Serie

Dembowski: Redermann versus Kloppeck

03.09.2011, 12:16 Uhr von:  Redaktion

Der Anruf von Dembowski kam mal wieder in letzter Minute. Überhaupt, Dembowski! Der gute schien in letzter Zeit etwas nachzulassen, verkroch sich tagelang in seiner Erdgeschosswohnung, war kaum zu überreden auf ein Herrengedeck in die Kneipe auszurücken. Das Fiasko mit der Pressekonferenz im Wildschütz schien ihm doch mehr nachzuhängen, als er es sich und insbesondere anderen eingestehen wollte. Und nun das! „Ernst, Du musst für mich einspringen“, stammelte er ins Telefon, „ein neuer Ermittler ist in der Stadt.“ Ich kam überhaupt nicht zum Antworten. „Das ist eine große Sache, Ernst. Das ganz große Ding! Mach Dich sofort auf in den Westfalenpark.“ Tausend Einwände gingen mir schlagartig durch den Kopf. Westfalenpark? Das ist doch die Familienidylle am Kaiserhain. Nicht gerade mein Pflaster. Der Schmutz der Nordstadt und die Geheimnisse ihrer Bewohner, da kannte ich mich aus, da war ich zu Haus. Die Bahnlinie überquerte ich eigentlich nur an Spieltagen in südlicher Richtung. Und selbst dann auch nur mit einem gewissen Unbehagen. Aber was will man machen. Borussia, einst die Perle vom Borsigplatz, hatte ihren Tempel leider schon vor Urzeiten in südlichere Gefilde verlegt. Aber Westfalenpark? Mein Widerwillen war fast körperlich spürbar.

Aber ich vergaß, mich vorzustellen. Wie unhöflich von mir. Redermann, Ernst Redermann mein Name, Ermittler in allen Angelegenheiten, vorzugsweise schwarzgelben. Seit einer gefühlten Ewigkeit durch die Konstrukteure Dembowski zur Seite gestellt. Inzwischen bin ich mir unsicher, ob es Dembowski ist, der mich anleitet oder ob ich nicht inzwischen eher derjenige bin, der aufpasst, dass seine Aktivitäten in geordneten Bahnen ablaufen. Dembowski riss mich aus meinen Überlegungen. „Ich kann heute nicht raus hier. Die Sonne scheint. Die Nazis sind in der Stadt. Das macht mich alles krank.“ War er schon wieder betrunken? Im Hintergrund hörte ich melancholische Musik. Hatte die Zeit im Soulvan denn überhaupt keinen positiven Einfluss auf ihn gehabt?

Ich sprang in mein ungeliebtes Cabrio und warf den guten alten Donald Byrd in den Player. „We'll stand our problems all in a row - Watch them fall, like dominoes…” Jaja Donald, wenn das mal immer so einfach funktionieren würde. Mir war klar, dass die Angelegenheit eine Nummer zu groß für mich alleine werden würde. Meinem ersten Impuls folgend, rief ich Amok an. Doch der brabbelte nur unverständliches Zeug und schien sich zudem in einer großen Menschenmenge zu befinden. Ich erinnerte mich, dass er neulich Abend erwähnt hatte, dass in seinem Heimatdorf das Schützenfest anstand und er sich schon wie Bolle auf diese handfeste Feier freute. Von der Seite war also auch keine Hilfe zu bekommen. Da fiel mir Markus ein, der hatte schon öfter kurzfristig ausgeholfen. Vielleicht wäre er genau mein Mann. Wenn es irgendwelche technischen Probleme geben sollte, würde er sie lösen. Also kontaktierte ich Markus Auersberger und mit der Aussicht auf Steak und Bier war er auch schnell geködert. „Treffpunkt Buschmühle“, gab ich ihm noch mit auf den Weg „und wirf dich in Schale, wir ermitteln verdeckt im Süden der Stadt.“ Um die Schale sollte es heute gehen, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Es war gar nicht so einfach vom Norden zum Westfalenpark zu gelangen. Das ganze Kreuzviertel hatte sich in eine Polizeifestung verwandelt, an jeder Ecke standen Wasserwerfer nutzlos herum. Mir schoss durch den Kopf, dass die wahren Verbrecher wohl heute einen Freifahrtschein haben würden, während die gesamte Polizei hier ihr Familientreffen veranstaltete. Aber das sollte ja nicht mein Problem sein. Markus erwartete mich bereits am Eingang zum Park. In der Hand hielt er etwas, das für meine unwissenden Augen wie ein modernes Handy aussah. Doch offenbar konnte er damit weit mehr anstellen, als bloß zu telefonieren. Er grinste mich an. „Im Seepavillon findet heute eine BVB Gala statt. Ich habe den Zugang zur Gästeliste geknackt und zwei Plätze auf den Namen Dembowski reserviert.“ Manchmal war seine Effektivität geradezu erschreckend.

