Erste Runde Krankenschein, Halbfinale Paris – dann Wembley?
In einem Spiel für die Geschichtsbücher schlägt Borussia Dortmund im Viertelfinale der Champions League Atlético Madrid mit 4:2 und beschert allen Fans eines der unvergesslichsten Spiele überhaupt.
Wir haben es alle gehofft und es sollte tatsächlich eine dieser magischen Nächte im Westfalenstadion werden. Mannschaft und Stadion sind an diesem Abend zu einer Einheit verschmolzen und haben gemeinsam Vereinsgeschichte geschrieben. Borussia Dortmund ist zum vierten Mal ins Halbfinale der Champions League eingezogen. Beim tippen dieser ersten Buchstaben des Textes überkommt mich schon wieder die Gänsehaut am Oberkörper und ich erinnere mich an die vier Torjubel im Block zurück. Einer erlösender als der andere. Vier Momente dieser grenzenlosen Glückseligkeit hat Borussia uns an diesem Abend geschenkt und die jubelnden Gesichter meiner besten Freunde werde ich nie wieder vergessen.
Fanmarsch durchs eigene Stadion als Anheizer
Dass das Spiel gegen Atletico keines wie jedes anderes ist, hat die Fanszene weit vor Anpfiff deutlich gezeigt. Geschlossen ging es gegen 19:15 Uhr vom Materialeingang an der Nordtribüne über die Ost in Richtung Süd. Ein Fanmarsch durchs eigene Stadion mit den aktuellen Gassenhauern der Fangesänge. Ein gebührender Einstand für dieses große Spiel und sicherlich das letzte bisschen Extra-Motivation für viele Fans, um die letzten 2-3% rauszukitzeln. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt.
Entfesselter BVB
Alles war also angerichtet für einen einzigartigen Europapokal-Abend im Westfalenstadion. Nachdem es mit einem Sieg im Jubiläums-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart leider nicht geklappt hat, sollte nun also das verspätete Geburtstagsgeschenk für das Westfalenstadion folgen. Angestachelt durch den Glauben an sich selbst und getragen von den Fans auf den Tribünen startete Schwarz-Gelb furios ins Spiel. Nach knapp vier Minuten hätte Marcel Sabitzer das Hinspielergebnis schon egalisieren können, allerdings warf sich der Routinier César Azpilicueta noch in letzter Sekunde in den Schuss. Keine zwei Minuten später verpasste Alvaro Morata dann auf der anderen Seite nach einem Konter ganz knapp das frühe 1:0 für die Gäste. Ein kurzes „Hallo-Wach“ für Schwarz-Gelb, für die Spieler wie auch für die Tribünen. Heute geht es nur gemeinsam.
Dominanter BVB lässt den Gästen keine Chance
Bis auf diese Unsicherheit hatte der BVB das Spiel im ersten Durchgang total im Griff und wurde immer mutiger. Stück für Stück arbeitete sich die Mannschaft von Edin Terzic weiter vor und belohnte sich schließlich in der 34. Minute durch Julian Brandt für diesen couragierten Auftritt mit dem 1:0. Dem Tor war ein sehenswerter Außenrist-Pass von Mats Hummels vorangegangen, den wohl auch nur er so spielen kann. Das war schon ganz, ganz großes Kino. Nur fünf Minuten später sollten dann alle Dämme brechen, als Ian Maatsen per Flachschuss ins lange Eck die absolut verdiente 2:0-Pausenführung erzielte. Wahnsinn!
Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich schon im Halbfinale in Barcelona gesehen, stand es im Parallelspiel noch 1:1. Ein paar meiner Freunde und ich hatten frohen Mutes nach der 2:1-Niederlage in Madrid Hin- und Rückflug für ein potenzielles Halbfinale in Barcelona gebucht. Wir haben nach der starken zweiten Hälfte in Madrid an das Weiterkommen geglaubt und mit 30 Euro hatte sich das finanzielle Risiko für die Flüge in Grenzen gehalten. Dass der BVB uns im Rückspiel aber mit SO einer Partie beglücken würde, hat selbst uns umgehauen. Barcelona oder Paris, hauptsache London!
Die in dieser Saison üblichen 15 schwachen Minuten
Leider hat die Mannschaft es aber auch in so einer enorm wichtigen Partie nicht geschafft, konstant über 90 Minuten konzentriert und stabil zu spielen. Die Gäste wechselten zur Pause gleich drei Mal und haben Schwarz-Gelb mit der taktischen Umstellung etwas auf dem falschen Fuß erwischt. Erst netzte Hummels unglücklich per Eigentor ein (2:1, 49’), eine Viertelstunde später stellte dann Correa nach einem komischen Ping-Pong-Tor auf 2:2 (69’). In den letzten Wochen hätte sich die Mannschaft dadurch vermutlich enorm verunsichern lassen. Nicht so an diesem Abend. Angetrieben von einem bärenstarken Marcel Sabitzer brachte der BVB das Spiel wieder zunehmend unter Kontrolle.
Auf der Tribüne haben wir uns zwischendurch ungläubig angeschaut, weil Sabitzer einfach überall auf dem Platz zu finden war. Einen Doppel- oder sogar Dreifachgänger konnten wir aber nirgendwo ausmachen. So war es schließlich der echte Sabitzer, der das Westfalenstadion wieder vom Halbfinale träumen ließ. Auf der linken Seite lief sich der Österreicher frei, bekam den Ball und hob in die Mitte auf den ersten Pfosten. Perfekt auf den Kopf von Niclas Füllkrug, der den Ball über den Innenpfosten am langen Eck ins Tor bugsierte - 3:2 (71’)!
Drei Minuten später explodierte das Stadion dann komplett: Nach einem langen Ball von Schlotterbeck verpasste Füllkrüg nach Vorlage von Brandt noch den eigenen Doppelpack, doch im Hintergrund lauerte Sabitzer, der aus der Drehung per Linksschuß den zweiten Ball eiskalt verwertete (74’). Damals gegen Malaga, heute gegen Madrid: Der BVB schießt gegen eine spanische Mannschaft binnen drei Minuten zwei Tore und sichert sich so den Einzug in die nächste Runde. Die Gäste hatten dem bis unter die Haarspitzen motiviertem BVB im Nachgang nichts mehr entgegenzusetzen. Füllkrug (81’), Bynoe-Gittens und Sabitzers (87’) hätten sogar vorzeitig noch alles klarmachen können.
Road to Wembley
So einige Spatzen haben es schon nach der Viertelfinalauslosung von den Dächern gezwitschert. Stellenweise als Witz, stellenweise todernst: Der BVB wird dieses Jahr ins Champions-League-Finale von London einziehen. An den Ort, wo 2013 unzählige schwarz-gelbe Fußballherzen gebrochen sind. Dieses Szenario wird immer realistischer. Zwei Spiele trennen uns noch vom Finale am 1. Juni. Und wieso sollte diese Mannschaft nicht auch Paris aus dem Wettbewerb werfen können? Ich halte es mit den Worten von Julian Brandt nach dem Spiel: "Wir sind jetzt im Halbfinale und ich glaube, das macht jetzt keinen Sinn mehr, da dann noch zu verlieren."