Justice for the 96 ("The killing fields of Hillsborough?)
Wer die heutigen Stadien und Fankulturen verstehen will, der muss einen Blick auf den 15. April 1989 werfen. Heute vor genau 20 Jahren kam es im Stadion von Sheffield Wednesday – Hillsborough – zur Katastrophe. Die traurige Bilanz: 96 Tote, 730 Verletzte, 300 davon schwer verletzt im Krankenhaus.
Wir hoffen, den einen oder anderen interessiert dieser tiefere Blick auf den 15. April 1989. Es geht dabei um den Ablauf der Tragödie, den eingesetzten Ermittlungs- und Untersuchungsausschuss ("The Taylor Inquiry"), die daraus resultierenden Ergebnisse und um die Vorschläge, die nach dieser Tragödie erarbeitet wurden ("The Taylor Report"). Spätestens ab diesem Punkt betrifft es nämlich nicht nur England, sondern Fußballfans in ganz Europa. Ganz besonders auch den deutschen Fußball, wo neben England zwischen 1989 und 2009 die wohl größten Umwälzungen stattgefunden haben.
Zu Beginn drehen wir das Rad einige Jahre zurück
Bereits am 11. April 1981 kam es bei einem FA-Cup-Halbfinale zwischen Tottenham Hotspur und den Wolverhampton Wanderers auf dem Lower West Stand des Hillsborough an der Lepping Lane beinahe zur Katastrophe. 38 Menschen wurden an diesem Tag verletzt, Tote gab es an diesem Nachmittag in Sheffield nicht zu beklagen. Ein Fehler war an diesem Nachmittag allerdings identisch. Man hatte den Fans der Spurs, in weitaus größerer Zahl aus London und Umgebung angereist, den kleineren Stehplatzbereich des Stadions an der Lepping Lane zugewiesen.
Der Vorfall geriet im Laufe der Jahre mehr und mehr in Vergessenheit. Sheffield Wednesday hatte sich unmittelbar nach diesem Spiel verpflichtet, den barrierefreien Unterrang auf dem West Stand in Zukunft in drei große Stehplatzblöcke aufzuteilen. Fortan sollte es einen großen Mittelblock und zwei Außenblöcke geben. Ein erster fataler Fehler in einer unendlich langen Fehlerkette. Der Beginn einer Kette von Fehlern, die acht Jahre später zur Katastrophe führen sollten.
In den Folgejahren kam es immer wieder zu Beschwerden von auswärtigen Fans. Gerade Mannschaften mit einem sehr großen Auswärtsanhang, wie z. B. dem Liverpool FC, war die Lepping Lane seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Zustände dort galten schon lange als untragbar veraltet und außerordentlich gefährlich. Liverpool FC hatte seine Fans in diesem Zusammenhang auch nicht ignoriert. Die Verantwortlichen des Clubs hatten in den Jahren vor der Katastrophe die britische Football Association (FA) mehrmals auf diese Missstände in Hillsborough hingewiesen. Letztmalig eine Woche vor dem 15. April 1989. Eine Verlegung des Halbfinales in ein anderes Stadion wurde von der Football Association allerdings abgelehnt. Stattdessen musste sich Sheffield Wednesday als Hausherr dazu verpflichten, in der verbleibenden Woche für ausreichende Sicherheit beim anstehenden Halbfinale zu sorgen. Dieser Aufforderung kam man nach, indem der große Mittelblock, der bereits 1981 eingeführt wurde, durch hohe Zäune in drei kleinere Blöcke unterteilt wurde. Ein weiteres Glied in der Fehlerkette. Eine Woche später sollten diese baulichen Maßnahmen schreckliche Folgen haben.