Trotzdem beschlich mich ein ungutes Gefühl, als wir uns dem Veranstaltungsort näherten. Was würde ich machen, wenn Dembowski hier bekannt sein sollte? Dies war zwar auch nicht sein übliches Revier, aber dennoch war unsere Tarnung in Gefahr. Als ich uns mit „Dembowski & Co.“ vorstellte, gab es aber keine Probleme. Ganz im Gegenteil wurden wir von der Chefköchin des Hauses freundlich empfangen und der Gastgeber des Abends, ein gewisser Dr. Lüdge geleitete uns persönlich zu unseren Plätzen am Tisch 09. Ich wunderte mich, dass mir dieser Mann bis dato völlig unbekannt geblieben war. Immerhin stellte er sich als Polizeipräsident vor und schien auch ein Funktionsträger beim Ballspielverein zu sein.

Ich brauchte dringend was zu trinken, um meine Nerven in den Griff zu bekommen. An der Bar orderte ich ein Weizenbier für mich und ein Pilsken für Auersberger. Die Schnapsflaschen lachten mich zwar an, aber es war wichtig, hier einen klaren Kopf zu behalten. Der kleinste Fehler könnte uns auffliegen lassen und dann wäre wieder alles umsonst gewesen. Um ehrlich zu mir selbst zu sein, musste ich mir eingestehen, dass ich seit dem Hupensohn-Coup nicht mehr viel Konstruktives zu Wege gebracht hatte und Dembowski war auch zu nichts mehr zu gebrauchen. Piotr und seine Jungs in den Masuren wurden langsam nervös und begannen mir die Hölle heiß zu machen. Der heutige Abend musste unbedingt ein Erfolg werden.

Als ich zum Tisch zurückkehrte schien Markus total zappelig und nervös zu sein. Er hatte sich von der Eingangstür weggedreht und schirmte sein Gesicht mit der Hand ab. „Das ist Stutzmann“, raunte er mir zu „was macht der denn hier? Wir haben früher zusammen einige Dinger am Großmarkt gedreht.“ Ich betrachtete den Mann, der sich auf einem Barhocker niedergelassen hatte nun mit neuem Interesse. Er schien hier eine große Nummer zu sein. Dr. Lüdge beeilte sich, ihm eine Literflasche Jägermeister zukommen zu lassen, was mich doch etwas neidisch machte. Aber ich lenkte meine Gedanken schnell weg vom Schnaps und konzentrierte mich wieder auf die Ermittlung. Könnte dies ein wertvoller Kontakt sein oder würde Stutzmann uns hier rauswerfen lassen, sobald er uns erkannte? Doch Stutzmann war einstweilen vollauf damit beschäftigt, endlose Telefonate zu führen, so dass uns auf jeden Fall noch eine gewisse Zeit blieb, bevor er uns entdecken würde.

