Ein Held auf Irrwegen
Wir hatten einst den besten Stadionsprecher der Liga. Doch Norbert Dickel scheint schon vor einiger Zeit das Gespür fürs Publikum verloren zu haben.
Nobby Dickel ist eine Institution. Generationen von BVB-Fans sind mit dem Helden von Berlin groß geworden. Vor 30 Jahren, in der Saison 1992/93, stieg er ins Eventmanagement des Vereins ein und beerbte Bruno „Günna“ Knust als Stadionsprecher. Seitdem gab es nur wenige Spieltage, an denen Dickel nicht im Westfalenstadion stand, um die Spieler raus zu rufen.
Sein Fokus lag stets auf dem Spiel
Zu Recht. Denn Nobby erledigte seinen Job stets stilvoll. Im Mittelpunkt des Vorprogramms steht die Mannschaftsaufstellung. Bei einem Tor wird mit „Olé, jetzt kommt der BVB“ traditionelles Liedgut mit Wiedererkennungswert eingespielt. Und über viele Jahre wurden die Torschützen nur einmal ausgerufen. Kein „Danke, bitte!“, kein Schnickschnack. Der Fokus lag immer auf dem Spiel, nicht auf der Belustigung des Publikums. Das war Nobbys große Stärke. Wer mit dem BVB auch auswärts unterwegs war und das Kontrastprogramm aus Mainz oder München kannte, wusste das erst recht zu schätzen.
Doch spätestens als der Kult um Erling Haaland einen besonderen Platz im Rahmenprogramm von Norbert Dickel einnahm, wurde ein Riss zwischen ihm und Teilen der Fans deutlich.
Man muss dazu sagen, dass der Ex-Stürmer seine Pfade schon vor einigen Jahren verlassen hat. Mittlerweile fragt er zum Beispiel vor jedem Spiel die Stimmung auf Nord-, West-, Ost- und Südtribüne ab. Es schadet sicher nicht, neben der Gelben Wand auch den Rest des Stadions fürs Anfeuern in die Verantwortung zu nehmen. Doch fraglich, ob derlei Animationen tatsächlich einen positiven Effekt auf die Stimmung im Spiel haben. Purist*innen können hierauf sicher verzichten.
Irgendwann wurde es willkürlich
Gleiches gilt für das dreimalige Ausrufen mancher Torschützen, welches während der Klopp-Jahre Einzug in Nobbys Repertoire fand. Anfangs machte er das nur bei besonders emotionalen Toren, und traf damit – das muss man anerkennen – den Nerv vieler Fans. Paradebeispiel: Das 3:2 von Felipe Santana gegen Malaga. Manche Spieler nach einem Treffer mehr abzufeiern, ist nicht per se Unfug. Einem Jugendspieler, der in seinem ersten Spiel direkt trifft, einen extra Schub Motivation geben? Warum nicht. Und es entspricht schließlich auch der Gefühlswelt der Fans, dass ein spätes Siegtor im Derby mehr bedeutet als ein 2:0 in einem stinknormalen Bundesligaspiel. Gut, wenn ein Stadionsprecher hierfür ein Gefühl hat.
Doch irgendwann verschwammen diese Grenzen und das dreifache Ausrufen von Spielern nahm Überhand. Regelmäßig fragt man sich seitdem auf der Tribüne, warum Norbert Dickel denn nun zu diesem Stilmittel gegriffen hat. Es wirkt manchmal willkürlich. Andererseits kann man festhalten, dass das Ganze zwar punktuell nervig ist, das Stadionerlebnis aber nur minimal beeinflusst. Wäre es dabei geblieben, man hätte es verkraften können.
Aber mit dem Abfeiern Erling Haalands hat Norbert Dickel eine Grenze überschritten. Das Ganze begann bereits vor der Corona-Pause. Eine bestimmter Auslöser lässt sich nicht mehr ausmachen, vermutlich speiste es sich aus der Euphorie um den Norweger, der in der Winterpause 2019/20 mit viel Vorschusslorbeeren zum BVB gewechselt war und prompt einschlug. Schnell etablierte sich, dass Nobby Haaland-Tore mit einem langgezogenen “Öööörling“ bedachte und das Publikum entsprechend melodisch antwortete.
