Wenn der Gegner applaudiert
Wir schreiben die 73. Spielminute. Lucas Barrios hat gerade das 2:0 für den BVB gegen Hamburg erzielt. Das Stadion steht auf. In einer ohrenbetäubenden Lautstärke stellen tausende, hüpfende Borussen die Frage: "Wer wird Deutscher Meister?". Im Januar wurde dieser Gesang noch mit einem Augenzwinkern versehen – und dieses Augenzwinkern ist spätestens seit gestern verschwunden.
Hier könnte jetzt etwas über Nenas Auftritt stehen, oder über das „Kein Zwanni“-Banner der Hamburger. Über den strömenden Regen, die Pfiffe für Mladen Petric. Oder auch die wunderbare Fußballatmosphäre vor dem Anpfiff. All das eben, was normalerweise am Anfang eines Spielberichtes steht. Nur ist das, was die Borussen auf dem Rasen zeigt, nicht mehr normal. Nehmen wir mal die erste Halbzeit aus der Bewertung heraus.
Denn in den ersten 40 Minuten passierte nichts, wirklich nichts auf dem Rasen. Dortmund suchte vergebens die Lücke in der Hamburger Abwehr, und der HSV wiederum fragte sich, was denn dieses komische runde Leder auf einer Wiese zu suchen hat und warum die gelben Spieler dauernd dagegen treten. Denn an Fußball haben die Gäste in der ersten Halbzeit eher nicht gedacht. Das Einzige, was man sich zu den Gästen bis dato notieren konnte, waren die Fans – besonders mit ihrem neuen Gesang „Hey, hier kommt Hamburg“.
Fünf Minuten vor der Pause spielte Marcel Schmelzer von links eine schöne Flanke in den Strafraum, Kevin Großkreutz verpasste und Mario Götze war zu überrascht, um den Ball zu kontrollieren. Das war es, das einzige Produkt zweier Offensiven in einem halben Fußballspiel. Halbzeit, gut so.
Das einzig positive neben der Abwehr war das hervorragende Kurzpassspiel des BVB. Dazu kamen nach dem Seitenwechsel jede Menge Willenskraft, Selbstbewusstsein und Spielfreude. Also das Standard-Repertoire dieser Mannschaft. Und so dauerte es auch nicht lange, bis die nun verdiente Führung fiel. Schöner Pass von Bender in den Lauf von Lukasz Piszczek, Kagawa stand frei und Dortmund ging in Führung.
Die Stimmung war für einige Minuten nicht mehr zu toppen: „Kagawa Shinji“, „Pippi Langstrumpf“, „Borussia BVB“. Und die Leistung der Borussen war ebenfalls viel mehr als nur „gut“. Sie spielten weiter und weiter nach vorne. Und schließlich das 2:0 in der 73. Minute. Mario Götze spielte/schoss an den zweiten Pfosten. Dorthin, wo Großkreutz stand. Und wie er den Ball auf Lucas Barrios abgelegt hat, das war im Gesamtbild dieses wunderbaren Spielzuges schon – geil – anzusehen.
Und weil die Spieler des HSV sich einen Urlaubstag gegönnt hatten, war das Spiel schon eine Viertelstunde vor Schluss gewonnen. Denn nach dem 2:0 passierte nicht mehr viel. Der HSV kam zu zwei Chancen, auf Seiten des BVB hatte Lucas Barrios das 3:0 auf dem Kopf. Man hätte dem BVB noch viel länger zuschauen können. Diese Pässe, diese Spielübersicht von Kagawa und Sahin. Dieses Wille von Großkreutz, seinen Stammplatz vor Kuba zu behaupten. Ganz abgesehen von Götze. Mit 18 Jahren ein Stammplatz beim deutschen Tabellenführer - wenn das nicht Motivation genug ist, um weiter tolle Leistungen zu zeigen.
Pünktlich nach 90 Minuten war Schluss. Die Mannschaft feierte mit dem Stadion, drehte ihre Ehrenrunde.Und selbst von einigen Hamburgern gab es Beifall, als sie vor dem Gästeblock entlang ging.
