Saisonauftakt ohne Maß
Es ist angerichtet. Erstes Heimspiel des BVB in der neuen Spielzeit. Wetter gut, Hütte fast ausverkauft, der BVB mit Chance auf die Tabellenspitze und mit Eintracht Braunschweig ein traditionsreicher, sangesfreudiger Verein zu Gast. Vorfreude allenthalben. So wohl auch in einem kleinen Kabuff der Dortmunder Polizei. Dort plante man die gesamte Sommerpause über diesen „kurzfristig erforderlichen" Einsatz, der am Sonntagnachmittag die drei Ultra-Gruppen des BVB heimsuchen sollte. Dietmar Hopp, seines Zeichens der bekannte Baron von Braunschweig, dessen mit einem Fadenkreuz geschmücktes Konterfei die Herren der Dortmunder Polizei auf einer Zaunfahne befürchteten, wird wirklich froh über diese Schützenhilfe gewesen sein.
Wir schreiben Sonntag, den 18.08.2013, 14:00 Uhr. Die Dortmunder Ultragruppe Desperados befindet sich zu früher Stunde auf dem Weg zum Stadion. Sie wollen sich mit ca. 60 Leuten an einer geplanten Becherspendenaktion zugunsten des Filmprojektes „Franz Jacobi" (eine Verfilmung des Lebens von Franz Jacobi, seines Zeichens erster Präsident unseres Ballspielvereins) beteiligen. Doch die Dortmunder Polizei hat andere Pläne. Denn ihr „lagen Informationen vor, dass Banner mitgeführt werden, die strafrechtlichen Inhalts seien könnten (Aufschriften „ACAB All Cops are Bastards" und Hopp im Fadenkreuz)," so der Leiter der Pressestelle der Dortmunder Polizei, Wolfgang Wieland, gegenüber schwatzgelb.de. Dabei ist anzumerken, dass einerseits die strafrechtliche Relevanz des Schriftzuges „ACAB" von unterschiedlichen Gerichten unterschiedlich bewertet wird, andererseits das Zeigen eines Anti-Hopp-Banners abseits eines Spiels gegen Hoffenheim ein Novum wäre. Die zwingende Notwendigkeit eines Einsatzes aufgrund dieser Faktenlage erschließt sich also nicht auf den ersten Blick.
Die Gruppe der Desperados wurde auf Höhe des Gästeeingangs am Stadion Rote Erde durch eine Polizeikette am Weitergehen gehindert. Grund: Die Polizisten wollten Banner und sonstiges mitgeführtes Material (Trommeln, Fahnen, usw.) kontrollieren. Als die Gruppe aufgrund dieser unbegründeten Maßnahme, nach zwei gescheiterten Vermittlungsversuchen seitens des Fanprojekts und der Fanbetreuung des BVB, den Rückweg zu ihren Räumlichkeiten antreten wollte, kesselte die Polizei die Gruppe ohne weiteres ein, um die Maßnahme trotz des Rückzugswunsches der Gruppe durchzuführen. Während der gesamten Aktion verhielten sich die Fans ruhig, obwohl für den kurzzeitigen Freiheitsentzug kein offensichtlicher Anlass und zudem Kooperationsbereitschaft seitens der Fans bestand, die kommunizierten, dass sie sich ohne weiteres am Stadioneingang durch den Ordnungsdienst des BVB kontrollieren lassen würden. Auf Basis welcher Information die Polizei diese überzogene und vermeidbare Aktion durchführte und was genau man zu finden gedachte, darauf blieb die Polizei bis heute eine Antwort schuldig. Es bleibt festzuhalten, dass sie nicht fanden, wonach sie suchten.
