Stimmungsbericht

Atto Secondo: BVB - AC Milan, der zweite Akt

25.04.2002, 00:00 Uhr von:  Jens Klopfer

Mailand - oder besser Milano: Dieser Städtename zergeht auf der Zunge wie italienisches Eis. Dazu die erwarteten Zaubertore von Marcio Amoroso bei seinem Auftritt in der Scala des Fußballs, dem Guiseppe-Meazza-Stadion. Diese Kombination war verlockend genug, die insgesamt 1700 km Busfahrt innerhalb von zwei Tagen in Kauf zu nehmen. Damit trafen sich hier ausnahmsweise beide Motivationen für ein Auswärtsspiel: Die „Allesfahrer“ und die „Kulturfans“, die mehr erleben wollen als nur gute Stimmung im Stadion. Unterschiedliche Erwartungen und unterschiedliche Empfindungen, die ein Fanzine wie schwatzgelb.de nicht verschweigen will.

Auf der Hinfahrt: Prächtige Stimmung im schwatzgelb.de Bus
Auf der Hinfahrt: Prächtige Stimmung im schwatzgelb.de Bus

(Jens) Mittwoch, 22:30 Uhr, U-Bahn-Haltestelle Westfalenstadion: 170 BVB-Fans warten auf ihre drei Busse, die sie nach Mailand bringen sollen. Endlich ist es soweit, endlich nach Mailand, in einen der großen europäischen Fußballtempel. Für die meisten sollte es Donnerstag das erste Mal sein, dass sie das „Guiseppe-Meazza-Stadion“ im Mailänder Stadtteil San Siro sehen sollten. Nur wenige waren bereits 1994 (UEFA-Cup-Viertelfinale gegen Inter) und 1995 (UEFA-Cup-Halbfinale gegen Juventus Turin) schon einmal dabei. Und so machte sich auch ein Teil der schwatzgelb.de-Redaktion auf nach Mailand. Einzig BoKa hatte die beiden Spiele in Mailand schon hinter sich, für uns andere sollte San Siro Neuland sein. Während BoKa und Klopfer aus alter Verbundenheit im Bus der „Treuen Dortmunder“ mitfuhren, begleiteten Dennis, Ente, CHS, Desperado09 und ich den schwatzgelben Bus. Arne musste leider krankheitsbedingt absagen, und Sebi sollte noch mit dem Flugzeug nachkommen. Vor der Abfahrt wurden noch schnell ein paar Fotos gemacht, die Busfahrer stellten sich vor, und schon ging es los. Im Bus herrschte überraschenderweise wirklich gute Stimmung, obwohl sich die Masse der Mitfahrer untereinander nicht kannte. Das „Kommando Kleistrasse“ wurde gegründet und lieferte sich eine Schlacht mit den „Exportlern“ im Bus.

Die Fahrt wurde übrigens gemeinsam mit dem Fanclub „Borussen Bulldogs“ organisiert, die dann auch noch knapp 20 Mitfahrer der „Rude Boys Dortmund“ aufnahmen. Dadurch stieg die Zahl der Mitfahrer, und es musste ein weiterer Bus nachbestellt werden. Da der Fuhrpark unseres Reiseunternehmens Quecke keine Busse mehr zur Verfügung stellen konnte, musste die Firma Vehling aus Bergkamen einspringen – eine Entscheidung mit Folgen.

Feucht fröhlich ging's auch zu im Bus der "treuen Dortmunder"
Feucht fröhlich ging's auch zu im Bus der "treuen Dortmunder"

(Klopfer) Mit den „treuen Dortmundern“, ging es um 23:30 Uhr am Info-Stand vor dem Westfalenstadion los, nachdem BoKa, der Reiseleiter, mit viel Geschick als Alternative zum Schwatzgelb.de–Bus eine gute Mischung von „Alt-Supporters“ zusammengestellt hatte.

Die gastgebenden „treuen Dortmunder“ belegten bereits den Unterrang des doppelstöckigen 72er Busses bei der Vorfahrt zum Westfalenstadion, die Mitfahrer durften größtenteils das Oberdeck für sich beanspruchen. Aber es gab auch Gäste, etwa den Autoren, die sich zu den „Treuen“ gesellen durften. Eine gute Gesellschaft, die für Kurzweil sorgte, wie sich noch zeigen sollte.

