Schöne Scheiße, Schalke!
Drei Punkte für die Ewigkeit. Klassenerhalt oder Absturz ins Nirwana? Vielleicht das letzte Derby auf absehbare Zeit. Unser Spielbericht von einer Fahrt ins Blaue.
Als ich beschloss, diesen Spielbericht zu schreiben, hatten die Blauen gerade einmal mickrige acht Punkte auf dem Konto und standen auf dem letzten Platz der Liga. Am Abend trat man im DFB-Pokal in Wolfsburg an und hoffte - mit Schulden bepackt - auf ein Wunder von Berlin. Verstärkungen der besonderen Art hatte man an Land gezogen. Sie waren mehr jämmerlich als furchterregend. Im Sturm sollte der abgehalfterte Klaas-Jan Huntelaar mit 37 Jahren als Goalgetter „The Hunter“ den ehemaligen Bremer Claudio Miguel Pizarro Bosio als Ältestenrat-Torschützen ablösen. In der Abwehr hatte man sich mit einem alternden Weltmeister verstärkt. Shkodran Mustafi war bei Arsenal schon längst auf dem Abstellgleis gelandet und sah bei den Blauen eine letzte Perspektive, in der zweiten Liga spielen zu dürfen. Im Gegenzug entschied sich Ozan Kabak für die „Reds“. Welch Super Deal für den strauchelnden Tabellenletzten. Die Zukunft sah also mehr als rosig aus!
Man war gespannt, wie der BVB mit dieser neuen Situation umgehen würde. Gerade hatte man souverän das Achtelfinale im Pokal gegen den SC Paderborn gewonnen. Dabei reichten gerade einmal 15 Minuten Fußballspielen und Erling Haaland zum Erfolg. Auch in der Bundesliga und der Champions League war noch alles möglich, obwohl die Felle so langsam davonzuschwimmen schienen. Aber es konnte ja nichts passieren. Mit Julian Rijkhoff kam ein weiteres Toptalent von Ajax Amsterdam ablösefrei zum Borsigplatz. Ein junger Angreifer, den man später wieder gut verkaufen konnte. Dies schien der Weg der Talente zu sein, die beim BVB landeten. Aber half dies einer Spitzenmannschaft wirklich, wenn man nur zum Wiederverkäufer der Liga wurde? Es gilt meiner Meinung nach, erneut dieses Konzept zu überdenken. Auch im Handball und in anderen Ballsportarten kann nur ein über die Jahre eingespieltes Team erfolgreich sein. Nur durch blindes Verständnis sind Laufwege zu erahnen und zu standardisieren. Da hat der BVB mit seiner Talentschmiede nur dann eine Chance, wenn die Talente auch dauerhaft an den Verein gebunden werden können. Unabhängig davon stellt sich natürlich auch noch die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Abwehr zu verstärken? Und da blieb ja auch noch die Torwartfrage. In gut zwei Wochen ist Derby. Mal sehen was bis dahin noch passieren würde!
Die Zeit bis dahin verging wie im Flug und zunächst verabschiedeten sich die Blauen mit einem 0:1 in Wolfsburg recht glücklich aus dem DFB-Pokal. Unsere Schwarzgelben lieferten gegen den SC Freiburg eine desolate Leistung ab und suchten anschließend krampfhaft nach Erklärungen für das Ende einer jahrelangen Erfolgsgeschichte gegen die Schwarzwälder. Die Blauen mussten zusehen, wie die direkten Konkurrenten im Abstiegskampf punkteten und verloren gegen die Bullen aus Leipzig auf eigenem Platz 0:3. Der Ruhrpott hielt in den Misserfolgen zusammen. Die Pokalauslosung bescherte den Borussen die leicht hinkenden Fohlen zu einem Auswärtsspiel. Das müsste doch machbar sein, dachte man, schließlich hatten die abstiegsbedrohten Karnevalisten aus Köln dort im Derby mit 2:1 gewonnen. Aber was bedeutete das schon bei unserer wankelmütigen Borussia in Schwarzgelb? Bei den Blauen setzte sich in der Folgezeit die Posse Bentaleb fort, während sich Huntelaar immer mehr verletzte und aus einer Wade schließlich zwei Waden wurden. Trainer Gross fühlte sich plötzlich unbelastet was den „Problemfall“ Bentaleb anging und klammerte sich an jeden möglichen Strohhalm. Was für eine Aktion der Verzweiflung im Gazprom-Chaos-Verein! Der nächste Spieltag stand an. Champions League oder Abstieg, das war hier die Frage? Die Frage, ob es mit Jochen Schneider weitergehen würde, beantworteten die Ultras auf ihre Art und Weise:
Egal ob Liga eins oder zwei, Jochen du bist nicht dabei!
