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Fußball-Wunder-Bauten: Ein wunderschönes Buch

18.10.2012, 13:12 Uhr von:  Nicolai
Fußball-Wunder-Bauten: Ein wunderschönes Buch
Fussball-Wunder-Bauten

Bücher über Fußballstadien gibt es eine Menge und dabei ist die Qualität doch sehr wackelig. Gemeinhin stellt sich das Problem, wie man ein qualitatives Buch rausbringen soll und gleichzeitig dabei nicht in Preisdimensionen vorstoßen will, die für den gemeinen Leser eben doch zu hoch sind. Die Lösungen auf diesem Gebiet sind recht unterschiedlich. Reinaldo Coddou probiert sich in seinem Bildband Fußballtempel mit eindrucksvollen zweiseitigen Bildern, die das Stadion mit Zuschauern in den Vordergrund stellen. Wenig zusätzliche Erläuterungen und Bilder sollten damals einen Preis von rund 48 € rechtfertigten (mittlerweile gibt es das Buch für 29,95 €). Bei Stadionwelt wählten man ein deutlich kleineres Format für ihr Machwerk und so kommt "50 Stadien in Europa - die man gesehen haben muss" deutlich handlicher und preiswerter daher. Dafür bekommt man eine Auswahl besonderer Stadien auch über Deutschland hinaus und einige Informationen. Diese sind aber so unglaublich sachlich, dass da etwas das Gefühl für das Erlebnis Stadion verloren geht.

Es ist nicht Hast, die die Fans antreibt. Sondern ein eigentümlicher Energieschub, der sie vor einem Spiel durchströmt - und der offenbar vom Genius Loci ausgeht. Von dieser Ansammlung an Beton, Stahl, Glas und Rasen, das ihnen in den nächsten zwei Stunden ein ultraemotionalisierendes Spektakel vorführen wird. Vom Stadion. Fußballstadien sind Kraftfelder.

Einen Kompromiss bietet Reinaldo Coddou mit seinem geradezu genialen Machwerk "Buenos Aires: Die Welthauptstadt des Fußballs". Ist das Format eher klein, bekommt man einen unheimlich dicken Wälzer mit absolut beeindruckenden und schönen Aufnahmen aus Buenos Aires, die auch fernab von Boca und River die Faszination Fußball und seine Stadien einfängt, der wohl auf dem südamerikanischen Kontingent noch einmal eine ganz besondere Form annimmt. Nun gibt es einen neuen Entwurf um den Hitzepunkten des internationalen Fußballs ein gerechtes Buch zu widmen. Dieses Mal haben sich die beiden 11Freunde Redakteure Andreas Bock und Benjamin Kuhlhoff mit Alexander Gutzmer, dem Chefredakteur des Architekturmagazins Baumeister, zusammengetan. Diese Mischung lässt auf einen ganz neuen Stil hoffen und diesen Anspruch erfüllen diese drei locker.

Westfalenstadion

Das Buch kommt in einem edlen Format daher und versucht so seine 39,95 € zu rechtfertigen, die den Besitzer beim Erwerb wechseln müssen. Für Anhänger unserer Borussia hat das Buch gleich einen Dämpfer parat, denn bei der ersten Doppelseite muss man auf eine vollbesetzte Schalker Nordkurve gucken. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass einer der Redakteure eben Anhänger dieses Untriebes ist. Doch schon beim Vorwort können die Autoren wieder einiges rausreißen. Es ist wohl mit das emotionalste und passenste Vorwort, dass je in einem solchen Machwerk geschrieben wurde. Der Leser wird auf jeden Fall sofort auf die nicht erklärbare Ebene gezogen, die der Fußball und seine Kathedralen erschaffen. Eine Besonderheit ist dann auch das vorangestellte Interview mit Volkwin Marg (Stadionarchitekt) und Sonja Fuss (Nationalspielerin & Architektin). Ein solches Interview bietet Einsichten und Ansichten von Personen, die sonst selten zu Wort kommen.

