Finaltickets, Gutscheine und die erlebbare Markenwelt des BVB
„Inside Europe’s hottest team“ titelte vor wenigen Wochen das britische Magazin 4-4-2 und meinte damit, wir wissen es längst, unsere Borussia aus Dortmund. Zauberfußball und unglaubliche Stimmung sorgten europaweit für Entzückung, die nicht nur auf dem Transfermarkt Begehrlichkeiten weckte – für das Finale erreichten den BVB über 500.000 Ticketanfragen, ein weiterer Baustein einer sensationellen Erfolgsgeschichte. Wie aber sollten die wenigen Karten an diejenigen Fans gebracht werden, die es „am meisten“ verdient gehabt hätten? Nach der Verlosung wissen wir einmal öfter: Es ist leichter über Gerechtigkeit zu reden, als sie zu erreichen.
Viele Fans hätten es verdient gehabt, eines der begehrten Tickets zu bekommen. Da wären als erstes sicherlich die Inhaber einer Auswärtsdauerkarte zu nennen, denen kein Weg zu weit ist und die den BVB bei Wind und Wetter begleiten. Gleiches gilt für die vielen anderen Fans, die zwar keine ADK haben, über ihre Fanclubs aber regelmäßig Karten beziehen oder sich diese bei den Vorverkaufsstellen ihres Vertrauens sichern. Auch Dauerkarteninhaber im Westfalenstadion sollten nicht zu kurz kommen, selbst wenn sie nicht im Stimmungszentrum Südtribüne anzutreffen sind oder aufgrund ihrer Berufstätigkeit keine Chance hatten, unter der Woche ins Ausland zu fahren – wer immer höhere Beträge für Dauerkarten auf den Längstribünen abführen darf, sollte nicht die Tür vors Gesicht geknallt bekommen, wenn es einmal richtig spannend wird. Gleiches gilt für Mitglieder, die eine besondere Bindung an den BVB dokumentieren sowie für Sponsoren und Mitarbeiter, die mit ihren Leistungen das Abenteuer Champions League überhaupt erst möglich gemacht haben.
Leider gibt es kein Verfahren, das all diesen Fans gleichermaßen gerecht werden könnte: Wenn für 150.000 verdiente Empfänger gerade einmal 24.000 Tickets zur Verfügung stehen, gehen unweigerlich die falschen leer aus – egal, ob man die Tickets nun gleichberechtigt unter allen verlost, Töpfe bildet oder gewisse Verteilungsparameter vorgibt. Im Zweifelsfall müsste man damit leben, Pech gehabt zu haben und könnte sich vielleicht damit trösten, dass die Karten trotz allem in den richtigen Händen gelandet sind.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Entgegen wiederholter Versprechen, bei besonders wichtigen Spielen keinen freien Vorverkauf mehr anzubieten, konnte man es sich am Rheinlanddamm nicht verkneifen, rund 1.200 Karten für die Öffentlichkeit bereitzustellen – schließlich müssen ja auch neue Fans die Marke BVB kennenlernen können. Dass man derartige Bezüge bei Ligaspielen gegen Fürth, Augsburg oder Hoffenheim (halt, für dieses Saisonhighlight gab es Tickets ja nur für Mitglieder…) herstellen könnte, vielleicht sogar bei Spielen gegen Leverkusen, Bayern oder den HSV, scheint als Argument nicht gezogen zu haben. Da war es schon um Längen cooler 250.000 Ticketanfragen zu verkünden, während ein großer Teil der mitgereisten Fans noch in Madrid auf seinen Rückflug wartete.
Die eigenen Mitarbeiter, die ohnehin schon alle Hände voll zu tun hatten, werden sich über die Zusatzbelastung sicherlich gefreut haben. Die Fanbeauftragten schuften sich kaputt, um ein möglichst faires Verfahren zu gewährleisten und zu helfen, wo es geht. Zum Dank bekommen sie Wut, Ärger und Enttäuschung um die Ohren geballert und müssen Fans trösten, die seit Jahren und Jahrzehnten zwar kaum ein Spiel verpasst, gegenüber Gelegenheitszuschauern nun aber das Nachsehen hatten.
