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Die große Hinrunden-Analyse

12.01.2014, 19:03 Uhr von:  Arne Sascha NeusserJens
Die große Hinrunden-Analyse

Es lief nicht rund für Borussia. Von einer Krise konnte keine Rede sein, aber die erste Saisonhälfte hatten sich Spieler wie Fans schöner vorgestellt. Wir haben nach Gründen gesucht, warum 2013 etwas unbefriedigend für den BVB endete. Und wir haben einige gefunden.

Die Verletzungen

Es ist altbekannt und fast ein bisschen langweilig, aber der wesentliche Grund für eine durchwachsene Hinrundendarbietung des BVB ist sicherlich in den personellen Ausfällen zu suchen. Nicht nur, dass Jürgen Klopp und sein Team - wie bereits in den Vorjahren - mit Mario Götze einen zentralen Spieler der Vorjahresmannschaft zu ersetzen hatten: Mit Lukasz Piszczek, Neven Subotic, Mats Hummels Marcel Schmelzer, Sven Bender und Ilkay Gündogan fehlte der Borussia der gesamte im Champions-League-Finale eingesetzte Defensivverbund teilweise oder komplett. So etwas kann kaum folgenlos bleiben.

Sven Bender wird behandelt

Dass die Verletzungen dabei, wie in Presseberichten bisweilen behauptet, eine Folge der kraftraubenden Spielweise gewesen seien, lässt sich im Hinblick auf die Art der Verletzungen kaum erhärten. Bleibt die ebenfalls oft gestellte Frage, ob der Kader des BVB zu dünn gewesen ist, ob man hier zu blauäugig geplant hat - und ob man nicht wenigstens jetzt im Winter auf dem Transfermarkt nachlegen sollte, um dieses Defizit auszugleichen. Doch selbst wenn der BVB – was nicht der Fall ist – dieselben finanziellen Möglichkeiten hätte wie beispielsweise der FC Bayern als vermeintlich stärkster Konkurrent: Auch die Bayern würden eine komplette Viererkette samt defensivem Mittelfeld nicht aus dem Stand gleichwertig ersetzen können. Wie also sollte das beim BVB gelingen? Immerhin lässt sich jeder Euro nur einmal ausgeben und weitere Ersatz- und Ergänzungsspieler minimieren die qualitativen Entwicklungsmöglichkeiten des Kaders in der Spitze.

Zumal es selbst im fast zu üppig besetzten defensiven Mittelfeld zu Problemen kam, als beispielsweise gegen Leverkusen nacheinander Sven Bender und Nuri Sahin verletzungsbedingt ausgewechselt werden mussten. Wie soll man einer solchen Misere vorbeugen, ohne sich heillos zu verschulden?

Die Folgen des Verletzungspechs freilich reichten erkennbar noch weit über den bloßen individuellen Qualitätsverlust hinaus. Denn in der Folge fehlten auch in anderen Mannschaftsteilen die Alternativen (beispielsweise Kevin Großkreutz auf seiner Ur-Position in der linken Offensive) und wirkten andere (allen voran Nuri Sahin) durch den pausenlosen Einsatzzwang ausgelaugt und überspielt.

Die Defensive

Jürgen Klopp wurde in der Vergangenheit oftmals belächelt, ab und an sogar dafür kritisiert, dass er die Viererkette trotz Mehrfachbelastung selten antastete und von einer Rotation weitgehend ausschloss. Mehr als eine personelle Änderung in der Kette unternahm das Trainerteam praktisch nie aus freien Stücken. Die Richtigkeit dieser Philosophie hat sich im Verlauf der abgelaufenen Hinrunde mehr als deutlich offenbart. Nicht ein einziges Mal konnte der BVB in der vermeintlichen Wunschformation auflaufen, zuletzt fehlte teilweise die komplette Stammkette plus die davor agierenden Sechser.

