Unsa Senf

Fan oder Kunde? Oder etwas dazwischen?

13.08.2014, 11:00 Uhr von:  Redaktion

Südtribüne DortmundNeue und größere Fanshops, Markenclaims, steigende Ticketpreise – nicht nur in Dortmund, sondern ligaweit arbeitet man an steigenden Umsatzzahlen. Die dazu ergriffenen Maßnahmen erinnern nicht nur an am Reißbrett entworfene Marketingstrategien für ordinäre Firmen, sie sind häufig nahezu deckungsgleich. Kein Wunder also, dass es zu Spannungen mit den alteingesessenen Fans kommt, für die der Fußball immer etwas Anarchisches hatte und die in ihren traditionellen Wertevorstellungen oftmals sehr konservativ sind. „Die Vereine sehen uns nur als Kunden", so lautet die Schlussfolgerung immer häufiger. Aber stimmt das überhaupt? Gleicht sich das Verhältnis des Fans zu seinem Verein einer reinen Kundenbeziehung immer weiter an? Und wie können die Vereine und die Fans damit umgehen?

Natürlich wollen die Vereine den Fans etwas verkaufen. Das neue Trikot, die neue Dauerkarte, unnützen Krimskrams mit dem Vereinsemblem, obendrein die Produkte der Werbepartner. Zu diesem Zweck gehen die Vereine immer strategischer vor und nutzen mittlerweile praktisch das komplette Arsenal, das den findigen Marketingstrategen in den Abteilungen in ihrem Studium so beigebracht wurde. Da wird der Fan als zwölfter Mann umgarnt, ein Image entwickelt, mit dem man sich identifizieren soll, oder eben ganz klassisch Rabatt in den Fanshops auf ausgewählte Artikel gewährt. Wen wundert es da wirklich, dass bei etlichen Fans der Eindruck entsteht, dass sie einen völlig anderen Themenschwerpunkt haben als die Vereine, die sie eigentlich unterstützen? Diese Fans brauchen kein Identifikationsleitbild und -spruch, weil sie sich seit vielen, vielen Jahren bereits mit diesem Verein identifizieren. Sie fühlen sich nicht als zwölfter Mann wahrgenommen, wenn sie in ihrer Ticketsammlung stöbern und feststellen, was sie vor zehn oder fünfzehn Jahren für denselben Platz bezahlt haben.

An diesem Punkt ist die Fan-gleich-Kunde-Analogie naheliegend. Und doch ist sie falsch. Zwischen einem Fan und einem Kunden gibt es einen elementaren Unterschied: der Kunde kann wählen. Finden Preis oder Qualität eines Produkts nicht mehr seine Unterstützung, dann wechselt er das Produkt. Der Fan hat diese Möglichkeit nicht oder höchstens sehr eingeschränkt. Natürlich kann er zuhause bleiben und seinen Verein nicht mehr unterstützen, aber bis er an diesem Punkt ankommt, ist er einiges zu ertragen bereit. Und die Vereine wissen das nur zu gut und können sich so ein Verhalten erlauben, das sich abseits des Fußballs keine Firma gegenüber ihrem Kunden trauen würde. Nehmen wir zum Beispiel mal die Bedingungen für den Dauerkartenkauf, die Borussia vor einigen Jahren einseitig angepasst hat. Wer Karten für den Europapokal haben möchte, muss sich verpflichten, alle abzunehmen. Egal zu welchem Preis, egal zu welchem Termin – und gleich dazu bitte auch noch den Bankeinzug genehmigen. Kunden derartige Bedingungen vorschreiben zu können, ohne dass sie gleich scharenweise zum Wettbewerber überlaufen, muss der feuchte Traum eines jeden Vertriebsleiters sein. An diesem Punkt muss man der Feststellung, dass der Fan für den Verein kein Kunde ist, fast ein „leider" hinterher schieben. In vieler Hinsicht wäre es für die Fans eine echte Verbesserung, wenn sie auch im Fußball Kunden und also sprichwörtlich Könige wären.

Spruchband "Kein Zwanni in Hamburg"Aber man kann den Spieß auch umdrehen und die Dinge weniger pessimistisch sehen. Fans haben ungleich mehr Macht als der anonyme Kunde, der an der Kasse ganz allein für oder gegen ein Produkt stimmt. Wir bewerten das uns angebotene Produkt jedes Wochenende zusammen mit Zigtausend anderen im Stadion und mit Zigmillionen vorm Fernseher. Wir haben eine enorme Öffentlichkeit, und vor der haben die Vereine einen großen Respekt. Wir feuern unsere Mannschaft an und versuchen, sie zum Sieg zu schreien. Aber wir entscheiden auch über die finanzielle und sportliche Zukunft der handelnden Akteure. Mehr als nur ein Spieler ist schon vor dem Unmut der Fans aus dem Verein geflüchtet, und wenn im Stadion „Wir ham' die Schnauze voll" erklingt, dann wissen Trainer und Sportdirektor, dass sie besser unverzüglich Erfolge präsentieren sollten, wenn sie nicht bald als Experte im Doppelpass stranden wollen. Darüber hinaus haben in den letzten Jahren die Medien auch mehr und mehr begonnen, Fans nicht nur als Staffage, sondern als Teil des Fußballs mit eigenen Ansprüchen und Meinungen wahrzunehmen. So sind sie im Rahmen von Kampagnen wie „Kein Zwanni" oder 12:12 teilweise von sich aus auf die Fans zugegangen, um deren Sichtweise zu erfragen.

