Von Michael Oliver mit Ajax weggeputzt
Borussia Dortmund verliert auch das Rückspiel der Champions League Gruppenphase gegen den niederländischen Meister aus Amsterdam. Zwei Spiele mit 1:7 Toren klingen dramatisch, zeichnen aber nicht das ganze Bild des Abends.
Europapokalspiele gegen europäische Spitzen- und Traditionsclubs sind eigentlich Feiertage in Dortmund, wäre da nicht diese verdammte Pandemie - und in diesem Fall das Spiel. Nach der eindeutigen 4:0 Hinspielniederlage war die Elf des BVB auf Wiedergutmachung aus und auch auf Fanseite hatte man sich einiges vorgenommen.
Vor dem Spiel
Eigentlich ist mittwochs auf dem Hansaplatz Wochenmarkt. Diesmal nicht. Weil die Gäste aus dem Nachbarland nicht nur das volle Gästekontingent an Karten abgenommen haben, sondern sich auch in den umliegenden Blöcken bedienten, wurde der Markt kurzerhand abgesagt, um den Ajax-Fans einen Sammelpunkt einzurichten - fast wie vor Corona. Ähnlich stimmungsvoll und bunt verlief der Nachmittag dann auch, was die Polizei mal wieder dazu bewegte, ein paar Überstunden anzuhäufen und mit stattlichen Aufgeboten in der Stadt präsent zu sein.
Dass sich die Ajax-Fans so zahlreich mit Karten in allen Bereichen des Westfalenstadions eindecken konnten, liegt an der ungebrochen schwachen Nachfrage nach Tickets. Wäre eine solche Partie normalerweise binnen Stunden durch Dauerkarteninhaber und die wenigen übrigen Tageskarten ausverkauft gewesen, tat sich der BVB erneut schwer, alle Zugangsberechtigungen an die Frau und den Mann zu bringen. Nachdem wie üblich zuerst nur Dauerkarteninhaber ihr Vorkaufsrecht ausüben konnten, öffnete die Borussia den Ticket-Shop danach für Vereinsmitglieder und später sogar für alle - ohne nennenswert Karten loszuwerden. Als sich dann reihenweise Fans aus Amsterdam mit Tickets eindeckten, wurde der Vorverkauf wieder geschlossen, nur um ihn dann wenige Tage vor dem Spiel doch wieder für alle zu öffnen. Das Ergebnis: 54.820 von möglichen 67.028 Zuschauer:innen, ein beachtlicher Teil davon in den Farben der Gäste.
Obwohl diese eigentlich keinen Zutritt außerhalb des Gästebereichs erhalten sollten, tummelten sich mehrere kleinere und größere Gruppen Ajax-Fans in allen Teilen des Stadions, was dann dazu führte, dass das bereits erwähnte Polizeiaufgebot nicht nur am Nordeingang für "Sicherheit" sorgte, sondern sich vor dem Spiel auch unter der Südtribüne breit machte. Damit verstieß die Polizei gegen üblicherweise geltende Absprachen, dass sie nicht grundlos in großer Anzahl in der Heimkurve der Borussia auftritt und sorgte dadurch nicht unbedingt für entspannte und deeskalierende Stimmung.
Apropos Stimmung: Weil der BVB aufgrund der vollständigen Bestuhlung bei Europapokalspielen unter Anwendung der 3G-Regelung eine volle Auslastung des Westfalenstadions zulässt, hatte sich erstmals seit Pandemiebeginn auch die Ultragruppe "The Unity" wieder organisiert in ihrem Wohnzimmer eingefunden und in Block Drölf die Stimmung in die Hand genommen. Das tat dem ollen Tempel vor allem zu Beginn des Spiels sehr gut, als er mit viel Wucht und Lautstärke dazu beitrug, dass der BVB auf dem Platz zeigen konnte, was in ihm steckt und wurde dann mit zunehmender Spieldauer - ganz wie das Team auf dem Rasen - müder und schwächer. Grundsätzlich kann man wohl aber festhalten, dass diese Form des koordinierten Supports durchaus fehlt, auch wenn die Begründung für die Rückkehr und das Fortbleiben in der Bundesliga sowie die Liedauswahl sich nach wie vor nicht jedem Besucher erschließen. Willkommen zurück (für dieses eine Spiel?), Ultras!