Und auch wenn alle Ersatzleute ihre Arbeit vergleichsweise ordentlich erledigten: In der Summe fehlte es der Borussia dadurch an Qualität, an Abstimmung, vor allem aber an Eingespieltheit in der Abwehrarbeit. Und natürlich hat eine instabile Defensive zwangsläufig und nicht nur via Umschaltspiel auch Auswirkungen auf die offensive Statik. Wenn man sich der defensiven Stärke bewusst ist, lässt es sich eben viel einfacher auch nach vorne stürmen.

Die Entwicklung der Borussia vom Liga-Mittelmaß zur europäischen Spitzenmannschaft begann 2008 vor allem mit einer stetigen Stabilisierung der Abwehr. Der BVB, in der Vorsaison noch Schießbude der Liga, wurde unter Jürgen immer unangenehmer für den Gegner und kaum noch schlagbar. Diese Entwicklung bildete das Fundament für alle weiteren Schritte, die die Borussia seither genommen hat, ist durch die personalbedingt massiven Probleme in diesem Mannschaftsteil jedoch gravierend zurückgeworfen worden. Der BVB hat so seine Balance verloren.

Mats Hummels

Mats Hummels trottet nach roter Karte vom Platz

Wie elementar dabei auch einzelne Spieler sein können, verrät ein Blick auf die ganz persönliche Hinrundenbilanz von Mats Hummels: Der BVB konnte sämtliche Pflichtspiele, in denen Hummels über 90 Minuten auf dem Platz stand, siegreich gestalten. Alle anderen Partien, in denen Hummels entweder verletzungsbedingt fehlte, angeschlagen ausgewechselt wurde oder vom Platz gestellt wurde, konnten, mit der Ausnahme des Sieges in Frankfurt, nicht gewonnen werden.

Freilich ist da auch ein Spiel wie das in Mönchengladbach eingerechnet, wo der durch Hummels verursachte Elfmeter samt Roter Karte den BVB überhaupt erst auf die Verliererstraße gebracht hatte. Und natürlich ist so eine Feststellung nicht mehr als eine kleine statistische Spielerei, aber sie liefert zumindest einen Hinweis dazu, welche Bedeutung die Präsenz von Hummels für die spielerische Balance der Borussia besitzt: Defensiv als Kopf der Viererkette und zweikampfstarker Stürmerschreck, vor allem aber auch im Spielaufbau. Man darf mit einiger Überzeugung konstatieren: Mats Hummels ist für den BVB derzeit nicht zu ersetzen.

Das Flügelspiel

Zu den Besonderheiten des Borussia-Spiels der vergangenen Jahre zählte zweifellos auch das schnelle, fast schon ungezügelte Offensivspiel über die Außen. Insbesondere das Duo Kuba/Piszczek auf der rechten Seite war eine ständige Waffe, gegen die sich nur wenige Gegner effektiv zu schützen wussten. Dass diese Waffe Ladehemmung bekommen würde, war nach dem Ausfall von Lukasz Piszczek bereits im Sommer zu erwarten gewesen. Weil rechts überdies aber auch Kuba schwächelte und gleichzeitig Aubameyang nicht so richtig gut in Tritt kam, erwuchs sich der Borussia eine veritable Flügellahmheit. Zumal auf der ohnehin traditional etwas offensivschwächeren linken Seite Marcel Schmelzer lediglich defensiv, aber nicht im Spiel nach vorne gut ersetzt werden konnte, und Marco Reus einer anderen – zentraIeren – Interpretation der Position folgt als dies früher bei Kevin Großkreutz der Fall gewesen ist. Schmelzer-Ersatz Erik Durm hat als Rechtsfuß ohnehin das grundsätzliche Problem, keine „regulären“ Flanken schlagen zu können, was das Borussenspiel zwangsläufig verändert.

