Gute Nachrichten sind keine Nachrichten
Pünktlich zum Saisonstart in der Bundesliga ist die Diskussion über Polizeieinsätze bei Fußballspielen voll entbrannt: NRW-Innenminister Ralf Jäger kündigte an, abseits sogenannter Risikospiele testweise weniger Uniformierte zu entsenden als üblich, in Bremen wurden Modelle zur Kostenübernahme der Polizeieinsätze durch die Vereine beschlossen, und in Dortmund gab die Polizei eine erfreuliche Presseerklärung heraus, wonach die Straftaten im Zusammenhang mit Fußballspielen zwar in den letzten Jahren deutlich gesunken seien (555 statt 747), man aber immer noch viele Einsatzstunden zu verzeichnen habe. Oder um es mit den Worten der Ruhr Nachrichten zu sagen, die diese Presseerklärung zwar nur mehr oder weniger abschrieb, aber dennoch eine griffige Zusammenfassung brauchte: "Der BVB macht der Polizei genug Arbeit, um 64 Beamte ein ganzes Jahr zu beschäftigen".
Während man versucht, diese Zahlen einzuordnen (wofür man bei den Ruhr Nachrichten leider keine Zeit mehr hatte), geht man im Kopf unweigerlich wieder die ganzen kleinen und großen Schweinereien durch, die man als unbescholtener Bürger bereits erleben durfte, und das nicht nur in Dortmund: Gezogene Schlagstöcke, die die freundliche Ansprache ersetzen. Uniformierte Trupps, die einem ihre Beine in den Rücken rammen, weil man zufällig am falschen Ort steht. Polizeiketten vom Bahnhof zum Stadion, die einem nicht gestatten, Freunde zu treffen, etwas essen zu gehen oder einfach nur eine Toilette aufzusuchen. Oder eben griffig: Der BVB bzw. man selbst macht der Polizei die Arbeit.
Das Wissen um diese Erlebnisse lässt nicht nur den Blutdruck ungesunde Höhen erklimmen, es macht auch den angesprochenen Vorschlag nach einer Kostenübernahme durch die Vereine erst richtig perfide: Nicht nur leidet man als normaler Stadiongänger mitunter sowieso schon unter der Polizei, und nun soll man diese Schikanen auch noch doppelt bezahlen? Über die üblichen Steuern tut man das ja sowieso schon, und on top käme dann – am Ende weiß man ja, dass die Vereine zusätzliche Kosten gern komplett an die Stadionbesucher weiterleiten – ein Zuschlag auf den Eintrittspreis. Wundert man sich dann wirklich, wenn solche Überlegungen bei Fußballfans nicht wahnsinnig populär sind?
Sowieso geht die Debatte um Einsatzkosten und ihre Bezahlung an einem entscheidenden Punkt vorbei: Es müsste überhaupt erstmal geklärt werden, was die echten Kosten für Polizeieinsätze bei Fußballspielen eigentlich sind. Bund und Länder besitzen jedenfalls nicht nur deshalb eine Bereitschaftspolizei, weil sonst beim Spiel zwischen Mainz und Augsburg bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen würden, sondern eben auch weil irgendwann der nächste Castor-Transport rollt oder Präsident Obama mal wieder nach Berlin kommt. Diese Kräfte müssen sowieso vorgehalten und bezahlt werden, und ob – salopp gesagt – die Polizisten im Streifenwagen sitzen und Kaffee trinken oder vor dem Stadion stehen und dort Kaffee trinken, macht keinen wesentlichen Unterschied.
Umso erstaunlicher ist, dass kaum Statistiken bekannt sind, die klären, welche wirklichen Kosten Fußballspiele verursachen und was davon man den Vereinen überhaupt in Rechnung stellen könnte. Es würden sich nämlich direkt einige interessante Fragen auftun. Zunächst prinzipiell: Wie viel Polizeischutz darf man kostenlos erwarten, wenn man Steuern bezahlt? Dass Fans und Vereine das tun, ist unstrittig, und dass sie dafür irgendeine Gegenleistung von Seiten des Staates erwarten dürfen, ist es auch. Wo liegt die Grenze?
Und selbst wenn man diese Frage zufriedenstellend beantwortet hat, warten gleich die nächsten: Wer entscheidet überhaupt, wie viel Polizei bei welchem Spiel angemessen ist? Dass der jeweilige Innenminister ohne Rücksprache mit den Vereinen einen Einsatz einer bestimmten Größe anordnet und diesen dann entsprechend in Rechnung stellt, ist kaum vorstellbar. Zudem: Wäre es wirklich sinnvoll, wenn die darüber hinaus abgerufenen Polizeikräfte zu 100% von den Vereinen bzw. den Fans bezahlt würden? Wie oben dargelegt, würde weniger Polizei beim Fußball ja nicht mit einer massiven Reduktion der Stellen bei der Polizei einhergehen, auch wenn man gern mal Rainer Wendt und die anderen Populisten keifen hören möchte, wenn man vorschlagen würde, bei der Polizei doch einfach Jobs abzubauen, wenn einem die Staatskasse so wichtig ist. Einsparpotential ist an dieser Stelle faktisch kaum vorhanden.
Auch andere Aspekte wären zu klären: Werden Einsätze der Bereitschaftspolizei bei Fußballspielen auch zu Ausbildungszwecken genutzt, eben um den angesprochenen "Ernstfall" bei Castor-Transporten oder Besuchen hochrangiger Politiker zu proben? Was würde es der Staatskasse dann bringen, wenn entsprechende Szenarien woanders trainiert würden? Außerdem: In welcher Höhe bewegen sich die Zuschläge für den Einsatz am Wochenende und abends? Wobei auch hier mit Blick auf die Gewerkschaften der Hinweis angebracht ist, dass diese Zuschläge für viele Beamte vermutlich auch ein willkommenes Zubrot bedeuten. Und eben abseits der reinen Kosten: Wie darf ich als Bürger und Fan eigentlich erwarten, von der Polizei behandelt zu werden?
Anstatt diese Fragen zu beantworten und darauf aufbauend tragfähige Modelle für Polizeieinsätze und ihre Finanzierungen zu entwickeln, verharrt die Debatte auf einem erschreckend niedrigen Niveau. Nur weil die Vereine hohe Umsätze erwirtschaften und Spieler und Trainer exorbitant gut verdienen, würden am Ende trotzdem nicht Jürgen Klopp oder Mats Hummels die entsprechende Zeche zahlen. Und nur weil die Dortmunder Polizei in der letzten Saison 102.000 Einsatzstunden rund um den BVB zu verzeichnen hatte (was den oben genannten 64 Beamten pro Jahr entspricht), bedeutet das weder, dass all diese Stunden sinnvoll und notwendig waren, noch dass es die Beamten ohne den Fußball nicht gäbe. Diese Komplexität anzuerkennen und sie nicht durch ebenso platte wie falsche Wahrheiten zu ersetzen, wäre hilfreich. Am Ende machen eben nicht nur der BVB oder nur die Fans der Polizei die Arbeit, das tut sie zu einem Großteil – selbstverschuldet oder aus Sachzwängen heraus – schon selbst.
Scherben, 25.08.2014