Dembowski wie einst die Susi Zorc
Zwischen den Jahren fühlte Dembowski sich elektrisch. Es war die Zeit, in der immer die besten Ideen geboren wurden. Ende 2010 befand er sich jedoch in einem tiefen, in dem tiefsten, ja in dem dunkelsten Loch. Sevilla hatte ihm zugesetzt. Die Auseinandersetzung im Gästeblock hatte er aus der Ferne betrachtet und messerscharf gefolgert, es dann seinen Kumpels auf der Tribüne diktiert: „Überflüssigen Ärger gab es am Rande der Partie. Einige BVB-Fans hatten randaliert und dabei auch Sitzschalen herausgerissen. Dafür bekamen sie auf heftige Weise die Stöcke der spanischen Polizisten zu spüren.“ Dass es letztendlich ganz anders war, schmerzte sogar den harten Hund Dembowski. Aber normalerweise sind doch immer die Fans schuld, dachte er zwischen den Jahren im Sessel sitzend und fühlte sich doch schuldig.
„Du musst für uns rausfinden, wer die Fahne auf dem Dach platziert hat“. Die Öffentlich-Rechtlichen rissen ihn aus den grausamen Erinnerungen und gaben ihm wieder einen Sinn. Endlich. Kurz vor dem Weihnachtsfest hatte er diesen Traum von einem fünf Meter hohen Iglu. Aber der war natürlich Quatsch. Jetzt also endlich die Fahnensuche. Dembowski wußte, was zu tun war und nach ein paar Anrufen ergab sich eine erste Spur. Ein alter Kumpel aus Scharnhorst versprach es ihm mit den Worten: „Ich werde mich einmal umhören und mir dann eine Meinung bilden“ in die Hand. Dembowski musste ohnehin raus. Seine Wohnung war in den letzten Tagen zu einer einzigen Altpapiersammlung verkommen. Überall lagen beschriftete Zettel, in der Küche bildete sich langsam ein Flaschenlager und statt Gans gab es in diesem Jahr nur eine Stadionpizza, Marke Currywurst. Auf den Zetteln stand wenig Sinnvolles. Die Zeit hatte er sich mit alten Kriegsfilmen totgeschlagen und wenn es ihm zu martialisch wurde, notierte er immer und immer wieder: „Zidan! Zidan! Euer Weltuntergang“. Es ging ihm früher einmal besser, er war früher sicher auch kreativer. Das hier war ein Rohrkrepierer und nur das Gesicht von Marlon Brando am Ende des Flusses konnte ihn in diesen Momenten ablenken. Das war nicht viel. Er war seinem Scharnhorster Kumpel dankbar.
In der U42 schlug er sich langsam in Richtung Dortmunder Norden durch. Die Haltestellen flogen vorbei. Reinoldikirche, Brügmannplatz (die Erinnerung an den SVD), Brunnenstraße, Glückaufstraße (die Nummer mit Eileen), Schulte-Rödding, Kirchderne, Gleiwitzstraße und endlich Scharnhorst-Zentrum. Raus, an den Russen vorbei, und da, ein paar Meter weiter stand er und wartete. „Wir gehen ins Lager. Da erklär ich Dir den Sachverhalt, so wie er sich darstellt, so wie ich mir das erdacht habe“. Sie gingen die Gleiwitz hinunter. Im Sekundentakt flogen schwatzgelbe Autos an ihnen vorbei. „Wo fahren die alle hin“, wunderte er sich und traute sich doch nicht zu fragen. Sie kamen im Schuppen an und sein Kumpel schilderte ihm den Sachverhalt. Mit riesigen Kühlwagen hatte man den Schnee aus Gelsenkirchen abtransportiert und wollte nun das Dach stopfen. Um von dem eigentlichen Plan abzulenken, musste einer der Mitarbeiter eine Fahne auf die Turnhalle stellen, und schnell wieder mit dem Kühlwagen verschwinden. Seinen Job war er los, das war dem Mitarbeiter vorher klar. Aber sie hatten schon einen Deal gemacht. Ein sogenannter Medienprofi hatte dem Mitarbeiter bereits eine Anstellung als Nebendarsteller versprochen. Dies, so berichtete Dembowskis Kumpel, würde heute hier in Scharnhorst passieren und deswegen auch die Autos. Die schwatzgelbe Karawane hatte also mit der Fahne zu tun, doch er war hier einer großen Sache auf der Spur
Dembowski machte es sich in der Lagerhalle gemütlich. Sie leerten ein paar Flaschen und lauschten der Stille. In der Ecke entdeckte Dembowski eine alte Quetschkommode. Er erinnerte sich an den Faßbinder-Film über die Lili Marleen, den er irgendwann im Rausch der letzten Tag gesehen hatte, und begann zu spielen.