Der 21. Spieltag war dann für beide Mannschaften mehr als enttäuschend und brachte keine Wende. Unser BVB stolperte sich zu einem glücklichen 2:2 gegen Hoffenheim und entfernte sich immer mehr von den Champions-League-Regionen. Die Blauen lieferten eine Null-Nummer bei Union ab. So schlecht war punktemäßig kein Team seit der Saison 1995/1996. Der Blick auf das anstehende Derby wurde immer mehr von dem Eindruck geprägt: Hier spielt Not gegen Elend. Aber eine Aufgabe war durch die Schwarzgelben zwischenzeitlich noch zu bewältigen. Am 17.2.2021 wartete der FC Sevilla in der Königsklasse auf seinen angeschlagenen Gegner. Man hatte alles andere als ein gutes Gefühl. Plötzlich bestimmte im Vorfeld noch eine andere Nachricht die Liga. Marco Rose machte von seiner Ausstiegsklausel in Gladbach Gebrauch und entschied sich im Sommer zu einem Wechsel nach Dortmund. Eberl sprang vollkommen unbegründet im Dreieck, was bei seiner Größe mehr als erstaunlich erschien. Hoffentlich ein gutes Omen für Sevilla.
Wer hätte das gedacht? Nach neun Siegen in Serie verloren die Spanier wieder ein Spiel, und das gegen den BVB. Man musste sich schon die Augen reiben, um das 2:3 aus der der Sicht von Sevilla zu realisieren. Geschah dies alles schon im Namen des Rose fragte man sich unwillkürlich? Auf jeden Fall war es keine schlechte Ausgangsposition für das Rückspiel im Westfalenstadion. Jetzt galt es, den Mund abzuwischen und fokussiert dem Derby entgegen zu fiebern. Neues Spiel, neues Glück! In früheren Jahren gab es oft nach erfolgreichen Auftritten in der Champions League eher bescheidene Liga-Auftritte. Bitte, tut uns das nicht an, wir wollen doch Teil der Abstiegs-Beschleuniger sein und unsere Fahrt ins Blaue gebührend abschließen. Nur noch zwei Tage bis zum Derby! Wir wollen den Derbysieg!
Ein Derby ohne Derbystimmung
Es mag ein emotionales Derby sein, aber es ist kein wirkliches Derby. Bis auf die beiden Teams, die aufeinander treffen, fehlt einfach alles. Es fehlen die Schlachtgesänge, die Pöbeleien und der Weg zum Stadion, flankiert von Polizisten zu Fuß und zu Pferd. Stimmungslose Stadionränge mit Pappkameraden zeugen vom Fußball der Neuzeit. Vollpfosten aus dem Süden versuchen sich in der Politik zu profilieren. Insgesamt ein jämmerliches Bild des Profifußballs in seiner Hygieneblase. Und am Ende dieser Skala der Unzulänglichkeiten steht der S04 am Abgrund des Abstieges. Bringen wir es zu Ende.
