...Lars Ricken: "Ich werde meinen Vertrag nicht absitzen"
Das BVB-Urgestein Lars Ricken steht in der Kritik. Sportlich war das vergangene Jahr ein Tiefpunkt in seiner Karriere, außerdem werfen ihm Fans vor, er würde sich beim BVB auf seinem Vertrag ausruhen, statt dem Verein im Abstiegskampf zu helfen. Schwatzgelb.de hat einen Tag vor der Abreise ins Trainingslager mit Lars gesprochen.
schwatzgelb.de: Lars, das vergangene Jahr 2004 war weder für Borussia noch für dich zufrieden stellend. Wie fällt dein persönliches Fazit aus?
Ricken: Die zweite Hälfte war für mich persönlich sehr unbefriedigend. Ich habe kaum gespielt. Da kann man sich für 2005 nur wünschen, dass es besser wird.
schwatzgelb.de: Was kannst du dafür tun?
Ricken: Ich muss mich absolut professionell verhalten und mich im Training besonders anbieten und auch mal Sondereinheiten machen. Ich habe ja früher schon öfter auf der Bank gesessen, aber ich habe mich dann nie in den Schmollwinkel zurückgezogen und mich immer wieder rangekämpft.
schwatzgelb.de: Woher kommen diese Schwankungen? Es gibt ja nur wenige Spieler, die schon so oft zwischen Mannschaft und Ersatzbank gewechselt haben.
Ricken: Ich hatte ein paar leichtere Verletzungen. Aber man muss auch bedenken, dass ich immer besonders kritisch bewertet wurde. Ich war immer entweder Versager oder Hoffnungsträger. Ich bin nie durchschnittlich bewertet worden.
schwatzgelb.de: Nur von Seiten der Presse oder auch von deinen jeweiligen Trainern?
Ricken: Das muss man die Trainer fragen.
schwatzgelb.de: Man redet ja vielleicht auch mal mit dem Trainer, um herauszufinden, warum man auf der Bank sitzt, oder?
Ricken: Das ist richtig. Aber daran hat's bei uns auch am Anfang gehapert. Ich habe dann den Trainer gefragt, ob er ein Problem mit mir hat. Das hat er nicht. Wir haben ein sehr konstruktives Gespräch geführt.
schwatzgelb.de: Du hast in den letzten Jahren sehr oft das Image gewechselt. Du warst Mädchenschwarm, Hoffungsträger, Werbemodell?
Ricken: "Wohlstandsjüngling, Intellektueller, Heavy Metall hörender Popstar"
schwatzgelb.de: Ja, das auch. Aber wie siehst du dich selbst?
Ricken: Ich möchte einfach ein professionell arbeitender Fußballer sein. Ich kann nicht sagen, dass ich irgendwann mal auf der Bank gesessen habe, weil ich mich unprofessionell verhalten habe. Ich bin in einer Mannschaft groß geworden, in der ich lernen konnte, wie ich mich zu verhalten habe. Ich habe aber früher natürlich auch Sachen gemacht, die dieses Popstar-Image unterstützt haben. Trotzdem habe ich mich immer gegen dieses Image gewehrt.
schwatzgelb.de: Das waren wohl eher Jugendsünden, oder?
Ricken:. Ich bin damals noch zur Schule gegangen und es war natürlich auch eine sehr erfolgreiche Zeit. Aber wie sehen denn die Bilder der heutigen Spieler-Generation aus? Da gibt es doch nur noch den angepassten Profi. Man muss sich entscheiden, ob man sich duckt und versucht, da irgendwie durchzukommen oder ob man seine Meinung vertritt und sich zeigt. Ich möchte mir nach meiner Karriere in die Augen sehen können.
schwatzgelb.de: Nach der erfolgreichen Saison 2001/2002 gab es bei dir einen Knacks. Liegt das auch an der Enttäuschung, bei der WM nicht gespielt zu haben - vor allem im Finale, wo du nicht eingewechselt wurdest?
