Plan B
Manch einer wird sich letzten Samstag verwundert die Augen gerieben haben. Zum Schluss, weil es völlig unglaublich war, dass der BVB es irgendwie geschafft hatte, gegen mehr als biedere Gladbacher Ponys zu verlieren. Speziell in der ersten Halbzeit jedoch über einen absolut eintönigen Spielverlauf. Immerhin spielte dort ein selbsternannter Anwärter auf einen Europapokalplatz gegen einen Champions-League-Teilnehmer. Vor der eigenen Heimkurve. Und genau dort fand das Spiel in den ersten 45 Minuten fast ausschließlich statt. Eng um den eigenen Sechszehner versammelt und allein auf die Torverhinderung bedacht. Eigene Angriffsversuche waren mit „zaghaft" noch sehr wohlwollend umschrieben.
Dabei war Gladbach bei weitem nicht der erste Gegner, der unserer Borussia mit dieser simplen Defensivtaktik begegnete – und auch nicht der erste, der uns damit große Probleme bereitete. Schon in der letzten Saison musste unsere Mannschaft gegen massive Abwehrbollwerke anrennen und versuchen, mit dem berühmten Kloppschen Dosenöffner den Gegner zum Einstieg in das Fußballspiel zu zwingen. Häufig genug finden sie irgendwann doch die eine Lücke und das Spiel wird offener. An manchen Tagen jedoch will der Ball einfach nicht über die Linie. Mal ist der Torwart, mal der Pfosten im Weg – und nicht selten auch ein bisschen eigene Dämlichkeit in der Chancenverwertung. Dann entwickelt sich alles zu einem echten Geduldsspiel – Ausgang ungewiss.
Reflexartig denkt man sich als Fan, dass man da doch einen Plan B in der Hinterhand haben muss. Das sind doch schließlich alles hochbezahlte Profis, die den ganzen Tag über nichts anderes machen als Fußball zu spielen. Und immerhin trainieren die zwei oder drei Mal am Tag. Warum nicht bis zur Grundlinie, statt in der Mitte durchzulaufen? Oder mal ein paar gute Flanken von Außen. Das wäre es doch in dieser Situation! Dass ein scheinbares Fehlen eines Plan B nicht darin begründet ist, dass Jürgen Klopp taktische Inhalte nicht vermitteln kann, wird jeder bedingungslos abnicken, der die Entwicklung der Mannschaft in den letzten 6 Jahren verfolgt hat und auch an fehlender sportlichen Qualität der Kicker kann es nicht liegen. Diese Offensivmaschinerie ist in der Lage, sich in Höchstgeschwindigkeit verwirrend schnell die Bälle zuzuspielen. Es muss also andere Gründe geben, warum diese hochbegabten Fußballer manchmal den Eindruck erwecken, ziemlich ratlos vor einem ebenso simplen wie massiven Abwehrriegel zu stehen.
Der einfachste Grund ist unsere eigene Spielphilospohie. Laufintensives Gegenpressing, das ein genau aufeinander abgestimmtes Verschieben der einzelnen Mannschaftsteile erfordert und schnelles Umschalten nach Balleroberung. Was wie gegen Marseille faszinierend flüssig aussehen kann, ist das Ergebnis einer gezielten Einkaufspolitik und harter Trainingsarbeit. Reus, Mkhitaryan und vor allem Aubameyang sind Spieler, die für schnelle Vorstöße prädestiniert sind. Reus ist am besten, wenn er mit Tempo auf den Gegner zugehen kann und Aubameyang ist der ideale Spieler, um blitzschnell in freie Räume zu laufen. Eng eingeklemmt zwischen Grundlinie und Gegenspieler kommen diese Stärken jedoch nicht zum tragen. Mkhitaryan ist noch am ehesten ein Spieler, der dies könnte, lenkt das Spiel jedoch in zentraler Position.
Vielleicht schafft er es zu einem späteren Zeitpunkt, unser Spiel um eine derartige Facette zu bereichern, momentan ist die komplette Offensivreihe jedoch noch in einer Lernphase. Wir sind früh in der Saison und wenn man bedenkt, wie viel Zeit unsere „Königstransfers" in den letzten Jahren gebraucht haben, sich zu akklimatisieren, ist es schon höchst erstaunlich, auf welch hohem taktischen Niveau sich unsere Neuzugänge bereits jetzt befinden. Sie entwickeln enormen Druck auf den gegnerischen Spielaufbau und haben bereits jetzt das notwendige Gespür für die Laufwege ihrer Mitspieler. Hier muss enormer Trainingsaufwand hinter stecken, um eine neu zusammengestellten Offensive derart aufeiander abzustimmen. Arbeit, die mit Sicherheit auch noch nicht abgeschlossen ist. Da kann es gar nicht verwundern, dass man zu diesem Zeitpunkt noch keine alternativen Lösungsmöglichkeiten parat hat. Ein anderer Spielaufbau ändert die Statik des Spiels komplett. Am einfachsten zu erklären ist das an der Rolle von Robert Lewandowski. Im gewohnten Spielaufbau vorderster Mann, der Bälle behauptet und prallen lässt. Beim Spiel an die Grundlinie muss er sich tiefer fallen lassen und von der Strafraumkante vor das Tor stoßen. Normalerweise der Bereich, in dem sich Mkhitaryan tummelt. Diese Spielweise erfordert grundlegend andere Lauf- und Passwege. Das ist zeitlich einfach noch kaum trainierbar zu einem Zeitpunkt, an dem man noch an der Feinabstimmung des eigentlich geplanten Spielstils arbeitet und so ganz nebenbei englische Wochen mit Europapokalspielen absolvieren und zusätzlich viele Spieler zu den Nationalmannschaften abstellen muss. So ist es kein Wunder, dass die Mannschaft erst einmal versucht, mit gewohnten Mitteln zum Erfolg zu kommen. Mit Tempo auf die Abwehrreihe zu, oder der Pass in die Tiefe zum durchstartenden Mitspieler. Im Prinzip also das eingeübte Spiel, das für deutlich größere Räume konzipiert ist. Der Gegner hat es da einfacher. Er verlegt sein Spiel 10 bis 20 Meter näher ans eigene Tor und zieht die Zwischenräume enger.
