I'm still a #Beschieber
Die letzten Wochen waren gut: Im Supercup gelang der Borussia eine kleine Revanche gegen Bayern, im Pokal stellte sich Wilhelmshaven zwar als anstrengende, aber doch überwindbare Hürde dar und Augsburg wurde zum Saisonauftakt abgeschossen – auch wenn das Ergebnis den Spielverlauf nicht gerecht wiedergibt. Bei einem werden diese Wochen dennoch nicht in guter Erinnerung bleiben: Bei unserem Spieler mit der Nummer 23 – Julian Schieber. Nach einer alles andere als überzeugenden Vorstellung in den Vorbereitungsspielen stand er aus nachvollziehbaren Gründen gegen Wilhelmshaven und Augsburg nicht im Kader. Aufgeben möchte er aber nicht: „Ich zweifle nicht an meiner Zukunft beim BVB“, sagte er nach dem Pokalspiel den Ruhrnachrichten, „ich bleibe 100-prozentig in Dortmund.“
Aufgegeben haben ihn aber viele Fans. Sie frohlocken im BVB-Forum, dass Schieber am Ende der Transferperiode nicht mehr zum Verein gehören werde. „Der ist einfach zu schlecht!“, heißt es da. Oder: „Ich bin teilweise froh, wenn mal ein Pass über 5 Meter beim Mitspieler ankommt.“ Besonders hoch kocht die Fan-Seele während der Spiele, Beschimpfungen niederträchtigster Art sind auf den Social-Media-Plattformen keine Seltenheit. Gerade Facebook bestätigt seinen Ruf als Hort der Dummheit. Sprüche von Schubkarren, mit denen man ihn persönlich zu einem Abnehmer bringen würde, gehören ohnehin schon lange zum Standardrepertoire des Stammtischmanagers.
Natürlich ist die sportliche Kritik an Schieber nicht ungerechtfertigt. Seine Torquote ist schwach, im schnellen Kombinationsspiel der spielstarken Mannschaft wirkt er oft fremd, seine Ballannahme ist steigerungsfähig. Dabei waren die Vorschusslorbeeren in seiner Nürnberger Zeit groß: Mario Gomez nannte ihn einen Typen „wie Wayne Rooney“, andere verglichen ihn mit eben diesem Mario Gomez, auch wenn Schieber diese Vergleiche in seiner bescheidenen Art stets zurückwies. Die Nationalmannschaft wurde bereits als Fernziel ausgemacht, für die U-21 des DFB absolvierte er einige Spiele. Interessant sind die Attribute, die ihn damals wie heute begleiteten: „bullig“ und „einsatzstark“, dazu wurde ihm Spielübersicht attestiert. Tatsächlich reißt er auch beim BVB immer wieder Lücken für die schnellen Außenstürmer und sein Engagement ist immer unzweifelhaft. Zudem war der BVB mit Schieber erfolgreich: Kein einziges Pflichtspiel mit ihm in der Startelf ging verloren – bei Mitch Langerak wird eine solche Serie gefeiert. Gegen Málaga schießt er das entscheidende Tor – Felipe Santana klaut es ihm und alle Felipen aus.
Schieber kam mit dem Handicap nach Dortmund, lange verletzt gewesen zu sein und zudem in Stuttgart nicht auf seiner Paradeposition in der Sturmmitte gespielt zu haben. Seinen Einstieg bei den Fans der Borussia hat das nicht unbedingt erleichtert, da viele seine in Nürnberg demonstrierten Fähigkeiten verdrängt hatten. Die fehlende Ungeduld mit Schieber hat aber auch viel mit der schwierigen Kadersituation im Sturm zu tun. Als einziger Stürmer hinter Lewandowski wurde er stets an diesem gemessen, allerdings würden bei diesem Vergleich weltweit die meisten Stürmer eher schlecht abschneiden. Die Sorge, am Ende „nur“ mit Schieber dazustehen, war für viele unerträglich – völlig ungeachtet der Tatsache, dass fraglos selbst bei einem (mittlerweile wohl auszuschließenden) Abschied Lewandowskis erstklassiger Ersatz verpflichtet worden wäre. Nun verschlechtert sich Schiebers Kadersituation weiter: Ducksch drängt sich durch starke Leistungen auf und Aubameyang hat bei St. Etienne auch als Stoßstürmer geglänzt.
