Warmlaufen

Calcio, bunga bunga, alcol

16.09.2013, 17:03 Uhr von:  Redaktion

Da schwatzgelb.de traditionell seiner Zeit voraus ist und über ein großes Netz von Auslandskorrespondenten verfügt, präsentieren wir stolz: den ersten Neapel-Reisebericht. Es geht um finstere Ecken, kühles Bier neben Prostituierten und mehr Taxifahrten als erhofft.

Diverse Fügungen machten es möglich, dass ich vor ein paar Jahren den Saisonauftakt des SSC Neapel im Stadio San Paolo besuchen durfte. Im Gepäck hatte ich einen Laptop und einen journalistischen Auftrag, als Begleitung einen Fotografen. Die 36 Stunden in Süditalien sollten einer der bislang kurzweiligsten Städtetrips werden. Ein Protokoll einer nicht besonders gut vorbereiteten Reise.

Schon der Landeanflug auf die Hafenstadt ließ das feurige Temperament der Bewohner vermuten, liegt sie doch unvergleichlich zu Füßen des Vesuvs. Harmlos stand der Vulkan vor sich hin, zuletzt ausgebrochen ist er 1944. An seinen grünen Hängen…, ok, genug GEO-Reportage.

Praktische Tipps, mit welchem Bus man vom Flughafen am besten in die Stadt kommt, lest ihr lieber woanders. Wir haben es damals nämlich nicht hinbekommen. Zu viele Linien, zu viele Bussteige, zu wenige Englisch sprechende Menschen (null), zu geringe eigene Italienischkenntnisse. Nach 20 Minuten hilflosen Herumirrens fiel die Wahl auf ein Taxi. Eigentlich muss in jeder Reisegeschichte ohnehin eine Taxifahrt vorkommen. Gerne würde ich in dieser von stereotypisch wilden Fahrmanövern, Hupkonzerten und spontanen Gebeten berichten, doch Signore hatte es nicht sehr eilig – und steckte zudem im üblen Stadtverkehr fest. Dass er am Ziel kurzerhand eine zusätzliche Gepäckgebühr von einem Euro pro Stück erfand, sei ihm verziehen.

Beim Blick aus dem Hotelfenster fielen gleich überall die blauen Curva-Graffiti auf, mit dem die SSC-Ultras ihre Stadt markiert hatten. Nach einem Gang zum Hafen, wo das strahlende Weiß der Kreuzfahrtschiffe einen heftigen Kontrast zur schmutzig-grauen Häuserfront bildete, hieß es: pizza, birra, dormire.

Charmant und laut

Bei Tageslicht zeigte sich Neapel charmant und laut, modern und gleichzeitig in die Jahre gekommen. Klischees von Müllbergen bestätigten sich nicht. Die halblegaler Aktivitäten schon eher. Alle paar Minuten stoppten Vespas neben touristisch aussehenden Passanten, Fahrer raunten „want iPad?“ und gaben bei Desinteresse eilig Gas. Nervig, aber harmlos. Wirklich finster würde es erst später werden.

Für die Fahrt zum Stadion sollte es natürlich ohne Taxi klappen. Also ab in den Hauptbahnhof, nach etwas Suchen das unterirdische Gleis für den richtigen Zug gefunden. Nur keine Gelegenheit, ordnungsgemäß eine Fahrkarte zu erwerben. Automat? Offenbar keiner für den Nahverkehr, was sich aber erst nach minutenlangem Betatschen des Displays herausstellte. Nach Rom hätten wir fahren können. Schalter gab es auch keinen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit dann die Erinnerung, wo man in Italien sonst schon einmal Karten, Briefmarken und so Zeugs gekauft hat: im Tabakladen. Volltreffer. Dort war man äußerst freundlich, erklärte zur Sicherheit auch noch einmal den Weg und gab uns den Hinweis, nach Spielschluss am besten zeitig in die Stadt zurückzukehren, weil die Bahnen nicht allzu lange fahren.

