Unser Smalltalk mit Lars Ricken
Beginnen möchten wir den Rückblick mit einem ganz fetten Dankeschön in Richtung Lars Ricken. Gerechnet haben wir mit anderthalb, gehofft auf zwei und letztendlich wurden es sogar drei sehr unterhaltsame Stunden in der Dortmunder Kneipe "Barrock". Wer das Bild vom arroganten Schnösel Lars Ricken hat, dem müssen wir energisch widersprechen.
Nachdem sich Lars, die Leser und die schwatzgelb.de-Redaktion ein bisschen aneinander gewöhnt hatten, entwickelte sich eine spannende, interessante und oft auch heitere Unterhaltung, bei der Lars Ricken geduldig und ausführlich die Fragen der Runde beantwortete.Hier mal einige Aussagen, unterteilt in Themenblöcke:
Gleich zu Anfang kam es ganz dicke: Marc kritisierte Lars, er weise Konditionsmängel auf. Ricken widersprach und wies darauf hin, dass er fast die komplette Vorbereitung gefehlt habe und benötige somit ein paar Spiele, um den Rhythmus wieder zu finden. Jetzt sei er aber wieder voll auf der Höhe, was man auch an seinen Toren in den zweiten Halbzeiten sehen könne. Probleme mit Bert van Marwijk verneinte Lars. Natürlich sei er nie glücklich darüber, früh ausgewechselt zu werden, aber das sei normal und läge nicht am Verhältnis Lars Ricken - Bert van Marwijk. Auch das Interview im Aktuellen Sportstudio vor knapp einem Jahr sei viel höher gekocht als beabsichtigt und nicht als genereller Angriff auf den Trainer gemeint gewesen. Auf die Frage, ob er sich eher als Stürmer oder als Mittelfeldspieler sehe, antwortet er, dass es zwar keine Lieblingsposition gäbe, er sich aber eher im Mittelfeld wohler fühle. Auf jeden Fall müsse es eine Position sein, in der er seine Torgefährlichkeit ausspielen könne. Er selbst schwanke in der öffentlichen Meinung immer zwischen den Extremen "Versager" und "Hoffnungsträger" und habe nie den leichten Weg gewählt. Nach schlechten Spielen bekommt er die Kritik immer direkt morgens beim Bäcker ab und hat gelernt damit zu leben. Generell habe ihm gut getan, dass er während seiner ersten Profijahre noch zur Schule gegangen sei. So sei es ihm gar nicht erst möglich gewesen, abzuheben, da er viel zu sehr eingespannt gewesen sei. "Als wir in La Coruna gespielt haben, bin ich direkt nach dem Spiel nach Düsseldorf geflogen, mit dem Bus nach Dortmund gefahren und habe am nächsten Morgen sechs Stunden Klausur geschrieben", erinnerte sich Lars. Auch habe er noch samstags Schule gehabt. "Es ist schon mal vorgekommen, dass ich von der Schule zur Mannschaft gekommen bin und erstmal gefragt habe, gegen wen wir überhaupt spielen."
Lars meinte selbst, dass seine Nationalmannschaftskarriere etwas unglücklich verlaufen sei. Er würde nicht noch mal "als Nummer 20 an einer WM teilnehmen". Rickens Enttäuschung ist absolut nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sich im Finale maximal fünf Leute aufwärmen durften und Lars als Nummer Sechs beim Stande von 0:1 wieder zurück auf die Bank geschickt wurde, während Abwehrspieler sich weiter warm laufen durften. Wie blanker Hohn dürften ihm da nach dem Spiel die Glückwünsche von Innenminister Otto Schily zu dem "guten Spiel" vorgekommen sein.
Angesprochen auf die Lenkung von jungen Spielern wie Marc-Andre Kruska oder Nuri Sahin durch ihre älteren Kollegen erzählte Lars, dass er eher versucht, durch sein Verhalten zu führen und weniger durch Worte. So wäre er selbst von Spielern wie Reuter oder Sammer geführt worden. Er lobte die Nachwuchsarbeit, die eine "extrem gut vorbereitete Jugend" hervorgebracht habe. Die Spieler seien sowohl spielerisch und taktisch, als auch geistig gut ausgebildet worden, so dass man sich bei den jungen Spielern keine Sorgen um ein Abheben machen müsse. Er unterstrich noch mal die Bedeutung von Jan Koller für das Team. Sein Ausfall sei besonders hart, da Koller der wichtigste Mann für die Mannschaft sei. Hier müsse sich der Verein etwas einfallen lassen, da der jetzige Sturm nicht gerade der längste sei und das 4-3-3-System ohne Koller schwerer zu spielen sei. Zum Stand bei Neuverpflichtungen konnte Lars keine Angaben machen. Er bestätigte, dass das Verhältnis im Team sehr gut ist und es kaum Cliquenbildung gibt. Die Mannschaft habe die passende Altersstruktur, gemeinsame Restaurantbesuche seien ebenso normal wie das Frotzeln untereinander. Zu Beginn seiner Karriere habe er sich als Schüler immer etwas verloren gefühlt, wenn sich seine älteren Teamkollegen über ?Häuserbau und Kinderkriegen? unterhalten hätten.