Samstag, 15. April 1989, FA-Cup-Halbfinale: Liverpool FC – Nottingham Forest
Merseyside gegen die East Midlands: Das FA-Cup-Halbfinale an diesem Samstag um 15:00 Uhr in Sheffield hatte die Massen seit Wochen und Tagen elektrisiert. Der Austragungsort im südlichen Yorkshire war für die Anhänger beider Mannschaften nicht allzu weit entfernt. Allerdings gab es zu dieser Zeit in England schon weitaus modernere Stadien, Hillsborough galt 1989 bereits als veralteter Gitterkäfig. Trotzdem wurde das Stadion von Sheffield Wednesday von der Football Association mit fünf Sternen bewertet und galt somit als sicherer Austragungsort für ein FA-Cup-Halbfinale (mit ähnlichen Kriterien werden auch heute noch Stadien bei UEFA und FIFA bewertet). Das entsprach an diesem 15. April 1989 offenbar nicht ganz der Wahrheit.
Die Kartenvergabe für dieses Halbfinale war auch nicht ganz durchschaubar. Es war damit zu rechnen, dass der Liverpool FC eine größere Anhängerschaft mobilisieren würde. Trotzdem wurde dem LFC die kleinere Fankurve an der Lepping Lane zugewiesen.
In den frühen Morgenstunden
Für die meisten Anhänger des Liverpool FC dürfte die Anreise in den frühen Morgenstunden an der Westküste Englands begonnen haben. Der Hauptanreiseweg der Liverpool-Fans, der Motorway M62, wurde an diesem Tag in der Vormittagszeit durch unangekündigte Bauarbeiten über weite Strecken blockiert. Dabei mussten viele Fans den Weg durch die Pennines, ein kleines Mittelgebirge, über diese wichtige Verkehrsader durch den Nordwesten Englands bewältigen. Dort bildeten sich durch diese unvorhergesehenen Bauarbeiten lange Staus am wichtigsten Autobahnkreuz in Richtung Sheffield. Tausende Fans des LFC, die daheim zu völlig unterschiedlichen Zeiten aufgebrochen waren, stießen in den Staus an diesem Autobahnkreuz wieder zusammen und kamen so fast zeitgleich verspätet in Sheffield an der Lepping Lane an.
Der enorme Andrang in Richtung Sheffield über genau diese Strecke war an diesem Samstag vorhersehbar. Warum trotzdem an diesem Tag, um diese Uhrzeit mit den Bauarbeiten begonnen wurde? Einer der Fragen, die bis heute nicht restlos geklärt wurden. Ein Punkt, der in seiner Tragik auch in die Arbeit der Taylor-Untersuchungen eingeflossen ist.
Gegen 14:45 Uhr vor dem West Stand an der Lepping Lane
Vor den Drehkreuzen (dazu an anderer Stelle noch mehr) am West Stand warteten auch 15 Minuten vor Spielbeginn noch Tausende Liverpool-Anhänger auf Einlass. Eine zu diesem Zeitpunkt noch rigorose Einlasskontrolle an den Drehkreuzen, es wurde auch auf Alkohol und Waffen untersucht, hatte die verspäteten Liverpool Fans vor den Toren auflaufen lassen. Den größten Teil dieser Fans zog es in den unterteilten Mittelblock C-Lower West Stand. Beide Außenblöcke an der Lepping Lane waren 1989 noch unüberdacht und außerdem mit kleinen Polizeikanzeln versehen. Diese beiden Faktoren machen diese Außenblöcke nicht unbedingt beliebt bei den Fans. Auf die Sitzplätze des Upper West Stand konnten und durften die Fans bei einem ausverkauften Haus auch nicht ausweichen. Gegen 14:50 Uhr wurde es an der Lepping Lane unruhig. Man hatte Karten, konnte den Support der Fans draußen auf der Straße hören – und kam nicht ins Stadion. Auf die Idee, das Spiel einfach mit 15 bis 30 Minuten Verspätung beginnen zu lassen, kam offenbar niemand. Oder doch?
Die fragwürdige Rolle der British Broadcasting Corporation („BBC Match of the day”)
Das FA Cup Halbfinale an diesem Samstag wurde 1989 von der BBC im ganzen Land live als „Match of the day“ übertragen. Wie in jedem Jahr, das hat in England Tradition. Eng geschnürt in einen festen, routinierten Programmablauf. Man bestand auf einen pünktlichen Anpfiff um 15:00 Uhr. Ging es um nachgeschaltete, bereits verkaufte Werbeblöcke? Die Frage lässt sich heute nicht mehr klären. Fest steht, die Situation an der Lepping Lane hätte mit einem späteren Beginn deutlich entschärft werden können. Man hätte mehr Zeit gehabt, den Zufluss zum West Stand über die Drehkreuze kontrolliert zu steuern.
