Ein Leben ohne Fußball
Wie heißt es so schön? Ein Leben ohne Fußball ist möglich, aber sinnlos.
Noch vor zwei Jahren hätte ich angezweifelt, ob es wirklich möglich ist. Viel zu tief war ich drin, viel zu viel hatte ich dafür ertragen, viel zu sehr war der Fußball Teil meines Lebens. Ein Leben ohne Fußball – völlig undenkbar.
Dann kam Corona. Was schon lange tief (und manchmal noch nicht mal mehr so tief) in mir drin schwelte, kam an die Oberfläche: all die Übelkeit beim Gedanken an das, was aus dem Fußball – vor allem international – geworden ist. Während ich den Verein noch lange verteidigt habe (und auch heute noch nicht für den Inbegriff des Bösen halte), kann ich dem Fußball schon lange nichts mehr abgewinnen. Von DFL und DFB über UEFA bis zur FIFA wird es mit jeder Stufe noch etwas unerträglicher. Die Liebe zum Verein hielt mich am Leben und bei der Stange, wobei man doch auch immer öfter zwischen einem und zwei Augen zudrücken musste, um dem BVB die Stange halten zu können. Aber es war eben mein Leben und das heißt nunmal: in guten, wie in schlechten Zeiten. Alles abgesehen vom BVB und vielleicht noch ein paar unterklassigen Ligen, war schon lange unerträglich geworden.
Aber ohne Fans, ohne Freunde, ohne die Sucht einer vollen Südtribüne oder eines überschäumenden Auswärtsblocks, wurde der Fußball so sichtbar. Ich zitiere einen ehemaligen blauen Nachbarn: „Wenn der Schnee geschmolzen ist, dann sieht man, wo die Scheiße liegt." Der VAR wurde so überdeutlich, die Abgehobenheit der Branche presste sich Spieltag für Spieltag ins Gesicht des Fernsehzuschauers, der außer Fernsehen fast gar nichts konnte, während die Kicker irgendwo doch noch immer einen Friseur fanden. Das Echo des Balles, der vom Fuß abprallte (beim einen etwas weiter, als beim anderen) und in den leeren Betonschüsseln nur vom Geschreie von der Trainerbank unterbrochen wurde, machte das Leben noch viel trostloser. Ich konnte gar nicht mehr hinschauen, es machte mich depressiv. Also habe ich auch nicht mehr geschaut.
Und dann wurde das Wetter schöner, man konnte selber auch wieder was und so langsam entwickelten sich neue Rituale. Neue Dinge, auf die man sich freuen konnte, Nachbarn wurden zu Freunden, auch weil man ja sonst niemanden sah. Freunde ohne Fußball bekamen mehr Platz im Leben und irgendwann, als nach zwei Jahren ohne Fußball im Stadion (und mit nur ganz wenig vor dem Fernseher), die Mitteilung kam, dass ab April die Dauerkarten wieder freigeschaltet werden würden, wurde es mir bewusst: Die Frage war nicht mehr, ob ein Leben ohne Fußball wirklich möglich war. Die Frage war, ob ein Leben ohne Fußball wirklich sinnlos ist.
Die Vorstellung von vor zwei Jahren, wie es sein würde, das erste Mal wieder ins Stadion zu gehen, wie alles explodieren und das Leben wie ein Feuerwerk zurückkehren würde, ist nicht mehr so allumfassend und überwältigend, sondern macht mir mittlerweile eher Angst. Wobei es noch immer vor allem die Angst ist, dass es den Vorstellungen nicht entsprechen wird und die Erwartungen gar nicht erfüllen kann, weil diese viel zu hoch sind. Dennoch habe ich mir versprochen, dass ich bei diesem Spiel dabei sein würde. Das bin ich meinem Ich von 2020 schuldig, das sich nichts sehnlicher herbeigewünscht hatte, als diesen Tag. Ich werde alle Heimspiele für den Rest der Saison besuchen (sofern das möglich ist), wie ich es seit 2005 eigentlich immer tat.
Nach der Saison werde ich ein Fazit ziehen können: entweder das Fieber kehrt im Stadion auf der vollen Süd beim ersten emotional rausgeschrieenen Gesang so schnell zurück, wie es irgendwann 2021 verschwunden ist, oder es ist wirklich für immer weg. Meine Erkenntnis ist, dass es für mich in beiden Situationen gut wäre. Ein Leben ohne Fußball, soviel haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt, ist nicht sinnlos. Ob es möglich ist, werden die nächsten Wochen zeigen.