Noch jemand mit Dortmund im Herzen braucht den BVB auf der Brust
Die neue Bundesligasaison ist erst wenige Tage alt und schon wird die Rolle eines Spielers unter den Fans heiß diskutiert. Die Rede ist natürlich von Florian Kringe, der, nachdem er beim Pokalspiel in Weiden und dem Bundesligaauftakt gegen Köln nicht im Kader war, in Interviews seine Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation geäußert hat. Es gibt Spekulationen über Wechselabsichten und mit Hertha BSC Berlin sogar schon einen Verein, bei dem Florian Kringe "intern diskutiert" worden sein soll. Doch fangen wir einmal langsam an.
In jungen Jahren zum BVB
Seit nunmehr 15 Jahren gehört Florian Kringe zum Ballspielverein Borussia Dortmund. Im Sommer 1994 kam der 11-jährige Florian von den Sportfreunden aus Siegen zum BVB. Es sollte ein gutes Jahr in der Geschichte des Vereins werden, doch während die Stars um Matthias Sammer, Andreas Möller und Stephane Chapuisat unter Ottmar Hitzfeld die deutsche Meisterschaft gewannen, wird der kleine Florian wohl vor allem damit beschäftigt gewesen sein, sich auf den neuen Verein, die neuen Mitspieler und den neuen Trainer einzustellen. Trotzdem wird er genau verfolgt haben, was „die Großen" machen und wenn es nicht schon längst der Fall war, wird spätestens in dieser Zeit für ihn der Traum zum Ziel geworden sein: Irgendwann für Borussia in der Bundesliga spielen.
Beim BVB war man von seinem Talent überzeugt, und so durchlief Florian Kringe die Jugendmannschaften des BVB und erhielt im Anschluss seinen ersten Vertrag. Nach einer Saison bei den Amateuren schien das Ziel in greifbarer Nähe zu sein, denn in der darauffolgenden Spielzeit 2001/2002 sollte der Name „Kringe, Florian" zum ersten Mal im Kicker-Sonderheft zu finden sein.
Über Umwege zum Leistungsträger
Aber für Kringe verlief seine erste Profisaison enttäuschend. In der Meistermannschaft war kein Platz für ihn und er machte kein einziges Bundesligaspiel. Doch beim BVB war man von seinem Talent überzeugt und um ihm Spielpraxis zu verschaffen, lieh man ihn für zwei Jahre an den 1. FC Köln aus, der gerade in die zweite Bundesliga abgestiegen war. Hier gelang Kringe dann nach kurzer Eingewöhnungszeit der Durchbruch. Er schoss sieben Tore und schaffte mit dem FC auch den sofortigen Wiederaufstieg in die höchste deutsche Spielklasse. Dort stellte er seine Bundesligatauglichkeit unter Beweis, setzte sich gegen gestandene Konkurrenten durch und war mit insgesamt 29 Einsätzen Stammspieler. Seine herausragenden Leistungen machten ihn zum Nationalspieler und bescherten ihm nicht nur Einsätze für die U21 sondern machten ihn, als Teil des „Team 2006", auch zum Hoffnungsträger für die WM im eigenen Land.
Mit dieser Empfehlung im Rücken und der Gewissheit, eine wichtige Rolle im Team spielen zu können, kehrte er zur Saison 2004/2005 nach Dortmund zurück und wurde unter Trainer van Marwijk nicht nur zum Stammspieler, sondern „Dortmunds Dynamo" (Kicker, März 2005). Die Bezeichnung kam nicht von ungefähr, denn Kringe kam vor allem seine enorme Laufstärke und Athletik, aber auch seine flexible Einsetzbarkeit zu Gute. Von nun an war Florian Kringe nicht mehr aus der Startformation wegzudenken. Zumeist kam er im Mittelfeld zum Einsatz, wo er es sehr gut verstand, dem Gegner die Räume zu nehmen und Tore vorzubereiten. Auf den Außenpositionen der Viererkette wurde er immer dann eingesätzt, wenn mal wieder Not am Mann war. Hier konnte er durch gutes Stellungsspiel und hervorragende Zweikampfführung glänzen und setzte immer wieder Akzente im Spiel nach vorne. Unabhängig von der Position, die er spielte, war es jedoch eine herausragende Eigenschaft, für die ihn seine Trainer und zunehmend auch die Fans über die Maßen schätzten: Kampfeswille.
Kringe rannte und ackerte wie kein Anderer, gab keinen Ball verloren und trieb den Ball und die Mitspieler gleichermaßen immer wieder nach vorne. Wenn man nach einem Beleg für die in den Medien immer wieder gerne aufgegriffene These, in Dortmund müsse man immer rennen und kämpfen, wenn man Publikumsliebling werden will, suchen würde - in Florian Kringe hätte man ihn wohl gefunden. So verwunderte es auch nicht, dass die Botschaft von Kringes Vertragsverlängerung bei der Jahreshauptversammlung 2007 regelrechte Beifallsstürme auslöste.