Auffällige Unterschiede gab es unter den Teilnehmern, was das Volumen des Reisegepäcks betraf. Einige kamen locker mit einem kleinen Rucksack aus, andere brauchten die legendäre Zwei-Meter-Sporttasche von Adidas, die komplett vorgestopft mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Alkoholgehalte, nur noch von zwei Leuten getragen werden konnte. Es schien mir so, dass einige einen mehrwöchigen Trip nach Saudi-Arabien beabsichtigten.

Hatte ich da bei der Anmeldung irgendetwas verpasst ?

Ein Blick in das offizielle Getränkelager der Treuen Dortmunder konnte allerdings meine Zweifel schnell wieder ausräumen.

So gestaltete sich auch die Hinfahrt, unterstützt durch mehr als ausreichende Vorräte echten Dortmunder Biers, weitgehend stimmungsvoll und schlaffrei. Die Qualität der Beschallung litt allerdings etwas unter dem Defekt des bordeigenen CD-Players (wieso habe ich noch keinen Bus erlebt, bei dem der richtig funktionierte ?). Also kamen die traditionellen BVB-Lieder vollanalog von Musik-Kassette, und gelegentlich wurde auch live gesungen, wobei sich das obere Deck da kräftiger hervor tat.

Es ging durch die atemberaubenden Berglandschaften der Schweiz
Es ging durch die atemberaubenden Berglandschaften der Schweiz

Unten wechselten sich gute Gespräche mit lustigen Anekdoten und gemeinsamen Erlebnissen aus der BVB-Geschichte ab. Immer wieder beliebt: die weltbewegende Frage, wer nun der schlechteste Stürmer des BVB war - Hans-Gerd Schildt, Lothar Sippel oder vielleicht doch Wolfgang Schüler.

Die Deutschlandtour wurde mit zwei Aufenthalten zügig absolviert, größere Zwischenfälle bleiben aus, lediglich zwei Mitreisende aus Münster hatten den rechtzeitigen Ausstieg aus dem Alkoholkonsum verpasst und verloren vorübergehend die Kontrolle über ihre Körper. So versagten sie bereits beim denkbar einfachsten Eignungstest zum Weitertrinken: Sie bekamen im Morgengrauen die Bierdosen nicht mehr ordnungsgemäß geöffnet, und so schossen Sage und Schreibe fünf komplette Doseninhalte innerhalb von 10 Minuten über den Gang des Busses .

Hier blitzte dann für kurze Zeit die unantastbare Autorität des Reiseleiters BoKa auf, der die beiden bei einem Zwischenstopp zum Reinigungsdienst verdonnerte und ihnen die gelbe Karte zeigte. Danach wurde es gesitteter, die beiden legten sich schlafen und konnten auch auf der Rückfahrt durch vorbildlich diszipliniertes Verhalten auffallen.

Der weitere Transfer durch die Schweiz verlief kurzweilig, denn ab dem Vierwaldstätter-See ging die Sonne wieder auf und enthüllte ein beeindruckendes Alpenpanorama.

Schon nach einigen Kilometern, unweit einer Raststätte an der A5 Richtung Frankfurt, begannen die Probleme: Das Licht im Vehling-Bus fiel aus und der erste Notstop musste eingelegt werden. Dann ging es für die anderen beiden Busse weiter, um die hessische Fraktion in Gräfenhausen aufzunehmen. Der dritte Bus blieb liegen und wurde nun notdürftig repariert, um bis Freiburg weiterzufahren. Dort sollte er dann in einer Werkstatt schnell auf Vordermann gebracht werden. Wir anderen fuhren weiter und nahmen nun in Baden-Baden und Herbolzheim die letzten Mitfahrer auf. Gegen 6 Uhr morgens erreichten wir dann auch endlich die Schweizer Grenze, wo wir relativ schnell durchkamen.

Schlüüüürfff - Ah - Das leckere Gelbe durfte natürlich auch nicht fehlen...
Schlüüüürfff - Ah - Das leckere Gelbe durfte natürlich auch nicht fehlen...

