Unsa Senf

Ausrasten! Alle!

05.07.2013, 07:45 Uhr von:  Redaktion

Natürlich ruft der momentan ausfallende Stadionbesuch irrwitzige Entzugserscheinungen hervor. Ausweichhandlungen führen in den Confed-Cup, zu Fernsehwiederholungen alter BVB-Triumphe oder auf öde Facebookseiten kickender Selbstdarsteller. Doch die Sommerpause hat auch etwas Gutes: dass man die folgenden nervigen Typen nicht zu ertragen hat.

Wir alle lieben Borussia Dortmund, unser Westfalenstadion, lieben die Südtribüne. Jeder von uns lebt diese Emotionen anders aus, hat andere Rituale und einen unterschiedlichen Alkoholpegel beim Gang zum Fußball. Das ist völlig in Ordnung und Teil der tollen BVB-Vielfalt. Und doch gibt es Charaktere, die man auf der Tribüne nicht in seiner Nähe haben muss. Eine kleine Typologie der Nervensägen.

1. Der Klugscheißer (auch Nörgler, Besserwisser)

Er hat es ja immer schon gesagt. Dieser Gündogan, dieser Lewandowski, dieser Barrios: eine komplette Bratwurst. Trifft nix, kann nix, hätte mal besser in Nürnberg/Polen/Irgendwoinsüdamerika bleiben sollen. Nun nutzt der Klugscheißer diesen einen Fehlpass oder diese eine vergeigte Torchance, um noch einmal seine detaillierte Bewertung der Stärken (keine) und Schwächen (alles) des jeweiligen, natürlich hemmungslos überbezahlten Fußballers zu postulieren. Bei der Artikulation wird gönnerhaft auf Zurückhaltung verzichtet, damit auch ahnungslose Fans fünf Reihen weiter vorne von dem ausgeprägten Sachverstand des Klugscheißers in Kenntnis gesetzt werden. Entgegen der landläufigen Meinung muss der Besserwisser nicht fortgeschrittenen Alters (vgl. Nörgelrentner) sein. Auch mit wenigen erlebten Lenzen lässt es sich kenntnisarm und frei heraus pöbeln.

Stellt sich der kritisierte Spieler doch noch als Granate heraus, wechselt der Nörgler schnell das Thema. Und kommt zum Beispiel zur Taktik. Unser Mann erkennt jede flache Vier, jede falsche Neun, jedes Pressingopfer und jeden Ballschlepper. Wirklich nur sehr selten kommt er bei der Analyse des Spielsystems auf mehr als elf Mann in einem Team. Familiär ist er auch bestens im Bilde, weiß zum Beispiel, dass Steffi und Jermaine Jones Geschwister sind.

Keine Ahnung hat er dagegen – und das gibt er sogar zu – vom BVB-Nachwuchs. Sitzt mal ein Spieler von die Amateure auf der Ersatzbank der Profis, quiekt es laut aus ihm heraus. „Wer ist das denn? Hab ich ja noch nie gehört.“ Es klingt belustigt. Dabei sollte er sich freuen, die Profis sind schließlich allesamt unfähig.

Optik: Auf keinen Fall Fanartikel, die sich einem einzelnen Spieler zuordnen lassen. Also: Trikot ohne Flock, Pöhler-Kappe oder Meistertitel-Shirt.

Liebster Fangesang: Keiner, da sprechen und singen nicht parallel möglich.

Typischer Satz: Sieht der Klopp denn nich, dat der nix kann?

2. Der Eskalierer

Eigentlich gehört er ja in Block 13. Da unten, wo die Ultras stehen, so erklärt es der junge Mann seinem Begleiter. Da rasten alle gemeinsam aus, so geil ist das. Neulich war der Eskalierer auch mal auswärts unterwegs, da gab es nach Schlusspfiff ein richtig fettes „Ballspielverein Borussia aus Dortmund“ mit der Mannschaft. Ü-ber-ra-gend, sag ich dir. Auswärts ist eh viel mehr los. Allein schon auf dem Weg mit den Bullen und so. Und nicht so viele Stimmungskiller und Oppas wie jetzt gerade um ihn rum. Deswegen, hat der Eskalierer sich überlegt, nimmt er das mit der Atmosphäre jetzt mal selbst in die Hand. Mag das Spiel auch müde 0:0 vor sich hindümpeln und wenig sportliche Relevanz haben, egal, ist Borussia, da muss man abgehen. „Alle ausrasten“, brüllt unser Freund nun in den Block. Elegant sitzt, ja thront, er auf dem Wellenbrecher, Körper und Blick nach oben gerichtet. Hastig singt er ein paar Zeilen mit, die er aus Block 13 aufschnappt. Dabei kommt es auf den Text nicht so genau an – der Wille zählt. „Los, alle! Support!“, legt er nach. Die wenigen Fans, die ihn nicht ignorieren können, weil er genau in ihrem Blickfeld den Capo mimt, lächeln milde.

Bei BVB-Toren MUSS der Eskalierer einen Pogo starten, ebenso ist es für ihn selbst beim glücklichen 1:4-Anschlusstreffer zwingend erforderlich, das gerade konsumierte Getränk im größtmöglichen Radius über die unfetzige Spießerschar zu zerstäuben.

Optik: Trikot, mehr aber noch Ultra-Copy-Style.

Liebster Fangesang: Borussia Dortmund, du bist unsere Droge.

