Dembowski und der Meisterhit
“Superbia, Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia, Acedia. Diese Stadt wird uns nicht entkommen!“ Reiser war vor dem Spiel in Gladbach wieder in Topform. Er überreichte Dembowski das Ticket für das Auswärtsspiel. „Wird ein Heimspiel. Tanze, wenn sie tanzen und feier, wenn sie feiern!“ waren seine Worte am Freitagabend. Sie hatten sich bei Schie gesprochen und Reiser, so erschien es Dembowski, aufgegeben. Er hatte genug von der Meisterredaktion, von der Wurst dort und von den sich ewig wiederholenden Geschichten über die anstehenden, die vergangenen und die aktuellen Krisen.
Seit Freiburg war klar: Das Ding war gelaufen und jetzt musste man sich eben irgendwie mit den Feierlichkeiten arrangieren. Wenn sogar Reiser aufgibt, dachte Dembowski, kann es nur vorbei sein. Schulze und Koslowski hatten sich schon längere Zeit nicht mehr gemeldet, um Ritchie war es still geworden. Klar, die Verabredung für den Champions League-Kracher stand natürlich. Aber davor stand Gladbach, die Auswärtsfahrt in die Industriegebietssonnenhölle. Es sollte anders kommen. Martin klingelte ihn aus dem Schlaf und bereits wenige Minuten später stand er vor der Tür. Er war mit seinem Ford Taunus den langen Weg aus Hamburg runtergekommen, witterte das Geschäft seines Lebens. Auf den Rücksitzen lagen Meisterschals, Meistershirts, Meistergürtelschnallen – die komplette Kollektion. Er instruierte Dembowski, erklärte ihm, dass dies eben Teil des Deals sei. Aus der Nummer, da war sich Dembowski sicher, würde er so schnell nicht mehr raus kommen. Seine Laune wurde von Minute zu Minute schlechter, die Temperaturen stiegen Minute um Minute und aus den Lautsprechern dröhnte Yazoo mit Don’t Go. Martin war ein Ekel, ein Schleimer aus dem Bilderbuch.
Das Ekel, der Schleimer aus dem Bilderbuch, der Protopunk aus Hamburg machte es sich im Schatten bequem, schlürfte seine kalte Cola. Dembowski verkaufte Shirt um Shirt, verkaufte Schal um Schal, obwohl die bei dem Wetter natürlich nicht so gut liefen. Die Meistergürtelschnallen hingegen wurde verschmäht. Nichts als Verachtung schlug Dembowski auf dem Rheydter Bahnhofsvorplatz stehend entgegen. Er versuchte es erst gar nicht mehr. „Vorsicht vor Leuten, die ihren Namen als Gürtelschnalle tragen!“ polterte ihm der Aberwitzigste entgegen, Dembowski schaute kurz hoch. Irgendwo hatte er das schon einmal gehört, die Stimme kam ihm bekannt vor. Alles um ihn herum verschwamm. Er war dehydriert. Immer wieder „Meister, Meister. Hier die 3-Meister-S: Shirt, Schal und Schnalle. Die Schale gibt es im Stadion. Das macht 5 S und 5 S sind 5€!“ Die Menge nahm ihn, er die Menge nicht mehr wahr. „Die Schale gibt es nicht im Stadion, Idiot! Schau doch mal Konferenz!“, rief ihm Martin zu. Er kam auf ihn zu und erklärte ihm den weiteren Ablauf des Tages. Zu viel für Dembowski. Mit beiden Beinen in der Hand und einem Meistershirt über dem Kopf rannte er zum nächsten Zug, sprang hinein. Wasser, Wasser, Wasser! In der Erdgeschosswohnung noch eine Flasche Captain Morgans, das Handy außer Betrieb, die Gedanken auf vollen Touren. Wie konnte es bis hierhin kommen, Dembowski?, fragte er sich immer wieder. Seine Gedanken kreisten um Dörte, den Sommer 2006, als die Welt noch in Ordnung war.