Am ersten Halt in der Schweiz mussten wir dann leider einen unserer Busfahrer absetzen, der später in den liegengebliebenen Bus einsteigen sollte. Der Fahrer dieses Busses hätte seine Lenkzeit sonst überschritten. Auf dem Rastplatz wurde dann ordentlich Fußball gespielt und irgendeiner brachte es dann auch fertig, den Ball auf den Seitenstreifen der Autobahn zu befördern. Nach diesen Lockerungsübungen konnte man endlich die schöne Aussicht entlang der Autobahn genießen und fuhren auf den Gotthard-Tunnel zu. Dort hatten wir Glück, die LKWs wurden noch nicht in den Tunnel gelassen, so kamen wir ziemlich zügig durch. Allerdings stellten wir fest, dass der Tunnel in der darauf folgenden Nacht geschlossen sein würde, genau wie einige Pässe. Zurück gab es somit nur noch den Weg über den San. Bernardino-Pass. Dann endlich war es soweit: Die italienische Grenze lag vor uns. Dort gab es dann etwas Neues zu bestaunen: Wir wurden allesamt festgehalten und sollten nur unter Polizeibegleitung nach Mailand fahren. Ein Halt unterwegs war untersagt. Das war neu in Italien, bislang hatte man sich als Fan dort recht frei bewegen können. Kurz vor Mailand wurden wir ein weiteres Mal angehalten und befragt (etwa, ob wir alle Karten für das Spiel haben), bevor wir dann in die Innenstadt geleitet wurden. Schon vor der Ankunft hatten wir telefonisch von anderen Mailand-Reisenden erfahren, was uns dort erwarten sollte: Kein Alkohol durfte aus dem Bus mitgenommen werden, sogar die Taschen wurden bei verlassen des Busses durchsucht. Unserem Busfahrer wurde dann eröffnet, dass es für ihn schon um 17 Uhr wieder losgehen würde. Dann sollten wir alle an den Bussen erscheinen und zum Stadion gebracht werden. Offensichtlich stört sich in Europa keine Polizeibehörde an Ruhevorschriften für diese Busfahrer. Wenn dann aber mal etwas passiert, ist wohl wieder der Busfahrer der Dumme.

Die Durchsuchung entpuppte sich dann als lässiger Blick in den Rucksack. Mehr Schein als Sein. Man baute sich an den Eingängen auf und beließ es dann bei lässigen Blicken.

Die Zöllner, an der Grenze zwischen der italienischen Schweiz und Italien naturgemäß der deutschen Sprache wenig mächtig, vollzogen eine Alibi-Kontrolle, die sich alsbald in ein Fachgespräch über Fußball verwandelte. Schnell outete sich der Chefkontrolleur als Inter-Fan, und es entstand eine Interessensgemeinschaft, die sich positiv auf die Gesamtstimmung auswirkte. Schließlich genügte eine formlose Erklärung, dass es sich bei den Businsassen nur um Deutsche handelte, um die Kontrolle passieren zu können.

Wie beim Einzug der Gladiatoren kamen wir uns dann beim Überfahren der italienischen Grenze vor.

Da hatte eigentlich nur Aida über die Lautsprecheranlage gefehlt.

Die “publica sucurezza” wartete ehrfurchtsvoll an der Grenze um fünf Busse zu einem Konvoi zusammen zu stellen. Auffallend waren vor allem die besonders gut gestylten jungen Beamten, die sich um uns kümmerten. Es ging schnell das Gerücht durch den Bus, dass der italienische Polizist quasi per Vorschrift auf Haargel verpflichtet wird. Mit Blaulicht voraus ging es die restlichen zwei Stunden bis in die Mailänder Innenstadt. Der Bus wurde in einem Park neben etlichen anderen BVB-Fanbussen einge“parkt“ - beobachtet von einer Hundertschaft blau gekleideteter Polizisten und Polizistinnen. Beim Aussteigen aus dem Bus sollte angeblich auf die verbotenen Alkoholika kontrolliert werden, was aber dann doch nicht geschah. Einige uniformierte und zumeist weibliche Beobachterinnen näherten sich unserem Bus, unternahmen aber nichts.