Die beiden anderen Ultra-Gruppen THE UNITY und Jubos Dortmund befanden sich zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Weg zum Stadion und auch ihnen wäre eine Durchsuchung der Materialien und Leibesvisitationen vermutlich nicht erspart geblieben. Der Aussage der Polizei Dortmund, man fokussiere sich ausschließlich auf die Fangruppe Desperados, steht hier wiederum konträr zu Beobachtungen von Augenzeugen, die bestätigen, dass sich ca. 50 bereits behelmte Polizeikräfte und eine Reiterstaffel der Polizei auf dem Vorplatz des Stadions für einen Zugriff vorbereitet hätten. Zumindest ließe sich so die übermäßig große Anzahl an Polizeikräften auf dem Vorplatz erklären. Auf Nachfrage erteilte die Polizei Dortmund uns zu diesem Sachverhalt die Auskunft, man habe nicht vor gehabt die Gruppen ebenfalls zu durchsuchen. Die beiden Ultragruppen änderten, nachdem sie von der Einkesselung der Desperados erfahren hatten, ihre Pläne und brachten das Material der Gruppen inkl. der Trommeln zurück in ihre Räumlichkeiten. An einen uneingeschränkten Support war nach Aussage der Beteiligten schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken. Übrigens: Mehrere Augenzeugen berichteten unabhängig davon, dass sich die behelmten Beamten nach dem Rückzug der Ultra-Gruppen direkt wieder vom Stadionvorplatz entfernten.
Eine solche plötzliche Kollektivmaßnahme mit einem vor langer Zeit gezeigten Banner gegen Dietmar Hopp zu rechtfertigen, erscheint ziemlich weit hergeholt. Gepaart mit der Ergänzung, die Durchsuchung sei sehr kurzfristig anberaumt worden, ergibt sich ein gänzlich unstimmiges Bild über die eigentlichen Motive der Polizei. Doch damit nicht genug.
Auch weitere Fanclubs betroffen
Entgegen der Aussage der Polizei Dortmund, die Maßnahme habe sich ausschließlich gegen die Fangruppe Desperados gerichtet, wurden viele weitere Fanclubs im Vorfeld des Spiels durch Einheiten der Polizei in Empfang genommen, das mitgebrachte Material durchsucht und die Fans mit Videokameras erfasst. Sogar im Stadion verstärkte die Polizei ihr Aufgebot und beaufsichtigte die Ordner an den Einlassbereichen. Der Verein Borussia Dortmund bestätigte gegenüber schwatzgelb.de, man habe seitens des Vereins keine Verschärfung der Einlasskontrollen veranlasst, auch hier scheint es ergo einen Alleingang der Einsatzkräfte vor Ort gegeben zu haben. Im Vorfeld der Becherspendenaktion, die zur Unterstützung des Filmprojekts „Franz Jacobi" durchgeführt wurde, wurden sogar die auszuteilenden Flyer kontrolliert. Auch hier lässt sich keinerlei sinnvolle Handlungsgrundlage erkennen. Zwar stufte die Polizei das Spiel gegen Braunschweig als ein Sicherheitsspiel ein, dies jedoch wegen vergangener Vorfälle mit Fans aus Braunschweig und mitnichten wegen zu befürchtender Ausfälle durch BVB-Fans. Der Verein Borussia Dortmund selbst bewertete die Begegnung gegen Eintracht Braunschweig übrigens nicht als Sicherheitsspiel. Vielleicht nimmt die Polizei den ansonsten friedlichen Verlauf der Veranstaltung ja zum Anlass, die Zahl der Einsatzkräfte zukünftig zu reduzieren. Eine Maßnahme die, nebenbei bemerkt, auch die ziemlich klammen Kassen des Landes NRW entlasten und die immer wieder beklagten hohen Einsatzzeiten im Zusammenhang mit Bundesligaspielen reduzieren würde.
Neben diesen Maßnahmen gegen einzelne Fangruppen berichten viele Fans über ein sehr aggressives Auftreten der Polizeikräfte an diesem Tag. So sei neben der großen Zahl an Einsatzkräften auch auffällig gewesen, dass diese, egal in welchem Bereich des Stadionumfelds sie sich aufhielten, bereits ihre Schutzkleidung angelegt hatten. Auch dies ist nicht mit der Strategie zu vergleichen, die bei normalen Einsätzen an einem Bundesligaspieltag gefahren wird. Der BVB-Fanclub „Borussenstern" kommt gar in seinem offenen Brief an den Dortmunder Polizeipräsidenten zu folgendem Schluss: „Ganz offensichtlich werden hier alle Fans zu Spielbällen einer Polizeistrategie, die auf Aggression und Machtdemonstration gegenüber den Ultras ausgerichtet ist. Kommunikation und Deeskalation als Grundlage für einen friedlichen Umgang miteinander sieht anders aus." Eine Schlussfolgerung, der man sich nach den Beobachtungen vom Sonntag anschließen kann.
