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Der BVB bei der Klub-WM Mehr als nur Kommerz

30.06.2025, 10:59 Uhr von:  Desperado09  
Das Met Life Stadium in East Rutherford beim Spiel des BVB gegen Fluminense.
Das Met Life Stadium in East Rutherford beim Spiel des BVB gegen Fluminense.

Die Klub-WM ist totaler Kommerz – und hat doch Charme: neue Duelle, echte Leidenschaft, weltweite Fanmomente. Vielleicht nicht perfekt, aber ein Turnier mit mehr Potenzial, als viele glauben.

Gäbe es die Klub-WM nicht schon, müsste man sie erfinden – nur anders. Eines vorweg: Mir war die Klub-WM bis neulich eigentlich relativ egal. Ich habe keine Lust, aus Prinzip für oder gegen etwas zu sein. Ich warte lieber ab und lasse mich überzeugen oder eben nicht. Fußball ist Herzenssache – und mein Herz sagt momentan: leider geil! Zumindest ein bisschen.

Kurze Reise zurück. Ich liebe die USA. Mit all ihren Schrullen, Dummheiten und zum Verzweifeln dämlichen Eigenheiten. Wäre ich Politiker, wäre ich Transatlantiker. Im Kalten Krieg der Achtziger gelang mir meisterhaft das Kunststück, mit dem damals üblichen Anti-Amerikanismus zu kokettieren, gleichzeitig aber Top Gun abzufeiern, alles an US-Popkultur aufzusaugen, die UdSSR aber nicht als ultimatives Reich des Bösen zu sehen. Und als Reiseland sind die USA für mich ohnehin unschlagbar.

Dann kam es zu folgender Konstellation: zwei Geburtstage (davon ein runder) in der Familie, die Suche nach einem Ort für eine große Feier, der BVB qualifiziert sich für die Klub-WM, ein Gruppenspiel ist in New Jersey, New York steht eh noch auf der Reiseliste – peng! Der perfekte Sturm, da kann auch der Depp im Weißen Haus nichts dran ändern. Und als ich während des peinlichen BVB-Auftritts in Bochum so vor mich hin grantelte und kein gutes Haar an der Mannschaft und an den USA und so lassen konnte, buchte meine Frau neben mir mal eben den Trip nach New York. So läuft das bei uns…

Fans von Palmeiras trommeln in New York City.
Fans von Palmeiras trommeln in New York City.

So viel zu Rahmenhandlung, jetzt zum eigentlichen Thema: die Klub-WM.

Was spricht eigentlich dagegen, dass sich die besten Spieler der Welt in den besten Teams der Welt miteinander messen? Darum geht es im Sport. Klar, es gibt die Fußball-WM, bei der allerdings oftmals eher fußballerische Magerkost geboten wird und einige Superstars entweder in zu schwachen Teams spielen (z.B. Cristiano Ronaldo) oder gar nicht erst dabei sind (z.B. Gareth Bale).

Den großen Fußball mit großem Sport und großen Emotionen bietet die Vereinsebene. Die europäische Champions League dürfte das Beste sein, was die Welt in Sachen Fußball zu bieten hat, sowohl sportlich als auch vom Ambiente.

Die Champions League der Uefa ist jedoch letztlich nur ein kontinentaler Wettbewerb und somit ein closed Shop. Vermutlich, nur vermutlich, ist der jeweilige Sieger der Champions League auch das beste Team der Welt. In einem wirklich ernsthaften Wettbewerb wurde das allerdings noch nie ermittelt. Die bisherigen Weltpokale oder Klub-WM-Formate gaben nur wenig Aufschluss darüber. Nein, wenn man wissen will, welches das beste Team der Welt ist, benötigt man eine echte WM. Und warum sollte man das nicht wissen wollen?

Aber ist die jetzige Klub-WM überhaupt eine echte WM? Naja, so halb. Das liegt gar nicht unbedingt an den Teams, die dabei sind, sondern eher an denen, die fehlen, etwa Liverpool oder Barcelona. Grundsätzlich bleibe ich aber dabei: Der Ansatz ist richtig. Wenn es die Klub-WM nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden – nur anders.