Ankunft in Mailand
Ankunft in Mailand

Sofort ging es gruppenweise in Richtung Innenstadt, schließlich war man ja nicht nur zum Fußballspiel unterwegs, sondern auch in Sachen Kultur. Was aber leider einige Teilnehmer von den treuen Dortmundern – zumindest in kulinarischer Hinsicht - nicht ganz so sahen, hatten sie doch eigentlich nur die Absicht möglichst schnell ihre kurzzeitig unterbrochene Bierversorgung wieder sicher zu stellen. Was jedoch nicht ganz so einfach war. In Unkenntnis italienischer Lebensart wurde dann auch prompt unterstellt, dass die Mailänder ihre Biervorräte bei Ankunft der Dortmunder Busse wohl aus Sicherheitsgründen weiträumig beiseite geschafft haben müssten. Die Möglichkeit, dass der Italiener sich für unser Nationalgetränk generell nicht ganz so stark begeistern kann wie wir, kam für sie als Erklärung gar nicht erst nicht in Betracht.

Ähnlich enttäuschend verlief auch die Restaurantwahl meiner Reisegruppe, stelle sich doch schnell heraus, dass ich der einzige (!) Gruppenteilnehmer war, der im Lande des Slow-Foods auf ein Fast-Food-Restaurant amerikanischer Machart verzichten konnte. Aber wie heißt es doch in Italien so schön:„Alleine speist man noch nicht einmal im Paradies“, also blieb mir nichts anderes übrig als, statt der erhofften „Scalloppina Milanese“, aus der international standardisierten Speisekarte des Restaurants mit dem großen M das Beste zu machen.

Ich wählte dann „Huhn an Brötchen auf Salat“, kurz McChicken genannt, und als Antipasta (Vorspeise) das einzige Gericht, das zumindest vom Namen her italienisch Klang: „Filetto di Pesce“. Nein, einen Weißwein konnten sie dazu leider auch nicht reichen – noch nicht einmal einen Pinot Grigio.

Insgesamt erwies sich die Menüwahl als eine schlechte. Nach 10 Minuten Wartezeit gab’s die Vorspeise, wobei mein Hauptgericht sofort serviert wurde und somit genügend Zeit zum Abkühlen hatte.

Sobald alle ihre Speisen verschlungen hatten, bewegten wir uns dann weiter in Richtung Sehenswürdigkeiten.

Und ab in den Dom...
Und ab in den Dom...

Die obligatorische Kerze im Dom wurde von fast allen gezündet, allerdings wurde die zugehörige Schweigeminute in den wenigsten Fällen eingehalten - was natürlich die Gefahr einer Niederlage geradezu heraufbeschwor.

Unangenehm war, dass sich das Wetter in Mailand mehr und mehr verschlechterte. Aus Nieselregen war mittlerweile ein steter Guss geworden, so dass ein Spaziergang ohne Überdachung immer mehr Überwindung kostete. Deshalb kehrten wir nach einem kurzen Blick auf die von außen wenig attraktive Mailänder Scala in die Passage am Dom ein. Hier konnte man gut verweilen und auch in einem Passagen-Cafe einen italienischen Kaffee bestellen. Der kam auch prompt wie erwartet in handlichen Tässchen. Leider empfanden es Italien unerfahrene Reiseteilnehmer als eine blanke Provokation, dass diese Tassen nicht randvoll gefüllt waren. Außerdem verlangte man lautstark nach Milch. Auch eine kurze Erklärung, dass es sich hier um Espresso handelt, den man eigentlich weder mit Milch noch in Großportionen trinke, konnte die allgemeine Unzufriedenheit nicht entscheidend mindern.

Also wurde schnell der Entschluss gefasst, jetzt doch endlich ein anständiges Bierlokal aufzusuchen und nach guter germanischer Sitte den Tag zu feiern. Und unser Reiseleiter wusste auch hier Rat. Mit Hilfe seines elefantengleichen Gedächtnisses (er war ja ‘94 schon mal in Mailand auf Biersuche) führte uns BoKa zielsicher in eine Kellerbar amerikanischer Machart.

Hier gab’s dann endlich Bier, Chemiebrause amerikanischer (Budweiser) oder belgischer (Kronenburg) Herstellung zwar, aber immerhin. Da ich generell keine Verstöße gegen das Reinheitsgebot unterstützen kann, entschied ich mich für einen italienischen Rotwein. Die Auswahl war zwar reichlich aber auch nicht wirklich gut. So war die qualitative Obergrenze bei einem Friuli DOC erreicht, der dann auch meinen Bauch sanft erwärmen konnte - Salute.