Ricken: Enttäuschend war das schon. Man spielt eine gute Saison, wird Meister, steht im UEFA-Cup-Finale und dann kommt so was. Aber das ist für mich keine Begründung. Da bin ich Profi genug, um damit umgehen zu können. Ich brauche solche Alibis nicht.
schwatzgelb.de: Haben dir deine frühen Erfolge eher genutzt oder geschadet?
Ricken: Auf jeden Fall genutzt. In der Mannschaft, die die Champions League gewonnen hat, waren lauter Spieler, an denen ich mich orientieren konnte. Denen habe ich sehr viel zu verdanken.
schwatzgelb.de: Damals standen drei echte Dortmunder im Team, jetzt bist du der einzige. Hat das einen Einfluss auf deine Rolle in der Mannschaft?
Ricken: Ich kann versuchen, die Tradition und die Philosophie dieses Vereins und der Stadt in die Mannschaft zu tragen.
schwatzgelb.de: Interessiert das die Profis, die eher nur auf der Durchreise in Dortmund sind, überhaupt?
Ricken: Es ist schon sehr schwierig. Das hängt sehr vom einzelnen Spieler ab. Es gibt Spieler, die interessiert das gar nicht, andere schon. Es gibt natürlich Spieler, die zwei, drei Jahre hier sind und sich später erinnern: "Ach ja, da war ich ja auch mal". Man muss ja auch nicht die ganze Tradition dieses Vereins kennen, aber ein Gefühl für die Stadt und die Leute sollten sie schon bekommen. Sollte ich mal woanders hinwechseln, würde ich mich auch mit dem Verein und der Stadt auseinandersetzen.
schwatzgelb.de: Apropos Wechsel: Du hattest kürzlich die Möglichkeit, nach Glasgow zu wechseln. Warum hast du es nicht getan?
Ricken: Das ist eine lustige Geschichte. Na ja, eigentlich nicht lustig. Ich hatte kein Angebot von Glasgow und es hat keine Verhandlungen gegeben. Ich lese ja relativ wenig Zeitung, sonst wird man ja depressiv. Und plötzlich lese ich irgendwann im Videotext, dass ich den Glasgow Rangers abgesagt habe. Dann habe ich meinen Berater Norbert Pflippen angerufen und gefragt. Er wusste da gar nichts von. Der Norbert Pflippen ist ja auch von Manchester City angesprochen worden, weil er den Kevin Keegan kennt. Es hat da aber keine Verhandlungen gegeben. Allerdings komme ich so in ein Licht, das ich bei anderen anprangere. Ich mag es nicht, wenn Spieler mit halbherzigen Angeboten kokettieren und so tun, als wären sie in ernsthaften Verhandlungen mit anderen Vereinen. Die haben sich nur mal mit jemandem unterhalten und erzählen dann, sie würden bei der nächstbesten Gelegenheit wechseln. Da kriege ich schlechte Laune, wenn ich so was höre.
schwatzgelb.de: Prangerst du das auch intern an?
Ricken: Innerhalb der Kabine? Ja.
schwatzgelb.de: Stand gerade in dieser Situation ein Wechsel überhaupt zur Debatte?
Ricken: Das wird mir ja schon seit dem Champions-League-Sieg nahe gelegt. Meine Motivation, Fußball zu spielen, sind auch Anerkennung und Erfolge. Es gibt in keinem anderen Job die Anerkennung, die du als Fußballer bekommst. Borussia hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass der Verein das Potenzial hat, erfolgreich zu sein. In der jetzigen Situation bin ich nicht die Ratte, die das sinkende Schiff verlässt. Ich bin jetzt 28 und möchte mich auch noch einmal beweisen und den Verein nicht auf diese Weise verlassen. Persönlich und wegen der Situation des Vereins. Da entschuldige ich mich auch nicht für meine Vereinstreue und meine Loyalität. Wenn mir jetzt in der Rückrunde aber signalisiert wird, dass ich nicht gebraucht werde, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich bin keiner, der seinen Vertrag einfach nur absitzt.
schwatzgelb.de: Inzwischen wirst du von vielen Fans als Abzocker bezeichnet, der genau das tut.