Wir werden Schieber noch brauchen
Also weg mit Schieber? Bloß nicht! Zunächst einmal sollte man aus den Momentaufnahmen der vergangenen Wochen nicht darauf schließen, dass wir Schieber nicht mehr benötigen. Ducksch hat in der vergangenen Saison kaum Spielpraxis sammeln können und steht vor seiner ersten Saison im Profifußball. Ob er der körperlichen Belastung einer ganzen Saison schon gewachsen ist, bleibt abzuwarten. Zudem benötigt er in seinem Alter unbedingt Spielpraxis, weshalb er häufiger bei der zweiten Mannschaft zum Einsatz kommen als bei der ersten auf der Bank sitzen sollte. Auch Aubame muss seinen starken Auftritt gegen Augsburg noch bestätigen. Es waren oft dieselben Kritiker, die Schieber am liebsten verschenken würden, die Pierre-Emericks Auftritt gegen Wilhelmshaven mit Attributen wie dem „Chancentod“ bedachten oder ihn mit Odonkor verglichen. Zudem ist unsere offensive Mittelfeldreihe, zumindest solange Großkreutz als Außenverteidiger aushelfen muss, quantitativ nicht sehr stark besetzt, so dass bei einem Abschied Schiebers und einem Einrücken Aubameyangs in den Sturm hier eine neue Lücke gerissen werden könnte. Gelingt es Schieber, aus seinem derzeitigen Tal herauszukommen und wieder den Entwicklungsweg einzuschlagen, den er in Nürnberg beschritten hatte, könnte er mit seinen Fähigkeiten besonders bei knappen Spielen durchaus helfen.
Ist die Situation Schiebers also durchaus schwierig, macht es sportlich dennoch Sinn, sich für seinen Verbleib einzusetzen. Und über das Sportliche hinaus gibt es weitere gute Gründe, ihn zu unterstützen. Sein Einsatzwille ist unzweifelhaft, eine Eigenschaft, die im Pott eigentlich immer geschätzt wurde. Er hat sich trotz der Nichtberücksichtigung loyal verhalten, nicht gemeckert oder einen Wechsel forciert, sondern sich selbstkritisch gezeigt und sein Bemühen kundgetan, nicht aufzugeben. Er ist eher der Typ „ehrlicher Arbeiter“ als filigraner Schöngeist. Solche Spieler waren früher Publikumslieblinge, während wir mit Mario Götze zuletzt einen Vertreter der zweiten Kategorie im Verein hatten, der wohl am Ende menschlich so ziemlich jeden enttäuscht hat.
Da stellt sich die Frage, ob manche Fans die Werte, die sie immer einfordern, ernst meinen. Diese sollten nicht nur für die Fußballer, sondern auch für uns Fans gelten. Ich erwarte von einem Spieler, dass er sich den Arsch aufreißt, solange er bei uns spielt und sich gegenüber dem Verein und der Mannschaft loyal verhält. Julian Schieber tut dies. Dann hat er aber auch ein Anrecht darauf, dass wir Fans ihn in für ihn schwierigen Zeiten unterstützen, die Leistung zu bringen, die er selbst am meisten von sich erwartet. Unverkennbar hat Schieber derzeit Probleme und kommt mit der Situation nicht zurecht. Er will zu viel und schafft so zu wenig. Warum beweisen wir uns nicht mal als die besten Fans der Liga und helfen ihm dabei, diese Phase zu überwinden. Ich glaube jedenfalls noch immer an das Potential des Spielers Schieber, während es an dem Menschen Schieber ohnehin nie Zweifel gab. Um es auf den Punkt zu bringen: I‘m still a #Beschieber.
PatBorm, 15.08.2013