Menschen, Tiere, Sensationen
Bayern München - es gibt kaum einen anderen Fußballverein, der die Nation so spaltet wie der Club vom Weißwurstäquator. Für die einen scheinbar eine Substitution für mangelnde Liebe und Anerkennung im eigenen Leben, für die anderen ein Hassobjekt und Symbol für Großkotzigkeit und unübertroffene Arroganz. Doch egal wie man nun zu den Bajuwaren steht - Spiele zwischen Borussia Dortmund und Bayern München zählten und zählen stets zu den absoluten Höhepunkten des Bundesligaspielplans.
Besonders die Begegnungen im Westfalenstadion (bzw. vorher in der Roten Erde) haben oftmals ihre eigene, mitunter auch dramatische Geschichte geschrieben. Das erste Aufeinandertreffen zwischen beiden Mannschaften im Westfalenland gab es am 12.03.1966. Die unerfahrenen und gerade erst aufgestiegenen Münchener standen damals noch deutlich im Schatten der Sechzger und hatten beim 3:0-Sieg des BVB (2x Emmerich, Held) keine Chance gegen den späteren Europapokalsieger. Auch die beiden nächsten Heimspiele konnten die Borussen für sich entscheiden, ehe die Jahrhundertmannschaft des FCB, sowie der Abstieg der Dortmunder in Regionalliga (bzw. Liga 2) weitere schwatzgelbe Triumphe lange verhinderten. Erst am 12.08.1978 durften die Anhänger des BVB endlich wieder einen Sieg ihrer Lieblinge bejubeln. Den Goldenen Treffer zum 1:0-Sieg am ersten Bundesligaspieltag erzielte Manni Burgsmüller in der 32. Minute. Viel mehr in Erinnerung blieb jedoch das vielumjubelte Debüt eines schüchternen 17-jährigen Jungen aus Stadtallendorf. Eike Immel hieß der Knabe, der überraschend ins kalte Wasser geworfen wurde und seine Aufgabe mehr als glänzend meisterte. Mit seinem fehlerfreien Auftritt gegen den großen FC Bayern begann eine große Torhüterkarriere, die bekanntlich leider ab 1986 nicht mehr beim BVB fortgesetzt wurde. Raducanu-Gala reicht nicht zum Sieg Mal jubelt die eine Seite... Das qualitativ wohl beste und aufregendste Match gegen den FCB fand am 21.05.1983 vor 41.000 Zuschauern im Westfalenstadion statt. Borussia Dortmund gelang das unglaubliche Kunststück, gleich dreimal eine Führung der Bayern auszugleichen. Insbesondere der zweimalige Torschütze Marcel Raducanu lieferte eine Gala vom Allerfeinsten ab und brachte seine Mannschaft gegen einen übermächtig erscheinenden Gegner immer wieder zurück ins Spiel. In der 81. Spielminute bebte das Westfalenstadion in seinen Grundfesten, denn Erdal Keser gelang tatsächlich die erstmalige Führung der Borussen an diesem Tag. Doch die Freude währte nur wenige Sekunden. Im direkten Gegenzug erstickte der heutige Funktionär Karl-Heinz Rummenigge den Torschrei der Südtribüne und gleichzeitig alle Hoffnungen auf einen Heimsieg im Keim. Trotzdem ging wohl kein Zuschauer enttäuscht und unzufrieden aus dem Stadion. Immerhin konnte man fortan im Bekanntenkreis mit dem Pfund wuchern, Zeuge eines der außergewöhnlichsten BVB-Heimspiele aller Zeiten gewesen zu sein. . Gegen Ende der Achtziger Jahre gelang den Dortmundern gleich zweimal das Kunststück, aus einem aussichtslosen 0:2-Rückstand noch ein 2:2-Unentschieden zu machen. Am 21.02.1987 sahen die Bayern nach zwei Wohlfarth-Treffern in der ersten Halbzeit lange wie der souveräne Sieger aus. Doch Norbert Dickel läutete in der 75. Minute mit seinem Tor einen Daueransturm auf das Gehäuse vor der Südtribüne ein, der erst in der letzten Spielminute durch Michael Zorcs Ausgleich belohnt wurde. Am 19.11.1989 konnten Günter Breitzke und Andy Möller mit einem Doppelschlag eine Niederlage gegen den Serienmeister aus dem Süden verhindern. Im September 1992 lagen die Hoffnungen der gesamten Restrepublik auf den Schultern der Borussen. Bayern München konnte die ersten