Denn es gibt eigentlich keinen Grund, Fußball auf dem größtmöglichen Niveau nicht zu wollen. Hinzu kommen Spannung und Abwechslung durch so noch nie dagewesene Konstellationen. Erinnert sich noch jemand, dass wir nach dem x-ten vergeigten Pokalfinale gegen die Bayern gejammert haben, dass wir uns den Mist nicht mehr antun? Und wie wir geschworen haben, nicht nach Wembley zu fahren, wenn der Gegner im CL-Finale wieder die Bayern wären? Wenn es ganz blöd läuft, könnten wir in einer Saison fünfmal gegen die Bayern spielen. Oder dreimal gegen Real Madrid bzw. zum soundsovielten Mal in den letzten Jahren.

BVB-Aufkleber an der Brooklyn Bridge.
BVB-Aufkleber an der Brooklyn Bridge.

Für uns Dauergäste in der Champions League sind Spiele gegen die großen Mannschaften Europas inzwischen dermaßen normal, dass wir offenbar gar nicht nachempfinden können, welchen Stellenwert ein Spiel gegen Teams, die wir in jedem Jahr im Westfalenstadion begrüßen dürfen, für Fans und Spieler von argentinischen, brasilianischen oder marokkanischen Klubs haben würde. Es ist doch völlig logisch, dass die sich gerne mit Bayern, Barca oder Borussia messen wollen. Und das wollen wir ihnen verwehren, weil… ja… warum eigentlich?

Weil wir den Wettbewerb doof finden? Weil er von den falschen Leuten erfunden wurde? Weil die Fifa ein korrupter Haufen ist und wir darum eigentlich alles doof finden, was von dort kommt? Also weil wir Prinzipien haben. Und da haben Fans der Boca Juniors halt Pech, dass sie auf dem falschen Kontinent geboren sind. Bayern und Real? Kriegt ihr nicht!

Ganz ehrlich, ich finde das unredlich. Mir kommt es so vor, als glaubten wir in Europa, uns gehöre der Fußball. Dass es in Nordafrika und Südamerika leidenschaftliche Fans gibt, die ihre Teams mindestens genau so abgöttisch lieben und ihre Derbys mindestens genau so wahnsinnig leben, wollen viele von uns offenbar gar nicht sehen. Wir in Europa sind keine Elite, wir haben nur das Glück, dass unsere Klubs so reich sind, dass sie den Südamerikanern und Afrikanern die besten Spieler wegkaufen können. Aber da, wo die herkommen, gibt es noch mehr, und ich finde es sportlich wahnsinnig reizvoll, die gegen die europäischen Teams spielen zu sehen, die ich kenne. Wie cool muss es dann für argentinische oder brasilianische Fans sein, ihren Lieblingsverein endlich mal gegen die vermeintlich besten Vereinsmannschaften der Welt auf dem Rasen zu sehen?

Vielleicht sollten wir einfach mal von unserem hohen Ross hinabsteigen und anerkennen, dass wir nicht der Nabel der Fußball- und Fankulturwelt sind.

„Echte Fußballfans brauchen diesen Quatsch nicht“, habe ich neulich als Kommentar unter einem Post gelesen. So, so. Ich war rund um das Spiel unserer Borussia in New York und habe dort viele, viele Fans von Fluminense, Palmeiras und Casablanca gesehen. Insbesondere die Brasilianer waren allgegenwärtig. Sie hatten offenbar echt Bock auf die WM. Mit Recht, wie ich finde. Waren das keine echten Fans? Vielleicht waren die echter als so mancher, der sich für einen Über-Fan hält. Fakt ist jedenfalls, dass beim Spiel in New Jersey die Fluminense-Kurve voll und laut und wie die BVB-Kurve beschämend leer und leise. Ganz zu schweigen von dem Spektakel, das die Fans der Boca Junior abgeliefert haben.

Natürlich ist der Wettbewerb, wie er momentan durchgeführt wird, verbesserungswürdig. Der Zeitpunkt ist vielleicht gar nicht so verkehrt, auch wenn die Südamerikaner in der Saison sind, während die Europäer aus dem Urlaub kommen. Andererseits: Die U21-EM kann ja auch gespielt werden, warum dann keine Klub-WM?

Aber mal ehrlich: Irgendwas ist immer. Vielleicht kann man die WM ja im Winter spielen. Irgendwo, wo es keinen Winter gibt. Und wenn im Sommer, dann irgendwo, wo es keinen Sommer gibt. Jedenfalls nicht da, wo es unerträglich heiß wird und Architekten offenbar zu blöd sind, überdachte Tribünen zu bauen. Und vielleicht irgendwo, wo sich die Menschen für Fußball interessieren. Also nicht in den USA.

Also: Zeitpunkt bitte überarbeiten.

