Über den Wolken
"Brauchen sie etwas?", fragt die nette Stewardess. "Nein, danke", winke ich freundlich ab. Was sollte ich schon brauchen? Meine Borussia steht im Champions-League-Finale. Ich bin wunschlos glücklich. Cola, Kaffee, Sandwiches. Alles überflüssig. Na gut, ein Bier nehme ich.
Der Flieger startet. Er steigt in die Höhe, genauso wie es meine Borussia getan hat, denke ich in leicht demütiger Stimmung. Ganz unten war sie im Jahr 2005. Die Fastinsolvenz hat Dortmund aufgeschreckt. Mit neuer Vereinsführung sollte die Boeing 1909 endlich abheben. Der Start war mehr als holprig. Da war Kampers Tor für Arminia, das den BVB auf die Abstiegsplätze und die Fans ins Tal der Tränen schoß. Was war ich nach diesem Spiel fassungslos.
Dann gelang es der "1909" endlich ein paar Meter in die Luft zu steigen. Das Pokalfinale gegen die Bayern wurde verloren, die Fans erlebten dennoch einen Höhepunkt. So wirklich hoch hinaus sollte es erst nach dem Piloten-Wechsel gehen. Wahnsinn, was dieser Mann namens Jürgen Klopp geschafft hat. Der BVB lag 0:3 im Derby zurück, der BVB war sieben Spiele ohne Sieg. Aber Borussia schoß dann eben auch drei Tore am Stück und verlor zehn Spiele nicht mehr. Motto: Was heute nicht klappt, funktioniert morgen umso besser. Erst Europa League, dann Derbysieg, letztlich Meisterschaft.
"Letztlich"? Ich muss mich korrigieren. Die Erfolgsgeschichte war noch lange nicht zu Ende. Es folgte das Double. Während der Flieger Richtung London immer höher steigt, ertönt eine Melodie vor meinem inneren Ohr. Ob ich auf Droge bin? Klar, sie heißt Borussia. Also, es ist so eine emotionale Musik. Wie in einem Film, indem eine Null zu einem Helden wird. Ich denke an die vermaselte Champions-League-Saison im letzten Jahr. Naiv, unerfahren, fahrlässig. So lässt sich diese Zeit wohl beschreiben. Aber wie immer zählte unter Klopp: Morgen wird alles besser. Oder wie formulierte er es kürzlich nach dem Donezk-Spiel? "Es kann sein, dass wir auch im Rückspiel Fehler machen werden. Aber nicht die, die wir heute gesehen haben."
Alles, was noch folgen sollte, war der Wahnsinn. Nach dem Malaga-Spiel war ich leer. Diese Endorphinexplosion konnte gar nicht getoppt werden, so dachte ich. Doch die 69 Sekunden gegen Malaga waren nichts gegen die 90 Minuten gegen Madrid. Wie dort die Osttribüne bereits in der 60. Minute gestanden hatte - unvergesslich.
Die "1909" ist jetzt 10 000 Meter über der Erde. Es wartet Wembley. Alleine die Vorfreude darauf war es schon wert. Unzãhlige Male bin ich zuhause vom Sofa aufgespungen und habe gejubelt. Einfach so. "Wir stehen im Finale!", schrie ich herum. Ich bin in vergangene Gewohnheiten der Kindheit zurückgefallen und habe versucht, das Finale imaginär im Wohnzimmer für mich zu entscheiden.
Ich kann es immer noch nicht begreifen. Nicht Manchester, nicht Barca und auch nicht Chelsea steht im Finale. Sondern meine Borussia. Wahnsinn. Die Boeing 1909 ist weiter auf ihrem Höhenflug. Und das Schöne: Eine Landebahn ist momentan noch nicht in Sicht.
Sven, 24.05.2013
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