Ilkay Gündogan - der etwas andere Nuri
Hummels schlägt den Ball noch einmal lang in die gegnerische Hälfte. Über Umwege landet er letztendlich fast bei Perisic, der einschussbereit nicht richtig zum Zug kommt. Jedoch misslingt der Klärungsversuch des in grün-weiß gekleideten Abwehrspielers und die Pille geht raus zu Großkreutz. Ein Schlenker nach innen und der kurze Ableger auf Gündogan. Ein satter Schuss, der Pfosten und die Jasmin tun ihr Übriges. Der Rest ist Ekstase pur. Dortmund fährt nach Berlin, der BVB steht im Finale.
Ilkay Gündogan wird unter seinen Mitspielern begraben. Der Siegtorschütze kann sein Glück in der 120. Minute kaum fassen. Jetzt ist er endgültig angekommen bei seinem neuen Arbeitgeber, jetzt ist er endgültig Borusse. Das wird er in den Folgemonaten spüren, Vertrauen von den Rängen, das vorher nicht immer gegeben war. Das Vertrauen des Trainers aber bleibt gleich, es war von Beginn an da.
Starten wir im Sommer 2011. Der Gündogan-Transfer wird relativ unspektakulär über die Bühne gebracht. Der in der verbotenen Stadt geborene Youngster unterschreibt beim Deutschen Meister, um den nächsten Schritt in seiner eigenen Entwicklung zu gehen, aber auch um Teil der noch lange nicht abgeschlossenen Entwicklung der Young Guns zu werden. Der Wechsel ist eine Investition in die Zukunft und deshalb von Klopp, Zorc und Watzke wohl durchdacht.
Gündogan selbst spult eine solide Vorbereitung ab und hat in den Augen des Trainerteams ein hohes Standing, auch bei den Mannschaftskollegen kommt seine Art gut an – er ist schnell integriert. Und trotzdem lastet dieser eine dunkle Schatten über ihm, diese latente Spur von Druck, die bereits vorhanden ist, ohne dass der Neu-Borusse überhaupt ein Pflichtspiel bestritten hat. Im Sommer verließ ein Spieler den Verein, der die Mannschaft prägte und sie in unglaublichen 34 Spielen zum Titel führte. Nuri Sahin war nicht nur der beste Sechser der Bundesliga, er war auch ein Typ, den man gern haben musste. Doch dann rief Real Madrid, und er folgte diesem Ruf. Mit der Verpflichtung Gündogans schrieben sich Journalisten die Finger wund und die schwarzgelbe Anhängerschaft redete sich den Mund fusselig. Es gab so viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Jungprofis Nuri und Ilkay. Beide Sechser, beide Kinder des Ruhrgebiets, beide türkischer Abstammung, beide ambitioniert und beide hochtalentiert. Nur der eine, der Nuri, der war schon einen Schritt weiter. Er war zu einer Führungspersönlichkeit gereift und hatte seinen BVB zum Titel geführt. Da hatte der andere, der Ilkay, noch einen weiten Weg zu gehen. Dieser Weg war dann doch nicht so lang, aber zumindest zu Beginn sehr steinig.