Der Trend geht hin zum Konsumtempel. Ich bedaure das. Vor allem, weil durch den Konsumfokus die sozialen Unterschiede immer mehr betont werden


Volkwin Marg (Architekt)

Gegliedert wird nach Champions League, Erste Liga und Überraschungserfolge. Dabei betonen die Autoren von Anfang an, dass die Auswahl der Stadien und ihre Einordnung natürlich subjektiven Aspekten folgt, denn Emotionen, Leidenschaften und Geschmäcker sind nun einmal nicht rational und in ein logisches System zu pressen. Als Borusse kann man natürlich den Machern leicht darin folgen, dass das erste Stadion in der Champions League das Westfalenstadion ist. Ein dicker Minuspunkt ist, dass man den Sponsorennamen verwendete, dass kann man sich auch einfach mal kneifen. Generell ist der Teil zum Westfalenstadion eher schwach. Die Fotos fallen wohl eher in die Kategorie ordentlich und eine eher eigenartige Beschriftung, verleiden den aufmerksamen Leser etwas den Genuss. Der Begleittext transportiert dann auch nur die übliche Fanfolklore, da wäre auf jeden Fall viel mehr möglich gewesen. Das nun auch ausgerechnet der Schalker Redakteur den Text schreibt, kann man jetzt als Anerkennung werten, man kann es aber auch in die verwendete Folklore einreihen. Für Borussen wurde hier Potential verschenkt, allerdings sind wir hier wohl auch die kritischsten Leser.

Maracana

Im Kapitel Champions League folgen dann das "Estadio Santiago Bernabeu" (Madrid), "Anfield" (Liverpool), "Estádio Jornalista Mário Filho" oder einfach "Maracaná" (Rio de Janeiro) und die "Allianz Arena" (München). Die Qualität ist dabei wieder sehr schwankend. Die Präsentation vom Santiago Bernabeu ist außerordentlich gelungen und das Interview mit Günter Netzer ist interessant, wenn auch nicht unbedingt nach Fangeschmack, wie sich Herr Netzer äußert. Generell sind vor allem die Aufnahmen aus der Vergangenheit dieser Stadion teilweise wirklich etwas besonderes. Insbesondere die Fotos aus Liverpool versprühen dabei einen schon lange verloren gegangenen Charme. Hier weist auch das Interview mit Campino unerwartete Schwächen auf. Von einem ehemaligen Punk der sich immer noch etwas weltverbesserlich und alternativ gibt, würde man dann doch mehr kritische Distanz erwarten. Abgeschlossen wird dann mit der "Allianz Arena", die sicherlich architektonisch schon ein Highlight ist, was auch durch exzellente Bilder untermauert wird. Ob dieses Stadion nun aber schon jene besondere Magie besitzt, wie die anderen Vorgestellten, ist dann eben sehr subjektiv.

Im Jungle ist es brechend voll und trotz winterlicher Temperaturen heiß und stickig. Das Dach hängt tief und lang über ihnen, es ist dunkel. Wellenbrecher sind kaum vorhanden, die Stufen sind ziemlich niedrig. In der Luft der Geruch von Schweiß, Bier, Euphorie, Erbrochenem, unter der Gerade eine Toilette, überflutet, einige sprechen von der längsten Pissrinne der Welt.

