Rüstungshersteller Rheinmetall sponsort Borussia Dortmund Echte Liebe tötet nicht
Wenige Tage vor dem wichtigsten Spiel der letzten 10 Jahre sickerte die Nachricht zuerst “zufällig” durch, ehe der BVB es dann auch offiziell verkündete: Der Rüstungskonzern – deutsch: Waffen- und Munitionshersteller – Rheinmetall, 1889 vom Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein gegründet, wurde schon im Mai neuer Champion Partner des BVB und zahlt für die Nutzung von Werbeflächen, Vermarktungsrechten und Hospitality-Angeboten im Westfalenstadion in den kommenden drei Jahren einen hohen siebenstelligen Betrag pro Jahr an Borussia.
Vor meiner Bewertung dieses Engagements möchte ich zwei Dinge unmissverständlich klarstellen:
- Die weltpolitische Lage und Realität sieht so aus, dass autokratische Regime mit imperialistischen Absichten den Frieden, den wir im Europa der letzten Jahrzehnte erleben durften, durch subversive Taktiken und plumpe Waffengewalt bedrohen. Kriegerische Auseinandersetzungen sind nicht mehr nur weit entfernte Meldungen aus der Tagesschau, sondern betreffen konkret unsere Geschäftspartner, Verbündete, Freunde oder sogar Angehörige – spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Im Zweifel betreffen diese Auseinandersetzungen früher oder später auch uns selbst. Dieser Bedrohung werden westliche Gesellschaften nicht allein durch Verhandlungen, Embargos und Sanktionen begegnen können; bewaffneter Widerstand ist leider notwendig, um bewaffneten Aggressoren Einhalt zu gebieten.
- Ich möchte nicht missverstanden werden, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben. Ein Großteil der Arbeit, die wir hier bei schwatzgelb.de betreiben, ist – abseits der Sportberichterstattung – (fan)politisch motiviert. Sei es unser Engagement für bezahlbare Ticketpreise im Rahmen von “Kein Zwanni”, unser Mitwirken an den Protesten gegen den Investoreneinstieg in die DFL, unsere Kooperationen mit der Obdachlosenzeitschrift bodo, Spendensammlungen für die well:fair foundation oder unsere integrativen Aktionen im Rahmen von flutlicht Dortmund. Das alles sind selbstverständlich politische Aktionen, die schon immer Teil von Fußball und Sport waren. Auch Borussia Dortmund ist zum Glück im Rahmen von Antidiskriminierungs- und Antirassismusprojekten in diesem Bereich vorbildlich unterwegs. Das Streben nach und der Einsatz für eine für alle Menschen lebenswerte und inklusive Gesellschaft ist neben der körperlichen Ertüchtigung und Unterhaltung der Zuschauer ein Hauptziel von Sport und des BVB. Borussia verbindet.
Was Rheinmetall herstellt
Am Tag der offiziellen Verkündung des Sponsorings von Rheinmetall gab es kontroverse Diskussionen um den Deal. Inzwischen hat auch das Bündnis Südtribüne Dortmund, unterstützt von etwa 90 Fanclubs und -Gruppierungen, eine entsprechende Stellungnahme abgegeben. Teil dieser Diskussionen waren häufig auch äußerst schiefe Vergleiche mit anderen Sponsoren des BVB der letzten Jahre und Jahrzehnte. Manche BVB-Fans befanden zum Beispiel, dass Borussia dann ja auch aufhören müsse, Brauereien als Partner zu haben – schließlich töte Alkohol ebenso. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen: stimmt. Mein Vater ist letztes Jahr dem Alkoholismus erlegen.
Trotzdem ist das in der Form natürlich Quatsch und blanker whataboutism. Selbstverständlich gibt es neben Rheinmetall weitere Sponsoren des BVB, deren Handlungsfelder durchaus kritisch zu betrachten sind. Ich persönlich wäre die letzte Person, die sich dagegen wehren würde, wenn Borussia Dortmund in Zukunft darauf verzichten würde, mit Anbietern von Sportwetten zu kooperieren - oder, wie kürzlich bekannt gegeben wurde, mit einem Online-Glückspielanbieter. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen Glücksspiel und Genussmitteln auf der einen Seite und Tötungsgerät auf der anderen Seite gibt. Während Bier in erster Linie ein Lebensmittel ist, das nur bei unsachgemäßem und überzogenem Konsum zu gesundheitlichen Folgen führt, produziert Rheinmetall hauptsächlich Geräte, deren erste und einzige Aufgabe es ist, Menschen zu töten oder zumindest zu verwunden. Dass dafür im Umfeld eines Vereins geworben werden soll, der sich nicht nur nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine oder dem Terrorangriff der Hamas auf Israel mit den Opfern solidarisiert und gegen den Krieg ausgesprochen hat, sondern bereits seit Jahren großartige Aufklärungsarbeit zu den Folgen und Gräueltaten des Nationalsozialismus hierzulande betreibt, passt einfach nicht zusammen. Es war, zumindest meinem Verständnis nach, immer das Bestreben des BVB, Menschen zu verbinden und in Frieden zusammen zu bringen – nicht jedoch deren Tötung durch Gerätschaften eines Champion Partners auch noch zu bewerben.