Wir schreiben den 12. Spieltag. Borussia Dortmund hat gerade die Tabellenführung auf sieben Punkte ausgebaut. Borussia ist ganz oben. Und in einer ohrenbetäubenden Lautstärke stellen tausende hüpfende Borussen die Frage: „Wer wird Deutscher Meister?“...
Noten
Roman Weidenfeller: Ihn müsste man eigentlich aus der Bewertung nehmen, da keine Beschäftigung. Note: 3
Neven Subotic: Hellwach, nichts zugelassen. Note: 2
Mats Hummels: Ist weder positiv, noch negativ aufgefallen. Note: 3
Marcel Schmelzer: Eine gute Partie des schnellen Linksverteidigers. Note: 2-
Lukasz Piszczek: Hinten machte er seine Sache gut, ein Tor vorbereitet. Note: 2
Nuri Sahin. Gute Pässe, nach hinten solide. Note: 2-
Sven Bender: Das 1:0 eingeleitet, ansonsten ohne Patzer. Note: 3+
Mario Götze: Einige gute Aktionen gehabt, am 2:0 beteiligt. Note: 3+
Kagawa Shinji: Starke Partie, schönes Pässe. Note: 2
Kevin Großkreutz: Was für eine schöne Vorlage zum 2:0. Auch sonst ein guter Tag für ihn. Note: 2
Lucas Barrios: Zeigte überall Präsenz, stand einmal richtig und zeigte einen genialen Kopfball. Note: 2
Die Stimmen zum Spiel
Jürgen Klopp: Ich war überrascht über die Art und Weise, wie der HSV hier aufgetreten ist. Es war superschwer heute, gerade auch auf dem nassen Rasen. Der HSV hatte vorne nur Petric und wir sind nicht zum Abschluss gekommen. In der Halbzeit haben wir den Jungs zwei Szenen gezeigt. Zunächst den Ballverlust von Mats in der Vorwärtsbewegung und eine Szene, wo das Mittelfeld zu statisch war und nicht angespielt werden konnte. Dabei haben wir auch gezeigt, in welche freien Räume sie die Bälle spielen mussten. Beide Tore waren dann überragend gemacht. Wir wollten über die Flügel durckommen, weil die beim HSV sehr offensiv besetzt sind. Ich bin selbst überrascht, wie schnell die Dinge bei uns umgesetzt werden. Das habe ich so nicht erwartet. Unser Ziel ist es, weiter konstant guten Fußball zu spielen. Und das ist nicht deckungsgleich mit dem, was man von uns einredet.
Armin Veh: Der BVB spielt die ganze Saison schon richtig gute Dinge. Ich sehe viele Parallelen zu meiner Stuttgarter Meistermannschaft 2007 und für mich ist der BVB auch Favorit diese Saison. Wir haben heute leider zu viele Bälle verloren und nach vorne insgesamt zu wenig zustande gebracht.
Kevin Großkreutz: Es war ein Kampfspiel von der ersten Minute an, aber wir haben diesen Kampf von Beginn angenommen. Beim 2:0 legt Mario überragend quer, dann lege ich überragend quer und wir spielen einfach tollen Fußball. Bei uns kämpft wirklich jeder für jeden. Wir wollen unsere Spiele gewinnen, gucken nur auf uns. Die 15 Punkte Vorsprung auf die Bayern interessieren mich nicht.
Hans-Joachim Watzke: Wenn es in dieser Saison nur nach meinem Gefühl gehen würde, hätten wir erst fünf Punkte. Es war einfach wieder eine überragende Leistung. In der ersten Hälfte ist der HSV sehr tief gestanden und da konnten wir nicht so aufmachen. Aber das ist auch eine Weiterentwicklung, dass wir nicht sofort blind nach vorne rennen. Die Frage nach der Meisterschaft stellt sich nach wie vor nicht. Der FC Bayern wird seine Punkte schon noch machen und aufholen. Es kann noch so viel passieren diese Saison, außerdem wollen wir der Mannschaft keinen Rucksack aufbürden. Die Fans sollen ruhig jubeln und feiern, aber wir bleiben auf dem Boden.