Marco Reus im Laufduell mit dem Blauen Uchida

In der Folge geriet das Spiel des BVB oftmals schematisch: Wo Flügelangriffe früher über zwei Spieler liefen, waren die Seiten nun oft nur noch einzeln besetzt. Wo der Angreifer früher oft bis zur Torlinie zog, um wahlweise die Flanke in die Mitte oder den Flachpass in den Rücken der Abwehr zu ziehen, dominierten nun plötzlich Flanken aus dem Halbfeld oder der Angriff verlagerte sich schon früh in der gegnerischen Hälfte in Richtung Zentrum, sodass der Gegner vergleichsweise einfach mit einer kompakten Deckung agieren und das Borussenspiel lahmlegen konnte. Dafür brauchte es keine besondere Raffinesse, sondern lediglich ausreichende „Manpower“ am eigenen Strafraum, denn der BVB war schlichtweg nicht mehr in der Lage, das Spiel breit zu machen und so Löcher in den Defensivverbund zu reißen. Auch das fatale Überraschungsmoment, dem sich eine Abwehrreihe durch das Zuspiel in ihren Rücken ausgesetzt sieht, kam so viel zu selten zur Anwendung.

Die fehlenden „Götze“-Momente

Gleichzeitig fehlte es dem BVB-Spiel an einem Werkzeug, durch die Mitte und trotz kompakter Deckung zum Zug zu kommen. Hier fehlten insbesondere die individuellen Geniestreiche von Mario Götze und die schnellen Kurzpässe von Ilkay Gündogan, der zusätzlich über eine gewisse Stärke im Dribbling verfügt. Die noch verbliebenen Offensivakteure, insbesondere Lewandowski, Reus und Mkhitaryan, dribbelten sich schnell fest und fanden selten ein Durchkommen, während der deutlich anders als Gündogan veranlagte Nuri Sahin nicht komplett an die Kurzpass-Qualität seines Teamkollegen und vor allem nicht über dessen Fähigkeiten im Offensivzweikampf heranreichen konnte.

Zur besonderen Qualität von Mario Götze gehört auch, aus einer statischen Spielsituation heraus explodieren zu können. Diese Fähigkeit haben weder Reus noch Kuba und erst Recht nicht Aubameyang offenbart. Auch Mkhitaryans beste Szenen waren bislang jene „mit Anlauf“, wie beispielsweise seine Sololäufe in der Champions League gegen Neapel. Alle vier brauchen das Tempo im Spiel, um selbst Fahrt aufnehmen zu können. Nimmt der Gegner diesen Schwung jedoch aus unserem Angriff, haben wir nur sehr begrenzte Möglichkeiten, diesen Schwung wieder hinein zu bekommen.

Das defensive Mittelfeld

Nuri Sahin im Zweikampf mit Hoffenheims Sebastian Rudy

Im Jahr 2014 dürfte auch dem Letzten klar sein, was vor zwei Jahren niemand hören wollte: Ilkay Gündogan ist kein Ersatz für Nuri Sahin. Und Nuri Sahin ist kein Ersatz für Ilkay Gündogan. Beide interpretieren ihre Rolle als spielerischer Teil der Doppelsechs sehr unterschiedlich. Während Nuri Sahin oft tiefstehend agiert und große Stärken im Passspiel und in der Spielübersicht besitzt, interpretiert Gündogan dieselbe Position sehr viel offensiver und ist mitunter auf Höhe der offensiven Dreierkette wiederzufinden.

Es ist die Krux, dass der BVB in der Hinrunde eher Gündogans als Sahins Positionsverständnis gebraucht hätte. Denn: Uns fehlt der Spieler, der den vorhandenen Raum zwischen Viererkette und Offensive präsent ausfüllt. Mkhitaryan war - vor allem zu Beginn - noch viel zu sehr als hängende Spitze unterwegs und stand oft in ähnlicher Position wie Lewandowski, während Nuri das Spiel äußerst tief aufbaute, beinahe als eine Art Libero zwischen den Innenverteidigern – oder als Quarterback, wie es einst Otto Rehhagel ausdrückte, um die Aufgabe von Ciriaco Sforza zu beschreiben. In der Folge mussten so entweder Sven Bender oder Sebastian Kehl als zweiter Teil der Doppelsechs den wichtigen Raum ausfüllen, was vor allem bei Kehl aufgrund mangelnder Ballsicherheit, Agilität und Kombinationsgabe aber nur bedingt funktionierte, während vorne aufgrund der engen Verteidigung quasi keine weitere Anspielstation zur Verfügung stand.

