
Das 0:1 im Heimspiel gegen Augsburg war für Borussia Dortmund in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen hat man jetzt endgültig Planungssicherheit für die neue Saison. Wer jetzt noch am Rheinlanddamm auf Europapokaleinnahmen in der nächsten Spielzeit spekuliert, würde unter massiver Realitätsverweigerung leiden. Zum anderen ist die Stimmung endgültig gekippt, die Mannschaft hat jeden Kredit verloren. Aus den zaghaften Pfiffen in den letzten Spielen wurde ein ebenso lautes, wie auch verdientes Pfeifkonzert nach Abpfiff. Das Verständnis für Fehler in Aktionen, die E-Jugendspieler vor keine große Herausforderung mehr stellen, ist vollständig aufgebraucht. Vor allem aber war diese Niederlage eine passende Metapher für das ewig Gestrige, an dem dieser Verein krankt.
Zu diesem Spiel hat der BVB mal wieder ein Sondertrikot raus gebracht. Eine Referenz an die Zeiten der Meisterschaften 1995 und 1996, sowie dem Champions League Sieg 1997 in Neongelb und mit einem „Splittermuster“ an den Ärmeln. Vermarktet mit einem aufwändigen Video, abgefeiert mit Berichten über lange Warteschlagen beim Verkauf. Dass die ausgerufenen Preise jedem Schwarzmarkthändler in Kriegsgebieten die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, ist ja nichts Neues mehr, es wirkt allerdings einfach merkwürdig passend, dass man die Gegenwart verspielt, während man die Vergangenheit abfeiert.
Natürlich ist die Geschichte eines Vereins enorm wichtig, ja sogar identitätsstiftend, und sobald Fans ins Reden kommen, sprechen sie fast automatisch über große Spiele und legendäre Auswärtsfahrten, die sie erlebt haben. Nur natürlich und absolut nachvollziehbar. Der BVB hat es allerdings übertrieben und sich in der eigenen Vergangenheit verloren. Die Beschwörung der großen, alten Zeit vor einem Spiel um die Zukunft ist da nur ein Symptom. Wir haben es uns in den letzten Jahren immer bequemer gemacht in einem Status, den wir uns vor bald 15 Jahren unter Klopp erarbeitet haben. So bequem, dass wir uns alle selber eingeredet haben, wir seien die natürliche Nummer 2 der Liga sind und eine Qualifikation für die internationalen Geldtöpfe fest im Regelbuch verankert. Borussia Dortmund war groß, also wird man auch groß bleiben. Einfach in dem man weiter macht wie bisher.
Rückwärtsgewandte Personalbesetzung
Auch in der Personalplanung hat sich diese Vergangenheitsbesoffenheit immer wieder gezeigt. Mit Götze, Hummels, Kagawa, Sahin und Sancho haben wir Spieler ein zweites Mal zu uns zurück geholt, nachdem sie den BVB auf ihrem Zenit verlassen haben, sich an anderer Stelle aber nicht durchsetzen konnten. Einzige Ausnahme hier ist Mats Hummels, der so lange in München geblieben ist, bis man ihn dort nicht mehr wollte. Diese Rückholaktionen waren dabei weniger durch die sportliche Gegenwart, denn durch Erinnerungen an die großen Leistungen in der Vergangenheit begründet. Auch bei „vereinsfremden“ Transfers wie Niklas Süle, oder Marcel Sabitzer ging der Blick wohl eher in den Rückspiegel und man verließ sich darauf, dass sie gut sein mussten, weil sie bei Bayern waren. Dass man sie dort nicht mehr unbedingt um jeden Preis behalten wollte, blendete man gekonnt aus. Selbst bei der Frage nach einem Spielsystem kommt man nicht mehr ganz aus seiner Haut und liebäugelt immer wieder mit einer Reinstallation von Pressingfußball, Eine Spielweise, mit der wir 2010 den Fußball fast revolutioniert haben, die aber mittlerweile auch zum kleinen Einmaleins eines jeden Profitrainers gehört.
