Jürgen ist der geilste Klopp der Welt
Anfang des Jahres 2008 war es, ungeachtet des späteren Pokalfinaleinzugs, kein Vergnügen, Fan von Borussia Dortmund zu sein. Die Mannschaft hatte weniger Struktur und Ordnung als ein durchschnittlicher Hühnerhaufen und was eine erkennbare Taktik war, konnten die Fans nur noch von ihren eigenen Bolzplatzerfahrungen erzählen. Der BVB lag, so der Spiegel 2008, „vom Status her […] irgendwo zwischen Champions-League-Aspiranten wie Bayern München, Schalke 04 oder Werder Bremen und reinen Zählkandidaten wie Bielefeld oder Frankfurt“. (Nur sechs Jahre später reibe ich mir fassungslos die Augen. Da lagen wir???).
„Es kann nur besser werden“
Der Wunsch nach einem neuen Trainer war allgegenwärtig und als am Ende der Saison das Ende von Thomas Doll verkündet wurde, gab es in der ganzen Fangemeinschaft kaum einen, der nicht große Erleichterung verspürt hätte. Nach dem Motto „Es kann nur besser werden“ wäre wohl jeder neue Trainer von einer Mehrheit als neuer Heilsbringer akzeptiert worden, mein Wunsch war aber deutlich ein geduldiger, erfahrener, taktikerprobter Trainer, der den Verein und die Mannschaft wieder etwas beruhigen, stabilisieren und bestenfalls sogar etwas erfolgreicher machen kann.
Als die ersten Gerüchte über Jürgen Klopp aufkamen, da will ich ganz ehrlich sein, war ich nicht allzu glücklich. Einer, der in Mainz den Hampelmann macht, am Zaun rumhängt und sein aufgesetztes Grinsen in der Sommerpause in jede Kamera hält, das war ziemlich weit von dem entfernt, was ich mir vorgestellt hatte und meine Skepsis war dementsprechend groß. Die rundherum sofort einsetzende Begeisterung machte mich nur noch misstrauischer.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis ich ein wenig mit dem „Neuen“ zu sympathisieren begann. Als ich ihm nämlich zum ersten Mal wirklich zuhörte, konnte ich schon einige Dinge erkennen, die mir gefielen. Anfangs waren das vor allem die überaus netten Worte über die Fans vom BVB, die Jürgen Klopp von Anfang an schätzte wie kaum einer zuvor – und das sogar glaubhaft, da er auch während seiner Zeit als Trainer von Mainz bereits entsprechende Äußerungen getätigt hatte. Das zweite, was mir gefiel, war seine Leidenschaft für den Fußball.
Als die neue Saison begann, war ich daher etwas milder gestimmt, aber noch immer weit weg von der Begeisterung vieler meiner Freunde und Bekannten. Ich mochte zwar dem Menschen Jürgen Klopp etwas Vertrauen entgegenbringen, dem Trainer Klopp jedoch vertraute ich noch immer nicht. Ich sollte eines besseren belehrt werden – und wie!
„Ohne Trainer fahrn wir nicht nach Haus!“
Bereits die ersten Saison unter Klopp war herzerwärmend und atemberaubend im Vergleich zu der vorangegegangenen. Die versprochenen Vollgasveranstaltungen hielten Einzug ins Westfalenstadion und wurden im Verlauf immer mehr. Das legendäre 3:3 im Derby, das verrückte 4:4 in Hannover, das 6:0 gegen Bielefeld und das unglückliche 1:1 in Gladbach, womit wir am Ende die Europapokal-Qualifikation nur um ein Abseitstor verpassten. Einer der Höhepunkte war aber das 2:0 gegen den HSV. Die Art und Weise, wie der BVB an Fahrt aufgenommen hatte und den vermeintlichen Topklub (muss man sich mal vorstellen!) HSV regelrecht überrollt hatte, gab jedem von uns das Gefühl, etwas großartigem beizuwohnen. Es war der Moment, in dem sie mich auch gefangen hatte, die Begeisterung für Jürgen Klopp, den Trainer. Die Südtribüne hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Spiel den Trainer zu feiern und die Süd ist gewohnt zu kriegen, was sie will. Da die „wir wolln den Trainer sehn“-Rufe nicht fruchteten, wurde von 20.000 Mann der Sitzstreik ausgerufen: „Ohne Trainer fahrn wir nicht nach Haus!“. Nobby nahm das Mikro und forderte Klopp ebenfalls auf, sich endlich blicken zu lassen und nach 15 Minuten kam er an, sein (gar nicht aufgesetztes) Grinsen übers ganze Gesicht und verbeugte sich artig. Ich war verliebt!
