Was stimmt nicht mit euch?
Wir müssen reden. Über Mo Dahoud, Werte und Einzelne auf den Tribünen. Man könnte meinen, nach einem 4:0-Heimsieg gäbe es erstmal nichts zu meckern. Aber meine Fresse, was stimmt eigentlich nicht mit euch?
In diesem Text geht es nicht um den dominanten Auftritt einer Mannschaft, die ohne Frage Meisterschaftskandidat wäre, würde sie nicht mit konsequenter Regelmäßigkeit wichtige Punkte vorzugsweise auswärts durch eigene Pomadigkeit und trantütiges Defensivverhalten verspielen. Es geht um das, was abseits des Platzes geschah und einen Schatten auf einen eigentlich tollen Fußballabend mit grandioser Choreographie – Danke dafür an alle Beteiligten – wirft: Einzelne Fans auf den Tribünen.
In der 64. Spielminute wurde Mo Dahoud eingewechselt. Was wie ein normaler Vorgang erscheint, wurde getrübt von einigen Pfiffen, kommend von sämtlichen Tribünen. Auch wenn die Pfiffe keineswegs flächendeckend waren, so ist jeder einzelne Pfiff beschämend. Und das Schlimme ist: Es war nicht das erste Mal. Die Pfiffe gab es bereits bei Dahouds Einwechslung gegen Köln. Und ganz ehrlich: Ich verstehe beim besten Willen nicht warum.
Es ist klar, dass Dahoud sportlich keine große Rolle mehr spielen wird und vermutlich gut beraten ist, seine Zukunft ab Sommer bei einem anderen Verein zu suchen, um sein Talent doch noch langfristig auf den Rasen bringen zu können. Für Borussia Dortmund reicht es nicht, aber bei anderen Vereinen könnte er zweifelsohne zum Stammpersonal gehören und sicherlich mit dem gewissen Vertrauen auch zu alter Stärke zurückfinden, aufgrund derer er 2017 vom BVB verpflichtet wurde. Mo Dahoud ist, wie einige seiner Kollegen, kein Leistungsträger in Dortmund. Aber das soll schon reichen, um einen Spieler des BVB gnadenlos auszupfeifen?
Wer sind wir und wer wollen wir sein?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der der Mensch in den Hintergrund rückt und einzig seine Darbietung im Job zählt. Früher brüstete man sich noch gerne mit dem Ruhrgebietsnarrativ des bodenständigen Vereins, wo Menschlichkeit mehr zählt als der Erfolg. Diese Bodenständigkeit ist spätestens mit den Titeln der Klopp-Ära abhandengekommen und mit ihnen hat sich auch die Anhängerschaft gewandelt und das nicht zwangsläufig zum Guten. Selbst Spieler, die diese erfolgreiche Zeit mitprägten, müssen sich mittlerweile ungerechtfertigte Anfeindungen gefallen lassen, schaut man doch nur mal auf die vergangene Saison zurück, in der selbst bei einer Vereinslegende wie Marcel Schmelzer (2x Meister, 2x Pokalsieger, 1x Champions League-Finalist jeweils als Stammspieler, dazu menschlich herausragend) Pfiffe ertönten, sobald Dickel ihn in der Aufstellung nannte. Wertschätzung? Fehlanzeige. Was stimmt eigentlich nicht mit euch?
Ich verlange nicht, dass der Trainer Spieler anhand ihres Charakters aufstellt. Natürlich muss hier nach Leistung entschieden werden. Ich verlange lediglich, dass man Spielern mit dem Mindestmaß an Respekt begegnet, solange sie dem Verein und seinen Anhängern selbigen entgegenbringen. Alles andere sagt mehr über euch aus, als über den Spieler, den ihr anfeindet.
Mo Dahoud hat keine großen Erfolge bei Schwarzgelb vorzuweisen, wie andere Spieler unseres Kaders übrigens auch. Mo Dahoud ist kein Stammspieler, was in einem 26-Mann-Kader durchaus legitim, wenn auch nicht erstrebsam ist. Mo Dahoud hat sich allerdings auch rein gar nichts zuschulden kommen lassen, was die Anfeindungen einzelner auch nur ansatzweise rechtfertigen könnte. Stattdessen werden in Dortmund Spieler (Plural!) gefeiert, die wegen wiederholten Fehlverhaltens vom BVB sanktioniert werden mussten, weil ihnen ihr eigener Ego-Trip wichtiger ist als Verein und Mannschaft. Hier zählt nur das Leistungsprinzip. Ihr solltet mal über eure eigenen Werte nachdenken.
Wenn das Leistungsprinzip als Argument ausreicht, müssten noch bei ganz anderen Spielern Pfiffe ertönen – tun sie aber nicht und das vollkommen zu Recht. Was stimmt also nicht mit euch, die ihr hier einen einzelnen Spieler herauspickt? Euer Maßstab entbehrt nicht nur jeder Logik, ihr legt ihn nicht mal konsequent an jeden Spieler an.
Ich wünsche Dahoud nichts weniger, als dass er seine Kritiker verstummen lässt und langfristig persönliche Erfolge feiern kann. Idealerweise schon beim BVB, auch wenn dies aufgrund seiner sehr begrenzten Einsatzzeiten eher unrealistisch erscheint, sonst aber auch bei einem neuen Verein.
Keiner verlangt von euch, Dahoud oder andere Spieler bedingungslos abzufeiern. Das tue ich auch nicht. Aber es gibt so einen schönen Satz: Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, sollte man besser den Mund halten. Also klemmt euch eure Pfiffe, die ohnehin vollkommen fehl am Platz sind, und nutzt die Energie lieber, um die eigene Mannschaft anzufeuern. Alles andere ist in diesem Fall unwürdig.