„Im Herzen Westfalens
Dort im Stadion
Spielt eine Mannschaft
Spielt sie ganz groß auf
So wollen wir sie wiedersehen
Auf dem Friedensplatz soll sie stehen
Wie einst die Susi Zorc“
Sein Kumpel reagierte verärgert: „Dafür habe ich nicht recherchiert. Sei doch mal still!“ Und in der Tat, aus der Ferne drangen Stimmen zu ihnen vor. „Hey Smudo, dat is hier fast so geil wie Ballermann.“ Dembowski wurde es speiübel, als er die Antwort vernahm. Sie hallte durch die Winterlandschaft bis direkt an die Lagertür, an der sie mittlerweile standen. „Weiße noch, wie ich damals mit der Millionärin und wie geil der Song war. Echt hammerhart. Jetzt eben über den Verein. Is auch geil. Ich bin ja von hier weg.“ Dembowski erinnerte sich. Die Stimme hatte sich damals am Ballermann unauslöschlich in seine Erinnerung gebrannt. Es ging um ein genitalen Schal. Es war furchtbar und um den Kasper auf der Bühne sprang die ganze Zeit ein Kamerateam. Das musste er sein. Sie wollten sich gerade wieder hinter der Lagertür in Sicherheit bringen, als die Wortfetzen „Schnee…. Mit der Fahne…abgelenkt…. Jetzt das Iglu!“ zu ihm herüberdrang.
1+1 ergab immer noch 2 und ein paar Minuten und ein paar Telefonate später sahen sie durch die Vordertür die Medienmeute in Richtung Iglu hetzen. Alle waren sie gekommen. Sie würden mit dem Schneedieb aus Scharnhorst aufmachen, das war jetzt klar. Der schneegewordene Fahnenmann von Ballermann. Sogar sein Kumpel schaute zufrieden drein. „Spiel es noch einmal, Dembowski!“, schmunzelte er. Dembowski schnappte sich die Quetschkommode und legte los:
"Im Herzen Westfalens
Dort im Stadion
Spielt eine Mannschaft
Spielt sie ganz groß auf
So wollen wir sie wiedersehen
Auf dem Friedensplatz soll sie stehen
Wie einst die Susi Zorc
Auf dem Platz da spielten sie
Waren eine große Schau
Daß sie die Größten waren
Wußten wir genau
Und alle Schwatzgelben wollen sie sehen
Sie sollen auf dem Friedensplatz stehen
Wie einst die Susi Zorc
Nuris Pässe lieben wir
Kagawa Shinji auch
Kubas Läufe kennen wir
Barrios Abschluss auch
Und sollte kein Unglück geschehen
Werden wir die Schale wiedersehen
Wie einst die Susi Zorc
Aus dem tiefen Raume
Aus der Doppelsechs
Rennt er sie zugrunde
Manni haut sie weg
Wenn sich die Schwatzgelben wiedersehen
Im Mai auf dem Friedensplatz stehen
Wie einst die Susi Zorc
Wie einst die Susi Zorc"
Dembowski, 11.01.2011