Sie war nicht mehr in Ordnung, nicht in seinen Tagträumen, nicht in seinen Nächten, nicht in den unendlichen sonnendurchfluteten Tagen, die seine Nerven zum Zerreißen spannten und ihn immer tiefer in die Sucht hatten hinabgleiten lassen. Er war abhängig. Von Substanzen und von Menschen, die er verachtete, deren Namen er lieber heute als morgen auslöschen wollte. Er war gefangen in einem Netz aus Verpflichtungen, denen er gerade eben so nachkommen konnte. Eine dieser laufenden Verpflichtungen, die andere Leute und auch Dembowski manchmal als Ermittlungen bezeichneten, die aber eher die Unmöglichkeit der Ermittlungen in seinem aktuellen Milieu offenlegten, führte ihn wieder in die Meisterredaktion. Reiser gab ihm den üblichen Bullshit und Dembowski war sich nicht mehr sicher, ob da nicht doch viel viel mehr als bisher angenommen dahinterstand. Er hatte bisher nur die Fassade gesehen, dessen war sich Dembowski mittlerweile sicher und doch fand er keinen Weg hinter die eiserne Maske zu blicken. Reiser war ein Pokerspieler, und das eben nicht nur freitagsabends in Dortmunder Hinterzimmern. Sein ganzes Leben schien aus Bluffs zu bestehen, auf ein paar davon war Dembowski bereits reingefallen.
Das hier aber hörte sich verdammt interessant an. Sie saßen jetzt oben auf der Empore, Kopfhörer auf. Unten verkaufte die Dame, die ihre Dauerkarte längst zurückgegeben hatte, ihre Kreationen. Die Kunden schauten hoch. Ihr Blick war voller Neid. Dembowski fühlte sich gut. Ich neben Reiser, irgendwie hat das auch was, dachte er und zu Reiser: „Das hört sich verdammt gut an! Eine brillante Idee. Dass wir darauf noch nicht gekommen sind! Bingo. Bingo. Bingo. Endlich zahlen sich die Jahre in der Kneipe aus. Das Ding schreib ich Dir in fünf Minuten runter!“ Dembowski zückte seinen Hansaplast-Kugelschreiber, schnappte sich die Schreibtischunterlage und begann.
So schön, so schön. Euch siegen zu sehen
So schön, so schön. Auf dem Borsigplatz stehen
Hacke, Spitze, 123 – da ist der Lucas stets dabei
Bei uns gibt es keine Nummer 3
Auf ewig Deutscher Meister, auf der Südtribüne stehen
Auf ewig Deutscher Meister, Borussia Dortmund nie verlieren sehen
So schön, so schön. Die Anderen verlieren sehen
So schön, so schön. Auf dem Borsigplatz stehen
Ganz hinten steht der Weide frei
Bei uns gibt es keine Nummer 3
Auf ewig Deutscher Meister, auf der Südtribüne stehen
Auf ewig Deutscher Meister, Borussia Dortmund marschieren sehen
So schön, so schön. Den Stolz zu sehen
So schön, so schön. Auf dem Borsigplatz stehen
Subotic macht aus Gegnern Brei
Ja! Bei uns gibt es keine Nummer 3
Auf ewig Deutscher Meister, auf der Südtribüne stehen
Auf ewig Deutscher Meister, Borussia Dortmund siegen sehen
Deutscher Meister auf alle Zeit!
Borussia, ich bin bereit!
So schön, so schön. Im Traum geschehen
So schön, so schön. Auf dem Borsipglatz stehen
Gewinnen ist nicht einerlei
Ja! Bei uns gibt es keine Nummer 3
Auf ewig Deutscher Meister, auf der Südtribüne stehen
Auf ewig Deutscher Meister, Borussia Dortmund triumphieren sehen
Deutscher Meister auf alle Zeit!
Borussia, ich bin bereit!
„Hammer! Dietfried! Ich wußte, ich kann mich auf Dich verlassen.“ Reiser standen Tränen der Rührung in den Augen, Dietfried nannte er Dembowski nur in besonderen, vielleicht sogar in seinen ehrlichsten Momenten. „Ich lass da jetzt einfach nen Schlagergenerator drüberlaufen, klau mir ein paar Bilder aus dem Internet. Quelle Internet, Du weißt schon! Und dann ab dafür. Über youtube, dann über die üblichen Kanäle streuen. Auftritt auf der Meisterfeier dürfte gebongt sein, die Südkurve wird mitsingen. Dietfried, Du bist MEIN Mann!“ Und zur Theke: „Mach mal noch ne Runde für uns. Wir werden reich und Dembowski berühmt!“. Mit stolzgeschwellter Brust nahm Dembowski das Angebot an. Er war jetzt für immer ein Star. Es waren unwirkliche Gedanken, die er hatte. Was, wenn sich mit diesem Meisterstück jetzt doch noch alles zum Guten wenden würde, war einer davon. Gegen die Konkurrenz auf youtube würde er sich mit Hilfe der Meisterredaktion schon durchsetzen.
dembowski, 28.04.2011