Auf der gegenüberliegenden Seite hatte die Kurve von Ajax im Hinspiel imposant dafür gesorgt, dass der BVB in den Niederlanden richtig übel vermöbelt wurde. Im Westfalenstadion war der Auftritt der Gäste bis zum späteren Führungstreffer ihres Teams aber eher durchschnittlich und nicht so beeindruckend wie die Atmosphäre in Amsterdam. Wer weiß, wie die ausgesehen hätte, wenn die Mannschaft von Erik ten Hag den BVB nicht derart hergespielt hätte?
Auffem Platz
Die Geschichte des Spiels ist dabei eigentlich sogar recht schnell erzählt. Der weiterhin stark ersatzgeschwächte BVB trat ohne Haaland, Guerreiro, Dahoud, Can, Reyna, Schulz und Morey diesmal von Beginn mit Viererkette an und bestand aus Stammtorhüter Kobel, dem ehemals hässlichen Entlein Marius Wolf, Mats Hummels, Manuel Akanji, und dem wiedererstarkten Thomas Meunier. Davor dirigierten Witsel, Brandt und der nimmermüde Jude Bellingham das Mittelfeld, um Angriffe im letzten Drittel von dem besseren Hazard, Kapitän Marco Reus und Bundesliga-Premierentorschützen Steffen Tigges abschließen zu lassen.
Die angestrebte Wiedergutmachung ließ nicht lange auf sich warten! Der BVB kam mit viel Wille, Biss und Zug zum Tor aus der Kabine und so prasselten die Torchancen auf den Kasten der Gäste ein: In der zweiten Minute köpfte Hummels einen Brandt-Freistoß nur knapp über das Netz, in der achten Minute verfehlte Bellingham - ebenfalls per Kopf - das leere Tor nach Flanke von Hazard nur um Zentimeter. Das hätte die frühe Führung sein müssen. Der Druck des BVB ließ in der Folge nicht nach, das Westfalenstadion quittierte das Bemühen mit starkem Support und waren dann doch einmal die Gäste in Ballbesitz, wurden sie gnadenlos ausgepfiffen.
Doch wahrscheinlich war das irgendwie zu viel Druck - zumindest für Ajax-Flügelspieler Antony und den Unparteiischen Michael Oliver. Nach einer harmlosen Hummels-Grätsche an der Mittellinie landete der Brasilianer erst auf der Wade unseres Abwehrchefs, ehe er erneut abhob, als wäre er ein Luftballon, aus dem man die Luft rauslässt. Mit vielen Drehungen und Wendungen purzelte und rollte er über die Seitenauslinie, sodass der Schiedsrichter Hummels die rote Karte zeigte.
Einsatz Video Assistant Referee
Glücklicherweise hat uns die IFAB vor wenigen Jahren mit einem weiteren Schiedsrichtergespann beschenkt, das solche Fehlentscheidungen durch das Studium der Fernsehbilder und verschiedener Kameraperspektiven in sämtlichen Geschwindigkeiten verhindern würde!
So zumindest das theoretische Verkaufsversprechen, das eigentlich ziemlich gut klingt. In der Praxis hieß es hier aber: zwar ein Check, aber kein Review der Szene, die Entscheidung von Michael Oliver stand also. Mats Hummels kommentierte sie nach dem Spiel in einem überhaupt sehr guten Interview äußerst treffend als "absurde Fehlentscheidung".
Aber der Video-Assistent macht den Fußball ja wirklich gerechter und so gab es nur wenige Minuten später nach einem leichten Kontakt an Bellingham tatsächlich Strafstoß für den BVB. Kapitän und Mr. 1:0 Marco Reus verwandelte äußerst platziert und sicher zur überaus verdienten Halbzeitführung im linken unteren Eck - der BVB hatte sich endlich für eine tolle erste Halbzeit belohnt.