Natürlich gibt es im Fußball Automatismen, die ständig eingepaukt werden: Verhalten bei Ballbesitz, taktisches Verhalten und Standardsituationen. Wobei Lars zugab, dass man bei den Standards durchaus innovativer sein könne. Bei allen Automatismen liegt der Unterschied zwischen den Teams doch oft in der Fähigkeit, etwas Überraschendes zu machen und sich eben von diesen Automatismen zu lösen.
Das Ziel für ihn persönlich wäre es, den Leistungsstand der letzten Saison zu halten. Die Hinrunde war unter dem möglichen Leistungsniveau und die Rückrunde oberhalb, so dass das Endresultat eigentlich den Möglichkeiten entsprochen habe. Das möchte er auch diese Saison erreichen. Er gab aber zu, dass man da nur mit Unentschieden etwas auf der Stelle treten würde. Er widersprach der Meinung, dass man Gegner auf die leichte Schulter nehme, insbesondere wenn vorher extra gesagt werde, dass man den nächsten Gegner nicht unterschätzen dürfe. Die Leistung, erklärte Lars, hängt eher mit der eigenen Verfassung zusammen, als mit dem Namen des Gegners. In der Rückrunde habe man einfach gewusst, dass man die Spiele gewinnt und sei mit dieser Überzeugung aufgelaufen. So ein Selbstvertrauen kann man sich nur mit einer Siegesserie aufbauen. Als Beispiel nannte Ricken die Spiele gegen Cottbus und letzte Saison gegen Rostock. Als man gegen Cottbus die Champions League verspielte, war in der ganzen Vorwoche nur die Rede davon, dass es eine riesige Blamage wäre, gegen Cottbus nicht zu gewinnen. Das hat sich auf die Mannschaft übertragen, das Resultat ist bekannt. Im Gegensatz dazu habe man gegen Rostock einfach alle Störgeräusche überhört und war sich sicher, das Spiel zu gewinnen.
Reizen würde Lars Ricken ein großer Verein wie Barca oder Real Madrid. Allerdings gibt es solche Angebote für ihn nicht wöchentlich. Zu einem Mittelklasseverein würde er niemals wechseln. Sein Traum war es immer, einmal im Westfalenstadion zu spielen und der ist ja auch in Erfüllung gegangen. Für die Zeit nach dem Karriereende ist noch nichts geplant. Eine Anstellung beim BVB im Anschluss wurde wohl mal kurz angerissen, ist aber noch kein Thema. Schließlich hat Ricken mit 29 Jahren ja auch noch ein bisschen Zeit.
Lars bestätigte, dass die Südtribüne die Gästespieler schon beeindrucken würde und somit für ein paar Punkte pro Saison gut ist. Viele Mannschaften haben daher auch mit einem neuen Stadion eher Probleme, weil sie selbst den Druck am Anfang nicht gewöhnt sind. Den Einfluss aufs eigene Spiel schätzte er eher geringer ein. Man konzentriert sich voll auf das Spiel und nimmt die Gesänge nicht so richtig wahr. Was klar ankommt, sind Sprüche an der Seitenlinie von den Fans in der Nähe. Auch Fanproteste haben ihre Wirkung. Durch die Blocksperre in Wolfsburg habe in der Kabine eine enorme Anspannung geherrscht und die ganze Mannschaft habe sich gesagt, dass man da zusammen durch muss. Das Resultat war eins der besten Spiele der letzten Saison. Probleme mit Fans habe er nicht. Lars erntete Lacher, als er auf die Frage, ob er den Brief von Frank Rost an die Gelsenkirchener Fans nachvollziehen könne, antwortete, dass man sich auch angucken muss, welche Fans Rost da hat. Auf jeden Fall sei es in Dortmund mit den Fans etwas Besonderes. In München gehe man, bis auf ein paar Leute, nur ins Stadion um das Spiel zu gucken. Fankultur ist dort kaum vorhanden. In Dortmund sei die Südtribüne Teil der Faszination.