Die BVB-Fans dürfen sich auch an ihre eigene Nase fassen
Am Anfang war das noch ganz ulkig und das Westfalenstadion machte dankbar mit. Schließlich waren Haaland-Tore keine seltenen Ereignisse. Doch statt irgendwann den Absprung zu finden, begann ein Kult, der sich in den halbleeren Corona-Stadien verselbständigte. Längst musste Haaland keine besonderen Treffer mehr erzielen, um, angefeuert von Nobby Dickel, mit mehrfachen „Öööörling – Haaaaland“-Rufen abgefeiert zu werden.
Rückblickend muss man sich fragen: War das tatsächlich angemessen? Oder irgendwann nur noch ein Abkulten um des Abkultens Willen? Erling Haaland ist unbestritten ein außergewöhnlich talentierter Fußballer und mit seiner markanten Spielweise eine Attraktion, die man so schnell in Dortmund wohl nicht wiedersehen wird. Noch dazu hat er dem Verein mit seiner Torquote in zweieinhalb eher biederen Saisons wichtige Punkte gesichert.
Trotzdem: Um einen von über 20 Kaderspielern derart hervorzuheben, sollte Borussia Dortmund höhere Maßstäbe anlegen. Erst recht, weil Haaland nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er seine Zelte in Dortmund bei nächster Gelegenheit wieder abbrechen wird. Der BVB war für ihn nicht mehr als eine Durchgangsstation. Man hätte seine sportlichen Verdienste auch würdigen können, ohne ihn derart auf ein Podest zu heben. Doch es fehlte an nötigem Fingerspitzengefühl.
Das gilt übrigens nicht nur für Norbert Dickel. Das Dortmunder Publikum darf sich auch an die eigene Nase fassen, denn eine Zeit lang initiierten die Tribünen Wechselgesänge zu Ehren des Norwegers auch ohne Nobbys Zutun. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn während der Pandemie die Ultrasgruppen als Korrektiv im Stadion gewesen wären. Am Ende diente das Ganze weniger dem BVB als der Stärkung der Marke Haaland, die nun in Manchester weiter strahlen wird.
Ein Stadionsprecher sollte das Publikum nicht dressieren
Spätestens als „Team Haaland“ dem BVB Anfang dieses Jahres unlautere Methoden vorwarf, hätte man den Zirkus stoppen müssen. Mehr und mehr BVB-Fans waren vom Verhalten des Stürmers genervt. Mit Ousmane Dembele und Pierre-Emerick Aubameyang hatte der Verein ja ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Norbert Dickel ließ sich davon jedoch nicht beirren – und trieb es sogar noch etwas weiter. Völlig absurd wurde es, als er plötzlich anfing, Haalands Vornamen zwei Mal lang auszurufen, und beim dritten Mal kurz. Als wollte er sich einen Spaß mit den überraschten Fans machen. Um es ganz deutlich zu sagen: Ein Stadionsprecher sollte niemals versuchen, das Publikum zu dressieren.
Interessant war in dieser Hinsicht auch das letzte Spiel gegen Hertha BSC. Da wurde nämlich jemand wie Roman Bürki, der sportlich zwar längst keine Rolle mehr spielte, aber Respekt bei den Fans genießt, mit deutlich mehr Applaus verabschiedet als sein Mannschaftskollege mit der Nummer neun. Hoffentlich ist Nobby der Gedanke gekommen, dass er es bei Haaland übertrieben haben könnte.
Denn eigentlich gäbe es für Borussia Dortmund keinen besseren Stadionsprecher als jemanden mit der Vita Norbert Dickels. Er hat über drei Jahre das schwarz-gelbe Trikot getragen, wurde zum Helden von Berlin, hat sich für den BVB aufgeopfert und ist selbst Fan durch und durch. Bisher gab es nie Zweifel, dass er nicht das Beste für den Verein möchte.
In diesem Sinne wäre es gut, wenn Nobby sich während der Sommerpause wieder auf das besinnen würde, das ihn einst zum besten Stadionsprecher der Liga gemacht hat. Ein Zirkus wie der um Erling Haaland darf sich jedenfalls nicht widerholen.