Voller Selbstvertrauen über die Alpen
Was war das für ein Spiel! Borussia beherrschte den Gegner, spielte tollen Kombinationsfußball und legte ein wahrhaft Europa-Cup würdiges Tempo auf den Rasen. Der Sieg hätte sogar noch höher ausfallen können, doch auch dieses Ergebnis sollte Verein, Mannschaft und Fans gelassen dem Rückspiel entgegenblicken lassen. Doch dann verlor die Truppe von Reinhard Saftig mit 5-0 (nach Verlängerung) in Brügge und schied trotz des 3-0 im Hinspiel aus.
Das war 1987, und es ist nicht anzunehmen, dass so ein Fehler abermals passiert. Doch Wachsamkeit ist dennoch angesagt. Es wäre schon eine große Überraschung, wenn der AC Mailand im Rückspiel vor heimischem Publikum nicht alles versuchen würde, um die Scharte aus dem Hinspiel auszuwetzen. Selbst wenn das 4-0 den BVB schon als sicheren Finalisten erscheinen lässt.
Selbstzufriedenheit wäre der schlechteste Berater, den Borussia mit über die Alpen nehmen könnte. Selbstvertrauen ist hingegen auf jeden Fall berechtigt, denn die Leistung des BVB im Hinspiel gibt allemal Grund zur Hoffnung, dass es zumindest keinen Einbruch im Guiseppe-Meazza-Stadion geben wird. Auch wenn man der Wahrheit die Ehre gibt und eingesteht, dass die Gala-Vorstellung der gesamten schwatzgelben Mannschaft zu einem Gutteil auch durch Stellungsfehler und lasches Abwehrverhalten der Mailänder ermöglicht wurde, sollten die Zweifel am Weiterkommen des BVB schwinden. Der Sturm präsentierte sich in Bestform und nutzte seine Chancen eiskalt aus. Was passiert, wenn die Angreifer weniger Zielwasser getrunken haben, wurde beim Heimspiel gegen 1860 deutlich: Beste Chancen wurden gnadenlos versemmelt, zum Schluss drohte gar noch ein Remis.
Dort wird Matthias Sammer für das Rückspiel den Hebel ansetzen müssen. Wenn die Mannschaft ähnlich konzentriert wie im Hinspiel zu Werke geht, sollte das Weiterkommen nur eine Frage der Art und Weise sein. Denn mit einer 0-3-Niederlage werden sich weder Spieler noch Fans zufrieden geben. Doch wer soll’s in Mailand richten? Mit Amoroso, Metzelder, Oliseh und Rosicky sind gleich vier Hinspiel-Helden von einer Gelbsperre bedroht. Dazu gesellt sich mit Micky Stevic ein Mann, der, wie auch Oliseh, dem defensiven Mittelfeld in Mailand nicht schlecht zu Gesicht stünde. Doppelt schwierig wird die Situation, weil Sebastian Kehl wegen seiner UEFA-Cup-Einsätze im Trikot des SC Freiburg nicht spielberechtigt ist.
Für Metze gibt es in Jürgen Kohler einen mehr als gleichwertigen Ersatz, und Ahmed Madouni könnte in Mailand seiner ersten wahren Feuertaufe entgegensehen. Im Angriff könnte Sammer sich den Luxus leisten und auf Amoroso verzichten. Mit Ewerthon steht ein Konter-Stürmer der Extraklasse zur Verfügung, der nach hinten zweikampfstark ist und vorne durch seine Schnelligkeit den Abwehrspielern bei Gegenstößen davonlaufen kann. Allein im Mittelfeld offenbarte sich immer wieder, wie schwer es ist, Tomas Rosicky zu ersetzen. Weder Lars Ricken noch Micky Stevic oder gar Otto Addo vermochten es, die Fäden des Borussen-Spiels derart elegant in die Hand zu nehmen wie der kleine Tscheche. Vielleicht startet Sammer mit Rosicky, denn das Temperament des Mittelfeld-Asses schäumt nicht gerade über. Gelb wegen Meckerns ist also unwahrscheinlich. Nur vor dummen Revange-Fouls muss sich der Regisseur in Acht nehmen – auch wenn er noch so sehr getreten wird. Im Finale wäre Rosicky wohl wirklich unersetzlich.
Beim heutigen Training stellte Sammer klar, dass er die stärkste Mannschaft aufbieten eird und keine Rücksicht auf Amoroso, Rosicky, Oliseh, Metzelder und Stevic nehmen, die bei einer gelben Karte am Donnerstag im möglichen Finale gesperrt wären. Sammer: „Ich kann keine Signale setzen, immer wieder warnen und dann welche draußen lassen. Damit mache ich mich unglaubwürdig.“
Lars Ricken und wohl auch Leonardo Dede zählen wieder zum Kader.
Das Giuseppe-Meazza-Stadion – was wurde diesem Fußballtempel nicht schon gehuldigt. Doch wenn die rund 4.000 BVB-Fans am Donnerstag das Stadion im Vorort San Siro betreten, dürften es ihnen nicht schwer fallen, die Heimfans zu übertönen. Es wird gemunkelt, dass bloß 15.000 bis 20.000 Mailänder den Weg ins Stadion finden sollen. Und was BVB-Fans mit gut geölten Kehlen zu leisten im Stande sind, ist ja bereits legendär. Da werden sich die Tifosi warm anziehen müssen.
Wie wohl alle. Zurzeit herrschen in der Lombardei Temperaturen um die 14 Grad, es ist bewölkt mit leichten Schauern. Von mediterranem Flair sollte somit leider nicht allzu viel zu merken sein. Dennoch: Mailand bietet jenseits des Fußballs eine Menge – allem voran natürlich den Dom. Wer katholisch ist, kann ja vorsichtshalber eine Kerze für das Weiterkommen anzünden. Wer weiß, wozu es gut ist.
In der Lombardei gibt es 13 Weinanbaugebiete. Der beste Tropfen ist wohl der Valtellina aus der Nebbiolo-Traube. Für das leibliche Wohl ist allemal gesorgt. Zwar kann Norditalien nicht unbedingt mit der Toscana mithalten, aber auch in Mailand werden sich Trattorie mit gutem Essen zu günstigen Preisen finden lassen. Das Scalloppina Milanese entspricht in etwa unserem Schnitzel Wiener Art, nur dass das Schnitzel nicht herkömmlich paniert wird, sondern in einem Bierteig gebraten wird.
Zurück zum Spiel: Nach der hervorragenden Leistung im Hinspiel gegen den AC Milan und der auch nicht schlechten gegen die Münchner Löwen, sollte es für die Sammer-Elf kein Problem sein, das Finale am 8. Mai in Rotterdam zu erreichen. Wichtig ist, dass die Mannschaft konzentriert zu Werke geht und versucht, auch dieses Spiel zu gewinnen. Eine Einstellung à la „Wir können uns ja ein 3-0 leisten“ wäre fatal. Sollte Sammer die, von einer Sperre bedrohten Spieler nicht von Begin an bringen, dürfen die Fans dieses mal wohl auf ein etwas engagierteres Auftreten des „zweiten Anzugs“ hoffen als beim Pokal-Fiasko in Wolfsburg. Der AC verlangt die volle Konzentration der Mannschaft, zumal Superstar Andrej Schevtschenko wieder an Bord sein soll. Dann sollte auch ein ähnliches Drama wie damals in Brügge eine einmalige Episode sein.