Mit Kohler geht eine Illusion
Der Fußballgott ist gegangen und mit ihm eine Illusion. Nur wenige Kicker, die ihre Schuhe für den BVB geschnürt haben, können von sich behaupten, wirkliche ehrliche Zuneigung von den oft kritischen Anhängern erfahren zu haben. Jürgen Kohler, der einfache Junge, der Malochertyp, der Fußball so spielte, wie man es in Dortmund liebt, hatte sich auch durch seine offene und ehrliche Art einen festen Platz in den Herzen der Fans erspielt.
Unvergessen bleiben viele seiner Spiele für den BVB, sein unermüdlicher Einsatz, aber auch seine Loyalität gegenüber Verein und Fans. Er wurde nach seinem unvergesslichen Spiel im Halbfinale der CL 1997 in Manchester sogar zum „Fußballgott“ im schwatzgelben Himmel auserkoren. Auf die Dortmunder Fans konnte sich der „Kokser“ immer verlassen, genauso wie sie sich auf ihn. Er war einer von ihnen, einer der für ehrliche Arbeit stand.
Dass einem so beliebten und verdienten Spieler ein würdiger Abschied gebührt, stand für Verein und Fans, außer Frage. Ein Abschiedspiel sollte den Abgang des „Koksers“ für alle zu einem gemeinsamen Fest werden lassen. Dazu ein möglichst schönes Rahmenprogramm im Tempel, damit der Fußballgott gemeinsam mit seinen Fans eine unvergessliche Party feiern könnte. Borussia Dortmund bot sich an, ebenso wie bei den Abschiedsspielen von Norbert Dickel und Michael Zorc, die Organisation zu übernehmen. Doch der „Kokser“ verzichtete auf die Hilfe des Vereins und beauftragte seinerseits die Agentur „La Ola Event“ mit der Planung und Umsetzung. Ein klassischer Fall von Eigentor, wie sich schon bald herausstellte. Denn La Ola Event bewies eindrucksvoll, wie man mit mangelnden Kenntnissen um die Fanszene in Dortmund, einem solchen Abschied eines verdienten Spielers, einen äußerst bitteren Nachgeschmack verpasst.
Bereits im Vorfeld sorgten vor allem die hohen Eintrittspreise für mächtigen Ärger unter den Fans. Die Hinweise des Vereins und der Fanvertreter an Kohler und „La Ola Event“, die Preise auf ein faires und familienfreundliches Niveau zu senken, wurden nicht erhört. Die Prügel, bezüglich der unverschämten Preisgestaltung, durfte dann aber unberechtigter Weise der Verein einstecken. Ganz großer Sport, meine Herren von La Ola Event! Denn nicht der BVB wäre hier die richtige Adresse gewesen, um seinem verständlichen Ärger Luft zu machen, sondern die Firma oder auch ganz besonders Jürgen Kohler. Doch denen schien es ganz Recht, dass der Unmut der Fans auf den Verein abgeladen wurde.
Was Jürgen Kohler den Fans bedeutet, bewiesen beim Abschiedsspiel dann fast 40.000 Besucher, die die bittere Pille des hohen Eintrittspreises schluckten und so eine peinliche Pleite für den „Kokser“ und die „La Ola“ Amateure verhinderten. So etwas ist wohl nur in Dortmund möglich, und der schale Beigeschmack, dass die Macher der Eventfirma genau darauf spekuliert haben, bleibt unterschwellig haften. Denn auch das als erstklassig angepriesenes Unterhaltungsprogramm erwies sich als äußerst magere Vorstellung. Zwar sorgte Vanessa Amorosi für etwas Klasse, aber allein schon die beim Auftritt des australischen Popstars völlig deplatzierten und mehr nach ihrem eigenen Rhythmus langweilig vor sich hin schunkelnden Cheerleader (hatten wohl vorher nach den Melodien der Kastelruther Spatzen geübt), sorgten bei den Beobachtern für Augenkrebs.
Auch der Rest des Rahmenprogramms war kalter Kaffee: Die Fans und die Spieler auf dem Rasen waren es letztendlich, die eine große Abschiedsparty sicherstellten. Sie waren gekommen und hatten noch einmal Jürgen Kohler ihre große Achtung für seine Leistung im schwatzgelben Dress erwiesen. Was die BVB-Anhänger wirklich sehen wollten, waren die 90 Minuten auffem Platz. Sie waren es, die dafür sorgten, dass es ein unvergesslicher Abend mit viel Gänsepelle wurde, nicht das Tamtam rund um das Abschiedspiel.
Jürgen Kohler wird immer seinen festen Platz in den Herzen der Borussenfans haben. Auch ohne Feuerwerk, Wasserfontänen, tanzenden Sambamäusen, Märchenpark-Reisen und dicken Cheerleadern. Doch ein wenig ist mit diesem Abschiedsspiel die Illusion des Fußballprofis mit echter Fannähe gestorben. Der „Kokser“ wäre gut beraten gewesen, im Vorfeld auf Verein und Fans zu hören. Familienfreundliche Eintrittspreise hätte ihm wohl ein ausverkauftes Stadion beschert und ganz unter uns, Jürgen: Das hätten Deine Fans auch verdient gehabt.