...unser ganzer Stolz
Es gibt Ereignisse, die durch ihre Nichtalltäglichkeit etwas Besonders sind. Weihnachten etwa. Oder Geburtstage. Oder eben Pokalfinals. Letzteres ist insbesondere aus Dortmunder Sicht ganz und gar nicht alltäglich. Entsprechend war die Stimmung beim Endspiel gegen Bayern München. Endlich einmal zeigten wir BVB-Fans wieder, warum wir einst in ganz Europa berühmt und sogar beliebt waren.
Die gute Stimmung nahm schon auf dem Weg nach Berlin einen langen Anlauf, um rund um die Gedächtniskirche einen ersten Höhepunkt zu erreichen. Doch was dann im Stadion folgte, stellt wohl jede gesangliche Leistung der vergangenen 15 Jahre in den Schatten. Schon vor dem Spiel herrschte Gänsehautatmosphäre im weiten und zugigen Rund des Olympiastadions. Allein die schiere Anzahl, mit der wir BVB-Fans das Stadion beherrschten, beeindruckte selbst neutrale Zuschauer. Doch in der elften Minute erhielt die bis dahin schon herausragende Stimmung einen herben Dämpfer.
Toni schoss das 1:0, die Marathonkurve verfiel in eine Schockstarre. Sollte sich das Drama von vor einer Woche wiederholen, als die Jungs in München 0:5 untergingen? Würde sich die Mannschaft wieder aufrappeln und den Bayern Paroli bieten können? Angst. Das Spiel tat sein Übriges dazu, schienen die Bayern doch zu übermächtig. Doch dann kam die 25. Minute. Nicht, dass es auf dem Rasen irgendeine Initialzündung gegeben hätte - wir begannen zu singen. Und wir hörten nicht mehr auf: „Olé, olé, olé, nur der BVB. Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz!" Ein Dauergesang, der diesen Namen verdient hatte. Und: Das Lied wurde laut vorgetragen, aufpeitschend, anfeuernd. Nicht als Trauergesang, wie er oft mit allzu viel Pathos bei Heimspielen zu hören ist. Nein, hier sang jeder und alle schienen nur eine Message zu haben: „Ihr fetten, satten Bayern-Fans da drüben, die ihr euch nur an 13 Pokalsiegen oder unzähligen Meisterschaften ergötzt. Euch zeigen wir, was es heißt, stolz auf seinen Verein und nicht auf Pokale und andere Staubfänger zu sein."
Die Marathonkurve sang. Die Tribünen sangen. Unentwegt, ein Lied. „Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz", immer lauter. Und irgendwann, nach wenigen Minuten nur, kam die Reaktion auf dem Rasen: Borussia nahm den Kampf auf. Endlich hatte es mal wieder geklappt, dass beim BVB Fans und Mannschaft eine Symbiose bilden. Hätte der Gesang hier geendet, wäre das Spiel wohl gelaufen gewesen. Aber uns gelang etwas, das bislang eigentlich der Südtribüne im Westfalenstadion vorbehalten war: Wir sangen und schrien den Ball ins Tor. Endlich wieder! Jeder Spieler wird zugeben, dass es diese wahnsinnige Stimmung auf den Rängen war, die das Team beflügelt hat. „... nach 25 Minuten fingen sich die Borussen auf den Tribünen wieder und plötzlich war eine Stimmung auf den Rängen, die wirklich Ihresgleichen sucht! (...) Das 1:1 in der Nachspielzeit, das haben sich die Dortmunder wirklich verdient. Ersungen, erklatscht und ertrommelt!", schrieb ein dem VfL Bochum sehr nahe stehender Journalist auf DerWesten.de, der das Spiel als neutraler Beobachter im BVB-Block verfolgt hatte.
Der Ausgleich in allerletzter Minute. Ein Tor wie ein Erbeben, ein Jubel in Orkanstärke. Deswegen waren wir doch alle hier, wegen dieses einen Tores zu genau diesem Zeitpunkt. In dem Moment, als der Ball über die Linie rollte, kam alles in einem zusammen: Befreiung, Erleichterung, Freude, Hoffnung, Trotz, Genugtuung... Nein, wir haben (noch) nicht verloren. Und ehrlich gesagt, ihr stummen Bayern: Wenn ihr jetzt dieses Finale gewinnt, wird es niemanden interessieren. Wir haben unser Tor, wir haben unser Spiel gesehen. Wir sind wegen dieses einen Momentes in diesem Stadion gewesen. Was jetzt auch immer passiert, den kann uns keiner mehr nehmen.
Auch Tage nach dem Spiel, hallt das Lied noch nach. Auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Weg nach Hause, immer wieder: „... unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz..." Mit der Zeit schleicht sich aber ein Wunsch in den inneren Dauergesang ein. Bitte, lasst diese Stimmung kein einmaliges Ereignis gewesen sein. Ein Pokalfinale mag etwas Besonderes sein, aber es gab einmal Zeiten, da war für die Gegner jedes Bundesligaspiel in Dortmund etwas Besonderes - wegen uns! Wegen uns Verrückten auf der Tribüne. Wir konnten Tore schießen. Das 3:1 gegen Fortuna Köln, UEFA-Cup-Tore gegen Celtic Glasgow und andere, das 3:1 gegen La Coruna - alles unsere Tore. Lasst das Endspiel einen Anfang gewesen sein, um auch bei Heimspielen wieder zu alter Stärke zu finden. Wenn die Mannschaft schon das Tor nicht trifft, dann machen wir das eben. Dass das klappt, hat Berlin gezeigt.