Die Rolle von Rheinmetall im zweiten Weltkrieg
Klickt man sich auf der Rheinmetall-Webseite durch die Unternehmenshistorie, findet man zur Zeit des Nationalsozialismus entweder Einträge, die sehr kurz gehalten sind oder solche, die mindestens ein ganz großes Stirnrunzeln auslösen. In der Chronik wird in wenigen Sätzen festgehalten, dass der Unternehmenssitz von Düsseldorf in die Reichshauptstadt Berlin verlegt wurde, dass Zwangsarbeiter zum Einsatz kamen und Produktionsstätten durch Luftangriffe der Alliierten zerstört wurden und verlegt werden mussten. In den “Geschichten aus 125 Jahren Rheinmetall” wird sich süffisant darüber amüsiert bis aufgeregt, dass die deutsche Bürokratie die Waffenfertigung für den erhofften Endsieg ausgebremst habe; es wird freudig über an Ketten schwebenden Panzerfahrzeugen mit dem süßen Namen “Maus” sinniert und zwischendrin vollkommen unkritisch und ohne Einordnung aus Briefen eines Zwangsarbeiters zitiert. Dabei sind die Fakten deutlich grausamer, als es die Unternehmenswebseite darstellt: Die seinerzeit zu großen Teilen in Staatsbesitz befindliche Rheinmetall-Borsig AG war der wohl größte Produzent schweren Kriegsgeräts der Wehrmacht – auf Kosten vieler tausender Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener. Allein aus dem Werk im niedersächsischen Unterlüß wurden bei Kriegsende rund 5.000 Zwangsarbeiter befreit.
Viele deutsche Traditionsunternehmen waren in den Aufbau und die Durchführung des zweiten Weltkriegs involviert. Rheinmetall war jedoch nicht nur nebensächlicher Teilnehmer, sondern elementarer Akteur im nationalsozialistischen Deutschland. Wie eine solche Rolle und vor allem eine derart naive und vollkommen unkritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit zu einem Verein wie Borussia Dortmund passen soll, der z.B. regelmäßig Fahrten in verschiedene Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager organisiert und durchführt, kann ich an dieser Stelle einfach nicht verstehen.
Rheinmetall und die Rüstungsexporte
Wer den Film “Lord of War” kennt, weiß, dass nicht nur in einer Hollywood-Darstellung Waffenhändler und -hersteller nicht an friedlichen Zeiten interessiert sind und meist sogar an beiden Seiten eines Konflikts verdienen. Den Vorwurf möchte ich Rheinmetall an dieser Stelle nicht machen, aber dennoch liegt Frieden nicht im Sinne der Düsseldorfer. Grundsätzlich gilt bei deutschen Rüstungsunternehmen, dass sämtliche Waffenexporte durch die Bundesregierung genehmigt werden müssen. Das hat im abgelaufenen Jahr auch ziemlich gut funktioniert: 2023 war der Wert deutscher Rüstungsexporte mit 11,71 Milliarden Euro so hoch wie noch nie. Der größte Teil davon ging an die Ukraine, die sich gegen den russischen Angriff verteidigt. Insgesamt wurden fast 90 % der genehmigten deutschen Rüstungsexporte an NATO-Staaten und wie NATO-Staaten zu behandelnde Verbündete getätigt. Es gingen aber auch Waffen an Länder aus dem arabischen Raum, bei denen die Menschenrechtslage fragwürdig ist und die sich z.B. an der international scharf kritisierten Militäroperation im Jemen beteiligen. Das ist jedoch noch nicht der Kern des Problems: Zusammen mit seinen deutschen Werken unterhält Rheinmetall allein und durch diverse Joint-Ventures insgesamt 129 Standorte und Produktionsstätten in 33 Staaten – die eben nicht alle der Kontrolle der deutschen Bundesregierung unterliegen. Ob und an welche Drittstaaten, Autokraten und Despoten diese jeweiligen Tochtergesellschaften Waffen verkaufen, ist bewusst schwer nachzuvollziehen. So hat Rheinmetall beispielsweise gegen ein von der Bundesregierung verhängtes Exportverbot von Waffen nach Russland in Folge der Annexion der Krim im Jahre 2014 geklagt, das entsprechende Gefechtsübungszentrum wurde daraufhin von einem russischen Rheinmetall-Partnerunternehmen fertiggestellt – und spielte bei der Vorbereitung für den Überfall auf die Ukraine eine nicht unwichtige Rolle.
