz!) stiegen. Gleich hinter der Stigl-Brauerei im Stadtteil Maxglan neben einem Tennisplatz taucht es dann auf, das Stadion. Falls einer von Euch sich jemals gefragt hat, mit welcher Begründung die Bielefelder Verantwortlichen ihr Stadion „Arena“ nennen, wird er sich hierbei sicherlich fragen, ob der Name „Stadion“ nicht etwas übertrieben ist für diesen Dorfplatz mit Tribüne. Doch der Charme, der von der Anlage ausging, lag eigentlich genau darin.
Wir betraten das Vereinsheim gleich daneben. Über einen normalen Hauseingang und eine Tür im Obergeschoss kommt man in einen großen Raum mit einem selbstgemalten Vereinswappen und einer kleinen Bar. Durch die Fensterfront kann man in die Tennishalle hineinschauen (was den Verdacht aufwirft, dass dies früher vermutlich das Vereinsheim vom Tennisclub war) und von der Terrasse aus hat man einen wunderbaren Blick auf das gesamte Stadion. Während des Spiels kostet der Aufenthalt auf der Terrasse ohne gültige Karte daher auch 8€. So verlockend dieses Angebot auch war, wir wollten ins Stadion und das Spiel hautnah verfolgen. Beim Hinausgehen fiel der Blick auf die Pinnwand, in der über den Bau einer zweiten Tribüne informiert wurde (hier auch online zu finden). Vor allem ein Satz fiel auf: „Denn eines ist klar, die Austria ist mit der Finanzierung des laufenden Spielbetriebs schon komplett ausgelastet.“ Mir wurde dabei zum ersten Mal richtig bewusst, dass man es hier wirklich mit einem kleinen Verein zu tun hat, der gerade so über die Runden kommt und nicht mit einem gefallenen Großen. Umso besser, dass wir da waren und diesen Verein unterstützten!
"R*d B*ll bekämpfen immer und überall"
Auf dem Weg zum Stadion kamen wir in eine Art Volksfest hinein. Da war der ältere Herr mit Gitarre und der Fanclub, der „Sturm“ ausschenkte (irgendwas wie gesüßter Wein, nähere Nachfragen ergaben, dass die Konsumenten es wohl selbst nicht genau wussten). Daneben stand ein kleiner Anhänger, in dem der Fanshop untergebracht war. Und da kam dann auch die erste Überraschung des Tages. Die Fanartikel waren sehr professionell und das Sortiment breit. Wir entschieden uns für einen Seidenschal und erlebten gleich die zweite Überraschung. €18 pro Stück ließen uns schon kurz schlucken – und doch, es war für die oben beschriebene gute Sache. Daneben verkauften die Ultras Anti-RB-Shirts zum Ultras-Standard-T-Shirt-Preis von €5, die wir ebenfalls ergatterten. „R*d B*ll bekämpfen immer und überall, Klessheim wird nie mehr unsere Heimat! In Salzburg nur wir!“ prangerte neben der Skyline von Salzburg und dem Austria-Wappen. Genau richtig zum Farbe bekennen und als Souvenir.
So ausgerüstet gingen wir dann ins Stadion. Wir hatten online Tickets gekauft und uns für Sitzplätze entschieden, da wir die genaue Lage vor Ort nicht einschätzen konnten. Kaum waren wir im Stadion, bereuten wir diese Entscheidung und schielten etwas neidisch auf den stets voller werdenden Stehplatzbereich der Tribüne. Gleich daneben, im obersten Teil, befand sich der VIP-Bereich, in dem ein paar Stehtische standen und die Stühle etwas weiter auseinander als im normalen Sitzplatzbereich daneben. Unter dem Dach war das Catering und weil es da noch eine ganze Fläche zum Stehen gab, wurde auch auf dieser Seite der Tribüne teilweise gestanden. Auch der Pressebereich schien hier zu sein, wenn man davon ausgeht, dass die zwei jüngeren Herren mit Laptop fürs Klubmagazin schrieben.
Wir hatten Plätze im oberen 280er Bereich und stellten mit Verwunderung fest, dass die Sitze nur bis 220 gingen. Bis zum Schluss konnten wir nicht feststellen, wo wir eigentlich hätten sitzen sollen, begaben uns dann aber in die erste Reihe und folgten dem Geschehen. Das Spiel selbst bewegte sich eher auf Oberliga/Landesliga-Niveau. Dennoch war es ein schönes Spiel, was nicht zuletzt daran lag, dass eine ganze Menge Tore fielen. Konnte der Gegner (Seekirchen) am Anfang noch zweimal die Führung der Austria ausgleichen, war das 3:2 kurz vor der Pause dann eins zu viel. Wobei die eine Flanke vor dem 3:2 für Austria definitiv bundesligatauglich war! In der zweiten Halbzeit zeigte Austria dann ihre Überlegenheit und erhöhte noch auf 5:2. Damit waren sie auch im achten Spiel als Sieger vom Platz gegangen und wurden von den 1.150 Zuschauern – wir eingeschlossen – frenetisch verabschiedet, ehe sie sich am Spielfeldrand noch mit Fans und Familie über das Spiel unterhielten, bis der Trainer zur Mannschaftsbesprechung rief. Die Ultras waren dabei das ganze Spiel über aktiv gewesen und hatten mit Dauergesängen, vielen Fahnen und gelegentlichen Bengalos für ordentlich Stimmung gesorgt. Und wenn die zwei Vorsänger gerade Pause machten, dann begab sich der Gitarrist vom Vorplatz auf den Spielertunnel neben den Holzstuhl vom Kameramann und sorgte dafür, dass die Stimmung auch bestimmt nicht einschlief.