Die zugenommene Bedeutung des Fußballs als gesamtgesellschaftlicher Unterhaltungsfaktor hat dem Fan ein Mehr an Möglichkeiten zur Einflussnahme und Mitgestaltung verschafft. Es gilt sie nur zu nutzen. In Hinblick darauf ist der Satz, dass man nur noch ein Kunde sei, völlig kontraproduktiv. Es ist das Äquivalent zum „Die da oben machen doch eh, was sie wollen" des Politikverdrossenen, der nicht mehr zur Wahl geht. Man wird zum passiven Part, es lähmt und lässt einem eigentlich nur noch die Möglichkeit, entweder dem Fußball den Rücken zu kehren oder alles über sich ergehen zu lassen.

Fanshop in der neuen FanworldEs verhindert insbesondere, dass man einen Modus vivendi entwickelt, in dem der Fußballfan der Vergangenheit parallel im Fußball der Gegenwart existieren kann. Das Kommerzrad wird niemand mehr zurückdrehen. Aktuell sieht man, dass neben Dortmund und Bayern auch Vereine wie Hertha und der HSV mit Investoren zusammenarbeiten, und auch in Bremen wird in diese Richtung überlegt. Die neuen Fans, die in den letzten Jahren ins Stadion und in die Fanshops gelockt worden sind, werden ebenso wenig von den Tribünen verschwinden wie die Schals in modischen, aber doch vereinsfremden Farben aus den Regalen. Es bringt alles Einnahmen, auf die die Vereine, einmal erschlossen, auch nicht mehr verzichten mögen. Und wenn wir ehrlich sind, kommt das auch uns zu Gute. Natürlich, wir würden mit dem BVB auch ins Mittelfeld der Liga, in den Abstiegskampf oder in die Zweite Liga gehen. Und trotzdem braucht sich niemand einreden, dass das besonderen Spaß macht. Die hängenden Köpfe und die roten Augen nach der Niederlage in Bielefeld und die leere Teilnahmslosigkeit bei müden 1:1-Kicks unter Jürgen Röber und Thomas Doll waren alles andere als eine gute Erfahrung. Sportlich macht Borussia Dortmund die letzten Jahre enormen Spaß, und wir gehen doch alle gerne hin. Um diesen Zustand zu erhalten, gehört dann auch, dass man den Abgang eines Mario Götze mit dem Kauf eines Henrikh Mkhitaryan und den Wechsel eines Robert Lewandowski mit der Verpflichtung von Ciro Immobile kompensiert. Das kostet viele Millionen Euro.

Wer die sportliche Qualität des BVB erhalten möchte, kommt kaum umhin, ihm im Wettbewerb mit künstlich aufgepumpten Vereinen zuzugestehen, Wege der Umsatzsteigerung zu gehen, die einem persönlich nicht gefallen. Man muss in diesem Zusammenhang aber für sich definieren, was einem wichtig ist und wo man Kompromisse eingehen kann. Dazu gehört auch die Frage, welche Maßnahme des BVB einen wirklich betrifft. Ist eine auf Verkauf getrimmte, neue „Fanworld" wirklich unerträglich, wenn man bereits vorher so gut wie nie einen Fuß in einen Fanshop gesetzt hat? Und muss man den ganzen Echte-Liebe-Corporate-Identity-Kram wirklich intensiv verfolgen, wenn man eh weiß, dass das nicht die Fußballsprache ist, die man selbst spricht? Das sind alles Dinge, die einen unmittelbar gar nicht berühren und die man recht einfach ausblenden kann. Das hat nichts mit Resignation zu tun, sondern mit Konzentration auf die Bereiche, die einen direkt betreffen. Beispielhaft seien hier die 200 Dauerkarteninhaber genannt, deren Dauerkarte zur neuen Saison nicht verlängert wurden, weil ihre Plätze zum VIP-Bereich umstrukturiert wurden. Am Ende gab es aufgrund deutlicher Unmutsäußerungen individuell gestaltete Alternativplätze, eine persönliche Entschuldigung sowie eine ordentliche Rabattierung der neuen Dauerkarte plus freien Eintritt zum Supercup-Spiel.

Derartige Beispiele zeigen, dass Fans durchaus die Möglichkeit haben, um mit beherzter Öffentlichkeitsarbeit die Vereine in ihrem Sinne zu beeinflussen. Man muss nicht alle Auswüchse der Umsatzsteigerung schlucken, und das sollte Mut machen, um die zur Verfügung stehenden Instrumente in unserem Sinne zu nutzen und für uns wichtige Inhalte einzustehen. Dazu gehört, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden, um sich wieder als gleichberechtigter Gestalter zu fühlen – und nicht als Kunde.

Scherben und Sascha, 12.08.2014

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