Datt kannse dir nich ausdenken
Nach einem "Zwei-Tore-Rückstand" holt der BVB in der Nachspielzeit noch einen Punkt gegen die Bayern. Inklusive einem der geilsten und emotionalsten Torjubel im Stadion.
Samstagabend, 18:30 Uhr, Flutlichspiel! Eigentlich fangen so die besten Fußballgeschichten an, doch leider hieß der Gegner dies mal FC Bayern München…
Ich gehöre ja an sich zu der eher optimistischeren Sorte der Fußballfans. Ich glaube immer an einen Sieg. Irgendwie kriegt man die Pille schon in den Kasten. Irgendwer steht schon zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Doch gegen die Bayern schrumpft mein Optimismus auf die Größe eines Sandkorns. 10 der letzten 11 Spiele haben die Bau…Tschuldigung Bayern für sich entscheiden können. Der einzige Lichtblick: Der 3:2 Sieg vom 10. November 2018, bei dem Reus und Alcacer das Spiel nach einem 0:2 Rückstand noch drehen. Das war geil. Das war auch Samstagabend, 18:30 Uhr, Flutlichspiel...
Rein ins Spiel
Die ersten Minuten des gestrigen Spiels waren geprägt von Zweikämpfen. Als Sabitzer bereits nach 90 Sekunden die erste gelbe Karte des Spiels sah war klar, dass dies ein nickeliger und kampfbetonter Abend werden könnte. Beide Mannschaften standen hinten stabil und ließen in der Anfangsphase wenig zu. Ein typisches Box-to-Box Spiel. Dennoch war es ein Schlagabtausch auf höchsten Niveau. Kleiner Funfact: Es war das erste Aufeinandertreffen seit 13 (!!!) Jahren, bei dem KEINER der beiden Vereine auf dem Tabellenplatz eins stand.
Trotz der viele Zweikämpfe und der mangelnden Chancen, war es schon in der ersten halben Stunde ein ansehnliches und intensives Spiel. Den ersten Abschluß des Spiels gab es nach 30 Minuten auf den Kasten der rot-weißen. Raphael Guerreiro zog einfach mal ab, doch der Keeper der Bayern machte seinen Job. Alles roch – neben Bier und Adrenalin – nach einem 0:0 zur Halbzeit. Doch dann kamen auch die Bayern zu ihrem ersten gefährlichen Abschluß und der war leider sofort drin. Nach Vorarbeit von Musiala schob Goretzka das Leder von der Strafraumgrenze ins linke untere Eck. Meyer, der bereits in die andere Ecke unterwegs war und den Ball spät sah, hatte keine Chance. Musste es denn ausgerechnet Goretzka sein?! Drei Minuten später dann die Chance zum Ausgleich. Moukoko erobert den Ball und steckt zielgenau auf Donny Malen durch, der zieht ab und scheitert erneut an Manuel Neuer. Mit diesem 1:0 Rückstand ging es dann auch in die Pause. Ärgerlich, war das Spiel doch über weite Strecken ausgeglichen.
Rassistische Ausfälle
Kurz vor der Pause erwischt Bellingham im Kampf um den Ball Alphonso Davies im Gesicht. Dieser fällt meiner Meinung nach theatralisch zu Boden und wird minutenlang behandelt. Was sich in dieser Zeit um mich herum im Stadion abspielt ist an Niveaulosigkeit nicht mehr zu überbieten. Ich höre Sätze wie „Steh auf, die schwarze Sau, und geh Baumwolle pflücken!“ oder „Lass den Bimbo da vom Platz tragen!“ und noch mehr rassistische Scheiße. Aber das Schlimme an der Sache war, dass ich von den Umstehenden mit großen Augen und teilweise bösen Blicken angeschaut wurde, als ich einem Bekannten sagte er, solle diese rassistische Scheiße bleiben lassen und die Fresse halten. Auch ich lasse meinen Frust der Woche am Wochenende im Stadion raus. Auch ich habe gestern den ein oder anderen Gegner beschimpft – vorallem jene mit einer blauen Vergangenheit, aber Rassismus und jegliche Äußerungen dessen haben in unserem Stadion und allgemein in dieser Welt keinen Platz!
Alphonso Davies musste danach übrigens ausgewechselt und mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden. Ob Bellingham für diese Aktion hätte mit gelb-rot vom Platz gestellt werden sollen oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Die einen - meist roten – sagen so, die anderen – meist gelben – sagen so. Am Ende durfte er weiter spielen und die Twittergemeinde hat genug Futter für die nächsten paar Tage zusammen.
