Der BVB zwischen Mainz und Wembley Tatsächlich Liebe
Gastautor Stefan über die stürmischen Gefühlswelten eines Fußballfans und die komplizierte Beziehungskiste zu seiner Borussia.
Vor knapp einem Jahr war alles schlimm. Der Schmerz, die Enttäuschung und die Wut: Alles so nie dagewesene oder zumindest sehr erfolgreich verdrängt. Ich habe da wirklich länger dran geknappst als ich es für möglich gehalten habe. Und ich hatte das Gefühl, dass da wirklich etwas kaputt gegangen ist zwischen mir und dem BVB. Ist das noch Liebe? Bin ich zu erwachsen für all das?
Erstmal muss ich hier einen Disclaimer anbringen: Die Idee zu diesem Text hatte ich VOR dem Rückspiel gegen Paris. Sie kam mir nach dem Laufen unter der Dusche. Und wie das so ist, wenn man gerade keinen Zettel hat, rinnt so manche Idee zusammen mit dem Schaum den Abfluss runter. Und dann bringt Spiegel Online einen Text mit genau der Überschrift…
Zum Glück dusche ich regelmäßig, und so ploppte die Idee, dieses Liebes-Dings nochmal aufzuschreiben, wieder auf und blieb. Es soll gehen um: Wut, knallende Türen, Versöhnung, Enttäuschung, Hoffnung und all die großen Gefühle, die es nur im Fußball und in der Liebe gibt. Und die Frage, ob man irgendwann zu erwachsen für den Krempel ist.
Damals, vor knapp einem Jahr, schrieb ich auf meinem Blog einen Text über den BVB und die „fatale Scheißegalheit“. Es ging darum, dass ich es aus emotionaler, leistungssportlicher und erzieherischer Sicht furchtbar fand, wie die Mannschaft direkt nach ihrem Versagen am letzten Spieltag aufgebaut/getröstet/gefeiert wurde. Mir ging das damals zu schnell. Ich weiß, an so einem letzten Spieltag hat man wenig Zeit, alle Stadien der Wut bis hin zur Vergebung ausgiebig zu durchleben, aber zehn, fünfzehn Minuten waren mir echt zu kurz. Und ich weigere mich auch, an erwachsene Profis die gleichen pädagogischen Maßstäbe anzulegen wie an Zwölfjährige. Erschwerend oder so kam damals noch hinzu, dass ich mich sehr intensiv mit dem Marathonläufer Hendrik Pfeiffer, seiner Motivation und Mentalität beschäftigt hatte und zwischen ihm und unseren Profis doch ein gewisses Mentalitätsgefälle erkannt zu haben glaubte.
Und dann kam die neue Saison. Die Enttäuschung steckte immer noch in mir. Ich hätte selber nicht geglaubt, dass ich so nachtragend sein könnte. Und die Mannschaft machte es einem ja auch nicht immer leicht, wieder unbeschwert ins Stadion zu gehen oder sich gar auf Spiele zu freuen. Nein, um auf die Überschrift und ihren Sinn zurück zu kommen: Da war einiges an Beziehungsarbeit zu leisten, um die Liebe, die ja zweifellos noch da war und ist, wieder anzufachen. Und das mit dem Erwachsensein? Ich habe meine Kinder beneidet, die phasenweise lieber ins Stadion gegangen sind als ich. Manchmal gefällt man sich ja auch sehr in seinem zur Schau gestellten Gram, auch wenn das eher kindisch als erwachsen ist. Es fühlt sich aber gut an.
Das mit der Beziehungsarbeit ging mal besser, mal schlechter. Ihren Tiefpunkt erreichte sie beim Heimspiel gegen Bayern, als ich nach elf Minuten die Tür zugeknallt und die Wohnung verlassen habe. Nur dass die Wohnung das Stadion war. „Wenn euch alles egal ist, seid ihr mir jetzt auch egal!“, brüllte ich der Mannschaft in Gedanken entgegen. Und in dem Moment, in dem du laut schreist und betonst, wie egal dir etwas ist, gibst du doch eigentlich zu, dass es dir alles ist, aber nicht egal. Die Egalheit hielt dann auch nur zwei Wochen oder so.