Auch hier ist darauf zu setzen, dass sich das Borussenspiel in der Rückrunde besser ausbalanciert. Einerseits indem sich Mkhitaryan noch ein wenig besser findet und mehr zur "klassischen" Zehn wird - also tiefer stehend, besser aufbauend, mit mehr Passspiel und weniger als hängende Sturmspitze agierend. Oder eben durch die Rückkehr von Gündogan, sofern dieser schnell wieder seine Form findet.

Die Härte

Mkhitaryan wird abgegrätscht

Es ist eine rein subjektive Wahrnehmung, aber insbesondere zum Ende der Hinrunde erweckte die Borussia den Eindruck, anfällig für eine physische Spielweise des Gegners zu sein. Insbesondere im Mittelfeld schienen die Schwarzgelben bei harten Zweikämpfen eher zum Zurückziehen zu neigen als dass die jeweiligen Gegner dazu bereit waren. So ließ sich die Borussia mehr als einmal den Schneid abkaufen und Spielanteile abnehmen, ohne dass der Gegner spielerisch wirklich spürbar besser aufgetreten wäre. Durch die physische Unterlegenheit im Zweikampf ist es der Borussia immer seltener gelungen, Bälle beim gegnerischen Spielaufbau abfangen und für den Gegner tödliche Ballverluste zu provozieren. Gerade das ist für eine Mannschaft, die eigentlich das schnelle Umschaltspiel sucht, um nicht sortierte Momente des Gegners auszunutzen, pures Gift.

Die Ballsicherheit

Ebenfalls mit zunehmendem Verlauf der Hinrunde - und wahrscheinlich gleichsam verursacht durch sinkendes Selbstvertrauen und schwächelnde Kräfte – war zu konstatieren, dass es den Schwarzgelben mehr und mehr an der gewohnten Ballsicherheit mangelte. Fehlpässe häuften sich und insbesondere beim für die Borussia so charakteristisch gewordenen Kombinationsfußball sorgten Ungenauigkeiten und Stockfehler oftmals dafür, dass ein Angriff unterbrochen wurde, bevor es überhaupt gefährlich werden konnte.

Der Angriff

Robert Lewandowski im Dribbling

Die personellen Probleme im Defensivverbund wirkten sich letztlich bis in die vorderste Reihe aus, wo Robert Lewandowski zwar gewohnt treffsicher agierte, oft aber unglücklich dabei erschien, noch mehr Aufgaben als ohnehin schon übernehmen zu wollen. Mehrfach wich der Toptorjäger auf die Flügel aus oder ließ sich hinter die offensive Dreierreihe zurückfallen, um beinahe als „Sechser“ zu agieren und sich dort teilweise aufzureiben. Das Flügelspiel ist aber, wie das Spiel aus der Tiefe heraus, nicht gerade seine Stärke, und manches Mal fand ein hoher Ball in die Spitze so statt des großen, durchsetzungsstarken Stürmers Lewandowski doch nur Marco Reus als in diesem Fall tatsächlich ziemlich falsche Neun.

Gleichzeitig hat sich Julian Schieber auch in seiner zweiten Spielzeit beim BVB nicht nennenswert als Alternative im Angriffszentrum aufdrängen können. Wer Schieber aus seiner Nürnberger Zeit erinnert, wird die unzweifelhaften Qualitäten des Schwaben noch vor Augen haben. De facto gelingt es der nominellen Nummer Zwei im Borussensturm aber nicht, diese Fähigkeiten vollumfänglich abzurufen. Das Bemühen ist Schieber deutlich anzusehen, in seinen Aktionen freilich wirkt vieles unglücklich – so unglücklich, dass zu Saisonbeginn Nachwuchsspieler Marvin Ducksch von Jürgen Klopp den Vorzug vor Schieber erhielt. Vielleicht bedarf Julian Schieber einer längeren Eingewöhnungszeit in Form von Spielpraxis, um sein volles Spielniveau zu entfalten. Das Dilemma allerdings ist, dass die Borussia als Backup für Lewandowski einen Spieler benötigt, der von jetzt auf gleich in die Bresche springen kann – ganz so wie weiland Lewandowski selbst beim Ausfall von Lucas Barrios.