Nach der Halbzeit
Die zweite Halbzeit beginnt mit einem Dreierwechsel der Bayern und auch Edin Terzic bringt mit Marius Wolf für Mats Hummels frische Kraft auf den Platz. Süle, der in den ersten 45 Minuten die für ihn ungewohnte Rechtsverteidigerposition inne hatte, rutscht somit zu Schlotterbeck in die Innenverteidigung und Wolf kommt ab jetzt über außen ins Spiel. Und wie er ins Spiel kam: Keine 60 Sekunden nach Wiederanpfiff zieht Wolf von der rechten Strafraumkante sehenswert ab und scheitert am Bayernkeeper. In der Anfangsphase der zweiten Hälfte war dann alles wie immer gegen die Bayern: Der Gast aus München drückt und macht das Spiel während die Heimelf in schwarzgelb versucht, dagegen zu halten und sich zu befreien.
Folgerichtig fiel dann in der 53. Minuten das 2:0 für die Bayern. Diesmal erreichte die Vorarbeit von Musiala Sané, welcher gnadenlos einnetze. Meyer war zwar noch dran, zur Verhinderung dieses Treffers hat es leider nicht gereicht. Ausgerechnet Sané. Für mich war der Drops in dem Moment gelutscht. Die weiteren Chancen von Musiala und Sané zeigten nur, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Rekordmeister den Sack – wie gewohnt - mit einem 3:0 oder sogar 4:0 zu machen würde. Alles wie immer also. Dachte ich…
DIE Schlussphase
Doch was dann kam, war an Spannung, Nervosität und Thrill kaum zu überbieten. Gefühlt fing alles mit der Einwechslung von „Sorgenkind“ Anthony Modeste an. Ein Tor aus acht Spielen war und ist für einen so angepriesenen Stürmer einfach zu wenig. Doch genau dieser Anthony Modeste leitete mit einem frechen Haken gegen Upamecano und einer schönen Ablage auf Moukoko in der 75. Minute den Anschlußtreffer und somit einen Spielverlauf ein, den das Westfalenstadion so schnell nicht vergessen wird. Es mag abgedroschen klingen, aber im Moment dieses Anschlußtreffers ging ein merklicher Ruck durch alles, was schwarz-gelb trug. Mannschaft und Fans schienen zu merken „Da geht noch was!“ und auch mein Optimismus wuchs - von Sandkorn - auf mindestens Reiskorngröße an.
Alle waren hellwach und die Süd gab alles. Wir schrien. Sangen und brüllten uns die Kehle heiser und wenn die Sitzplätze mitzogen, war das Westfalenstadion so laut wie lange nicht mehr. Einen Moment der Schockstarre gab es in der 83. Minute, als ausgerechnet Modeste, nach einem perfekten Querpass ins Zentrum von Adeyemi, vor Neuer die Nerven versagten und jeder im Stadion dachte „Wie kann man den nicht machen?!“ Das Spiel gewann mit jeder Minute mehr und mehr an Spannung und Intensität. Wuselig wurde es in der 90. Minute als Coman nach einem zweiten taktischen Foul an Adeyemi die Ampelkarte sah und von Deniz Aytekin unter die Dusche geschickt wurde.
Und dann war er da, der Moment der das Westfalenstadion zum explodieren brachte. Nico Schlotterbeck kratzt in geilster Beißer-Manier den Ball in der Nachspielzeit im Strafraum von der Grundlinie, nimmt Maß, schickt eine Flanke in den Fünfer für die ich keine passende Superlative finde und Modeste taucht ab um den Ball an Neuer vorbei zum 2:2 ins Tor zu köpfen. Ab da weiß ich nichts mehr. Ich weiß, dass ich mit 73.365 Borussen und Borussinnen in den Dortmunder Abendhimmel gebrüllt habe. Ich weiß, dass ich Menschen im Arm hatte, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Ich weiß, dass ich den Boden unter den Füßen verlor und mich später ein paar Meter weiter wiederfand. Ich weiß, dass dies einer der geilsten und emotionalsten Torjubel war, die ich je miterlebt habe.
Das Stadion hat gebebt! Ob das Spiel nochmal angepfiffen wurde? Keine Ahnung. Aber wir haben gefeiert als hätten wir gewonnen. Dieses Unentschieden war ein gefühlter Sieg. Am Ende gab es für dieses Remis auch nur einen Punkt, aber für die Seele, die Moral und ja, auch für die Mentalität wer es ein Sieg! Ein verdammt nochmal geiler Sieg!