Kurz vor 15:00 Uhr vor dem West Stand
Das Spiel sollte also auf die Sekunde pünktlich angepfiffen werden. Im Stadion wurden bereits die Mannschaftsaufstellungen verlesen. Die Menge vor den Drehkreuzen wurde immer unruhiger, man konnte bereits den Einlauf der Mannschaften verfolgen. Polizisten zu Pferd versuchten die aufgebrachte Menge vor den Toren zu beruhigen und erreichten damit wahrscheinlich genau das Gegenteil. Laut Einschätzung der Sicherheitskräfte (und auch gemäß der Polizeiprotokolle) drohte die Lage an der Lepping Lane mehr und mehr außer Kontrolle zu geraten. Allerdings kam es zu keinem Zeitpunkt zu Ausschreitungen oder Krawallen. Die Lage war angespannt, letztlich aber friedlich. Trotzdem entschloss sich die örtliche Polizei, um kurz vor 15:00 Uhr an der Lepping Lane das große Ausgangstor (Gate C) öffnen zu lassen. Dieses große Gate C befand sich direkt hinter den Mittelblöcken Lower West Stand. Der Zugang führte durch einen einzigen dunklen Tunnel in die Mittelblöcke C3 und C4 Lower West Stand. Genau in die beiden Blöcke, die 94 Menschen an diesem Nachmittag nicht mehr lebend verlassen sollten. Alle anderen Blöcke auf dem gesamten West Stand blieben von der Katastrophe verschont.
Zwischen 15:00 Uhr und 15:02 Uhr im West Stand
Der Schiedsrichter hatte die Partie auf die Sekunde pünktlich um 15:00 Uhr angepfiffen. Fast zeitgleich hatte sich auf dem Lower West Stand das Tor zur Hölle geöffnet. Durch Gate C drückten wahre Menschenmassen in die mittleren Blöcke des Unterrangs. Bereits um 15:02 Uhr retteten sich einige Fans über den viel zu hohen Zaun auf das Spielfeld und brachen dort vor den Augen des Stadions zusammen. Sanitäter und Mannschaftsärzte eilten herbei. Auf dem Platz diskutierten bereits Spieler beider Mannschaften. Am Spielfeldrand beobachtete der Liverpooler Teammanager Kenny Daglish fassungslos das Geschehen auf dem West Stand. Von diesem Schock sollte er sich nie wieder richtig erholen. Er hatte als Spieler der Reds bereits die Tragödie von Heysel (das Endspiel um den Europapokal der Landesmeister 1985 gegen Juventus Turin in Brüssel) miterlebt. Der Schiedsrichter machte jedoch keine Anstalten, das Spiel wieder zu beenden, es lief noch weitere vier Minuten. Für viele Fans bedeuteten diese verschenkten 240 Sekunden das Todesurteil.
Um 15:06 Uhr auf dem Platz
Polizisten liefen bereits über den Platz, ein Officer befahl dem Schiedsrichter, das Spiel unverzüglich zu beenden. Innerhalb weniger Minuten war die Situation auf dem Lower West Stand völlig außer Kontrolle geraten. Die Tragödie nahm bereits ihren Lauf.
Um 15:08 Uhr vor dem Lower West Stand
Vor dem Lower West Stand wurde von einer Polizistin ein erstes, kleines Fluchttor geöffnet. Einige Fans konnten durch dieses Tor, nicht einmal so groß wie eine Haustür, entkommen. Für die meisten Fans war dieser Rettungsweg nicht mehr erreichbar. Der Druck von hinten hatte die Bewegungsmöglichkeiten weiter unten im Block radikal eingeschränkt. Bis zur vollständigen Öffnung aller Tore vor dem Lower West Stand sollten noch mehr als acht Minuten vergehen. Eine Ewigkeit.