Falsche Entscheidungen

Kuba verzweifelt

Das Borussenspiel ist seit Jahren geprägt gewesen durch fast schon beispiellose Attraktivität im Angriffspiel. Ein Rädchen griff in das andere und das Kombinationsspiel lief trotz hohem Tempo mit fast schon traumwandlerischer Sicherheit, was Zuschauer wie Spieler gleichermaßen berauscht haben dürfte. Ausdruck dieses Rauschs war immer jedoch auch eine gewisse Verspieltheit vor dem Tor. Der Blick für die möglicherweise besser postierten Mitspieler wurde scheinbar zur Offensivmaxime und auf diese Weise traumhafte Tore fabriziert. Genau diese Schönheit bricht dem Angriffsspiel der Borussen heute manchmal das Genick. Mitunter spielt sich der BVB noch immer höchst attraktiv vor das gegnerische Tor, man bekommt als Zuschauer jedoch den Eindruck, der Ball solle in das Tor hineingetragen werden und statt dem direkten Torschussversuch folgt der nächste Querpass zum leider meist gar nicht besser postierten Nebenmann. Der Blick für die Situation wird ersetzt durch ein hastiges „unbedingt Kombinieren“.

Ausdrücklich ausgenommen ist an dieser Stelle Robert Lewandowski. Der hat schon immer gerne selber den Abschluss versucht, in der laufenden Spielzeit fällt jedoch auf, dass er häufig das Dribbling gegen zwei oder drei Gegner sucht, anstatt den Ball zum bisweilen besser postierten Nebenmann zu spielen. Uns fallen aus dem Stehgreif wenige Situationen ein, bei denen dieser Versuch des Dribblings nicht am Ende mit dem Ballbesitz für den Gegner endete. Oft verschleppt Lewandowski, wie früher oft bei Ivan Perisic gesehen, auch einen Angriff, in dem er durch das Halten des Balls das Tempo herausnimmt. Meist geschieht dies, um das Aufrücken der Mitspieler zu ermöglichen, was aufgrund fehlender Defensivstabilität ebenfalls seltener in der gewohnten Überfallmanier geschieht. In der Folge aber gelingt es dem Gegner auf diese Weise leichter, freie Räume wieder zuzustellen und den BVB zum Rückpass zu zwingen, was den kräftezehrenden Tempoläufen letztlich völlig die Effektivität nimmt.

Die Neuzugänge

Aubameyang trifft in Hoffenheim

Mit Mkhitaryan, Aubameyang und Sokratis verpflichtete der BVB vor der Saison erstmal seit Jahren gleich drei Hochkaräter - mit bislang sehr unterschiedlichem Ergebnis. In der Innenverteidigung hat Sokratis seine Sache bisher zwar nicht fehlerlos, aber doch sehr solide gemacht. Henrikh Mkhitaryan trägt als nominaler Götze-Ersatz vermutlich die größte Bürde und leidet unter ihr bislang genauso, wie unter der nicht eben gefestigt auftretenden Mannschaft um ihn herum. Viel zu selten, wie beim großartigen Auftritt des Armeniers gegen Neapel, konnte „Micki“ bislang die eigenen Pferdestärken auf den Rasen bringen. Gleiches gilt, wenn auch in anderer Form, für Aubameyang, der zwar immense Torgefahr verbreitet, für die erzielten Treffer aber einerseits noch viel zu viele Chancen benötigt und andererseits oft noch fremdelt mit dem Spiel der Borussia. Insbesondere beim Spiel auf engem Raum, beim BVB inzwischen praktisch die Regel, fehlt es dem pfeilschnellen Offensivmann bislang noch an Fertigkeiten. Gleiches gilt für die Defensive, wo Aubameyang das Borussenkonzept sichtlich noch nicht verinnerlicht hat und bisweilen durch seltsame Laufwege auffällt. Das Defensivverständnis ist bei Mkhitaryan sehr viel deutlicher entwickelt. Trotz der Stärken im Offensivbereich bewegt er sich auch defensiv gut, läuft Räume gezielt zu und wirkt vom Spielverständnis her sehr weit. Als Schwäche ist bislang jedoch die Zweikampfstärke auszumachen, wo Mkhitaryan noch die Durchsetzungskraft fehlt und er daher zu oft das Nachsehen gegenüber dem Gegenspieler hat.