Ein Bekenntnis ohne Worte
Doch es war nicht nur die Tatsache, dass ein herausragender Fußballer, der wohl zu sämtlichen deutschen Spitzenclubs hätte wechseln können (neben dem HSV sollen allen voran der FC Bayern und Werder Bremen großes Interesse gehabt haben), auch weiterhin für Borussia um Punkte kämpfen würde, die die Anwesenden zum Klatschen brachte. Nach der verkorksten Vorsaison hatte sich Kringe gegen einen Wechsel und für Borussia entschieden - für seine Borussia. Denn mit der Verlängerung um vier (!) Jahre hatte er ein Bekenntnis zum BVB abgegeben, das tausendmal mehr wert war als jedes Wort über Vereinsliebe, das Fußballer heutzutage gerne in Mikrofone säuseln um dem Verein dann beim nächstbesten Angebot den Rücken zu kehren. Denn eines ist sicher: Bei Bremen, dem HSV, den Bayern oder auch in Leverkusen hätte Kringe wohl mit Sicherheit nicht wesentlich weniger verdient als er es aktuell beim BVB tut. Zudem hätte er dort mit großer Wahrscheinlichkeit die Möglichkeit gehabt, international zu spielen und damit, aus damaliger Perspektive, den nächsten Schritt in seiner Karriere zu schaffen und sich in Europa einen Namen zu machen.
Dass er anders ist als die meisten seiner Kollegen, hatte Florian schon zuvor immer wieder unter Beweis gestellt. Immer suchte er das Gespräch mit den Fans, egal ob nach Training oder Meisterschaftsspiel. Nach der Niederlage gegen Leverkusen, als während des Spiels die Haupttribüne gestürmt und lauthals „Marwijk raus!" gefordert wurde, ging er als einziger zur Südtribüne, wo er aufs Übelste beschimpft und mit Bierbechern beworfen wurde. Doch wer gedacht hätte, Florian Kringe, der zwar auch nicht sonderlich gut gespielt hatte, dem man aber auch nicht vorwerfen konnte, er habe nicht alles gegeben, hätte seitdem genau wie seine Kollegen den Kopf in den Sand gesteckt und wär in die Kabine geflohen, der hatte sich getäuscht. Denn er zeigte, dass der BVB für ihn nicht nur sein Arbeitgeber, sondern eben sein Verein ist, dass er, wie man in München so schön zu sagen pflegte, Eier hat, und kam auch beim nächsten Mal zu den Fans.
Leistungseinbruch
Leistungsmäßig stagnierte Kringe seit seiner Vertragsverlängerung allerdings, und unter Jürgen Klopp ging es für ihn immer mehr bergab. Zwar konnte man Kringe nie den absoluten Willen absprechen, aber die Zahl der Fehlpässe und technischen Unzulänglichkeiten stieg in den Augen der Fans. Eine Rolle hierbei dürfte allerdings auch spielen, dass Florian Kringe bereit ist, Risikos einzugehen. Wo andere den Ball lieber nochmal abspielen, hämmert er einfach mal drauf, wo andere versuchen, den Ball erst zu stoppen, nimmt er ihn volley. Dass bei solchen Bällen neun von zehn im Fangnetz landen, macht es für ihn nicht unbedingt leichter. Doch das alleine erklärt nicht, warum der einst herausragende Kringe, der, egal wo er gebraucht wurde, immer ordentliche bis hervorragende Leistungen ablieferte, immer mehr durch Fehler auffiel und zum Ende der letzten Saison wohl zu Recht auf der Bank landete. Zu erklären ist dies wohl mit einem Wort: Form. Dass Kringe besser spielen kann, hat er hinlänglich bewiesen, dass im Moment andere besser in Form sind, ist aber auch klar.
Unterstützung
Was aber soll man anfangen mit der aktuellen Situation rund um Florian Kringe? Dass er dauerhaft auf der Tribüne sitzt, ist sicherlich ein Zustand, der von keiner Seite gerne gesehen wird. Vom Verein nicht, weil er dafür schlichtweg zu gut bezahlt wird, von Kringe selbst nicht, weil er natürlich spielen möchte und von den Fans wohl auch nicht, denn man gönnt ihm nur das Beste - zumindest sollte man das bei jemandem, der dem Verein in den letzten 15 Jahren sehr viel gegeben hat, erwarten.
Es bleiben also eigentlich nur zwei Möglichkeiten: 1. geduldig sein und warten, dass sich dieser Zustand wieder ändert oder 2. wechseln.
Die erste Option erscheint zunächst schwieriger, schließlich weiß niemand, was der Trainer genau plant, was er vorhat, doch wenn man es näher betrachtet, sind Kringes Chancen, schon bald wieder zumindest zum Kader zu gehören, sehr gut, schließlich ist die Situation anders als beim FC Bayern. Beim BVB sitzen derzeit keine Weltstars auf der Bank, sondern Spieler wie Öztekin und Großkreutz, die sicherlich Talent mitbringen, aber auch jung und mit jeweils nur einem Bundesligaspiel total unerfahren sind. Dass diese Jungs bei guten Trainings- und Testspielleistungen einem formschwachen Kringe vorgezogen werden, ist richtig. Es sollte aber nicht überinterpretiert werden. Zumal der Kader derzeit, mit Ausnahme von Sebastian Kehl und Dede, weitestgehend frei von Verletzungen ist. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass vier, fünf Verletzte gleichzeitig beim BVB leider keine Seltenheit sind. In dieser Situation und bei irgendwann wiederkehrender Form wird man froh sein, wenn man einen erfahrenen Mann wie Kringe hat, und er wird zweifellos seine Chance bekommen.
Kringe selbst fasst es übrigens wie folgt zusammen: „Die Situation ist eine große Enttäuschung für mich, weil ich immer 100 Prozent gebe, hier groß geworden bin und am BVB hänge". Bei Lars Rickens Ausbootung durch den unsäglichen Thomas Doll (der übrigens auch Kringe kurzzeitig zu den Amateuren verbannte) hieß es: „Jemand mit Dortmund im Herzen braucht den BVB auf der Brust". Nun ist es wohl an der Zeit zu sagen: „Noch jemand mit Dortmund im Herzen braucht den BVB auf der Brust".
geschrieben von Mats (Blace)
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