Ricken: Ich bin kein finanzielles Problem für den Verein und ich kann auch versichern, dass es keine einfache Situation für mich ist. Ich bin Dortmunder und wohne hier. Ich habe kein "Ghetto" um mich herum aufgebaut und schotte mich vor allem ab, sondern ich lebe in dieser Stadt. Ich fahre Weihnachten nicht irgendwohin in die Sonne, sondern ich bleibe hier, weil meine Familie und meine Freunde hier leben. Die müssen ja auch mit der Kritik an mir leben. Darum bekomme ich hier alles eins zu eins mit. Ich versuche aber auch nicht, mich da wegzuducken und zu sehen, dass ich da einigermaßen durchkomme. Ich habe mich ja auch letztens wieder gezeigt und bin in die Offensive gegangen. Damit habe ich es mir bestimmt nicht einfach gemacht.
schwatzgelb.de: Der Zeitpunkt hätte schlechter nicht sein können, oder? Gegen Schalke hättest du eine gute Chance gehabt, in die Mannschaft zu rücken.
Ricken: Das war sehr unglücklich. Ich wurde in Bremen eingewechselt und danach hatten wir auch ein paar Offensiv-Aktionen. Das ZDF-Interview hatte ich aber schon am Mittwoch vor dem Bremen-Spiel gegeben. Einen unglücklicheren Zeitpunkt hätte es nicht geben können. Gegen Schalke hätte ich wirklich Chancen gehabt zu spielen. Man muss ja versuchen, sich bei Einwechslungen anzubieten. Gegen Schalke hat der Trainer ja schon in der Pause gewechselt.
schwatzgelb.de: Du bist auch BVB-Fan. Geht das überhaupt noch so richtig, wenn man gleichzeitig für den Verein spielt?
Ricken: Ja. Gegen Schalke bin ich ganz privat zum Spiel gefahren. Ich dachte, das geht ganz entspannt, weil es ja mein Job ist, da jeden Tag hinzufahren. Aber als ich unterwegs die vollen Busse und die ganzen Fans gesehen habe, bin ich richtig nervös geworden. Als ich auf der Tribüne saß, war das schon sehr bewegend und nostalgisch. Da habe ich mir gedacht, dass es so wahrscheinlich auch für mich irgendwann wieder sein wird. Ich kann mir vorstellen, dass ich nach meiner Karriere wieder als ganz normaler Fan auf der Südtribüne stehe.
schwatzgelb.de: Christoph Metzelder hat kürzlich die Mannschaft in Führungsspieler und Mitläufer unterteilt und die Führungsspieler in die Pflicht genommen. Wo würdest du dich da einordnen?
Ricken: Es ist schwierig, ein Führungsspieler zu sein, wenn man nicht spielt. Aber dass ich nicht spiele, heißt nicht, dass ich meine Klappe zu halten habe. Ich habe ja auch in der vorigen Saison nach einer schwierigen Phase die Initiative ergriffen und bin vorne weggegangen und habe versucht, die Mannschaft mitzureißen. Es gibt auch jetzt Leute im Verein, die glauben, dass ich der Mannschaft helfen kann.
schwatzgelb.de: Wie siehst du eigentlich die Rolle der deutschen Spieler in der Mannschaft, gerade jetzt, wo Christoph Metzelder wieder da ist?
Ricken: Wir haben uns vor kurzem zusammengesetzt, also der deutsche Block in der Mannschaft. Und wir haben gesagt, dass wir jetzt voran gehen und die anderen mitnehmen müssen. Natürlich ist Christoph da ein sehr wichtiger Spieler.
schwatzgelb.de: Die Charaktere sind auch bei den deutschen Spielern sehr unterschiedlich. Trotzdem steht ihr da als Block zusammen?
Ricken: Ja, das geht. Die Spieler sind ja alles keine Drecksäcke, sondern motivierte Spieler, die hier den Verein nicht an die Wand fahren wollen.
schwatzgelb.de: In wie weit denkst du, dass Identifikation mit dem Verein überhaupt gegeben ist? Den meisten Spielern wird es ja nicht unbedingt schlechter gehen, wenn Borussia absteigt. Sieht man in der jetzigen Situation, welchem Spieler der Verein wirklich wichtig ist?