Die Standardsituationen

Keine Frage: Während der BVB früher nicht gerade mit großer Torgefährlichkeit nach Freistößen glänzte, hat sich hier inzwischen einiges zum Guten gewandelt: Insbesondere Marco Reus' und Pierre-Emerick Aubameyangs Versuche, den ruhenden Ball direkt im Tor des Gegners unterzubringen, bedeuten für diesen stete Gegentreffergefahr. Mit dem VfL Wolfsburg zusammen ist die Borussia derzeit die gefährlichste Mannschaft bei Freistößen. Leider lässt sich dasselbe nicht ansatzweise auch über die Eckstöße konstatieren. Diese sind im Gegensatz dazu beinahe ein Grund für den Zuschauer, Bier holen zu gehen. Mit Grausen werden sich viele Borussen noch an die letzte Spielszene des Jahres erinnern: einen ernüchternd schlechten, desaströs ausgeführten Eckstoß in der Nachspielzeit gegen die Hertha. Zu kurz, zu weit, zu nah ans Tor, kurz ausgeführt - die Ecken passten in den seltensten Fällen. Zum Verrücktwerden!

Eckball in Nürnberg

Richtig dramatisch aber stellten sich vor allem die Standardsituation gegen den BVB dar. Zwischenzeitlich fielen mehr als die Hälfte der Gegentore nach einer solchen Standardsituation, was die Kollegen von Spielverlagerung.de dazu bewegt hat, der defensiven Standardschwäche des BVB schon im Herbst eine komplette Analyse zu widmen. Natürlich sind auch hier die Gründe in fehlender Abstimmung und mangelnder Eingespieltheit zu suchen. Insbesondere Freistöße unweit des Borussentors wären viel öfter vermeidbar gewesen. Und doch sollte gerade das Verhalten bei Standardsituationen eigentlich sehr viel einfacher in den Griff bekommen zu sein, weil man genau das sehr gut trainineren kann. Andererseits ist man durchaus geneigt, ketzerisch zu fragen: Wie sollen auch die Jungs die Verteidigung gut geschlagener Ecken im Training simulieren, wenn offenbar niemand im Kader das Schlagen solcher Bälle überhaupt gut genug beherrscht?

Der Nachwuchs

Nachdem es in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden war um Spieler aus den Nachwuchsteams und selbst zugekaufte Talente wie Leitner oder Bittencourt ziemlich blass geblieben waren, bekamen in den letzten Monaten wieder mehr Jugendspieler ihre Einsatzmöglichkeiten in der Bundeliga oder gar in der Champions League. Das ist zweifelsohne deutlich auch den Verletzen geschuldet, ändert aber nichts daran, dass der BVB in dieser Hinsicht wieder ein bisschen durchlässiger geworden ist.