Die erste Liga wird dann gebildet vom "San Siro" (Mailand), "Camp Nou" (Barcelona), "Estadio Azteca" (Mexiko-Stadt), "La Bombonera" (Buenos Aires), "Azadi" (Teheran), "Old Trafford" (Manchester), "Celtic Park" (Glasgow), "Olympiastadion" (Berlin), "Inönü" (Istanbul), "Stadion auf Schalke" (Gelsenkirchen) und "Emirates" (London). Hier kann man eindeutig sagen die Mischung machts und diese ist gelungen. Zwischen den natürlichen Teilnehmern aus Mexiko, Buenos Aires, Mailand und Barcelona finden sich mit dem Azadi Stadion und dem Inönü Stadion zwei nicht ganz so bekannte Spielstätten. Eine weitere Stärke sind die Begleittexte, die zwischen Auflistungen, Interviews und Geschichten variieren und so das Leseerlebnis zu etwas besonderen machen. Folglich erlebt man so immer wieder einen Wechsel der Fixpunkte. Während beim Celtic Park die Anhängerschaft als ganzes im Vordergrund steht, wird rund um das Olympiastdion die rührseelige Geschichte von Renate Kressin (über 30 Jahre Haputkassiererin im Stadion) erzählt und beim Camp Nou werden interessante und lustige Geschichten und Fakten zusammengestellt.

La Bombera

Den Abschluss bildet die Rubrik Überraschungserfolge. Die hier vorgestellten Stadien "Estadio Municipal de Braga" (Braga), "Craven Cottage" (London) und "Tomás Adolfo Ducó" (Buenos Aires) sind dann auch echte Besonderheiten. Das Stadion in Braga sollte jeder seit der EM 2004 kennen, während Craven Cottage sicherlich vielen Fußballinteressierten bekannt sein dürfte. Das Tomás Adolfo Ducó oder einfach El Palacio (Der Palast) sollte dann aber für die meisten Neuland sein. Begleitet werden die Stadien mit zwei Interviews und einem Text von Marcel Reif. Der Text von Marcel Reif zum Estadio Municipal de Braga fällt dann auch etwas ab. Irgendwie ist das nicht Fisch und Fleisch.

Stadien sind in England identitätsstiftend. Sie sind Heimat.


Moritz Volz

Olympiastadion

Nach 192 Seiten ist dann aber auch leider schluss. Mittlerweile hätte man durchaus Bock auf Zweite Liga, Relegation und Amateurklasse. Das einem diese vorenthalten werden, ist wohl der Machbarkeit geschuldet. Ideen hätte wohl jeder Leser mehr als genug. Wie dem auch sei, Fußball-Wunder-Bauten ist ein anspruchsvolles Buch, dass durch Aufmachung und Inhalt überzeugen kann. Mit einigen wenigen Durchhängern können vor allem die Begleittexte überzeugen, bei der Fotoauswahl merkt man den Autoren an, dass die Fans nicht im Vordergrund standen. Die Fotos, die die Architektur in den Vordergrund rücken, sind dabei deutlich stärker als Fotos die Fanstimmung transportieren sollen. Hier machen die Bücher von Stadionwelt sicherlich etwas mehr her, aber sollte man nie vergessen, dass die in diesem Bildband die Stadien die Stars sind. Dennoch verweisen die Autoren selber auf die Wechselbeziehung zwischen Stadien und ihren Besuchern und tragen somit der untrennbaren Verbindung Rechnung.

Am Ende bleibt eine definitive Kaufempfehlung für Menschen, die sich für Stadien interessieren. Das Gesamtpaket stimmt einfach und die Qualität rechtfertigt sicherlich den Preis von rund 40 €. Es gehört definitiv zu der Sorte Buch, die man gerne im Regal stehen hat und gelegentlich einfach mal rausnimmt und durchblättert. Dabei spricht es sowohl reine Stadionpuristen an, wie auch Freunde der Fußballemotionen. Wer allerdings vor allem auf Fan- und Atmosphärefotos steht, wird sicherlich 40 € besser investieren können.

Das Stadion ist Akteur. Wer den Fußball verstehen will, muss Stadien verstehen.

Fußball-Wunder-Bauten könnt ihr für 40 € in jeder Buchhandlung oder direkt unter diesen Link bei Amazon
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Titel: Fußball-Wunder-Bauten

Autoren: Andreas Bock, Alexander Gutzmer, Benjamin Kuhlhoff

Seiten: 192

ISBN: 978-3-7667-1969-0

Preis: 39,95 €

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