Warmlaufen

Auf St. Pauli brennt noch Licht

17.01.2022, 14:19 Uhr von:  Michi
Auf St. Pauli brennt noch Licht

Morgen spielt der BVB im wohl sympatischsten Fleckchen Hamburgs, beim Aufstiegskandidaten St. Pauli. Wie das ganze ausgeht, weiß nur der Pokalgott, der bekanntlich seine eigenen Ideen und Gesetze hat. Unser Vorbericht:

Moin! Es ist arschkalt, grau und verregnet hier oben, in Hamburg St. Pauli. Einen typisch nordischen Tag habe ich mir also heute für meine Tour in Hamburgs authentischstes, buntestes Fleckchen ausgesucht. Na, Prost Mahlzeit. Mit Hamburg und Fußball habe ich bisher immer einen Endlosmarsch vom Hauptbahnhof bis zum Stadion des schon länger nicht mehr in Liga 1 aufgetauchten Bundesliga-Dinos verbunden. Massen an schwarzgelben Fans flossen volltrunken die Straßen hinauf und hinab. „Wann sind wir daaaa?“ „Ich hoffe, bald!“ Die berittene Polizei als Freund und Helfer mit etwa 30 Pferden stets zu Diensten, das war ein Spaß.

Und heute? Heute bin ich allein hier. Jan Delay aber würde sagen „Digga, ich bin nicht allein hier - ich hab' meine Posse bei mir. Und es geht ram pam pam - Alle Lampen an!“ Gut, meine Lampen sind an. Was ich ganz schön gut finde für morgens halb 10 in Deutschland. Aber irgendwie muss ich mir das ganze hier und heute ja schön trinken. Ich begebe mich also auf Erkundungstour, ziehe meinen Schal etwas fester zu, ziehe den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Anschlag und stapfe mehr oder weniger ziellos los.

Schon an der ersten schwach beleuchteten Kneipe stocke ich kurz und plane einen spontanen, unauffälligen Richtungswechsel ein. Das fällt auf. Na, klasse. „HSV?“ fragen mich zwei dunkel gekleidete Männer. Ich schüttle energisch mit dem Kopf. Ob Dortmund jetzt die alles entspannende Antwort sein würde? Eher nicht. Also belasse ich es dabei und gehe weiter, stets bemüht, meinen Puls auf Augenhöhe mit meinem in Windeseile versteckten Schal zu bringen. Typ 1 rümpft die Nase und entspannt sich nur kurz. Nicht ohne noch ein, zwei Mal zurück zu schielen, stapfe ich die enge Gasse in Richtung Reeperbahn hinauf. Dunkel ist’s hier, mittags um halb drei. Die Wände sind allesamt „kuntergrau dunkelbunt“, um Rapper Casper richtig zu zitieren. Ein Graffiti überlappt das andere; dazwischen neongrün beleuchtete, multikulturelle Restaurants. Mein Für-immer-Lieblingsgraffiti wird sein:“ Liebe ist, wenn dir ihr Pups fehlt.“ Wie schön! Und dennoch wirkt diese berühmte, farbenfrohe Meile wie ausgestorben. Wie im Film, als Madame Indominus Rex die halbe Belegschaft zum Frühstück verspeist hat. Das hier ist, was davon übrig geblieben ist. Weit kann es nicht mehr sein bis zum Millerntor-Stadion.

Ein Schlenker nach links und da erscheint es. Das Stadion, die Geschäftsstelle, der Fanshop, alles in einem erstrahlt in braun und weiß vor mir. Graffitis voller Liebe, Homophobenhass und einem Hauch zu viel Politik so weit das Auge reicht. Wobei ich St. Pauli gerade für letzteres doch ein wenig beneide, so klare Kante gibt es heutzutage in kaum einem anderen Stadion mehr.

Das Stadion wird morgen öffnen. Ohne mich. Sanft streiche in an den Wänden entlang. Ja, so muss das Westfalenstadion früher ausgesehen haben. Ich werde sentimental und mache mich auf den Weg zurück ins Viertel, um mir für morgen eine passende Kneipe auszusuchen, in der ich mit Leidensgenossen zusammen trinken und feiern werde. Den Einzug ins sowieso schon geritzte Pokalfinale gegen.. äh, Bochum! Nachdem wir den reizvollen Endgegner aus Leipzig und die Ponys vom Niederrhein bezwungen haben. Die Jungs werden’s schon richten, was sind schon 6 Punkte auf die Bayern und wer ist schon St. Pauli? (Nun ja, hoffentlich bald ein weiterer attraktiver Gegner in dieser schnöden, halbtoten 1. Bundesliga.) 2.000 St. Paulianer dürfen ihre Mannschaft morgen pushen, beneidenswert gegen genau 750 Leute in einem Stadion mit 87.000 Plätzen. Aber morgen wird es ihnen nicht helfen. Morgen wird es scheppern im Hamburger Tor. Jude, Mo, Erling & Co. sind fit, munter und fidel. Ich sehe dunkelschwarz für euch.

Auf in den Pokal, dem einzigen Wettkampf, in dem absolut alles möglich ist und nicht nur einmal Geschichte geschrieben wurde.

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