Gegen 15:17 Uhr vor dem Lower West Stand
Wahrscheinlich wurden zu diesem Zeitpunkt alle Tore vor dem Lower West Stand geöffnet. Einwandfrei und zeitgenau konnte das nie belegt werden. In den zwei betroffenen Blöcken konnte sich niemand mehr frei bewegen. Der Druck von hinten hielt unvermindert stark an, der Zustrom war noch nicht abgerissen. Zu diesem Zeitpunkt muss es bereits mehr als 50 Tote gegeben haben: Zerdrückt an völlig überdimensionierten Wellenbrechern und Zäunen. (Unschön zu erwähnen, aber auch ein wichtiger Teil der Wahrheit über Hillsborough: Die meisten Opfer hatten schwerste Rippenbrüche, Lungenquetschungen, Lungenrisse, ausgeschlagene Zähne, Schädel- und Hirnverletzungen.)
Zwischen 15:28 und 15:30 Uhr vor dem Lower West Stand
Der Zustrom in die betroffenen Blöcke konnte durch die Polizei endlich unterbunden werden, fast eine halbe Stunde nach der Öffnung von Gate C. In dieser halben Stunde muss es mehr als 85 Opfer gegeben haben. Warum bis zur Abriegelung von Gate C knapp 30 Minuten vergingen, konnte in den folgenden Anhörungen nie restlos geklärt werden. Ein Glied der Fehlerkette, das bis heute wütende und fassungslose Fragen aufwirft. Vor dem Spiel war die örtliche Polizei vor dem Stadion weitaus weniger zimperlich, Man war ja mit Pferden in die wartende Menge geritten und hatte so für noch mehr Unruhe und Gedränge vor den Drehkreuzen an der Lepping Lane gesorgt.
Gegen 15:45 Uhr zwischen West Stand und North Stand
Erst nach mehr als 40 Minuten erreichten die ersten Krankenwagen Hillsborough, doch noch ließen sich die Einfahrten ins Stadioninnere nicht öffnen. Sheffield hatte sich an diesem Samstag verbarrikadiert. Zwar waren die vorgeschriebenen Zufahrtswege ins Stadioninnere vorhanden, aber die Tore waren mit schweren Ketten gesichert. Vor Ort waren keine Schlüssel hinterlegt und den Rettungskräften fehlten zu Beginn die Werkzeuge, um diese Einfahrten zu öffnen. So verstrichen weitere wertvolle Minuten, die sehr wahrscheinlich weiteren Menschen das Leben gekostet hat. Das Katastrophenmanagement einer 520.000-Einwohner-Stadt hatte vollständig versagt. Eine Stadt, in der Größe vergleicbar mit Dortmund, konnte eine knappe Stunde keine Krankenwagen für die zahlreichen Opfer bereitstellen.
Gegen 15:48 Uhr (Liverpool- & Nottingham-Fans)
Die Vereinsfarben spielten schon längst keine Rolle mehr, die uralte Rivalität zweier Traditionsvereine war auf einem Schlag unwichtig. Supporter beider Mannschaften (Fans von Nottingham Forest rissen Zäune ein und strömten aus Richtung North & East Stand dazu) hatten Werbebanden von den Spielfeldumrandungen gerissen bzw. aufgebaute Werbebanden als Transportmittel genutzt. Auf diesen Werbebanden wurde Verletzte und Sterbende in Richtung East Stand transportiert. Zu Beginn dieser "Transporte" wurden die Leute von einer eiligst gebildeten Polizeikette daran gehindert, die Opfer aus dem Stadion zu tragen. Man hatte Angst, die Fanblöcke am East Stand aufeinander treffen zu lassen. Auch diese Einschätzung erwies sich laut Taylor-Report als vollkommen unbegründet und tragisch. Auch hier sollte die Fehlerkette noch nicht abreißen. Krankenwagen und Intensivmedizin gab es zu diesem Zeitpunkt innerhalb des Stadions noch nicht. Die Hilfe stand vor dem Stadion. Beschäftigt mit der Öffnung der verschlossenen Tore.