Den Bus geparkt
In der zweiten Halbzeit besonn sich der BVB dann darauf, den Bus zu parken und mit vereinzelten Kontersituationen den Deckel auf die Partie zu machen. Und so arbeiteten alle, vor allem der Regionalliga-Bomber Tigges und natürlich Jude Bellingham unermüdlich gegen die immer druckvoller werdenden Amsterdamer. Leider fehlte nun, anders als im ersten Durchgang, die Präzision im Passspiel und die Zielstrebigkeit im Spiel nach vorne. Sich eventuell bietende Räume und Kontergelegenheiten wurden relativ leichtfertig vergeben, sodass Ajax sich immer näher und immer enger um den Strafraum des BVB zusammenzog. Doch die Verteidigung hielt stand!
Bis, naja, bis das Unheil dann doch seinen Lauf nahm. Der in den letzten Wochen überzeugende Marius Wolf musste in der 58. Minute verletzungsbedingt durch Felix Passlack ersetzt werden (gute Besserung!), sodass beim BVB inzwischen Linksverteidiger #4 auf dem Feld stand. Durch das stetige Hinterherlaufen und Verschieben in Unterzahl merkte man dem Team zunehmend an, dass die Kraft schwand und so schien es nur eine Frage der Zeit, bis einer der vielen Angriffe doch irgendwie sein Zeil finden sollte. Und so war es ausgerechnet eine Flanke von Antony, die ausgerechnet vom für den des Feldes verwiesenen Hummels eingewechselten Pongracic unglücklich verlängert und am langen Pfosten von Tadic über die Linie gedrückt wurde. Ausgerechnet.
Obwohl sich das Westfalenstadion noch einmal aufbäumte, obwohl Rose mit Malen und Knauff für die beiden emsigen Tigges und Reus noch einmal frische Kräfte brachte, obwohl es nach dieser Fehlentscheidung und dem aufopferungsvollen Kampf sicher verdient gewesen wäre, konnte der BVB keine Punkte zuhause behalten. Erneut war es eine Antony-Flanke von rechts, die zum 1:2 Kopfballtreffer von Haller führte. Und zehn Minuten später machte Klaassen, wiedermals nach Antony-Vorlage, den Deckel auf diese Partie.
Was vom Tage übrig blieb
Borussia Dortmund verliert nach der 4:0-Hinspiel-Niederlage auch das Rückspiel zuhause klar mit 1:3 gegen Ajax Amsterdam. Und obwohl das jetzt eindeutig und erschreckend klingt, war der Auftritt des BVB an diesem Mittwochabend vielversprechend. Bis zum unverdienten Platzverweis hatte die Borussia das Spiel in der Hand, einzig Tore fehlten. Und auch danach hat sich das Team von Marco Rose nicht in sein Schicksal ergeben, sondern tapfer dagegen gehalten, als eine Angriffswelle nach der anderen auf Gregor Kobel zurollte - ein Fortschritt im Vergleich zum Hinspiel.
Für das Weiterkommen in Gruppe C reicht dem BVB ein Sieg gegen Sporting. Damit würde er den direkten Vergleich klar gewinnen und sich ohne Umschweife als Gruppenzweiter qualifizieren. Auch bei einem Unentschieden im nächsten Gruppenspiel hätte der BVB das Achtelfinale weiterhin selbst in der Hand. Dafür benötigt es aber wahrscheinlich erst einmal Aufatmen aus dem Lazarett. Marius Wolf fällt mit einer Muskelverletzung ebenfalls mehrere Wochen aus und auch Mats Hummels wird, sollte die UEFA nicht unerwartet beim Kacken vom Blitz getroffen werden, im wichtigen Spiel gegen Sporting nicht behilflich sein können. Dass es nun in der Bundesliga, in der sich die Borussia trotz all der Unwägbarkeiten erstaunlich schadlos hält, ausgerechnet gegen Leipzig geht und viele der Spieler eine Pause gebrauchen könnten, macht die Lage nicht unbedingt einfacher.
Aber aufgeben wird diese Mannschaft, zumindest nach diesem Mittwochabend, sicher nicht kampflos.