Ricken: Ich will's mal so sagen: Es kommt sehr darauf an, allen Spielern klar zu machen, in was für einer Situation wir sind und dass wir Spieler nicht nur Rechte haben, sondern verdammt noch mal auch Pflichten. Man kann Fußball nicht nur nebenbei leben, sondern man muss auf dem Feld immer spüren, worum es geht. 1995 hat man in der Kabine gemerkt, dass die ganze Stadt elektrisiert war. Es ist natürlich schwierig, in einer Situation wie jetzt, die Stadt zu elektrisieren. Die Mannschaft muss aber wissen, in welcher Situation wir sind. Jeder Spieler in dieser Mannschaft kann gegen den Abstieg spielen und auch kämpfen. Das ist eine reine Kopfsache.
schwatzgelb.de: Nach dem Gewinn der Meisterschaft 2002 hat diese Mannschaft so viele positive Emotionen ausgestrahlt. Da war Spielfreude, die Brasilianer haben nach dem Spiel Purzelbäume geschlagen. Im UEFA-Cup-Finale hat die Mannschaft aufopferungsvoll gekämpft. Wo ist das hin?
Ricken: Das ist eine Mentalitätsfrage. Als wir 94/95 Meister geworden sind, haben wir mit Beginn der neuen Saison gesagt: "Jungs, dieser Titel bringt uns nichts." Da gab es immer wieder diesen Spruch: "Den Titel bestätigen". Das ging die ganze Saison so. Das war nach 2002 überhaupt nicht der Fall.
schwatzgelb.de: Zu Beginn deiner Karriere hat der BVB einen sehr viel offensiveren und auch kämpferischeren Fußball gespielt als in den letzten zwei Jahren. Wie kommt das?
Ricken: Man darf nicht alles verklären, was damals war. Da war auch nicht alles eitel Sonnenschein. Aber so eine Mannschaft, wie wir sie 1997 hatten, wird weder Borussia noch Bayern München je wieder bekommen. Da war ich mit 18, 19 Jahren der Jüngste. Der nächste war dann Stefan Klos mit 26. Alle anderen waren abgeklärte, erfahrene Spieler.
schwatzgelb.de: Aber wurde diese Mannschaft rückblickend nicht zu teuer erkauft? Wie beurteilst du mit dem Wissen von heute die Ära Niebaum?
Ricken: Ich weiß nicht, wie hoch die Ablösesummen und die Gehälter im Vergleich zum Rest der Liga waren. Leuten wie Niebaum und Ottmar Hitzfeld habe ich sehr viel zu verdanken. Einerseits bei meiner persönlichen Förderung, andererseits aber auch, was die Zusammenstellung der Mannschaft anging. Meine Erfolge habe ich diesen Leuten zu verdanken. In der ganzen Zeit habe ich natürlich auch Geld verdient. Deshalb habe ich auch bei dem 20-prozentigen Gehaltsverzicht keine Sekunde gezögert.
schwatzgelb.de: Wie geht die Mannschaft mit den ganzen Meldungen über den verschuldeten Verein um?
Ricken: Ich glaube, dass einige Spieler auf der Jahreshauptversammlung sehr überrascht waren. Manche ziehen sich sehr zurück und schotten sich ab. Auf einmal sind sie dann auf einer solchen Jahreshauptversammlung, wo es sehr emotional zugeht. Aber wir als Aktive bekommen ja nur einen Bruchteil von dem Hohn und Spott ab, der die Vereinsführung trifft. Das ist ja sehr ins Persönliche gegangen und ich hoffe, dass die Leute da persönlich unbeschadet rauskommen.
schwatzgelb.de: Zum Schluss: Wie lauten diene Vorsätze fürs neue Jahr?
Ricken: Ich will diesen Verein einfach nicht so verlassen. Ich will mich durchsetzen. Ich muss professionell arbeiten und mich einbringen, um im Abstiegskampf zu helfen. Mir wird auch von Trainern, von Vereinsseite und Journalisten bestätigt, dass ich auf einem guten Weg bin. Sollte das nicht klappen, werde ich meinen Vertrag hier nicht absitzen.
schwatzgelb.de: Lars, vielen Dank für das Gespräch.