sieben Pflichtspiele in der Saison 92/93 ungeschlagen überstehen und reiste dementsprechend mit breiter Brust zum Zweitrundenmatch im DFB-Pokal nach Dortmund. Dank Stephane Chapuisats Treffer in der 85. Spielminute rettete sich der BVB in die Verlängerung. Nachdem diese torlos blieb, kam es zum finalen Elfmeterschießen, in dem die damals vom Punkt aus noch treffsicheren Borussen die Oberhand behielten. Knappe zwei Wochen später gab es in der Bundesliga die postwendende Revanche, als die Münchener mit 2:1 die Punkte aus dem Westfalenstadion entführten. Unter den Torschützen befand sich mit Thomas Helmer ausgerechnet jener Spieler, der vor der Saison mit großen Nebengeräuschen in den Süden wechselte und aufgrund seines unrühmlichen Abschieds bei jedem Ballkontakt mit gellenden Pfiffen bedacht wurde. Duelle auf Augenhöhe ...mal freut sich der Gegner ! Mitte der Neunziger Jahre begegneten sich beide Mannschaften endlich einmal auf Augenhöhe; zumindest in der Besetzung der jeweiligen Kader standen sich beide Vereine in nichts nach. Dementsprechend umkämpft waren die Partien zwischen den Clubs. Am 1. Oktober 1995 sahen die Fans beider Teams ein denkwürdiges Spiel, in dem der BVB aufgrund von zwei Traumtoren der eingewechselten Ruben Sosa (79.) und Michael Zorc (82.) die Oberhand behielt. Besonders der Treffer des heutigen Sportmanagers zählt auch heute noch zu den schönsten Toren, die jemals im Westfalenstadion erzielt wurden und kann noch häufig in diversen TV-Vorspännen bewundert werden. Zu „verdanken“ war dieses Highlight vor allem dem Zoff zwischen Trainer Hitzfeld und Spielführer Zorc. Letzterer wollte die überraschende Versetzung ins Zweite Glied nicht klaglos akzeptieren und legte nach Einwechslungen in jeden Schuss eine gehörige Portion Wut, unter der später auch unsere heiss geliebten Gelsenkirchener Nachbarn zu leiden hatten. Einen total verrückten Spielbeginn erlebten die anwesenden Zuschauer am 19.04.1997 in der Begegnung der Bundesligagiganten. Borussia wollte die letzte Chance auf die Meisterschaft nutzen und begann wie aufgedreht. Bereits in der zweiten Spielminute schraubte sich Kalle „Air“ Riedle in die Lüfte und wuchtete Den Ball am verdutzten Oliver Kahn vorbei ins Netz. Bis heute unvergessen ist sein nachfolgender „Tor-Flic-Flac“, der allerdings durch den direkt nach Wiederanpfiff folgenden Ausgleich von Rizzitelli viel zu schnell wieder verblasste. Durch das Unentschieden war der BVB aus dem Rennen um die begehrte Schale ausgeschieden und konzentrierte sich fortan auf den Champions League-Wettbewerb. Mit maximalem Erfolg, wie man mittlerweile den Geschichtsbüchern oder eigenen Erinnerungen entnehmen kann! Im Viertelfinale dieses Wettbewerbs begegneten sich Dortmund und Bayern im Herbst 1998 erstmals auf internationaler Ebene. Nach dem torlosen Hinspiel an der Isar brauchte Borussia 109 Minuten, um die frustrierten Münchener niederzukämpfen. Stephane Chapuisat hieß wieder einmal der entscheidende Mann auf Seiten der Schwatzgelben. Dank des Erfolgs in diesem Spiel kam es erst zum Kräftemessen mit Real Madrid, das dank eines gefallenen Tores vor Spielbeginn bekanntlich zur legendärsten Fußballübertragung aller Zeiten wurde. Stars in der Manege Bitte nicht füttern - der will doch nur spielen ! Am 3. April 1999 wurden 68.600 Zuschauer Zeugen der Filmpremiere „King Kahn - Ein Affe sieht Rot“. Der Bayern-Torhüter reiste mit einer sensationellen Statistik im Gepäck nach Dortmund. 