Wie gesagt, Gündogan konnte in den Wochen der Vorbereitung durchaus überzeugen und rückte erwartungsgemäß zu Saisonbeginn in die erste Elf. Beim Traumauftakt gegen den HSV war er fester Bestandteil der Mannschaft, und so auch in den Folgewochen. Doch sein Spiel verblasste immer mehr, es kamen keine kreativen Impulse von ihm, die vor allem von den Fans erwartet worden waren. Man hatte das Gefühl, Gündogan schleife sich mehr über den Platz, als dass er Freude und Spielwitz versprühe. Vor allem der Tiefpunkt mit den Niederlagen gegen Hertha und Hannover machte ihm fast noch mehr zu schaffen als den anderen. Der Grund dafür war einfach: Unter schlechten Leistungen stachen seine schwachen Auftritte sogar noch heraus. Doch das Gesamtbild verfälschte so ein wenig die Realität, denn trotz der Negativerlebnisse lieferte Gündogan einen eigentlich soliden Job ab. Eher zerbrach er an den zu hohen Erwartungen, denn seine Leistungen allein waren logischerweise nicht der Grund für die in dieser Phase spielerisch mageren Auftritte des Ballspielvereins. Folglich wurde er danach aus der ersten Elf genommen. Eine Art Schutzfunktion von Klopp. Öffentlich sprach er nie negativ über seinen neuen Sechser, dem er noch immer Großes zutraute. Behutsam baute er ihn wieder auf, nahm jeglichen Druck von seinen Schultern. Die Vergleiche mit Sahin verloren ihren medialen Reiz, denn der Neuzugang hielt ihnen in keinster Weise stand. Die Akte Gündogan schien geschlossen, ein – zumindest kurzfristig gesehen – Fehleinkauf. Aber der Ex-Nürnberger sollte sich erholen, und wie. Zunächst wurde er in den Kader der Nationalmannschaft berufen und saß im Testspiel gegen Brasilien auf der Bank. Für Deutschland „festspielen“ durfte er sich dann allerdings mit seinem ersten Einsatz im DFB-Team in der EM-Quali gegen Belgien.
Und dann, vor Weihnachten, als er aufgrund von großen Verletzungssorgen mal wieder in der Startelf stand, knipste er mit einem denkwürdigen Tor zur Führung in Freiburg. Man gönnte es ihm und wünschte ihm viel Glück für das neue Jahr, für die Rückrunde. Und Gündogan nutzte die Zeit. In der Rückrunde war er nicht mehr derselbe. Er sprühe vor spielerischem Elan und strafte seine Kritiker Lügen. Einem tollen Spiel folgte das nächste. Er dirigierte, er kombinierte, er bereitete vor und er vollendete. Nach einigen Wochen im neuen Jahr hatte man das Gefühl, die Medien bräuchten nicht wieder neuerlich Vergleiche mit Sahin ziehen, denn diesmal könnte es der Fall sein, Nuri würde ihnen nicht standhalten. Gündogan jedenfalls war nun endlich die erhoffte Verstärkung und endgültig in Dortmund angekommen. Aus der ersten Elf war er nicht mehr wegzudenken und verwies selbst einen Chuck Bender auf die Bank. In dieser Phase profitierte er ungemein von der Erfahrung seines Nebenmannes auf der defensiven Mittelfeldposition und dessen unumstritten Eigenschaften als langjähriger Borussen-Kapitän. Im Gegenzug profitierte aber auch ein Sebastian Kehl vom Esprit seines kongenialen Partners und dessen dynamischen Fähigkeiten bei der Balleroberung kombiniert mit blitzschnellem Umschalten.
Und so soll sich am Ende dieser Zeilen der Kreis wieder schließen und noch einmal auf die Überschrift eingegangen werden: Nuri Sahin und Ilkay Gündogan miteinander zu vergleichen ist schwierig und doch gibt es wie beschrieben Gemeinsamkeiten. Nach dieser Spielzeit kommt noch eine weitere hinzu. Auch Gündogan durfte als heimlicher Dirigent des Mittelfeldes am Ende einer grandiosen Saison die Meisterschale in Empfang nehmen. Aber Gündogan durfte im Gegensatz zu Sahin ebenso den DFB-Pokal in den schwarzgelben Dortmunder Nachthimmel stemmen, an jenem Tag, an dem Borussias Helden gebührend gefeiert wurden. Vielleicht ist Gündogan ja sogar einen Tick stärker und vielseitiger als Sahin – die Möglichkeit, das auch weiterhin zu beweisen, hat er, denn er bleibt in Dortmund und möchte den erfolgreichen Werdegang des Ballspielvereins noch länger prägen.
Danke Ilkay! Danke Doublesieger – obwohl, er ist ja sogar einer von wenigen im Verein, der Triple-Sieger ist, einem Einsatz bei den Amas sei dank!