Sonntag, 16. April 1989
Eine erste Horrorbilanz des Vortages. 94 Tote, 730 Verletzte, davon 300 Schwerverletzte in den Kliniken der unmittelbaren Umgebung. Diese große Anzahl von Verletzten stellte die Klinken im Großraum Sheffield vor enorme Schwierigkeiten.
Samstag, 22. April 1989
Todesopfer 95. Der 14jährige Lee Nicol stirbt nach einer Woche in einem Klinikum in Sheffield
Mittwoch, 03. März 1993
An diesem Tag forderte Hillsborough sein letztes direktes Todesopfer. Anthony David ("Tony") Bland starb fast vier Jahre später, am 03. März 1993, unweit seiner Heimat. Die Zeit nach dem 15. April 1989 hatte er im Wachkoma verbracht, schwerste Hirnschädigungen haben ihn nie wieder aufwachen lassen. Das Spiel besucht hatte er als völlig gesunder, 18jähriger Liverpool-Fan.
Die Rolle der Medien nach dem Unglück
Aus dem britischen Boulevardblatt "The Sun" vom Mittwoch, dem 19. April 1989. Verkaufte Auflage des Massenblatts an diesem Tag in ganz Großbritannien: 4.410.811
"GATES OF HELL – THE TRUTH
Some fans picked pockets of victims
Some fans urinated on the brave cops
Some fans beat up PC giving life kiss"
(Die ganze Wahrheit. Einige Fans raubten den Opfern die Geldbörsen. Fans urinierten auf helfende Polizisten. Einige Fans prügelten auf helfende Polizisten ein.)
So schrecklich diese Überschriften sind, sie habe alle eine Gemeinsamkeit. Sie sind frei erfunden und falsch. Diese Lügen der Sun sorgen im Großraum Liverpool bis heute für Empörung. Hatte die Sun vor dem 19. April 1989 im Großraum Liverpool noch eine Auflage von über 400.000 Exemplaren, sind es heute deutlich weniger als 12.000. Das Boulevardblatt spielt in Liverpool keine Rolle mehr. Erst 15 Jahre später, am 08. Juli 2004, hat sich die Sun offiziell bei allen Opfern und Angehörigen für diese Überschriften entschuldigt. Die Sun veröffentlichte eine ganzseitige Entschuldigung mit dem Eingeständnis der Falschmeldungen.
The Taylor Inquiry/Der Taylor-Report
Der Tragödie folgte die Untersuchung. Diese lag in den Händen von Peter Talyor (Baron of Gosforth), einem der unumstrittensten Innenpolitiker und höchsten Richter des Landes (Lord Chief Justice of England and Wales).
Der South Yorkshire Police wurde ein nahezu völliges Versagen zugeschrieben, sie hatte die Situation vor dem Stadion eindeutig falsch eingeschätzt. Diese Fehleinschätzungen der Lage setzten sich im Stadion vor dem Lower West Stand fort. Vorhandene Kameraposten in den Eckblöcken waren nicht oder nur unzureichend besetzt, mehrere Polizisten wurden der Falschaussage überführt und mussten diese Aussagen vor Gericht widerrufen. ("Die haben im Suff die Eingangstore gestürmt.")
Was wir heute von der Dortmunder Südtribüne kennen, Blockkontrollen an den Stehplatzbereichen, war 1989 in England bereits Pflicht. Diese Kontrollen fanden an diesem 15. April 1989 nicht statt. Die South Yorkshire Police kontrollierte lediglich an den Eingängen des Stadions.
Die Untersuchungen kamen schnell auf die modernen Drehkreuze des Stadions. Davon gab es an diesem Nachmittag in Sheffield nicht genug. Die Menschenmenge staute sich vor dieser modernen Technik. Ein Stadion, das mit fünf Sternen bewertet worden war und als halbfinaltauglich befunden wurde, hätte nicht über eine so geringe Anzahl von Drehkreuzen verfügen dürfen. Das Stadion war in seiner Bewertung eindeutig falsch eingeordnet.