Die Mannschaft der Saison 96/97 bezeichnete er als die "vielleicht stärkste Borussia die es gab" und als eine Mannschaft, die es so in Deutschland nie wieder geben wird. Besonders beeindruckt habe ihn Flemming Polvsen. Ein Typ, der auf dem Platz professionell und neben dem Platz sehr locker war. Sein Karriereende habe ihn damals sehr getroffen. Es wurde auch gefragt, ob ihm homosexuelle Bundesligaspieler bekannt seien. In Spielerkreisen bekannt wäre keiner, aber man munkelt. Namen wurden natürlich nicht genannt. Vor dem Training isst Lars Ricken standardmäßig Müsli. Eine zeitlang habe er Nudeln ausprobiert, allerdings machen die eher platt: "Danach würde ich mich am liebsten ins Bett legen." Ansonsten achtet er auf kohlehydratreiches Essen und nach dem Training geht es auch mal gemeinsam ins Restaurant. Vor dem Spiel gibt es Kaffee und Kuchen in der Kabine. Das heutige Verhältnis zu Michael Meier und Dr. Niebaum bezeichnete er als normal. Sie haben ihn immer unterstützt und gefördert. Seine Homepage hat Lars aus Zeitgründen nicht mehr weiterführen können. Es habe ihn damals einfach gestört, dass jeder Profi eine Homepage haben musste und dort gestellte Fotos und fremdgeschriebene Texte veröffentlich hat. Er wollte eine authentische Homepage mit echten Fotos und Texten, die wirklich von Lars Ricken geschrieben wurden. Seinen Musikgeschmack bezeichnet er durchaus toleranter als früher. Wo früher nur Metallica, Pantera & Co. liefen, ist heute auch Platz für Robbie Williams, R.E.M. und ab und an sogar Enya.
Insgesamt war es ein hochinteressanter Abend, den wir gerne in Zukunft wiederholen möchten. Nicht zuletzt haben das auch unsere Gäste mit ihren Fragen bewirkt. Die Redaktion bedankt sich auch bei ihnen für ihre Teilnahme und überlässt ihnen das letzte Wort:
Marc:
So, ein gelungener Abend liegt hinter uns... Eine wirklich tolle Idee, die Ihr da gehabt habt. Lars ist ja in den drei!!!! Stunden richtig aufgetaut und ich muss sagen, dass ich mein Urteil über Ihn zwar in spielerischer Hinsicht sicher nicht verändern werde. ABER: Der Bursche ist richtig sympathisch, nett und vor allem nicht auf den Kopf gefallen. Ich finde es im Nachgang durchaus mutig, sich den Fragen von völlig Unbekannten zu stellen und dafür gebührt dem Lars mein absoluter Respekt!
Und für Euch bei Schwatzgelb gilt: Danke für die leckeren Brötchen, einen spannenden Abend und vor allem tiefe Einblicke, die man ja sonst nicht so schnell bekommt.
Markus:
Es hat mir sehr gut gefallen. Ein sehr kurzweiliger und unterhaltsamer Abend. Drei Stunden mit Lars Ricken an einem Tisch nett plaudern, dies hat schon was. Anfangs etwas vorsichtig und sehr reflektiert, agierte er doch später immer lockerer und gab einige Anekdötchen kund. Drei Stunden werden für den nächsten Gast eine hohe Messlatte sein. Vielleicht sollte man zukünftig etwas ruhigere Räumlichkeiten bevorzugen. Dann wird das Zuhören etwas erleichtert. Außerdem sollte SG.de eine harmlose Anfangsfrage stellen, damit der zukünftige Gast etwas lockerer wird. So gelingt bestimmt ein Erfolg versprechender Gesprächseinstieg. Auf jeden Fall sollte SG.de den Smalltalk in dieser Form beibehalten. Das etwas andere Gespräch mit einem Fußball-Profi.
Dirk:
Ich muss sagen, dass das Gespräch sehr positiv verlaufen ist. Ich hatte in keiner Sekunde das Gefühl, Lars wäre nicht authentisch, genervt oder würde nur einen lästigen Termin wahrnehmen. Stattdessen wirkte er auf mich sowohl offen als auch interessiert und gab bereitwillig Auskunft, auch auf Fragen, die er vermutlich schon 193245 Mal beantwortet hat. Insbesondere im letzten Drittel des Interviews, als nicht mehr so genau mitprotokolliert wurde, war es längst keine reines Frage-Antwort-Spiel, sondern ein echtes Gespräch. Lars erzählte nun relaxed kleine Stories aus dem Leben eines (jungen) Fußballers und verbuchte auch den einen oder anderen Lacher.
Insgesamt gesehen denke ich gern an gestern zurück und sage "Hut ab, das war klasse von Dir, Lars".
Björn:
Was soll ich zum gestrigen Abend sagen? Ich fand die Veranstaltung in jeder Beziehung gelungen. Positiv war ich überrascht von Lars, der sich wirklich als Star "zum Anfassen" ohne jegliche Allüren gegeben und alle Fragen offen beantwortet hat. Dass er sich fast 3 Stunden Zeit genommen hat, fand ich ja schon sensationell. Der Kreis war locker und mein Lampenfieber bekam ich so einigermaßen in den Griff. Ich hoffe meine Fragen an Lars waren nicht allzu doof, aber ihr könnt das ja zensieren (bitte auch, dass ich das verbotene Wort in den Mund genommen habe *g*). Ich kann nur sagen, dass das für einen "Normalo-Fan" wie mich, der die Jungs sonst nur aus der Ferne sieht, eine tolle Sache und ein gelungener Abend war.