Den Elefanten im Raum kann man endgültig nicht mehr ignorieren, wenn man sich anschaut, welche Personen Borussia Dortmund zuletzt an zentralen Funktionen geführt haben und noch führen. Bis Ende Januar hieß der Übungsleiter Nuri Sahin, ihm assistierte Lukasz Piszczek. Ihm vorgesetzt Sportdirektor Sebastian Kehl und Geschäftsführer Lars Ricken. Allesamt Personen, die sich ihren Namen und Platz in der Geschichte des BVB mehr als verdient haben. Ohne diese Verdienste schmälern zu wollen, muss man allerdings feststellen, dass sie kaum viel mehr als ihren Namen als Rechtfertigung für ihre Anstellung anführen können. Sahin hat kurzzeitig einen türkischen Mittelklasseverein trainiert, Sebastian Kehl nach seinem Karriereende ein theoretisches Managementstudium bei der UEFA absolviert und Lars Ricken war jahrelang Jugendkoordinator. Wo sonst, als bei Borussia Dortmund, hätte diese drei mit einer derartigen Vita eine Anstellung an verantwortlicher Stelle in einem börsennotierten Unternehmen mit einem Jahresumsatz von einer halben Milliarde Euro und dem Selbstverständnis, zu den sechzehn besten Vereinen in Europa zu gehören, erhalten? Dass man mit Sven Mislintat zwischenzeitlich einen Kaderplaner wieder entlassen hat, der sich früher als „Diamantenauge“ beim BVB einen Namen gemacht hat, danach aber in anderen Anstellungen teils spektakulär gescheitert ist, fällt fast unter den Tisch. Ebenso wie die Personalie Matthias Sammer als Berater, bei dessen öffentlichen Äußerungen immer öfter auffällt, dass er gedanklich irgendwo um die Jahrtausendwende stehen geblieben ist.
So ist der BVB nicht zukunftsfähig
Borussia Dortmund hat viel mehr verloren als seinen Platz als „zweiter Leuchtturm“, oder die Teilnahme am Europapokal. Ihm ist seine Zukunftsfähigkeit abhanden gekommen. Wir bekämpfen die Probleme der Gegenwart mit Lösungen aus der Vergangenheit. Und wenn das nicht reicht, setzen wir noch einen drauf und beschwören die guten, alten Zeiten mit Sondertrikots in Neongelb. Dieses Problem geht viel tiefer als nur die immer wieder geforderte und endgültige Emanzipation von Jürgen Klopp. Wir müssen lernen, dass unsere Geschichte nur für uns selbst eine Bedeutung hat. Die anderen Vereine haben mittlerweile längst gemerkt, dass der BVB im Jahre 2025 kaum noch etwas gemein hat mit dem der Jahre 1995 bis 1997, oder eben 2011 bis 2013 und ordnen unsere tatsächliche Leistungsstärke deutlich realistischer ein als wir selbst. Sie erstarren auch nicht in Ehrfurcht, wenn wir textile, oder personelle Memorabilia aus der Klamottenkiste der Vereinshistorie hervorkramen.
Es fehlt die wirklich ehrliche Bestandsaufnahme, was der BVB genau heute ist, welche Personen eine Zukunft mitgestalten können und welche Lösungen man für die Probleme des Fußballs der Gegenwart entwickeln kann. Natürlich verbunden mit der Frage, ob Gallionsfiguren einer längst vergangenen Ära überhaupt in der Lage sind, diese Aufgabe zu bewältigen. Dabei wird ein Abnabelungsprozess von sich selbst schmerzhaft werden, aber den Wohlfühlweg aus unserer Situation gibt es nicht mehr.
Vielleicht feiern wir dann auch mal wieder unseren Verein für einen Erfolg der Gegenwart, statt nur den Ruhm vergangener Tage zu zelebrieren.
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