Für Fußballtouristen erwähnenswert ist noch die Information, dass in Mailand unzählige Fanutensilien zu sehr günstigen Preisen erstanden werden konnten. Mache allerdings zeigten sehr deutlich, dass sich mit der Erstellung von Trikotfälschungen nicht sehr viel Mühe gemacht wurde. So gab es etwa Amoroso-Trikots in neongelber Farbe, die vom Design her eher in die 90er Jahre passten, als Marcio noch weit vom BVB entfernt war.

Blick auf den Mailänder Dom bei beschissenem Nieselregen
Blick auf den Mailänder Dom bei beschissenem Nieselregen

Für uns ging es jetzt auf schnellstem Weg direkt in die Stadt. Ein kleiner Gesang zur Einstimmung der Italiener und dann auf direktem Weg zum Dom. Leider war das Wetter eher mies, so konnten wir nicht unter freiem Himmel auf dem Domplatz feiern. Die Meute zog dann in die berühmte Passage am Dom und belegte den dortigen McDonalds. Simon musste dann unbedingt eine kleine Humba anstimmen, die die Italiener irritiert zur Kenntnis nahmen. Nach kurzer Zeit fielen uns diverse Leute mit schwarz-gelb-karierten Fahnen auf. Diese gab es am Stadion für ein paar Euro zu kaufen. Also nichts wie Geld eingesammelt und mit einer Gruppe zum Stadion. Dort überwältigte uns Neulinge erst einmal der Anblick dieses Bauwerks, einfach bombastisch. Am ersten Verkaufsstand wollte uns der Verkäufer noch glatte 8 EURO für eine Fahne abknöpfen. Das war uns entschieden zu teuer, und wir gingen weiter. Zufällig trafen wir Ralle von den Vestland-Borussen, der dann in italienischer Sprache die Verkäuferin auf 4 EURO/Fahne herunter handeln konnte. Wir schlugen zu und kauften 65 Fahnen, so könnte man ein schönes Bild abgeben, dachten wir uns. 40 weitere Fahnen bestellten wir und wollten diese dann vor dem Spiel abholen.

Einmarsch in die Einkaufspassage mit anschließender Humba
Einmarsch in die Einkaufspassage mit anschließender Humba
Einmarsch in die Einkaufspassage mit anschließender Humba

In der Stadt wurden die restlichen Fahnen dann an TU-Mitglieder und andere Käufer verteilt. Leider hatte die Fahnen-Tour länger gedauert als geplant, und so konnten wir das Schauspiel in der Passage nicht mitbekommen: Dort hatte irgendeiner einen Ball mitgebracht, und so wurde munter gekickt, sogar die italienische Polizei beteiligte sich, in dem sie den Ball immer wieder in die Menge schoss. Nur einer verstand keinen Spaß und nahm den Ball an sich. Der war aber kein Italiener, sondern ein deutscher Polizist, ein sogenannter Szenekundiger Beamter. Er hatte die Gefährlichkeit durch den Ball der Kategorie D sofort erkannt und schnell zugegriffen, so berichten überraschte Zeugen.

Wir dagegen mussten also nun ohne körperliche Ertüchtigung durch ein Fußballspiel direkt zu unserem Bus, denn es war kurz vor 17 Uhr. Dort angekommen wurden wir mit Polizeieskorte über alle roten Ampeln geleitet. Doch wie bereits in Liverpool hatte ein Busfahrer Probleme damit, eine rote Ampel zu überfahren, selbst wenn die Polizei ihn durchwinkt.

Ursprünglich hatte es zwar allgemeinen Protest im Bus gegeben, was die geplante frühzeitige Abfahrt in der Innenstadt in Richtung Stadion betraf, aber letztlich waren wir alle um 17 Uhr - reichlich durchnässt - doch froh den Bus wieder erklimmen zu können. Unter anderem lockte natürlich auch das echte Dortmunder Bier, zumal preislich mit einen Euro pro halben Liter im Preis-Leistungsverhältnis völlig konkurrenzlos. Mit einigen Startverzögerungen ging es dann auch los Richtung Stadtteil San Siro .