Am meisten profitieren konnte zweifelsohne Erik Durm, der gleich in der Hälfte der Spiele als Schmelzer-Ersatz in der Startelf ran durfte und seine Sache ziemlich gut machte. Insbesondere die Absicherung der linken Abwehrseite war bei Durm in guten Händen, sogar in besseren als bei Marcel Schmelzer, der zwar gut in die Saison gestartet war, bei seinem Intermezzo zwischen den Verletzungen aber ziemlich von der Rolle wirkte und insbesondere in Wolfsburg eine ganz schlechte Leistung zeigte. Gleichzeitig fehlt Erik Durm, eigentlich selbst gelernter Stürmer, noch deutlich der Offensivdrang, der Schmelzers Spiel kennzeichnet. Sein Spannmann auf der linken Seite – meist Marco Reus – war so oft auf sich allein gestellt. Und weil Reus das Spiel durch die Mitte gleichzeitig mehr favorisiert als das Flügelspiel, lag die linke Strafraumkante ziemlich oft verwaist.

Jonas Hofmann bei einer seiner zahlreichen Einwechslungen gegen die Hertha

Auch Jonas Hofmann profitierte von der angespannten Personalsituation, insbesondere im Mittelfeld der Borussia. Der 21jährige mutierte in der Hinrunde zum Edeljoker und absolvierte stolze 22 Pflichtspiele, jedoch nur eines davon von Beginn an – sein gleichzeitig vielleicht bestes, im Pokal in Saarbrücken, wo Hofmann einen Treffer selbst erzielte und den durch Julian Schieber vorbereitete. Es ist Jürgen Klopps erklärtes Ziel, Hofmann langsam an die Mannschaft heranzuführen, und man hatte den Eindruck, dass dies auch notwendig ist. Während Hofmann zu Saisonbeginn bei seinen Einwechslungen noch frischen Wind brachte und das Borussenspiel ankurbelte (ein Tor und drei Vorlagen in insgesamt knapp 130 Minuten Spielzeit bei sechs der ersten sieben Saisonspiele), schien die allgemeine schwarzgelbe Leistungskurve auch Hofmann im weiteren Saisonverlauf zu beeinflussen. Die weiteren Auftritte waren weitaus weniger spektakulär (keine Torbeteiligung) und es wirkte, als sei der Youngster mitsamt der gesamten Mannschaft unsicherer geworden.

Wie auch Hofmann, gehörte zu Saisonbeginn vor allem Marvin Ducksch zu den Überraschungen, der eine gute Vorbereitung bei den Profis absolvierte, Julian Schieber kurzzeitig die Position hinter Lewandowski abspenstig machte und beim Pokalauftakt in Wilhelmshaven nach guter Partie ein Tor beisteuern durfte. Damit endete der Höhenflug aber schon für den Moment. Da Jürgen Klopp bald wieder Julian Schieber das Vertrauen schenkte, Robert Lewandowski aber ohnehin stets auf dem Feld stand, reichte es für Ducksch, der hauptberuflich bei den Amateuren als Torjäger fungiert, nur zu zwei Kurzeinsätzen und einem durchwachsenen Auftritt über 90 Minuten gegen den 1. FC Nürnberg.

Manuel Friedrich und Marian Sarr

Anders als Hofmann und Ducksch machte Marian Sarr erst zum Ende der Hinrunde von sich reden, allerdings nicht ausnahmslos positiv. Nach den Ausfällen von Hummels und Subotic sah es ursprünglich noch so aus, als wolle Jürgen Klopp auf die Dienste des 18jährigen verzichten, der eigentlich noch in der A-Jugend spielberechtigt wäre. Ein gut einmonatig währender Zehenbruch hatte Sarr, der bei den Amateuren ansonsten als Stammspieler fungiert, zurückgeworfen und Amas-Trainer Wagner öffentlich bedauern lassen, dass seine beiden Schützlinge, Sarr und Koray Günter, ausgerechnet zum Zeitpunkt der Chance durch den Ausfall der Stamm-Innenverteidigung selbst nicht weit genug auf der Höhe seien, um eine Alternative darzustellen. Weil aber auch der aus dem Vorruhestand geholte Manuel Friedrich der Defensive keine absolute Sicherheit gab und in der Champions League ohnehin nicht spielberechtigt war, durfte Sarr in Marseille dann doch erstmalig ran und machte seine Sache mehr als ordentlich. In der Bundesliga folgten ein schwacher und ein solider, aber unglücklicher Auftritt in Hoffenheim und gegen die Hertha, die beide offenbarten, dass Sarr in Sachen Stellungsspiel und Physis doch noch etwas Nachholbedarf besitzt. Kein Wunder bei einem 18jährigen.