Übereinstimmend kam der Taylor-Ausschuss auch zu dem Ergebnis, dass Alkohol und Krawalle an diesem Tag keine Rolle gespielt haben. Die erhobenen Vorwürfe der Sun erwiesen sich als völlig haltlos. Die Anreise der Reds begann in den frühen Morgenstunden, das Spiel sollte ja bereits um 15:00 Uhr angepfiffen werden. Um diese Uhrzeiten hatte der Alkohol eine so untergeordnete Bedeutung, dass man ihn als „zu vernachlässigen“ bewerten kann (laut Taylor-Report). Zu Ausschreitungen kam es im Stadion und um das Stadion herum nicht. Prügelnde Hooligans spielten an diesem Tag in Sheffield nicht die geringste Rolle.
1989 gab es in England bereits Block-Stewards, die an den Aufgängen zu den Blöcken standen. Das war im englischen Fußball Pflicht und zwingend vorgeschrieben, gerade in einem Stadion mit fünf Sternen. Jeder, der schon einmal in einen englischen Stadion war, wird diese durchaus freundlichen Herren kennen. An diesem Tag stand vor den Blöcken aber niemand. Warum nicht ? Diese Frage und die Fragen der Zuständigkeit konnten in der Taylor-Untersuchung nie geklärt werden. Wahrscheinlich hat man die Blockeinteilung und die Stewards einfach vergessen. Eine Panne, die diese Katastrophe wohl erst ermöglicht hat. Auch 20 Jahre später gibt es für diese Panne keine Erklärung.
Der Taylor-Report präsentierte anschließend die wichtigsten Ratschläge und Empfehlungen. Diese Ratschläge hingegen sorgen bis heute für Unruhe in Liverpool:
- nie wieder Stehplätze in England,
- nie wieder eingezäunte Spielfelder in England und
- ein striktes Alkoholverbot innerhalb aller englischen Stadien.
Gerade dieser letzte Punkt sorgt in Liverpool immer noch für Unruhe. Man sieht die 96 Opfer bis heute in ein falsches Licht gerückt.
Vier Jahre später wurde The New Dan eröffnet. Die neue Heimat des FC Millwall in London. Der erste Neubau, als reiner Allseater entworfen, auf der britischen Insel. Stehplätze findet man in den ersten drei Ligen des englischen Fußballs heute nicht mehr.
Die Geschichte einer Familie
Um einmal zu verdeutlichen, wie sehr Tragik und Triumph in Liverpool miteinander verwoben sind, reicht es, einen Blick auf die Familie Gilhooley zu werfen. Der 10jährige Sohn (Jon-Paul) der Familie war das jüngste Opfer in Hillsborough. Sein zwei Jahre jüngerer Cousin Steven, ebenfalls glühender Anhänger des Liverpool FC, war an diesem Samstag nicht im Stadion. 20 Jahre später führt er jede zweite Woche seine Reds als Kapitän in die Anfield Road. Sein Name: Steven Gerrard. "Natürlich spiele ich auch für Jon-Paul. Er hat Liverpool mit der gleichen Leidenschaft bewundert wie ich es tue, wenn ich das rote Trikot überstreife. Die Erinnerung an ihn war immer eine der Triebfedern meiner Karriere."
Justice for the 96 (Gerechtigkeit für die 96 Opfer)
Diese Kampagne muss man als die Antwort der Liverpool Fans auf die vielen offenen Fragen werten. Manches ist unfassbar, einige Sachen findet man auch im Taylor-Report wieder – und viele Sachen wurden eindeutig wieder ins rechte Licht gerückt. Die Kampagne machte letztmalig 2007, vor einem FA-Cup-Spiel gegen Arsenal, großflächig auf sich aufmerksam. Die heimische Anfield Road in Liverpool hielt Schilder mit der Aufschrift "Justice for the 96" in die Höhe.
Der englische Fußball hat an diesem 15. April 1989 auch seine Seele verloren.
Rolf, 15.04.09