Und los ging's zum (wirklich riesigen) Guiseppe-Meazza-Stadion
Und los ging's zum (wirklich riesigen) Guiseppe-Meazza-Stadion

Die Standrundfahrt verlief ohne besondere Highlights, die durchquerten Viertel waren eher unattraktiv, aber dann erschien das Monument am Horizont, seine Majestät persönlich: das Guiseppe-Meazza-Stadion.

Scheinbar gehört es zur Methode der Mailänder Heimmannschaften, Gäste mit einer überwältigenden Demonstration von Erhabenheit und Stärke einzuschüchtern. Das Bauwerk schafft jedenfalls dafür die allerbesten Voraussetzungen. Nach einer fast kompletten Umrundung des Tempels musste unser Bus erneut in einen Parc-fermée einfädeln und ordentlich Wegelagerergebühr zahlen ( 26 Euro).

Da standen wir nun, noch reichlich Zeit in Reserve, draußen wenig einladendes Wetter aber drinnen eine feucht-fröhliche Gesamtstimmung mit BVB-Liedern auf den Lippen. Also wurde der Bus kurzerhand für die zwei Stunden bis zum Spiel zur Stehkneipe umfunktioniert. Der Oberrang vergnügte sich erstaunlicherweise irgendwo draußen im Regen, was keiner vom Unterrang so richtig nachvollziehen konnte.

Auf jeden Fall floss aber auch mit der halben Belegschaft weiterhin ordentlich Bier.

"...zwei Klassen besser, als der S04" *sing*
"...zwei Klassen besser, als der S04" *sing*

Es war ja auch die einzige Gelegenheit für die nächsten Stunden noch mal was Aromatisches zu genießen. Im Stadionbereich würde ja erwartungsgemäß wieder die Prohibition der UEFA zuschlagen. 20 Minuten vor dem Spiel ging es dann raus in den Regen, die Schlangen an den Eingängen hatten sich mittlerweile aufgelöst und außer den Eintrittskarten wurde gar nichts kontrolliert.

Auch im Innenraum wusste das Stadion mit Größe zu beeindrucken, allerdings galt das nicht für die Mailänder Fans. Unser 4:0 im Hinspiel hatte sie weitgehend ferngehalten. Insgesamt 15000 sollten es im Stadion sein, abzüglich unserer 3500 gab es also nur 11500 Tiffosi. Für einen BVB-Fan der von Heimspielen eigentlich nur Zahlen größer 60000 gewohnt ist, ein äußerst bedauernswerter Anblick.

Nach kurzer Fahrt erreichten wir dann endlich das Stadion und wurden auf einen luxuriösen Parkplatz geleitet. Luxuriös aber nur wegen des „netten“ Preises, 26,- EURO waren für ein paar Stunden parken zu berappen, ein echtes Schnäppchen also. Und nun zeigte die italienische Polizei richtige Sinnlosigkeit: das eine Ende des Parkplatzes war durch eine Barriere verstellt und die Polizei stand mit einem Aufgebot dahinter und erklärte uns, dass wir nicht vor 19:30 hereingelassen würden (es war noch nicht mal 18 Uhr). Wir sahen uns um und stellten fest, dass das andere Ende des Parkplatzes vollkommen unbewacht war und wir einfach hinten durch um den Parkplatz herum auf den Stadionvorplatz gelangen konnten. Gesagt, getan, am Ende des Parkplatzes war ein etwa 2m breiter Durchgang, durch den gingen wir hindurch auf den benachbarten Parkplatz und gelangten ohne weitere Kontrollen auf den Stadionvorplatz. Lustigerweise hatte die Polizei den anderen Durchgang zu diesem Parkplatz mit einem Wagen zugestellt, den weiter entfernten jedoch nicht. So nutzten wir die Gelegenheit und ergatterten noch die restlichen 40 bestellten Fahnen, um diese am Eingang an andere Fans zu verteilen.

Mailänder Ultras "Alternativa" bei aufbauarbeiten...
Mailänder Ultras "Alternativa" bei aufbauarbeiten...

