Kommt die Wende auf der Reeperbahn ?
Nach 3 Spielen gegen sogenannte Topteams der Liga (Bayern, Schalke, Leverkusen) und 2 Spielen in der Championsleague, bestreitet der BVB am Samstag am Millerntor sein Auswärtsspiel gegen den bislang erfolgslosen FC St. Pauli. Ein Spiel, das auf jedem Oddset-Schein eine klare 2 zu Beginn der Saison gewesen wäre, steht unter dem für die Schwatzgelben ungünstigen Stern von 7 sieglosen Spielen in Folge.
Eigentlich hätte Didi Demuth zum Ende der letzten Saison seinen Hut bei den Braunweißen nehmen müssen. Als eindeutiges Saisonziel hatte er "Klassenerhalt" vor der Saison formuliert. Um so überraschender, dass die Paulianer nach 4 Jahren durchwachsener Zweitklassigkeit den Aufstieg in die erste Bundesliga schafften. Vor allem die Art und Weise wie dieses "Wunder vom Millerntor" zustande kam, überraschte die Fußballkenner. Mit erfrischendem Offensivfußball spielten die Kiezkicker den Gegner beizeiten schwindlig. Am Ende standen 60 Punkte und sage und schreibe 70 Tore auf dem Konto. Die höchste Anzahl, die ein Profiteam im letzten Jahr in Deutschland erreichen konnte. Alleine Marcel Rath (15), Thomas Meggle (13) und Ivan Klasnic (10) erzielten zusammen 38 Tore.
Das Spiel beim Lieblingskind der Political-Corectness-Gesellschaft ist seit Wochen ausverkauft. Auch wenn sich der "Arbeiterclub" aus dem Rotlichtviertel gerne als sozial und volksnah verkaufen will, so macht auch der Kommerz nicht vor ihm halt. Das Image des Underdogs, des Schmuddligen, der "Kult wird konsequent vermarktet" [TM Rudi Assauer]. Stolze 31 DM kostet der Stehplatz im Gästeblock. Regen und kalter Wind inclusive. Dafür bekommt man allerdings auch eine Fanszene geboten, die in ihrer Originalität vor allem bei Fussballprotesten immer wieder Glanzlichter gesetzt hat, für viele aber weniger eine Fussballleidenschaft ist, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Event der etwas anderen Art. Nirgendwo ist die Halbwelt mehr etabliert als beim FC St.Pauli und in den VIP-Logen (übrigens die teuersten der Liga) trifft sich die sogenannte "Ehrenwerte Gesellschaft", der auch Kiezgrößen wie Karl-Heinz "Negerkalle" Schwensen angehören. Wer vermutet, dass in den Vip-Logen mehr Jahre Knast ist, als Bundesligaerfahrung auf dem grünen Rasen, dürfte nicht weit daneben liegen.
Mit der Parole "Wir können nur offensiv" spielen, startete der FC St. Pauli in der ersten Liga durch und fiel zugleich auf die Nase: Vor dem letzten Spieltag kamen die Braunweißen in 6 Spielen nur auf magere 2 Punkte und 2 Tore. Vollkommen überfordert präsentierte sich die Demuth-Elf wie einst Tasmania Berlin. Vor allem die Niederlagen gegen den "Klassenfeind" aus Rostock dürften die Moral der Mannschaft geschadet haben. Zu Bedenken ist jedoch, dass mit den Bayern, dem S04, Hertha BSC und Bayer Leverkusen ziemlich dicke Brocken dem Erfolg im Wege lagen. Erst im Spiel gegen den VfL Mönchengladbach am vergangenen Samstag (2:2), offenbarten die selbsternannten "Freibeuter der Liga" wieder ihre kämpferischen Tugenden, die sie in den Jahren der Erstklassigkeit berühmt gemacht haben.
In der aktuellen Elf stechen vor allem Torwart Tihomir Bulat und Abwehrass Moudachirou Amadou hervor. Der Kroate Bulat ist vor der Saison für 100.000 DM vom NK Sibenik verpflichtet worden als Ersatz für den scheidenden österreichischen Nationalkeeper Heinz Weber. Amadou, Kapitän der Nationalelf von Benin, kam von Hannover 96. Beide haben sich auf Anhieb einen Stammplatz in der ersten Elf erarbeitet, bei einem Verein, bei dem man bei Zeiten sehr inflationär mit dem Begriff "Kult" umgeht.