633 Minuten hatte er keinen Gegentreffer mehr kassieren müssen. Doch ausgerechnet gegen den mittlerweile als Freistaatsfeind Nummer Eins ausgemachten BVB hielt die beeindruckende Serie nur weitere 13 Minuten. Dann war es Heiko Herrlich, der den animalischen Olli von „Wolke Sieben“ ballerte. Nachdem der heutige A-Jugend-Trainer das Spielgerät noch ein weiteres Mal am Bayern-Keeper vorbei ins Netz drückte, platzte diesem der, mittlerweile mindestens auf Medizinballgröße angeschwollene Kragen. Leidtragende waren Stephane Chapuisat, der mit einem gekonnten Hohlkreuz dem Karatetritt des offensichtlich tollwütigen Torhüters auswich und schließlich auch der zweifache Torschütze Herrlich, der knapp einem Durchbiss seiner Kehle entkam und hinterher lediglich über den Mundgeruch seines Kontrahenten klagte. Gelbe Karte? Oder gar ein Platzverweis für den „Mann im Blutrausch“? - Fehlanzeige. Vermutlich, weil Schiedsrichter Bernd Heynemann nach dem Prinzip „Der tut nichts, der will nur spielen“ Gnade vor Recht ergehen ließ. Die übrigen Bayern-Spieler übernahmen die Aggressivität ihres Schlussmannes und schafften tatsächlich noch den Ausgleich. Dass es nicht zum Sieg für die, an diesem Tag eigentlich besseren Dortmunder reichte, lag an der Nervenschwäche von Urgestein Lars Ricken, der es nicht schaffte, den ruhenden Ball vom Elfmeterpunkt aus an Kahn vorbei zu schießen. War aber vermutlich auch besser für seine Gesundheit… Im April 2001 war wiederum Oliver Kahn einer der Hauptbeteiligten in einer dramatischen und unglaublich hitzigen Partie zwischen Dortmund und München. Im Stoiberland verkraftet man Niederlagen im Transfergeschäft bekanntlich sehr schlecht, und so stand diese Begegnung im Zeichen der Treibjagd auf Tomas Rosicky. Dieser hatte den Reizen des Oktoberfests entsagt und sich für einen Wechsel zum BVB entschieden. Die Spieler des FCB nahmen den Spielmacher ins Visier und beendeten fast jede Aktion des Tschechen mit einem Foulspiel. Folgerichtig verkam das eigentlich als Fußballspiel deklarierte Event zu einer Art Kartenspiel, bei dem Bixente Lizarazu und Stefan Effenberg den „Schwarzen (bzw. Roten) Peter“ zogen und vorzeitig ausschieden. Gegen neun Münchener gelang trotz drückender Überlegenheit nur ein 1:1-Unentschieden. Kurioserweise schaffte es Rosicky kurz vor Schluss, einen Freistoß an den Innenpfosten zu platzieren. Von dort prallte der Ball direkt in die Arme des desorientierten Kahn, der sein Glück kaum fassen konnte und die Fußballgötter mit einem, ihm typischen Faustballungstanz becircte. Für die enttäuschten Borussen blieb nur noch der Ärger über eine unnötige Rote Karte gegen Evanilson, der sich in der Nachspielzeit zu einer dummen Attacke gegen Paulo Sergio hinreissen ließ. Für weitere Wutanfälle im schwatzgelben Umfeld sorgte nach Spielschluss Bayern-Manager Uli Hoeneß, der an Stelle der überfälligen und erwarteten Entschuldigung lieber zu einem seiner berüchtigten Amokläufe ansetzte und Otto Addo mit den Worten „Der gehört in den Zirkus“ diskreditierte. Den vorerst letzten erwähnenswerten Showdown zischen den beiden Mannschaften erlebten die Dortmunder Zuschauer am 18.09.2004. Borussia hatte den Gegner klar im Sack und lag durch Tore von Ewerthon bereits mit 2:0 in Führung. Obwohl nur noch zwei Minuten zu spielen waren, stellten die Dortmunder Akteure den Spielbetrieb komplett ein. Folge waren die beiden Last Minute-Treffer von Lucio und Makaay zum schmeichelhaften Ausgleich für die Bayern. Und fast hätte es sogar noch ein weiteres Tor für den Gast gegeben. Wirklich unfassbar! Der Blick in die Historie zeigt, dass die Begegnungen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München oft für wochenlangen Gesprächsstoff in beiden Lagern sorgten. Ob das Spiel am Freitag auch in die Anekdotensammlung Einzug halten wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass ein Heimspiel gegen den Rekordmeister kein Spiel wie jedes andere ist.