Wir erreichten ohne Mühe den Eingang zu unserem Block, unterwegs konnte man noch die Utensilien der heimischen Ultras „Alternitava“ bestaunen, zwei Meter hohe Doppelhalter und ein kräftiges Megaphon lagen vor einer kleinen Gruppe Ultras herum. Am Eingang teilte man uns mit, dass das Tor bereits um 19:00 geöffnet würde, immerhin 30 Minuten, bevor die Masse der Fans vom Busparkplatz gelassen werden sollte. Während wir warteten, fuhren immer mehr Polizeiwagen auf und bildeten eine regelrechte Wagenburg, um uns zu beschützen (wobei es den ganzen Tag keinerlei Vorfälle seitens der AC Milan-Fans gab) Pünktlich wurde das Tor geöffnet und die Durchsuchungen waren alles andere als streng. So blickte der Polizist nur kurz in meinen Rucksack und ließ mich dann passieren. Im Stadion ging nun das übliche Gerenne für den besten Zaunfahnen-Platz los. Erst nach einigen Diskussionen wurde auch der Nebenblock für Fahnen zugelassen.

Da wir relativ spät dran waren, war die Wahl eines geeigneten Standortes recht schwierig. Der zuerst akzeptierte Stehplatz offenbarte eine hässliche Sichtbehinderung durch einen überhohen Zaun, der das halbe Spielfeld schlecht einsehbar machte - eigentlich ein ziemlicher Skandal, man stelle sich vor, es gäbe jetzt hier keine freie Platzwahl und man hätte wirklich so einen Loserplatz erwischt.

Uns trieb es dann weiter nach innen, fast bis auf Torhöhe, hier war’s zwar enger aber dafür gab’s eine perfekte Sicht auf das Geschehen.

Nach 21 Stunden Anreisezeit folgte nun der Anpfiff der an sich wichtigsten Aktion: Das Spiel begann.

Ich will jetzt nicht den Spielbericht noch einmal neu schreiben, aber so die wesentlichen Eindrücke des Spiels müssen einfach raus.

Feuriger Mailänder Block
Feuriger Mailänder Block

Von Anfang an wurde ordentlich supportet. Gerade die Leute, die im normalen Leben eher als zurückhaltend eingestuft wurden sangen bis zur Heiserkeit und sprangen bis zur Erschöpfung. Die etwas unter uns postierten Unity-Akteure zogen natürlich wieder in professionelle Weise ihre Humba-Show ab und alle im Block waren guter Dinge und voller Zuversicht. Eigentlich wollte war man ja nur hergekommen, um die Zeit bis zum Endgültigen Finaleinzug stimmungsvoll zu überbrücken - aber es kam anders, das Drehbuch des Fußballs hielt doch noch reichlich Spannung für uns bereit.

Es wurde wirklich noch ernst, nachdem Milan mal eben zwei Tore machte. Was das übermächtige Gefühl der Befürchtung daraus entwickelte war klar: 2 Tore in 20 Minuten, dass heißt als Prognose für 90 Minuten nichts Gutes. Da schmolzen 4 Tore Vorsprung in Gedanken schneller dahin, als das Gelato in den Schaufenstern der Mailänder Innenstadt. Der Rest der ersten Halbzeit war ein einziges Bangen. Sowohl das Spiel als auch das zuvor intensiv konsumierte Bier ließen ein gewissen Druck aufkommen. In der 40. Minute schaute ich mich schon vorsichtig nach dem Weg zur Stadiontoilette um und wurde auch fündig. Ein spontaner Gewissenskonflikt entstand. Würde ich jetzt schon gehen, könnte ich ja Entscheidendes verpassen, bliebe ich bis zur Pause könnte es so voll sein, dass ich Warten in der Schlange nicht aushalten würde.

Ich entschied mich für den vorzeitigen Gang und bereute nichts, denn es wartete eine Einmaligkeit auf mich: Man konnte vom Inneren der Toilette aus das Spielfeld sehen, so dass ich alles weiterhin verfolgen konnte und trotzdem die erwünschte Erleichterung fand.

Der Dortmunder Block
Der Dortmunder Block

Die zweite Halbzeit verlief dann etwas entspannter, auch die Sicherheit des Dortmunder Spiels nahm zu. Langsam wandelte sich das Gefühl des drohenden Abschieds aus dem UEFA-Cup in ein normales Bangen und Hoffen um Tor schießen und kassieren. Fast schon normaler Fußball, immerhin hatte der BVB in der zweiten Halbzeit auch mal die ein- oder andere Torchance.

Die Zeit schritt fort und der vermeintliche Schlusspfiff nahte, es häuften sich die Blicke zur Uhr.