Sarrs Einsatz-Glück war Koray Günters Pech. Der deutsche U20-Kicker verpasste fast die gesamte erste Jahreshälfte 2013 bei den Amateuren verletzungsbedingt und fiel auch während der Saisonvorbereitung aus. Entsprechend wenig konnte sich Günter selbst als Stammspieler in der zweiten Mannschaft Jürgen Klopp als Alternative aufdrängen. Regelmäßige Betrachter der Amateure wissen zu berichten, dass die dritte Liga einstweilen Herausforderung genug ist für den 19jährigen.

Die Verpflichtung von Manuel Friedrich dürfte daher allein schon deswegen die richtige Entscheidung gewesen sein, um einerseits den Druck des Funktionieren-Müssens von Sarr und Günter nehmen zu kennen, und um dem Trainerteam eine Rückfallebene zu verschaffen für den Fall, dass die Bundesliga für beide auch in der Rückrunde noch erkennbar zu früh kommt.

Die Statistik

Oft wird behauptet, die Statistik lüge nicht. Im Fall der BVB-Hinrunde tut sie aber genau das. Mit 38 Toren verzeichnet die Borussia vermeintlich die beste Offensive der Liga. Robert Lewandowski führt mit elf Treffern die Torjägerliste an, dahinter folgen Pierre-Emerick Aubameyang mit neun und Marco Reus mit acht Treffern. Tatsächlich würde aber kaum jemand den Dreien attestieren, bislang eine sehr gute Saison spielen, bei allen Dreien scheint durchaus Luft nach oben - und gar nicht mal so wenig.

Vielmehr kaschieren hier die vier außergewöhnlich torreichen Auftritte mit 21 Toren in Augsburg (4:0), gegen den HSV (6:1), gegen den SC Freiburg (5:0) und gegen den VfB Stuttgart (6:1), dass die Borussia es in den übrigen 13 Partien zusammen lediglich noch auf weitere 17 Treffer gebracht hat.

Fazit

Jürgen Klopp
Es ist nicht rund gelaufen für den BVB in der bisherigen Saison 2013/14. Niederlagen gegen sämtliche Gegner aus den Top 6 der Tabelle sprechen eine deutliche Sprache und zeugen davon, dass es am Ende doch oft auch an Qualität gefehlt hat: Zu allererst an personeller Qualität aufgrund der vielen Verletzungen. Aber auch an spielerischer und taktischer Qualität, einige Ausprägungen und ihre Ursachen haben wir versucht, oben zu beschreiben.


Das Gute ist: Der BVB steht trotz der Vielzahl an Widrigkeiten vergleichsweise gut da. Wir überwintern im DFB-Pokal und in der Champions League und sind selbst in der Liga noch klar auf Kurs Champions-League-Qualifikation. Für eine Rückrunde mit dann hoffentlich weniger Verletzten sind das ausgezeichnete Voraussetzungen, wenngleich mindestens Neven Subotic vermutlich die komplette Serie nicht zur Verfügung stehen wird und auch für Mats Hummels der Rückrundenstart absehbar zu früh kommen dürfte. Vom Start weg ist leider also weiterhin Improvisation gefragt.

Doch weil die dünne Personaldecke nicht der einzige Grund für die bisweilen enttäuschenden Spiele im bisherigen Saisonverlauf war, wartet auf Jürgen Klopp, das Trainerteam und insbesondere die Mannschaft in den nächsten Wochen auch noch viel weitere Arbeit: Es gilt, die Spieler physisch wieder stärker zu machen, insbesondere den Neuzugängen und Jugendspielern die Anpassung zu erleichtern und vor allem jene Tugenden und jene Spielphilosophie wiederzubeleben, die für Borussia Dortmund zum Markenzeichen geworden war.


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