Zudem bleibt festzuhalten, dass dieser offensichtliche Alleingang der Polizei Dortmund, ohne die Einbeziehung des Vereins und Veranstalters Borussia Dortmund, keinen optimistischen Ausblick für die kommenden Bundesligaspiele zulässt. Weder die Verantwortlichen für die Sicherheit und Organisation, noch die Fanbetreuung waren über die Kontrollvorhaben im Stadionumfeld und die verschärften Einlasskontrollen informiert. Angeblich sollen nicht einmal die szenekundigen Beamten in die geplanten Vorgänge eingeweiht gewesen sein. Sollte dem tatsächlich so sein, gibt es bei der Polizei Dortmund nicht nur in der externen, sondern auch in der internen Kommunikation einiges aufzuarbeiten. Die Kurzfristigkeit der Maßnahme, die die Polizei als Grund für die Nichtkommunikation nennt, kann und darf in Zeiten mobiler Kommunikation keine Ausrede dafür sein, dass die weiteren unmittelbar beteiligten Institutionen nicht informiert wurden. Wie soll der Verein vernünftige Konzepte zum Einlass und zur Situation rund um das Stadion umsetzen, wenn die polizeilichen Maßnahmen diese torpedieren?
Einlasssituation am Stadion
Neben den polizeilichen Maßnahmen rund um das Westfalenstadion, schien auch der Ordnungsdienst zu wesentlich strengeren Kontrollen angehalten worden zu sein. Uns wurde berichtet, dass zumindest am Südeingang deutlich schärfer als bei früheren Spielen durchsucht wurde. Inwieweit dies durch die Beobachtung des Ordnungsdienstes durch anwesende Polizeibeamte gesteuert war, dazu liegen uns noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Verschärft wurde die durch die verlängerten Abfertigungszeiten eh schon prekäre Situation durch im Zugangsbereich des Eingangs zur Südtribüne quer geparkte Polizeifahrzeuge, die den Zustrom an Fans weiter einengten. Gepaart mit der angespannten Einlasssituation durch die baulich bedingte Teilsperrung der Eingänge an der Nordtribüne und der Empfehlung, auf andere Eingänge auszuweichen, ergaben sich an den Eingängen im Süden so teils gefährliche Gedränge-Situationen. Laut Auskunft der Beamten vor Ort werden die Polizeifahrzeuge jetzt dauerhaft dort geparkt. Ein nicht haltbarer Zustand, betrachtet man die Folgen dieser Maßnahme.
Dialog ohne Vertrauen?
Gerne wird seitens der Polizei kolportiert, dass „die Grundaussage der Bereitschaft zur Kommunikation untereinander bestehen bleibt," allerdings wirkt das Handeln der Einsatzkräfte am Sonntag doch ziemlich konträr zu dieser Aussage. Fast höhnisch eine Aussage des Polizeipräsidenten Wesseler, der zwei Tage vor dem Spiel noch so zitiert wurde: "Wir werden den intensiven Dialog mit allen Netzwerkpartnern und den Fangruppierungen auch in dieser Saison fortsetzen und wollen auch damit einen wichtigen Beitrag für ein sicheres Fußballerlebnis leisten." Herr Wesseler, lassen Sie sich an diesen Worten messen und erklären Sie Ihr Handeln in diesem Kontext! Und eines würden wir gerne noch in unseren Wunsch aufnehmen: Sie sprechen immer nur von einem sicheren Fußballerlebnis, wir wünschen uns aber nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiräume zum Ausleben unserer Leidenschaft als Fußballfans. Hier einen Mittelweg zu finden, das muss unser gemeinsames Ziel sein. Durch Ihre vollkommen überzogene Polizeistrategie vor dem ersten Bundesligaheimspiel des BVB sind wir von diesem gesunden Mittelweg noch Lichtjahre entfernt.
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- "BVB irritiert über fehlende Informationen durch Polizei" - eine Stellungnahme von Borussia Dortmund
Jakob, 21.08.201