Ich finde ja, es darf auch mal stürmisch zugehen. Wo Liebe ist, ist die Wut nie weit, weil es dir halt so verdammt wichtig ist. Da fliegen Teller, da knallen Türen. Wichtig ist die Basis. Ich weiß, dass viele insgeheim so denken und fühlen, es aber nicht unbedingt sagen. Weil man als Fan ja immer treu sein und alles mittragen muss. Genau das finde ich eben nicht. Als Fan hast du nur leider sehr eingeschränkte Möglichkeiten, um deinem Unmut auf differenzierte Art Ausdruck zu verleihen. Und wenn man dann auch noch weiß, dass die Truppe zu so viel mehr im Stande ist als sie zeigt… Argh!
Sie kann es doch, und wir haben es doch immer gewusst, oder nicht? Ich bin doch nicht wütend, wenn ich weiß, dass da lauter Graupen auf dem Platz stehen. Ich bin wütend, wenn Super-Talente und Super-Altsäcke (sorry, Mats) wie Graupen spielen. Enttäuschung, Wut, Verzweiflung… die dunkle Seite der Fußball-Liebe sind sie. Aber sie gehören nun mal dazu und müssen auch mal raus. Und dann ist da wieder Platz für Hoffnung, Optimismus und Glauben, die ja unterschwellig immer da sind. Es reicht so wenig, um Liebe zu entfachen, Süles Grätsche gegen Mbappé zum Beispiel. Das sind doch Momente, von denen du als Dortmunder noch in Jahrzehnten mit verklärtem Blick sprichst. Die Liebe kann gar nicht so erkaltet sein, als dass sie sich nicht mit ein paar Hautabschürfungen auf ner Arschbacke wiederbeleben ließe.
Ich bin ja nicht gerade für meinen Optimismus bekannt, aber vor dem Rückspiel gegen Atletico und dem Hinspiel gegen PSG sowie während der Partien habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass wir gewinnen. Nach dem Abpfiff des katastrophalen Spiels in Leipzig habe ich gesagt: „Wir gewinnen 2:0 gegen Paris.“ Und wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar beim Rückspiel gegen PSG zwischen meinem zweckpessimistischen „Wir kriegen 4:0 auffen Sack“-Geheule ans Weiterkommen geglaubt.
Andererseits - und das ist auch wieder so’n Liebesding - gestatte ich niemandem, von dem ich nicht weiß, dass ihm dieser schwatzgelbe Haufen nicht mindestens so viel bedeutet wie mir, auch nur ein böses Wort über den BVB, die Spieler oder den Trainer von sich zu geben. Ja, ich habe mich oft, sehr oft über komisches, zielloses Ballgeschiebe und die Suche nach Passwegen zwischen Abwehr und Mittelfeld geärgert. Aber wehe, jemand, dem ich das nicht zugestehe, wagt auch nur den Hauch einer Kritik! Und dann diese Internet-Hater. Leute, geht weg!
Es ist natürlich gestattet, Spielweisen zu kritisieren, Systeme zu hinterfragen oder zu bezweifeln, dass es überhaupt eins gibt, und über alle möglichen Missstände zu meckern. Wenn man denn dabei sachlich bleibt, und ich gestehe Fußballfans einen sehr, sehr weiten Rahmen zu, was die Grenzen der Sachlichkeit angeht. Aber, Alter, wenn du Spieler oder gar den Trainer, der vermutlich - zumindest emotional, und das ist gerade in Dortmund nicht unwichtig - das Beste ist, was uns nach langen Jahren passiert ist, unterirdisch bepöbeln und internetheldenmäßig wortwörtlich die Pest oder Schlimmeres an den Hals wünschst: Halt deine Fresse!
Wenn hier einer über Spieler, Trainer, Systeme, zu wenig Ordnerinnen am Frauen-Einlass, das Catering und das warme Bier meckert, dann bin ich das (okay, vielleicht noch ein paar hundert andere)! Weil es von Herzen kommt. Weil es mir/uns wichtig ist. Weil es tatsächlich Liebe ist!
Und jetzt lasst uns in Wembley diese schon jetzt gekrönte Saison würdig zu Ende feiern. Ich lasse auch mein erwachsenes Ich zu Hause.