Die erste Halbzeit
Sie begann mit dem Anstoß für den BVB. Edin Terzic hatte das Team im Vergleich zum Spiel in Sevilla auf zwei Positionen verändert. Für den angeschlagenen Manuel Akanji rückte Emre Can in die Innenverteidigung. Julian Brandt ersetzte in der Startelf Jude Bellingham. Die personelle Besetzung der elf Blauen war eigentlich nicht erwähnenswert. Unter der Leitung von Schiedsrichter Daniel Siebert ergab sich in der siebten Spielminute die erste Chance für den BVB. Jadon Sancho kam in eine gute Schussposition, brachte aber nicht genug Druck hinter den Ball, so dass Fährmann problemlos den Ball halten konnte. Danach passierte auf beiden Seiten nicht viel Erwähnenswertes an Torchancen. Bei einem fairen Zweikampf mit Erling Haaland verletzte sich Ralf Fährmann und zog sich eine Bauchmuskelzerrung zu (26.). Zunächst versuchte er weiter zu machen, musste sich dann aber frühzeitig auswechseln lassen (32.). Michael Langer kam für ihn zwischen die Pfosten. Seine erste Bewährungsprobe, ein Schuss von Dahoud, war zu schwach und konnte von ihm entschärft werden (36.). Allerdings gingen die Schwarzgelben in der Folgezeit zunehmend aggressiver ins Pressing. Dies führte dann auch zu einem leichtfertigen Ballverlust von Stambouli, der sich etwas zu viel zumutete. Mateu Morey leitete den eroberten Ball an Jadon Sancho weiter, und dieser vollstreckte sicher zum 1:0 (42.). Es war sein 5. Saisontor und er sollte wenig später Wegbereiter für ein absolut Sehenswertes 2:0 sein (45.). Eine präzise Flanke von links erreichte Erling Haaland und dieser traf mit akrobatischem Seitfallzieher, Marke „Tor des Jahres“, in den Kasten der Ab(Steiger). Da half auch kein Singen mehr. Damit erzielte Haaland ein Tor mehr als das komplett jämmerliche Schalker Rumpfteam in der ganzen Saison. Mit 72% Prozent Ballbesitz ging der BVB nach drei Minuten Nachspielzeit in die Pause.
Die zweite Halbzeit
Der BVB begann die zweite Hälfte unverändert. Die Gelsenkirchener brachten zwei neue Spieler, die keine Sau kennt. Trotzdem hatten sie den besseren Start, schlugen aber aus zwei Großchancen kein Kapital. Einmal rettete der Pfosten, ein anderes Mal Marwin Hitz. Inmitten dieser Offensive der Blauen fiel das 3:0 für unseren BVB (60.). Marco Reus, nicht im Abseits stehend, legte perfekt auf Raphael Guerreiro, und dieser ließ Langer im Veltins-Tor keine Chance. Der Drops war gelutscht. Kurze Zeit später kam dann noch Jude Bellingham für Julian Brandt in die Partie (61.). Bellingham war dann auch am 4:0 für den BVB beteiligt (79.). Nach Zuspiel von Sancho passte er quer auf Haaland und unser Goalgetter vollendete ziemlich schnörkellos zum späteren Endstand. Zehn Minuten vor Schluss kamen dann noch Reyna für Dahoud und Reinier für Reus in die Partie. Kurze Zeit später durften sich Meunier und Moukoko über ihren Einsatz freuen. Morey und Delaney konnten sich etwas früher ausruhen. Daniel Siebert pfiff dann pünktlich ab und beendete eine weitere Etappe Richtung Abstieg der Blauen. Das war es mit Scheiße und dem Tag als Conny Kramer starb. Und einen Ausrüstervertrag werden sie auch nicht mehr bekommen. Wer will denn schon einen Absteiger unter Vertrag nehmen?
Fazit
Wir haben unser Bestes gegeben, um sie eine Etage tiefer zu schießen. 56 Jahre hat es gedauert um die Blauen wieder einmal mit vier Toren Differenz zu demütigen. In vier aufeinanderfolgenden Duellen blieb der BVB ohne Gegentor. Übrigens bestritt Marco Reus an diesem Spieltag sein 300. Bundesliga-Spiel. Die Königsblauen werden sich gedulden müssen. Es wird sicher eine längere Zeit dauern, bis das 159. Revierderby stattfindet. Wahrscheinlicher ist in diesem Zusammenhang das Aufeinandertreffen mit dem VfL an der Castroper Str. 145. Manche werden das „Derby aller Derbys“ vermissen, andere sich über den Abstieg der Königsblauen freuen. Dies muss jeder für sich entscheiden. Für den Moment ist aber erst einmal Schluss mit lustig. Auch Spiele gegen Erzgebirge Aue und den VfL Osnabrück können in der Zukunft durchaus interessant sein.