Typischer Satz: Ausrasten!

3. Der Partytourist

Der arme Kerl hat schon einen harten Tag hinter sich. In der Regel eine lange Anreise zum Heimspiel, da möchte man nicht tauschen, das verlangt ehrlichen Respekt. Aber weil das mit der Tour zum Stadion immer so mühselig ist (und weil die Karten knapp sind), nimmt der Partytourist sie nicht ganz so oft auf sich. Geht es dann in regelmäßigen Abständen mal nach Westfalen, ist das natürlich die ganz große Nummer, da muss man es krachen lassen. Mit Wesenszügen des ->Eskalierers ausgestattet, verschont der Partytourist aber in der Regel sein Umfeld mit Agitationen. Er will nur Spaß haben. Allerdings treibt ihn wahlweise sein Bierkonsum oder sein Durst etwa alle zehn Minuten aus dem Block, tschuldigung, schubs, rempel. Der frisch erworbene Gerstensaft benetzt verschwenderisch die Betonstufen. Wie stehts? Wir führen? Geil! BVB Nuhullneun!

Nicht selten schläft der Weitgereiste schon vor dem Schlusspfiff den Schlaf der Gerechten. Zum Glück helfen die zahlreichen unscharfen Handyfotos mit viel Südtribüne und angeschnittenen Gesichtern der Begleiter darauf am nächsten Tag bei der Rekonstruktion der Ereignisse. Tipp: Einiges kann man auch bei schwatzgelb.de nachlesen!

Optik: Aktuelles Trikot oder Shirt mit Aufschrift eines Fanclubs, der mindestens 300 Kilometer entfernt angesiedelt ist. Erste Flecken zeugen von den Getränken des Tages.

Liebster Fangesang: Eine Straße, viele Bäume, ja das ist eine Allee. Oder: Scheiße 04!

Typischer Satz: Boah, das ist so geil hier!

4. Der Techniker

Dieser Spezies ist nur äußerst schwer beizukommen. Ihre Erforschung beschäftigt sogar momentan zahlreiche Wissenschaftler, wenn auch mit einer Fragestellung, die nicht im Fußball-Kontext liegt. Denn der Techniker gehört zu jenen Wesen, die sich keine fünf Minuten mehr auf etwas konzentrieren können, ohne zur Unterbrechung des Geschehens per Mobiltelefon vermeintlichen Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen. Keine vor Adrenalin berstende Schlussphase, keine knappe Führung, kein Powerplay mag den Funker davon abhalten, sein leuchtendes Riesendisplay aus der Tasche zu ziehen, einen Status zu checken oder schier endlos Nachrichten zu schreiben. Oft muss der Techniker sein smartes Telefon auch frustriert wieder einstecken, weil das mobile Internet im Stadion unter der Benutzungslast der vielen anderen Techniker die Grätsche gemacht hat. Das kann aber schon zwei Minuten später wieder funktionieren – deshalb besser gleich noch einmal den Empfang kontrollieren.

Zugegeben, der Mobilfunker ist für seine Umgebung weniger störend als die anderen hier betrachteten Nervensägen. Es kann sogar ganz lustig sein, während eines Ballgeschiebes auf dem Rasen die Vorwürfe auf dem Display mitzulesen, die der Vordermann aus der Ferne von seiner Freundin Katja gemacht bekommt. Hat der alte Hengst auf der Party doch wieder mit Carolin geflirtet. Vermutlich aber nur per WhatsApp.

Optik: Eher jung, ansonsten kaum einzuordnen. Nur Kuttenträger sind auszuschließen.

Liebster Fangesang: Dortmunder Jungs.

Typischer Satz: Bin grad im Stadion ;-) :-D *lol*

5. Der Schizophrene

Nein, der Schizophrene ist natürlich meist nicht wirklich psychisch krank. Aber irgendetwas kann mit ihm nicht stimmen, zeigt er doch die Verhaltensweisen des ->Eskalierers und des ->Technikers derart eng beieinander, dass es ein großes Rätsel ist. Den innigsten Fangesang bricht der Schizophrene augenblicklich ab, wenn er spürt, dass es in seiner Hosentasche vibriert. Was ist schon eine Dortmunder Ecke gegen News von Katja oder Carolin? Der ->Klugscheißer zwei Reihen weiter hinten hat schließlich schon gut vernehmbar prophezeit, dass sie nicht rein geht, weil der blinde Reus immer auf Kniehöhe schießt.

Ruht das Handy aber mal in der Tasche, kennt der Schizophrene mit seinem Umfeld keine Gnade, singt und feiert geradezu explosiv und situationsunabhängig. Hochgerissene Arme, Pogo, Bierdusche alles inklusive. Die Ruhepausen, die er sich selbst herausnimmt, gönnt er keinem anderen.

Unser Typus mag auch das spontane Beschimpfen von Gegner und/oder Schiedsrichter, wenn er beim Tippen, Wischen oder Scrollen aus dem Augenwinkel eines harten Fouls oder einer mutmaßlichen Fehlentscheidung gewahr geworden ist. Dann kriegt die Sau aber richtig was zu hören. Bis zur nächsten Taschenvibration.

Optik: Vereint das Beste aus allen anderen Typen in sich.

Liebster Fangesang: Fußballlmafia DFB

Typischer Satz: Der Schiri ist so ein beschissener Hurensohn.

Felix, 05.07.2013

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