Es gab allerdings bei dem Ganzen auch einige seltsame Dinge zu beobachten. Da war zum Beispiel der etwa zwölfjährige Junge mit der SV Wüstenrot Salzburg Fahne. Oder der Mittvierziger vom Fanclub, der beim „Sturm“ ausschenken ein SV Casino Salzburg Trikot trug. Dann war da der Mann, der einem anderen erzählte, dass er Dauerkarten (Mehrzahl!) von RB geschenkt bekäme (ob er auch hinging, sagte er nicht). Und da war der alteingesessene Fan im Vereinsheim, der bereits in den 90ern Austria im Stadion angefeuert hatte und uns erzählte, er wäre international für RB, weil man ja schließlich den Österreichern die Daumen drücken müsste. Ich will damit nicht sagen, dass das eine repräsentative Auswahl war oder dass bei Austria Salzburg alle – oder auch nur eine Mehrheit – so denken. Aber für mich war es eine seltsame Erfahrung, feststellen zu müssen, dass die Leute, denen die Dosen ihren gesamten Verein genommen haben, sie weniger zu hassen schienen als ich selbst. Doch mein Hintergrund ist ein anderer als ihrer.
Übernahme von Vereinsnamen durch Unternehmen völlig normal
In Österreich ist die Übernahme von Vereinsnamen durch Unternehmen völlig normal. In der Österreichischen Bundesliga sind momentan gerade mal drei der zehn Vereine ohne Sponsornamen im Vereinsnamen. Etwas, was für uns also völlig abstoßend ist, ist für die Österreicher schlichtweg normal und dazu auch schon seit Jahrzehnten so. Und wenn der Verein in den 90ern unter dem Namen Casino Salzburg große Erfolge gefeiert hat, dann trägt man logischerweise auch noch immer so ein Trikot. Dass die Übernahme durch RB ohne diese Vorgängerinvestoren nicht möglich gewesen wäre, scheint hier kaum einer zu glauben oder kaum einen zu stören.
Nebst der für mich seltsam gefassten Weise, mit der viele Leute mit dem Kunstprodukt des Brauseherstellers und dessen unfreiwilligen Vorgängern umgingen, ist es aber auch die ausgeprägte Kapitalisierung des Vereins, die im Kontext des von Fans wiederbelebten Traditionsvereins etwas seltsam erscheint. Austria Salzburg ist darin aber einfach nur das beste Beispiel für die Entwicklung des heutigen Fußballs. Gegründet von Fans als Gegenentwurf zu einem Konsumprodukt, als Gegenpol zum gehassten alten Verein, der Tradition und Vergangenheit, Farben und Namen abgeworfen hat, steht Austria in allem für Tradition. „1933“ prangt in großer Schrift im Vereinsheim – das Jahr der Gründung, das der alte Verein nicht mehr wollte. Man hat die Tradition übertragen, mitgenommen, man wird aufgrund der Geschichte zwangsläufig als der Gegenentwurf zum modernen Fußball betrachtet. Ob Austria Salzburg das allerdings ist, sein kann – und ob sie es überhaupt sein wollen – ist nicht ganz so deutlich.
Der Verein hat kaum Geld, kann nach eigenen Angaben gerade so den Spielbetrieb aufrecht erhalten und braucht deswegen so viel (finanzielle) Unterstützung, wie er bekommen kann. Das bedeutet auch, dass das Stadion einen Sponsornamen trägt (MyPhone-Austria Stadion) und dass die Fanartikel und im Verhältnis auch die Tickets nicht billig sind (€ 13.80 für einen Sitzplatz, € 11.60 für einen Stehplatz auf der Tribüne, € 8.20 für einen Stehplatz am Spielfeldrand in der dritthöchsten Österreichischen Spielklasse).
Die Fans müssen schauen, dass sie die 500.000 € für eine zweite Tribüne zusammen bekommen (gut ein Viertel davon haben sie bisher geschafft!), die der Verein nicht finanzieren kann, aber bei einem allfälligen Aufstieg haben muss, weil er sonst die Auflagen der Liga nicht erfüllt. (Dieses Jahr ist Austria in der Relegation gescheitert.)
Verkaufte Seele
Und so scheint Austria Salzburg auf einer ewigen Gratwanderung zwischen Tradition und Kapitalismus, zwischen Existenzangst und verkaufter Seele. Ich will ihnen keinen Vorwurf machen deswegen, sie haben keine Wahl.
Auch wenn dieser Besuch mich meine rosarote Brille gekostet hat, so war er trotzdem die weite Reise wert. Das Erlebnis war einmalig, die Leute sehr gastfreundlich und nett und es bleibt eine gute Sache, auch wenn sie mit allem, was man verkaufen kann, finanziert werden muss. Denn das, wofür Austria Salzburg steht, ist eben nicht verkäuflich.
All Cans Are Bastards!
Nadja, 11.09.2014