Ich schaute mich im Festsaal um. Die Wände waren mit diversen BVB Trikots dekoriert. Sogar das berüchtigte weiß gestreifte war darunter, noch so eine Verschwörung der wir nie wirklich auf den Grund gegangen waren. Die anderen Gäste waren festlich gekleidet und auf den Tischen standen Leuchter mit schwarzen und gelben Kerzen. Was sollte hier gefeiert werden? Wo war der neue Ermittler, der Dembowski derart in Aufregung versetzt hatte? Nun ergriff Dr. Lüdge das Wort und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf ein Blatt Papier, das sich auf jedem Gedeck befand. Er forderte die Gäste auf, sich zu erheben und gemeinsam die Vereinshymne zu singen, deren Text auf dem Papier verzeichnet war. Ich strafte das Blatt mit Nichtachtung. Jeder, der wie ich vom Borsigplatz stammt, wo dieses Lied gedichtet wurde, kann die Strophen von „Wir halten fest und treu zusammen“ besser rezitieren als das Vaterunser. Die feinen Herrschaften in meiner Umgebung schienen nicht so textsicher zu sein und starrten auf das Papier, während sie leise vor sich hin brummten. Aber auch ich hielt mich beim Singen zurück, um in dieser Gesellschaft nicht aus dem Rahmen zu fallen.

Die Vorspeise wurde serviert: Salat mit Gambas. Ich starrte entgeistert auf meinen Teller. Eine Portion von dem Deko-Zeug, was man normalerweise auf seinem Gyrosteller liegen lässt und dazu irgendwelches Meeresgetier, wo ich doch Wasserbewohner nur esse, wenn sie aus dem Hafenbecken des Dortmund-Ems-Kanals gefischt wurden. Ich bedauerte, dass ich auf dem Weg nicht noch schnell einen Taxiteller bei Schie eingeworfen hatte. Aber ich war ja auch nicht zum Essen hier, sondern zum Ermitteln. Und in welche Richtung diese Ermittlung sich bewegen würde, war mir immer noch unklar.

Unser Gastgeber würdigte dann die grandiose letzte Saison, die mit der besten Meisterschaft aller Zeiten geendet hatte. Ich lächelte still in mich hinein und dachte nochmal an den winzigen Beitrag, den auch Dembowski und ich zu diesem Erfolg geleistet hatten, indem wir den young-guns Reiser bestmöglich vom Hals hielten. Dr. Lüdge machte sich nun daran, ein Podest zu enthüllen. Dort sollte sich tatsächlich die Meisterschale befinden. Die Spannung im Raum war spürbar. Diese Trophäe konnte in jedem Bürger dieser Stadt ungeahnte Emotionen hervorrufen. Da machte es einmal keinen Unterschied, ob man auf der Nord- oder Südseite zu Hause war. Doch als Lüdge das Tuch zur Seite zog, war nur ein schäbiges Tablett auf dem Podest zu sehen. Allgemeines Entsetzen machte sich breit, Lüdge war außer sich und musste sich auch noch von Stutzmann verspotten lassen.

Um die Lage etwas zu entspannen, orderte Lüdge den zweiten Gang. Currywurst. Das ist doch mal etwas Reelles, womit ich arbeiten kann. Im Überschwang bestellte ich ein neues Weizen, auch Auersberger sollte noch ein Pils bekommen. Als er sich umdrehte um es von der Bedienung entgegen zu nehmen, erspähte ihn Stutzmann. Sofort stürmte er an unseren Tisch. „Mensch Markus, du alte Säge. Wer hat dich alten Kesselflicker denn hier rein gelassen? Aber egal. Der Laden gehört mir ja quasi. Willste einen Schnaps? Jägi vom Feinsten. Weißt du noch damals, als wir die Schweinehälften über die grüne Grenze nach Polen geschmuggelt haben?“ Auersberger war die Sache sichtlich unangenehm, aber das schien Stutzmann nicht weiter zu interessieren. Er erkundigte sich auch nicht nach meiner Person. Stattdessen steckte er mir mit den Worten „wenn du mal was brauchst, Junge, ich kann es besorgen“ seine Karte zu.