Wenn man Mitteilungen bei Facebook Glauben schenken darf, haben sich dabei sogar die schlimmsten Befürchtungen bestätigt – Fans der Roten und Blauen sind zum Zug gekommen, ebenfalls Fans, die sich (dank Losglück) zuletzt beim Pokalsieg im Stadion haben blicken lassen. Sicher belegt sind Fälle, in denen Tickets zugeteilt und direkt bei Ebay eingestellt wurden – besonders dreist mit BVB-Begleitschreiben, das die Echtheit der Tickets garantieren soll und leer ausgegangenen Fans einen festen Tritt zwischen die Beine verpasst. Zwar bemüht sich der BVB nach Kräften, die Anbieter zur Rechenschaft zu ziehen und die Tickets neu zu verteilen, doch so viel auch passiert: Die treuen Fans fühlen sich gerollt.
Nun muss man fairerweise einräumen, dass es nicht gerade leicht herauszufinden ist, wer alles die Relegation in den 1980-er Jahren miterlebte oder vor sechs Jahren heulend die Stadiontreppe in Bielefeld herunterschlich, bis er es nach seiner Familiengründung eher ruhiger angehen ließ. Noch weniger möglich wird es sein, die Vereinstreue dieser Fans gegen die jüngerer Anhänger aufzuwiegen, die den Platz zwischenzeitlich eingenommen haben und seit 2011 Feuer und Flamme für ihren BVB sind. Und trotzdem ist es richtig übel und schmerzhaft zu sehen, wer bei der Verlosung alles eine Niete gezogen hat.
Dass den meisten BVB-Mitarbeitern das Herz bluten dürfte, so viele Absagen auch an persönlich bekannte und verdiente Fans rausschicken zu müssen, können wir als gesichert annehmen. Dass jede Absage, wie auch immer sie verpackt sein mag, dem Betroffenen wie ein Schlag ins Gesicht vorkommt, ist ebenfalls kein Geheimnis. Da ist ein 5 Euro Gutschein nach drei bangen Tagen des Wartens und Zitterns immerhin eine nette Geste und sicherlich werden viele Fans das kurze Video mit unserem lächelnden Kapitän Sebastian Kehl als versöhnliches Zeichen empfunden haben: „Schade, dass es nicht geklappt hat, aber den Versuch war es wert.“ Sozusagen ein kleines Trostpflaster für Mitglieder und Dauerkarteninhaber, die sich über den freien Verkauf besonders ärgerten und nun ein bisschen besser gestellt werden, als Gelegenheitsbewerber und Couch-Potatoes.
Über anderen Fans jedoch bricht die Welt zusammen. Wer Abenteuer in Baku und Lemberg nicht missen konnte, für Auswärtsspiele von Augsburg bis Kiel kräftig in die Tasche gegriffen und den BVB in dieser Champions League Saison bei jedem Spiel zwischen Donetsk und Madrid unterstützt hat, wird bei dieser Absage in die Luft gehen. Ein Finalticket konnte der BVB für die treue Unterstützung nicht bereitstellen, aber wenn man zur Frustbewältigung ein bisschen shoppen gehen will, gewährt der Onkel wenige Tage vor dem Saisonschlussverkauf selbstlose 5 Euro Rabatt. Da ist gute Laune doch garantiert, wenn man wenige Stunden später nach Wolfsburg aufbrechen und für knappe 40 Euro dem Kampf um die goldene Ananas beiwohnen darf. Was dem Münchener seine Klatschpappe, ist dem Borussen dieser Tage der 5-Euro-Gutschein.
Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass Borussia Dortmund ihre Dienstleistungen demnächst in einem neuen Servicecenter vereinen will. Dieses wird nicht etwa zur Entspannung der Einlasssituation gebaut oder weil es einfach praktisch ist. Vertriebsleiter Carsten Cramer zufolge soll dort vor allem die Marke BVB „in einer allumfassenden Erlebniswelt anfassbar und erlebbar“ gemacht, ihre „Dimension (…) im Raum von Grund auf ohne jegliche Einschränkung“ gezeigt, „unserem Fan jeder Wunsch von den Lippen abgelesen“ und „jedes Problem gelöst“ werden.
Doch wird die Marke BVB bei so heiklen Angelegenheiten wie der Vergabe von Finaltickets nicht viel erlebbarer und anfassbarer, als es ein Servicecenter jemals leisten könnte? Gab es im Vorfeld der Verlosung vielleicht sogar Wünsche, die man den Fans von den Lippen hätte ablesen, oder Probleme, die man hätte lösen können – so ganz ohne neues Schlaraffenland?
Oft ist es mehr eine Frage des Wollens, als des Könnens. Leider wird man den Eindruck nicht los, dass die Prioritäten im Vertrieb gelegentlich ein wenig anders liegen – spätestens dann, wenn es wieder coole Phrasen aus dem Meffert zu lesen gibt.
Ich felipe aus!
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