Geburtstag des Westfalenstadions 50 Jahre Tempel der Glückseligkeit
Was ist das für ein Ort, den man in einem Jahr fast 20 mal besucht, ohne auch nur eine der anwesenden Personen persönlich zu kennen – nur um dann herauszufinden, dass der Kerl neben einem den gleichen Vornamen wie man selbst trägt? Was ist das für ein Ort, an dem man anfangs wildfremde Menschen durch unregelmäßige Treffen so gut kennenlernt, dass sie ein bisschen später die besten Freunde sind, die man sich denken kann? Was ist das für ein Ort, an dem aus hoffen, träumen und bangen innerhalb weniger Augenblicke entweder Tränen, Trauer und Tragödie werden – oder pure Extase und die glücklichsten Momente, die manche Menschen erlebt haben werden?
Beschreibt man all diese Erlebnisse und Gefühle, würden nicht besonders viele Menschen auf der Straße an einen riesigen Block aus Beton, Stahl und Kunststoffsitzen denken. Beschreibt man die Effekte, die dieses Gebäude hat, würde man sich fantastische und surreale Bauwerke ausdenken, statt eines mehrfach modernisierten Palettenbau-Klotzes. Beschreibt man, was dieser Ort bedeutet – Menschen sähen antike Tempel oder andere Weltwunder vor ihrem inneren Auge.
Und doch sind es keine kunstvoll gearbeiteten Säulen aus altertümlicher Vorzeit, keine handgeschlagenen Statuen bedeutender Philosophen und keine Wandmalereien mit nicht zu entziffernden Hieroglyphen, die diesen Ort so besonders machen; diesen Ort, der aus nichts weiter besteht als zu Geländern gebogenem Stahl, Betonstufen voller Vogelkot und einem Rasen, der ohne künstliches Sonnenlicht im Schatten der steilen Ränge regelmäßig sterben würde.
Es sind die Emotionen, die wir dort erleben, die das Westfalenstadion zum Leben erwecken. Es sind die Geschichten, die wir weitergeben, die das Westfalenstadion zum Pilgerort machen. Es sind die Menschen, die Rasen und Tribünen füllen, die das Westfalenstadion zu ihrem Zuhause machen. Seit 50 Jahren.
Nie werde ich vergessen, wie Henrique Ewerthon vor etwas mehr als 20 Jahren bei meinem ersten Stadionbesuch den Ball ins lange Eck schlenzte. Nie werde ich vergessen, wie ich nach dem 0:2 gegen den VfB im Jahr 2005 dachte, es wäre mein letzter Besuch im Westfalenstadion gewesen. Nie werde ich vergessen, wie Ebi Smolarek nach dem 2:0 in der Mutter aller Derbys auf den Zaun sprang. Nie werde ich vergessen, wie ich vor dem – ausgefallenen – Saisoneröffnungsspiel gegen Juventus meine Socken ausgewrungen habe. Nie werde ich vergessen, wie das Nuscheln und Rauschen immer lauter wurde, ehe Nobby kaum zu halten “Eins zu null für Köln!” in sein Mikro brüllte. Nie werde ich vergessen, wie Horden von Menschen gegen Malaga durch die Drehkreuze zurück ins Stadion stürmten. Nie werde ich vergessen, wie wir nach Arnes Beerdigung auf der leeren Südtribüne saßen. Nie werde ich vergessen, wie bedrückt und ungewiss die Situation nach dem Bombenanschlag auf die Mannschaft war. Nie werde ich vergessen, was für ein Kribbeln letzten Mai in der ganzen Stadt herrschte – und wie leer wir alle waren.
Nie werde ich die unzähligen Torjubel vergessen, die (fremden) Arme, in denen ich immer wieder lag, die blauen Flecken und den abgestorbenen Zehennagel, die Klamotten voller Bier und Taubendreck, das Gemecker, das Geschnacke, das Lachen und das Glitzern in den Augen meiner sichtlich nervösen Neffen, als sie zum ersten Mal da waren.
All das durfte ich erleben. Und ich hoffe, es wird noch so viel mehr.
Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein liebstes Westfalenstadion! Auf die nächsten 50 Jahre.