Die nächste Saison stand ganz im Zeichen des 100-jährigen Jubiläums. In der Eiseskälte bei Jingle Bells haben wir noch ein bisschen in der Vergangenheit geschwelgt, um dann mit Vollgas in die Zukunft zu starten. Das Erreichen des Europapokals am Ende der Saison war fast schon eine Enttäuschung, da wir zeitweise um die Qualifikation für die Champions League mitgespielt hatten. Unvergessen die Führung gegen Hoppenheim am 31. Spieltag, als Nelson Valdez uns tatsächlich für einen Moment beinahe in die Champions League geschossen hätte, wozu wir ihn ja seit ein paar Jahren mit beißendem Sarkasmus aufgefordert hatten.
Vollgasveranstaltung 2010/2011
Und dann kam, was kommen musste und trotzdem keiner von uns jemals erwartet oder erträumt hatte. Die Saison 2010/2011 war das purste, herrlichste, reinste Fußballfest, das jemals gefeiert wurde. Von Anfang bis Ende – bis auf das unglückliche Ausscheiden im UEFA-Cup – war es eine Vollgasveranstaltung gewesen. Eine Jürgen-Klopp-Saison vom Allerbesten. Derbysieg, Kantersieg, die Bayern besiegt – zweimal, Rekord um Rekord und am Ende die Meisterschaft. Das „1:0 für Köln!!!“ dröhnt wohl jedem von uns noch immer in den Ohren, übertönt nur vom direkt folgenden Urschrei des ganzen Stadions. Und gerade als wir dachten, es könnte nicht mehr besser werden, haben sie die nächste Saison noch einen drauf gesetzt. Am 14. Spieltag mit dem Derbysieg die Tabellenspitze erobert, das legendäre 4:4 gegen Stuttgart, der zweite Derbysieg, wieder zweimal die Bayern besiegt, die zweite Meisterschaft in Folge und dann Berlin! Pokalsieg, die Bayern nicht nur besiegt, sondern vernichtet. Klopp war in Dortmund längst zur Legende geworden!
Seine allergrößte Leistung sollte jedoch erst noch kommen. Als wir in der Saison 2012/2013 vor dem Halbfinal-Heimspiel gegen Real Madrid (lest nochmals den ersten Abschnitt des Textes und lasst es euch auf der Zunge zergehen!!!) vom Wechsel von Mario Götze erfuhren, stürzte eine Welt zusammen. Die heile BVB-Welt der letzten Jahre hatte einige Kratzer bekommen, dieser jedoch war nicht zu kitten – und plötzlich war das wichtigste Spiel der letzten Jahre unwichtig und die ganze Euphorie von dem unglaublichen Malaga-Drama weg. Wie das sprichwörtliche Häufchen Elend war die BVB-Gemeinde in sich zusammengesunken. Enttäuscht, energielos, am Boden zerstört.
DER Jürgen Klopp Moment
Dann kam Jürgen Klopp. Die Pressekonferenz war unglaublich! Jeder, der seine Worte gehört hatte, war bereit, auf den Platz zu gehen und das entscheidende Tor ganz selbst zu schießen. In dem Moment hätte er ganz Deutschland dazu bringen können, das gesamte Vermögen an Afrika zu spenden oder auf eine Missionarsmission zum Südpol aufzubrechen, jeder hätte eingewilligt. Für mich war es DER Jürgen Klopp Moment! Das darauffolgende 4:1 und der Einzug ins Champions League-Finale waren einfach die logische Folge davon. Wie schon 2007 vor dem Derbysieg hatten wir das Gefühl bekommen, unbesiegbar zu sein. Anders als 2007 jedoch war es diesmal das Werk eines einzigen Mannes gewesen. Vor 2000 Jahren hätte einem Mann mit diesem Talent ein Weltreich zu Füßen gelegen, darüber bin ich mir sicher.
Am heutigen Dienstag ist Jürgen Klopp mit sechs Jahren plus x Rekordtrainer des BVB geworden. Er löst Ottmar Hitzfeld ab, der zwischen 1991 und 1997 sechs Jahre lang den BVB trainiert hatte. In den sechs Jahren ist Klopp zweimal Meister und einmal Pokalsieger geworden und stand einmal im Champions League-Finale und ein weiteres Mal im Pokalfinale. Er ist damit gerade noch nicht so erfolgreich wie Ottmar Hitzfeld, doch sein Status in Dortmund ist jetzt schon höher, als jemals ein anderer Trainer zuvor gehoben worden ist. Wegen seiner Leidenschaft, seinen echten Emotionen und seinem unendlichen Fußballsachverstand.
Anders als ich anfangs glaubte, gefällt es ihm gar nicht, so sehr im Rampenlicht zu stehen. Ob er jedoch am Ende seiner Zeit in Dortmund – in hoffentlich ferner Zukunft – darum rumkommen kann, vor dem Westfalenstadion ein Denkmal hingestellt zu bekommen, ist äußerst fragwürdig. Vielleicht kann er es mit seiner überzeugenden Rhetorik hinbekommen, aber auch nur vielleicht…
PS: Im übrigen haben wir bei schwatzgelb eine mittlerweile 5 Seitige PDF Datei mit den besten Zitaten von Jürgen Klopp gesammelt.
Nadja, 01.07.2014