Und dann die Qualifikation – eine Mischung aus sportlichen, kommerziellen und Geschmacksgründen hat für die Zusammenstellung des Teilnehmerfeldes gesorgt. Wie schon gesagt: Die Teams, die dabei sind, sind nicht unbedingt das Problem, sondern eher die, die nicht dabei sind sowie die Gründe. Wenn es bei einem Vier-Jahres-Rhythmus bleiben soll (von mir aus kann der Bumms auch in jedem ungeraden Jahr stattfinden), muss an der Gewichtung und den Kriterien geschraubt werden. Aktuelle Erfolge sollten mehr Gewicht haben als ein CL-Sieg von vor vier Jahren. Da muss man ein Punktesystem entwickeln, vielleicht eines, das zum Beispiel auch Siege in Pokalwettbewerben wie Europa League oder DFB-Pokal belohnt. Nagelt mich nicht fest – am Ende kommt man auf 128 Mannschaften oder so, das will ja auch keiner.

Also: 32 Teams sind okay, aber bitte nach transparenten und fairen Kriterien ohne Zufallsnachrücker wie den Los Angeles FC statt des amtierenden Meisters LA Galaxy. Oder die Länder, die an der letzten WM teilgenommen haben, senden je nach Platzierung im Ranking eine bis drei Mannschaften zur Klub-WM. Möglichkeiten gibt es genug.

Schwierig finde ich Gegenargumente wie „Das ist ja nur Kommerz“ und „Aber die Spieler brauchen Pause“. Klar, es geht um Geld. Und klar, eine Saison mit Liga, Europapokal und Länderspielen ist lang. Fakt ist aber auch: Die Klubs brauchen die Kohle, weil die Spieler und ihre Berater immer mehr Geld verdienen wollen und weil sich die Vereine mit aberwitzigen Ablösesummen selbst in Nöte bringen. Das System kriegt man nur kaputt, wenn man es sprengt. Macht aber keiner.

Alle brauchen also immer mehr Einnahmequellen. Spieler, die mehr verdienen wollen, müssen das Trikot mit dem Sponsorennamen dann eben zehnmal öfter tragen. Ohne Sportwissenschaftler zu sein, wage ich mal die These, dass man das mit guter Kaderplanung und Belastungssteuerung regeln kann. Oder es muss halt mehr Wechselmöglichkeiten geben. Jedenfalls steckt der ganze Fußballzirkus aus Vereinen, Fans und Spielern in einem selbstverursachten Teufelskreis aus „Mehr! Mehr! Mehr!“, und ich fürchte, irgendeinen Tod müssen wir hier sterben.

Also: Irgendwie muss der Laden ja am laufen gehalten werden, ob’s einem gefällt oder nicht.

Ich bleibe dabei: Sportlich finde ich die Idee einer Klub-WM grandios. Sie ist bei weitem nicht perfekt, aber es wäre schade, sie zu beerdigen. Das Format hat enormes Potenzial. Richtig gut wäre es, wenn die europäischen Klubs den Wettbewerb im Vorfeld nicht nur als Maschine zum Gelddrucken verkauft, sondern den sportlichen Wert herausgestellt und echte Vorfreude geschürt hätten.

Und noch etwas: In New York habe ich wieder einmal erlebt, wie Fußball verbindet. Fotos mit Fluminense-Fans, die begeistert waren, auf BVB-Fans zu treffen. Spontane Smalltalks mit Einwanderern aus den verschiedensten Ländern: Der Marokkaner im Kiosk, der Türke in de Eisdiele, der Tunesier auf dem Zebrastreifen – das BVB-Trikot als Gesprächseröffner hat immer funktioniert. Beim Laufen am Hudson River suchte ich nach einer vertrauenswürdigen Person, der ich mein Handy zwecks Foto anvertrauen konnte – und fand einen Typen mit BVB-Käppi. Vertrauenswürdiger geht’s ja kaum. Auch hier Smalltalk. Er ist New Yorker und über eine Promo-Tour und ein Futsal-Turnier mit Borussia in Kontakt zu kommen. Ein paar Kurven später rannte mir ein Kerl im BVB-Trikot entgegen: ein aus Dortmund stammender, in New York lebender Israeli.

Abseits vom Sport sind es solche Begegnungen, die für mich Fußball ausmachen. Borussia verbindet, Fußball verbindet. Gerade in Zeiten wie diesen, sollten wir uns über jede Gelegenheit freuen, mit Fans aus aller Welt unsere gemeinsame Leidenschaft zu feiern.

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