Dietmar Demuth, übrigens bei Paulis erstem Aufstieg in die Bundesliga 1977 erster Torschütze des FC, kann fast aus dem vollen schöpfen beim Spiel gegen die Borussia: Sein Team wird am Samstag voraussichtlich mit Bulat im Tor spielen, davor der erfahrende Stanislawski und eine 3er Kette mit dem jungen Türken Deniz Baris, dem Ami Cory Gibbs und besagtem Amadou. Davor ein 4er Mittelfeld mit den beiden Defensiven Dubravko Kolinger (waschechter Badenser) und Jochen Kientz sowie U21-Spieler Christian Rahn, der nach der Saison zum Nachbar HSV wechseln wird. In der Schaltzentrale Spielmacher Thomas Meggle, der am Samstag in Mönchengladbach sein erstes Saisontor machen durfte und aufsteigende Form zeigt. Im Sturm werden sich die Paulianer, die die letzten 3 Heimspiele gegen den BVB (1997 0:1, 1995 0:3, 1990 0:2) torlos verloren geben mussten, aufs Kontern beschränken. Es ist zu vermuten, dass neben Marcel Rath der Brasilianer Marcao sein Punktspieldebüt feiern wird.
Der BVB ist gezwungen in Hamburg sein Spiel zu machen, wobei die "limitierte" Spielfreude der Paulianer eigentlich der Borussia entgegen kommen sollte. "Eigentlich", denn seit der Niederlage in Porto wird auch der Druck bei den Dortmundern immer größer. Gegen die Kiezkicker kann es nur ein Rezept geben: Früh auf Angriff schalten und das erste Tor machen. Denn wenn der BVB erst einmal auf dem Acker am Millerntor ins Schwimmen gerät, wird die Mannschaft Probleme bekommen, zumal das fanatische Pauli-Publikum darauf brennen wird, das ihre "Milieu-näre" den "Millionären" aus dem Ruhrgebiet ein Bein stellen.
Hinten wird der BVB wohl mit Wörns, Reuter (alternativ Oliseh) und Kohler (alternativ Metzelder) auflaufen. Nach der schwachen Vorstellung gegen Boavista wird Ricken wohl für Stevic ins Team rücken, vor allem um nach vorne Dampf zu machen und Spielgestalter Rosicky zu entlasten. Einschneidende Konsequenzen werden die "Wochen der Wahrheit" wohl nicht hinterlassen, dafür fehlen Sammer einfach die Alternativen. Zumal er bislang den Nachwuchsspielern wie Madouni, Bugri, Krontiris oder Conor Casey keine Chance gab. Zumindest Francis Bugri hätte nicht nur das Zeug dazu, sondern es auch verdient einmal eine Chance bei den Profis zu bekommen. Wenn nicht gegen Pauli, dann gegen wen ?
Interessant dürfte werden, ob Sammer Ewerthon Henrique de Souza 1 Woche nach seiner Verpflichtung schon eine Chance gibt. Immerhin konnte der Norweger Jan Derek Sörensen in dieser Saison noch nicht wirklich überzeugen. Damit könnte es dann zu einer brasilianischen Doppel-Zange kommen. Nämlich Dede und Amoroso auf der linken und Evanilson und Ewerthon über rechts. Grade das Spiel über die Aussen, was in den letzten Partien überhaupt nicht geklappt hat, dürfte der Schlüssel zum Erfolg sein. Als Sturmspitze ist Jan Koller wohl weiterhin erste Wahl, zumal Fredi Bobic in dieser Woche in mehreren Medien als potenzieller Wechselkandidat genannt wurde. Nach der Genesung von Heiko Herrlich dürfte dies wohlmöglich bereits zur Winterpause aktuell werden.
Prognose: Macht der BVB früh das 1:0 ist alles drin. Ein hoher und deutlicher Sieg könnte eine Wende in der Bundesliga einläuten. Bekommt die Borussia gegen die Hamburger das Spiel wieder nicht in den Griff, wird es im Hexenkessel Millerntor schwer. Nach dem 2:2 in Gladbach ist den Braunweißen dann durchaus mehr als ein Punkt zuzutrauen. Eins ist jedoch sicher: Kommt der BVB wieder nicht über ein Unentschieden hinaus, wird es unangenehm werden für Mannschaft und Trainer in den nächsten Wochen.