90 Minuten und immer noch „nur” 2:0 für Milan.

Das brachte Stimmung, das musste es eigentlich sein.

Aber dann ging es ganz schnell, Mailand bekam einen Strafstoss zugesprochen, dessen Ursache aus unserem Block wohl niemand richtig erkennen konnte. Lehmann verpasste den Ball knapp und die Anzeigentafel stellte schnell auf 3:0 um. Aber trotzdem war es ja nicht so schlimm, immerhin war ja wohl danach Schluss - aber schwer geirrt, der Schiri zeigte noch 4 Minuten an.

Mailänder Block
Mailänder Block

4 Minuten - eine Ewigkeit, sollte das jetzt doch noch alles kippen, drohte jetzt doch ein zweites Brügge ?

Bevor wir allerdings richtig Zittern konnten zeigte auch der BVB, dass er ganz schnell sein konnte.

Evanilson tat das, was er am besten kann, sprintete uneinholbar mit dem Ball am Fuß Richtung Milan-Tor, gab zu Ricken und der machte das 3:1 - mal eben so. Nach La Coruna, Manchester, Juve und vielen anderen nun auch wieder dieses. Als wenn es seine Bestimmung wäre, im entscheidenden Augenblick die ganz wichtigen Europacup-Tore zu machen, hat er wieder zugeschlagen, unser Lars, Dortmunder Jung.

Stimmungsexplosion im Gästeblock des Guiseppe-Meazza-Stadions und Totenstille bei den Italienern. Bei aller Spekulation und allen Bedenken, Milan hätte danach 3 Tore in 3 Minuten machen müssen, das war undenkbar. Also konnte ab jetzt gefeiert werden.

Und das wurde es, der Schlusspfiff ging ohnehin schon in den allgemeinen Gesängen unter und die nächste Stunde war auch Non-Stop-Party im Block.

Dortmunder Block
Dortmunder Block

Hinaus durften wir eh noch lange nicht, aber das war auch egal - heute Abend war alles andere ziemlich egal. Wir hatten alles gegeben und die Spieler kamen alle noch mal auf das Spielfeld um auszulaufen und ihren Einzelapplaus abzuholen. Fast alle wurden namentlich erwähnt, nur einer nicht:

Evanilson – der Mann mit dem Assist für das Tor, was muss er eigentlich noch machen, damit das Publikum ihn zumindest akzeptiert ?

Irgendwann war es dann so weit und wir wurden aus dem Block auf Umwegen durch das Innerste des Guiseppe-Meazza Stadion zu den Bussen geführt. Ein Spallier von unzähligen Polizisten sorgte dafür, dass ein Abweichen von der vorgegebenen Route völlig unmöglich war. Selbst die Imbiss-Buden waren somit unerreichbar. Auch die Souvenirhändler durften keinen Kontakt mehr zu uns haben, und alle diejenigen, die an den Ständen vor dem Stadion gerne noch ein Erinnerungsstück erstanden hätten, durften sich ärgern, dass sie es nicht vor dem Spiel taten.

Die Dortmunder Spieler vor dem Dortmunder Block
Die Dortmunder Spieler vor dem Dortmunder Block

Nachdem die Busbelegschaften sich gefunden und einsortiert hatten, ging es zügig los im Konvoi hinter dem Mannschaftsbus des BVB. Der Weg führte auf die Autobahn und dann Richtung Schweiz. Die italienischen Raststätten waren vorsichtshalber alle gesperrt worden. Im Bus wurde natürlich noch etwas gefeiert, getrunken und gesungen, Finale oho, dann noch ein paar alte Geschichten ausgegraben, die dieses Halbfinale vergleichbar machen sollten - aber es war eben nicht die Wiederholung von Brügge - eher ein wenig Manchester.

Die Erinnerung betäubte dann so langsam das Bewusstsein, der Alkohol tat sein übriges und so wurde es im Bus langsam ruhiger. Wie im Titanic-Film verstummten die Rufe der Passagiere nach und nach und es kam die allgemeine Ruhephase, die irgendwo in der Schweiz noch einmal durch einen einstündigen Aufenthalt an einer Raststätte unterbrochen werden sollte, weil auch der Gotthard-Pass seine Nachtruhe brauchte.

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