Neues aus Block 11 - Mangelnde Cleverness
Es ist jeden Montagmorgen dasselbe: Ich schlage nacheinander die Sportteile der drei Tageszeitungen auf, an die ich herankommen - und ich leide dreifach. Mal ehrlich: Welcher Fußballfan hat nicht das Gefühl, dass der, der das geschrieben hat, bei einem völlig anderen Spiel war. Ort und Zeit stimmen, Ergebnis und Zuschauerzahl auch - und doch: die drei Autoren müssen sich am Samstag in einer Art Paralelluniversum befunden haben, in dem auch eine Borussia aus Dortmund gegen eine Borussia aus Mönchengladbach 3:1 gewonnen hat, gleiche Torschützen, gleiche Minute und doch war alles anders.
Ich rege mich auf, dass irgend so ein Schnösel mit Doppelnamen in meiner Lieblingszeitung behauptet, nach dem Eigentor von Dede hätten sich die Fans schon mit dem nächsten 1:1 in Serie abgefunden. Woher will der Mann das wissen? Muss ich mich als Zeuge für solche verschrobenen Gedankengänge vereinnahmen lassen? Dass man sich in der 48. Minute nach einem dusseligen Eigentor mit einem 1:1 abfindet, obwohl die eigene Mannschaft hoch überlegen ist? Ich jedenfalls erkläre an dieser Stelle, dass ich mich niemals mit einem 1:1 abfinde, nicht bis das Spiel vorbei ist - und egal, wie schlecht die Schwatzgelben sind. Ich hoffe immer bis zur letzten Sekunde auf den einzigen vernünftigen Angriff in der zweiten Halbzeit, den ersten Fehler des Gegners oder den unverhofften Elfer, völlig gleich, ob gerecht oder ungerecht.
„Lies das doch einfach nicht“, rät mir meine Frau, weil ich – wie fast jeden Montag – vor mich hinschimpfe. Das ist vernünftig, aber ich bin nicht vernünftig, ich bin Fan: Ich muss das Lesen und ich muss mich aufregen.
Aber seien wir nachsichtig mit den Vertretern der schreibenden Zunft: Sportreporter stehen vor dem Problem, dass sie meinen, etwas mit rationalen Maßstäben bewerten zu müssen, was eigentlich nach völlig irrationalen Regeln abläuft. Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, das ein Tor fällt? Nicht besonders: Zehn Menschen versuchen zu verhindern, dass jemand ein Objekt mit völlig unberechenbaren Eigenschaften mit Hilfe der zwei eher ungeeigneten Körperteile Fuß und Kopf (die Hände darf man ausdrücklich und bei Strafe nicht nehmen) in einen Kasten treibt. Und da drin steht der elfte Mann, der auch noch als einziger die Hände zur Hilfe nehmen darf. Der einzige Fall, halbwegs Chancengleichheit herzustellen, indem man einen Menschen alleine vor dem Torwart postiert und versucht ihn anzuspielen ist auch verboten. Das heißt dann Abseits. Nur so ist es zu erklären, dass sich eine Mannschaft zwar Chance auf Chance erspielt, aber zwei von drei Toren reine Zufallsprodukte sind. Offensiv spielen heißt nur, die Chance zu erhöhen, dass eine dieser Unwahrscheinlichkeiten eintritt – einfach weil die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass der Ball zufällig doch im Tor des Gegners landet, je häufiger er sich in dessen Nähe befindet.
Manchmal tritt der Fall ein, dass der Ball sich nicht an diese Wahrscheinlichkeitsrechnung hält, sondern zufällig dort ins Tor geht, wo er sich nur ganz selten befindet. Das bringt den Reporter in Zugzwang. Dann redet er gerne von „Cleverness im Abschluss“. Dreimal abgefälscht die Pille, die eigentlich irgendwie als Verlegenheitsschuss in Richtung Eckfahne unterwegs war, aber „Cleverness im Abschluss“ (oder auf der Gegenseite von „mangelnder Cleverness“).
Schiedsrichterentscheidungen sind natürlich nie entscheidend für den Spielausgang – was auch die Trainer verinnerlicht haben: „Ja gut, der Schiri hat uns vier klare Elfmeter verweigert. Aber dass wir das Spiel verloren haben, dafür sind wir alleine verantwortlich – das lag an unserer mangelnden Cleverness…“
Nein, da habe ich es einfacher. Ich bin Fan. Die Frage „gerecht oder ungerecht?“ gibt es für mich nicht. Natürlich freue ich mich, wenn meine Mannschaft gut spielt. Und natürlich bin ich in großzügigen Momenten auch bereit, einzuräumen, dass die Schwatzgelben Glück gehabt haben (aber nur nach Siegen). Aber letztlich zählt nur eins: Mindestens ein Tor mehr als der Gegner.
P.S. Unberechtigte Elfmeter für den BVB mag es geben, aber keine ungerechten – dafür habe ich mit dem Fußballgott noch zu viele Rechnungen offen.