Wir waren aufgeflogen, aber wenigstens machte Stutzmann keine Anstalten, uns des Saales zu verweisen. Das Gegenteil war der Fall. Dr. Lüdge ergriff erneut das Wort und kündigte an, dass demnächst sein bester Mann, Hauptkommissar Kloppeck eintreffen würde und bis dahin niemand die Örtlichkeit verlassen sollte. Hauptkommissar Kloppeck. Das sollte also der neue Ermittler sein, der Dembowski derart in Aufregung versetzt hatte. Wie hatte Dembowski es bloß vorhersehen können, dass der Typ am heutigen Abend hier auftauchen würde? Ab und zu gelingt es ihm noch immer, mich in Erstaunen zu versetzen. Gespannt wartete ich auf das Eintreffen des Hauptkommissars. Würde dieser Mann in der Lage sein, den Fokus der Dortmunder Polizei wieder auf die wirklich wichtigen Probleme zu lenken?

Endlich traf Kloppeck in Begleitung einer Assistentin mit dem passenden Namen Knecht am Tatort ein. Ich betrachtete ihn eingehend. Er hatte den Saal sofort im Griff. Seine Horst Schimanski Gedächtnis Lederkutte strahlte Kompetenz und Lebenserfahrung aus. Der Mann wusste offenbar von der Wichtigkeit des ersten Eindrucks. Alle Gäste hingen an seinen Lippen, als er seine Anweisungen durch den Saal bellte. Selbst Stutzmann hatte ihm nicht viel entgegen zu setzen. Bereits nach kurzer Zeit schien ihm aufzufallen, dass Auersberger und ich nicht so recht in diese Gesellschaft passten. Er musterte uns mit einem durchdringenden Blick, unterhielt sich kurz mit Dr. Lüdge und kam schließlich zu uns an den Tisch.

In der Hand hielt er die Gästeliste. „Soso Dembowski & Co., da scheint wohl ein Irrtum vorzuliegen meine Herren…“ Ich erkannte direkt, dass Leugnen an dieser Stelle zwecklos wäre, weil Kloppeck unsere Fassade längst durchschaut hatte. „Redermann, Ernst Redermann“ beeilte ich mich vorzustellen „Nordstadt-Ermittler und Spezialist für schwarzgelbe Angelegenheiten.“ „Da ist aber jemand verdammt weit weg von seinen üblichen Jagdgründen“ stellte Kloppeck kalt lächelnd fest. „Ich versichere ihnen Herr Hauptkommissar, als die Schale verschwand, war ich so weit von ihr entfernt wie Gelsenkirchen“ brachte ich hervor. Kloppeck beugte sich zu mir herunter, bis seine Nasenspitze nur noch Millimeter von meiner entfernt war und fixierte mich mit einem derart kalten Blick, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Nach einem schier endlos erscheinenden Moment der Stille zischte er schließlich „und wie laufen die Ermittlungen?“ Ich schluckte. Was hatte ich schon vorzuweisen bis hier? Bevor ich mir eine Antwort einfallen lassen konnte, legte er nach: „Nicht so gut, was?“ Ich blickte zu Boden und gestand ihm ein, dass ich bislang noch keinen Schimmer hatte, was mit der Schale passiert sein könnte.

Kloppeck richtete sich auf. Er schien nun jedes Interesse an mir verloren zu haben. Er warf einen Zettel vor mir auf den Tisch. „Machen sie eine schriftliche Aussage und geben sie bei meinem Knecht ab.“ Er machte sich wieder auf in Richtung der Bar, drehte sich nach ein paar Schritten jedoch abrupt um und brüllte in meine Richtung „und halten sie sich gottverdammt noch mal aus meinen Ermittlungen raus, verstanden? Ich will sie hier in fünf Minuten nicht mehr sehen und wagen sie es nicht ihre dreckige Visage noch einmal südlich der Bahnlinie sehen zu lassen, bevor ich diesen Fall restlos geklärt habe.“

Geschlagen schlichen wir von dannen. Ein neuer Ermittler ist in der Stadt und mit dem ist nicht zu spaßen. Nun war es wirklich Zeit für Schnaps.

Redermann 03.09.2011

Kloppeck ermittelt im Seepavillon der Buschmühle im Westfalenpark noch zu folgenden Terminen: 07.10., 03+1.11. und 02.12.

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