Was das Sponsoring bewirken soll
Wie ich eingangs bereits formuliert habe, bin ich durchaus bereit, die Notwendigkeit einer gesunden Rüstungsindustrie hierzulande zu akzeptieren. Wir werden bewaffnete Aggressoren nicht ohne eigene Waffen aufhalten können und müssen z.B. auch die Ukraine durch entsprechende Lieferungen unterstützen. Rheinmetall erhofft sich durch das Sponsoring beim BVB natürlich Wahrnehmung, Reichweite und einen Image-Übertrag des Vereins, der dank seines jüngsten Ritts durch die Champions League große internationale Aufmerksamkeit erfährt und vor wenigen Jahren noch mit der “echten Liebe” seiner eigenen Anhänger geworben hat. Das soll, ähnlich wie beim reinen B2B-Konzern Evonik, dazu führen, dass Rheinmetall als Name geläufiger wird, mit positiven Emotionen verbunden wird und vielleicht sogar als attraktiver Arbeitgeber ins Auge fällt – schließlich eröffnen die Düsseldorfer zeitnah ein neues Werk in Weeze und planen, die Belegschaft um mehr als 10 % zu vergrößern. Auf gut deutsch: Rheinmetall beabsichtigt mit Hilfe unserer Borussia vor dem Hintergrund der gerade aufgezeigten Kritikpunkte genau das Sportswashing, was wir alle bei Vereinen und Staaten wie Manchester City, Paris Saint-Germain, Saudi-Arabien oder Katar durch die Bank hinweg verurteilen. Ein Geschäftsmodell, das auf Herstellung und Verkauf von Tötungsgerät basiert, soll durch das tolle Ansehen des BVB reingewaschen werden.
Borussia Dortmund verkauft seinen Teil des Sponsorings als Beitrag zur Wehrfähigkeit Deutschlands. Das ist natürlich nur ein perfider Spin, um ein lukratives Sponsoring im Nachgang als das Übernehmen gesellschaftlicher Verantwortung zu framen. Aber selbst wenn wir diese Worte einmal für bare Münze nehmen: Was hat die Wehrfähigkeit Deutschlands mit Borussia Dortmund zu tun? Versteht mich nicht falsch: Sport und Politik lassen sich nicht trennen, das habe ich eingangs hoffentlich unmissverständlich klar gemacht. Aber wieso soll ein ziviler Sportverein jetzt Aufgaben übernehmen, die originär in der Politik liegen? Ist es wirklich Aufgabe eines Sportvereins, der sich vor nicht mal zwei Jahren einen weltoffenen, verbindenden und Gewalt ablehnenden Grundwertekodex verliehen hat, Werbung für einen konkreten Hersteller von Tötungsgerät zu machen? Natürlich nicht. Dass man ein solches Sponsoring unter Berücksichtigung eigener Überzeugungen nicht zwingend annehmen muss, hat ausgerechnet die andere Borussia vom Niederrhein unter Beweis gestellt.
Befürworter des Deals werden mir nun eine "Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“-Haltung unterstellen. Diese basiert aber auf einer Kausalität, die es gar nicht gibt: Wer anerkennt, dass sich demokratische Gesellschaften auch unter Zuhilfenahme von Waffen verteidigen müssen und sich solidarisch mit der Ukraine erklärt, der müsse denklogisch auch das Sponsoring von Rheinmetall bei Borussia Dortmund begrüßen. Dieser Zusammenhang ist einfach nicht gegeben. Selbstverständlich ist es möglich, die Bewaffnung der Ukraine zum Widerstand gegen den Aggressor Russland zu befürworten und gleichzeitig das Sponsoring von Rheinmetall beim BVB aufgrund der vorgenannten Punkte zu kritisieren. Denn weder ist Rheinmetall für die Herstellung und Lieferung von Waffen an die Ukraine auf dieses Sponsoring angewiesen, wie die Höhe der Waffenexporte und die Unternehmensgewinne in den letzten Jahren beweisen, noch ist es Aufgabe von Borussia Dortmund, das Ansehen eines Waffenherstellers reinzuwaschen.
Stattdessen könnte Borussia Dortmund weiterhin gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, indem durch entsprechende Aufklärungsarbeit darauf hingewirkt wird, dass diese “neue Normalität” als notwendig wahrgenommen und akzeptiert wird. Borussia Dortmund könnte dafür sensibilisieren, dass unsere Demokratie nicht nur international sondern auch hierzulande durch Parteien der Extreme bedroht wird und z.B. klare Wahlaufrufe formulieren, wie es Kylian Mbappé im Rahmen der Europameisterschaft tat. Borussia Dortmund könnte weiterhin Benefizaktionen und Spendensammlungen für Opfer von Kriegen und Vertreibung organisieren. Ob aber Bandenwerbung für einen Rüstungskonzern wirklich bei der Stärkung der Demokratie hilft? Ich persönlich halte das nicht für den richtigen Weg und würde mir wünschen, dass sich mein BVB in diesem Fall nicht vor den Karren der Politik spannen ließe, sondern weiter daran arbeiten würde, dass die Gesellschaft hierzulande offener und vereinender wird – nicht tödlicher.
Die Werte von Borussia Dortmund und Rheinmetall: Das passt einfach nicht zusammen.