Der Vorplatz des San Paolo schien ausschließlich von Ultras bevölkert zu sein. Ihre Flugblätter richteten sich gegen Stadionverbote, so weit waren sie mit ein wenig Italienisch verständlich. Auf den Rängen brannten bei diesem Testspiel zur Saisoneröffnung schon bei der Vorstellung des Kaders reichlich Bengalos. Angesteckt von der Euphorie des Neuen, verzögerten die ausgiebigen Feierlichkeiten den ohnehin schon späten Anstoß des bedeutungslosen Kicks einfach mal um 40 Minuten. Die Journalisten mit redaktioneller Deadline starben tausend Tode. Das Endergebnis weiß ich nicht mal mehr, nur noch, dass die Ultras die Pressemeute, die auf dem Weg in die Mixedzone ein Stück durch den Graben vor den Tribünen herlaufen musste, mit allerlei Gegenständen bewarfen.

Zu fremden Männern ins Auto

So lebendig, wie sich das San Paolo gerade noch präsentiert hatte, so menschenarm war anschließend die Gegend. Überflüssig zu erwähnen, dass die 40 Minuten Verzögerung die Rückfahrt mit der Bahn unmöglich gemacht hatten. Als wir uns durch versprengte Gruppen von finster dreinblickenden Jugendlichen mit Spraydosen in die vermutete Richtung eines Taxistands durchschlugen, wurde der Fotograf mit seiner 20.000-Euro-Ausrüstung im Rollkoffer etwas unentspannt. Das besserte sich nicht, als außer ein paar Motorrollern und einem rostigen Van weit und breit kein Fahrzeug zu sehen war. Die Kneipen hatten zu. Es war dunkel. Und spät. Zeit, zu fremden Männern ins Auto zu steigen.

Denn der rostige Van hatte einen Fahrer, der dem schnöden Mammon nicht abgeneigt war. Eine größere Investition in eine Zahnbehandlung wäre für den älteren Herrn auf jeden Fall fällig gewesen. Mit Geldscheinen, Händen, Füßen, Englisch, Italienisch und sogar etwas Deutsch wurde der Fahrpreis verhandelt. Die Karre war gerade losgerollt, als die rote Leuchte ins Auge fiel. Der Tank war leerer als der Gästeblock bei Hoffenheimer Auswärtsspielen. Beruhigend zumindest, dass unser Hobby-Chauffeur offenbar den richtigen Weg kannte. Was er nicht wusste: dass die Stadtautobahn wegen Bauarbeiten gesperrt war. Gegen den folgenden Schimpfanfall war Trapattonis Wutrede offenbar ein Liebesgedicht gewesen, so hörte es sich jedenfalls an. Ob der Sprit reichen würde?

Schlagloch in Kleinwagengröße

Hier kommt dann endlich auch die Klischee-Stelle über autofahrende Süditaliener: Wir nahmen den Weg durch die City, fuhren allerdings weiter so schnell wie zuvor auf der Autobahn. Elegant umkurvte der ältere Herr ein nicht abgesperrtes Schlagloch, in dem locker ein Fiat 500 Platz gefunden hätte.

Quietschend stoppte er endlich an der Piazza Garibaldi, die der Ausgangspunkt des Stadionausfluges gewesen war. Nur, dass sie bei Nacht irgendwie anders aussah. Das lag einerseits an den nun tatsächlich überall gestapelten Müllsäcken, andererseits an den Mengen von Prostituierten. Mittendrin verkaufte ein Straßenhändler eisgekühltes Bier. Um die Dreifaltigkeit Fußball-Ficken-Alkohol (ital.: Calcio, bunga bunga, alcol) zumindest anzudeuten, gönnten wir uns noch vor Ort eine der riesigen Glasflaschen.

Zum Flughafen ging es früh am nächsten Morgen, wieder per Taxi. Im Vergleich zum Hinweg dauerte die Fahrt nur einen Bruchteil der Zeit. Und kostete die Hälfte…

Felix, 16.9.2013

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