Aufbrechen könnten diese Situationen Spieler, die aus dem Stand heraus in die Eins-gegen-Eins-Situationen gehen. Die sich auch in engen Räumen wie denen an der gegnerischen Eckfahne durchsetzen können. Leider hat der BVB in den letzten beiden Jahren mit Kagawa und Götze zwei Spieler verloren, die diese Fähigkeit auf Weltklasseniveau besitzen und kaum ersetzbar sind. Am ehesten kann man Kuba, der aber auch mehr das Tempospiel liebt, und Hofmann diese Aufgabe noch zutrauen, die aber beide noch überschaubare Einsatzzeiten in dieser Saison haben. Hofmann wird noch langsam aufgebaut, da es für einn jungen Spieler leichter ist, sich in ein Spiel hinein zu finden, das bereits im Fluss ist. Bei Kuba könnte man vermuten, dass Aubameyang eventuell stärkeren Eindruck im Training hinterlässt oder möglichst viel Einsatzzeit bekommen soll, um sich an die Bundesliga zu gewöhnen. Im Nachhinein lässt sich das leicht sagen, aber angesichts des Spielverlaufs wäre ein Kuba in der Startaufstellung die bessere Variante gewesen. Eine derartige Dominanz in der gegnerischen Hälfte konnte man im Vorfeld jedoch nicht erwarten.
Erschwert wird die Situation noch durch das Verletzungspech auf entscheidenden Positionen. Mit Piszczek fällt auf der rechten Seite der kongeniale Partner von Kuba mindestens bis zum Rückrundenstart aus. Beide harmonierten perfekt miteinander und haben sich ideal ergänzt. Während der Gegner den Weg in die Mitte für Kuba absichern musste, konnte „Pischu" ihn überlaufen und zur Grundlinie vorstoßen. Kevin Großkreutz ersetzt ihn bislang hervorragend, gewöhnt sich aber selber noch an diese Position und hat mit Aubameyang häufig einen „Neuen" vor sich. Dass da die Automatismen des polnischen Flügels fehlen, ist ganz natürlich. Die linke Außenbahn war mit Schmelzer traditionell schon weniger offensivlastig, Erik Durm ist verständlicherweise noch stärker darauf bedacht, erst einmal seinen defensiven Part zu erledigen.
Am schwersten wiegt allerdings die Verletzung von Ilkay Gündogan – ohne die Qualitäten von Nuri Sahin schmälern zu wollen. Die Saison 2010/2011 war seine Saison, er war der Lenker des Spiels. In dieser Saison waren wir allerdings auch die Überraschungsmannschaft, auf die sich die Gegner noch nicht eingestellt hatten. Es gab Räume, die Nuri mit seinen punktgenauen Pässen bedienen konnte. Das ist seine Stärke. Der Pass in die Tiefe über 20 oder 30 Meter hinweg. Sehr gut zu beobachten im Spiel gegen Marseille, bei dem er das 1:0 mit einem öffnenden Pass auf Marco Reus einleitete. Steht der Gegner massiv vor dem eigenen Strafraum, sind diese Bälle aber nicht spielbar. Gündogan kann diese Bälle wiederum zwar auch, mag aber ebenfalls die kurzen, schnellen Pässe ohne lange Ballannahme. Diese Qualität fehlt eindeutig, wenn es darum geht, vor das gegnerische Tor zu kommen.
Das Gute ist: Mit fortschreitender Eingespieltheit und der Rückkehr jetzt noch verletzter Spieler, werden wir diese für uns unangenehme Situationen immer besser lösen können. Bis dahin heißt es erst einmal, weiterhin geduldig zu sein und vor dem Tor konzentriert zu Werke zu gehen. Exemplarisch, in negativer Sicht, auch hier das Gladbach-Spiel. Chancen wie die von Mats nach 15 Minuten dürfen wir nicht liegen lassen. Einfacher kann man den Gegner nicht aus der Reserve locken als durch einen Rückstand. Und auch wenn die Niederlage gegen Gladbach weh tut – so schlecht haben wir es bis jetzt mit 19 Punkten aus 8 Spielen bei 21 erzielten Ligatoren (Bestwert) ja nun auch nicht gemacht. Oder um es mit Klopps Worten zu sagen: „Alles ist gut."