Zwei Seelen
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" – ein Zitatklassiker aus Goethes Faust, den wohl jeder noch aus der Schulzeit kennt. Aber was mag ein Stück vom Anfang des 18. Jahrhunderts mit dem Profifußball 2014 zu tun haben? Nun, es beschreibt sehr gut die aktuelle Gefühlslage des Autors angesichts der neuesten Entwicklungen bei Borussia Dortmund.
Was schon lange vermutet wurde, konnte die Borussia Dortmund KGaA gestern per Ad-hoc-Meldung als perfekt verkünden: Im Zuge einer zweiten Kapitalerhöhung haben sich die Signal Iduna und Ausrüster Puma als „strategische Partner" zwei und drei verpflichtet, einen Großteil der neu zu emittierenden Aktien zu zeichnen. Darüber hinaus wird Evonik sein bereits bestehendes Aktienpaket vergrößern sowie den Altaktionären ein Bezugsrecht eingeräumt. Als Teil des Geschäfts wurde der Sponsorenvertrag mit der Signal Iduna um weitere fünf Jahre bis 2026 verlängert; inklusive der Namensrechte am Westfalenstadion. Insgesamt soll dieser Vorgang gut 114 Millionen Euro in die Kasse des BVB spülen.
Und an dieser Stelle kommen die zwei Seelen ins Spiel. Die eine, die betrachtet den Vorgang aus kaufmännischer Sicht. Sie findet den Vorgang vernünftig, ja mehr noch – sie freut sich. Nach Ankündigung von Geschäftsführer Watzke soll ein Teil des Geldes dafür verwendet werden, die bestehenden Restschulden auszugleichen. Borussia Dortmund schuldenfrei. Um diese unfassbare Leistung richtig zu würdigen, muss man sich nur den finanziellen Zustand vor neun Jahren ins Gedächtnis zurückrufen. Niemand, auch nicht der allergrößte Optimist hätte dies für möglich gehalten. An dieser Stelle auch ein ausdrücklicher Dank an die Herren Watzke und Tress. Auch dafür, dass diese neuen Mittel mit Weitsicht dafür verwendet werden, Borussia Dortmund langfristig auf gesunde Beine zu stellen, statt direkt damit zum Großangriff auf Europas Spitze zu blasen. Die Asienvermarktung wird vorangetrieben und mit Sicherheit werden auch die Verträge mit Aramark und Sportfive in den Gedankengängen eine Rolle spielen. Finanziell ist unsere Borussia wieder gesund und gut aufgestellt.
Aber zu welchem Preis? Bei den Worten „Investor" und „strategischer Partner" zuckt mancher Fan zusammen. Hat der BVB damit seine, um die Brücke zum Anfang zu schlagen, Seele verkauft? Nein, das hat er nicht. Das Konstrukt der Kommanditgesellschaft auf Aktien gibt es bereits seit annähernd 15 Jahren, das Instrument der Kapitalerhöhung hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, die drohende Insolvenz zu vermeiden. Für Systemkritik ist es also deutlich zu spät. Was jetzt passiert, ist eigentlich nichts anderes als die professionelle Nutzung der Möglichkeiten, die diese Gesellschaftsform bietet. Das Wesen der KGaA ist exakt darauf ausgerichtet, Anteilseigner/Geldgeber an Bord zu holen und sie dabei gleichzeitig als Kommanditist von der Mitbestimmung auszuschließen. Realistisch betrachtet haben Evonik, Signal Iduna und Puma natürlich einen informellen Einfluss auf den BVB, aber machen wir uns nichts vor, den hatten sie als größte Sponsoren und Geldgeber bereits vor dem Einstieg als Aktionäre. Im Binnenverhältnis der BVB-Geschäftsführung zu den Vertretern der drei Firmen wird sich durch die Kapitalerhöhung nicht viel ändern. Wer befürchtet, dass der BVB im operativen Geschäft jetzt fremdgesteuert wird, der liegt falsch.
Mal zur Einordnung: Alle drei Unternehmen haben zusammen einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro. Schon das zeigt, was für ein kleines Licht der BVB als Invest mit seinen zehn Cent Dividende pro Aktie für die Konzerne ist. Es ist kaum der Mühe wert, sich dort tiefgehend einzumischen. Dazu kommt, dass allein Puma von den dreien wirkliche Kompetenzen im Profisport hat. In Herzogenaurach würde man sich aber die zukünftige Gewinnung anderer Vereine als Ausrüster selber erschweren, wenn im Markt bekannt werden würde, dass man sich in das operative Geschäft einmischt. Manager mögen so etwas im Allgemeinen nämlich nicht so gerne. Unter dem Strich stellt das Invest also mehr oder weniger eine reine Imagegeschichte dar. So lange sich der BVB frisch, sympathisch und nach Möglichkeit auch erfolgreich präsentiert, wird man bei den Geldgebern zufrieden sein.
Und an dieser Stelle schaut die andere Seele, die des Nostalgikers, in mir ziemlich gequält. Diese Seele weigert sich beharrlich, das Stadion anders zu nennen als „Westfalenstadion". Sie ist traurig darüber und sorgt sich, dass bis zum Ablauf des neuen Vertrags Jungs und Mädchen ihren Führerschein gemacht haben, die das Stadion nie unter seinem echten Namen kennengelernt haben und ihn langsam in Vergessenheit geraten lassen.
Sie ist irritiert darüber, dass derjenige, der an den Sommerpausengesprächen rund um den BVB teilnehmen wollte, erst einen Grundkurs in Sachen BWL belegen musste. Jahresbilanz, Erschließung neuer Auslandsmärkte, die neue Fanwelt und eben zwei Kapitalerhöhungen. Das Wort „Fußball" musste man in all den Pressemitteilungen mit der Lupe suchen. Fast musste man dem Uhrenschmuggler von der Säbener Straße dankbar sein, dass er mit der Höhe der Ausstiegsklausel von Marco Reus medial gezündelt hat. Da ging es zwar auch nicht um Fußball als Sport, aber immerhin ist der Transfermarkt ein Feld, auf dem man sich als Fan deutlich sicherer bewegt. Man mag noch so oft den Claim „Echte Liebe" propagieren – im Kern ging es in der Sommerpause fast ausschließlich um Geld und ums Geschäft. Es war finanziell alles sinnvoll, keine Frage – und trotzdem kalt, berechnend, leidenschaftslos und vor allem mit wenig Fußball an sich.
Und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann ist diese Seele auch ein ganz kleines bisschen egoistisch und fragt sich, warum sie nicht auch etwas von der Entwicklung profitieren soll, statt Jahr für Jahr mehr dafür ausgeben zu müssen, um Teil des Ganzen bleiben zu dürfen. Sie hält die neue Dauerkarte in den Händen und fragt sich bereits, welcher Preis im nächsten Jahr dort stehen wird.
Kurzum, während die sachliche, nüchterne Seele zufrieden nickt und entspannt die Füße hochlegt, zeigt sich die emotionale, manchmal auch zu Pathos und Kitsch neigende genervt von all dem Drumherum und Wirtschaftssprech. Sie wünscht sich einfach wieder Fußball im absoluten Mittelpunkt. Und sie überlegt sich gerade, den Faust mal wieder aus dem Bücherregal zu kramen...